Heinz Kleger, Prof. Dr. phil., geb. 1952 in Zürich, Philosoph und Politikwissenschaftler, lehrte 1993-2018 Politische Theorie an der Universität Potsdam, 2004-2008 auch an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder.
Die letzte Offensive
11. April 2023
Im Frühling wird allenthalben die große Gegenoffensive der ukrainischen Armee erwartet. Seit Herbst 2022 hat sich die lange Frontlinie in der Ostukraine kaum verschoben. Zuvor hatte die Ukraine überraschend Geländegewinne in der Region Charkiv erzielt. Auch die Stadt Cherson im Süden, die als erste von der russischen Armee besetzt worden ist, konnte unter großem Beifall der Bevölkerung zurückerobert werden. Nach einem Jahr der Invasion halten russische Truppen noch immer ca. 18 Prozent des Landes besetzt.
Zivilisationsökumene?
3. April 2023
‚Zivilisationsökumene‘ ist ein ungewöhnlicher Begriff (Lübbe 2005). Lübbe beschreibt damit sehr dicht, aber gleichwohl empiriegesättigt die global gewordene wissenschaftlich- technische Zivilisation europäischen Ursprungs. Im Zentrum dieses Verständnisses von Zivilisation, quasi als ihr Motor, steht die neuzeitliche moderne Wissenschaft (science).
Die Welt im Umbruch
24. März 2023
Der Staatsbesuch von Xi Jinping in Moskau am 21. März hat Bedeutung für die ganze Welt, und die ganze Welt schaute zu, bis hinein in die beeindruckenden Räume der großen Herrschaft mit ihrem Zeremoniell, den langen Wachsoldaten an den schweren goldenen Türen, die ihre Hälse verdrehen wie eine Eule, wenn der kleine Zar eintritt.
Demokratiepolitik ist kein Modethema
20. März 2023
Der Deutsche Bundestag ist das größte demokratische Parlament der Welt. Er ist zu groß und muss kleiner werden. Aber wie?
736 Abgeordnete sind es derzeit, nach der dem alten Wahlrecht sind es 598. Die Ampelreform sieht 630 Sitze vor, davon 299 in Wahlkreisen gewählt sowie 331 über Parteilisten verteilt. Die Zweitstimme wird verstärkt. Eine Wahlrechtsreform ist notwendig, aber heikel, denn die Systematik des Wählens muss für die Bürger nachvollziehbar bleiben. Die Wahl ist die wichtigste Institution der Demokratie.
Die Welt neu sehen lernen
14. März 2023
Die geographische Nähe spielt eine existentielle Rolle, wenn wir die Welt beziehungsweise einen Ausschnitt davon wahrnehmen. Das ist auch legitim. Die Dringlichkeiten ordnen wir selber.
Für die Europäer waren die Jugoslawienkriege in den 90er Jahren mit der langen schmerzhaften Belagerung von Sarajewo – der multikulturellen Metropole, quasi dem Inbegriff von Europa – nahe, manchem politisch sogar besonders nahegegangen, weil der funktionierende Vielvölkerstaat aus der widerständigen Zeit des 2. Weltkrieges und als Modell eines ‚Selbstverwaltungssozialismus‘ großen politischen Kredit genoss bis hinein in programmatische Diskussionen der europäischen Sozialdemokratie.
Der allmähliche Zerfall dieser Illusionen seit den 80er Jahren nach Titos Tod zwang dazu, wieder genauer hinzusehen, die konfliktreiche Vielfalt der Regionen und Kulturen und mehr als nur die eigenen Vorurteile zur Kenntnis zu nehmen. Heute werden die Staaten, welche seit langem in die EU drängen, wieder sichtbarer: Serbien, Montenegro, Nordmazedonien, Albanien, Kosovo, Bosnien-Herzegowina.
Scholz und Biden
7. März 2023
Am Freitag, den 3. März, flog Bundeskanzler Scholz zu einem Überraschungsbesuch nach Washington, zu einem Vier-Augengespräch mit Präsident Biden im Oval Office.
Diese Stippvisite ist nicht nur überraschend, sondern auch ungewöhnlich und bezeichnend für die momentane Situation in der Ukraine wie weltpolitisch, die riskant und gefährlich ist. Scholz reist ohne den üblichen Journalisten-Tross. Vorher gab es ebenso keine erklärenden Interviews und eine gemeinsame Pressekonferenz wird es nach dem Treffen auch nicht geben. Sofort wird von den zahlreichen Medien viel gerätselt und alles Mögliche hektisch hineininterpretiert, um das plötzlich entstandene Loch zu füllen.
Helle und dunkle Visionen
1. März 2023
Im letzten Blog haben wir von Revisionen, die zahlreich sind und anhaltend sein werden, und Visionen, die bleiben, gesprochen. Das Wort ‚dunkle Vision‘ fiel nicht, ebenso wenig die Unterscheidung zwischen hellen und dunklen Visionen. Wenn nun nachfolgend vom Ringen um eine neue Weltordnung die Rede ist, wird dies notwendig, ohne dass wir sagen können, in welche Richtung es gehen wird.
Re-Visionen
23. Februar 2023
Der Krieg in der Ukraine ist nicht die Stunde der deutschen Intellektuellen, auch von Habermas nicht, der zeitlebens und immer wieder, wichtige Interventionen in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit ausgelöst hat.
Zufälle der Geschichte!?
17. Februar 2023
Die Ausstellung „Roads not taken. Oder: Es hätte auch anders kommen können“ im Deutschen Historischen Museum in Berlin vom 9. Dezember 2022 bis 24.11.2024 (www.dhm.de) macht an 14 wegweisenden Zäsuren deutscher Geschichte von 1848 bis 1989 sichtbar, dass die Geschichte nicht so selbstverständlich auf ein Ziel hin, teleologisch festgelegt ist, wie Geschichtsschreibung oder Geschichtserzählung suggerieren.
Stadtwende. Von den Bürgergruppen zur Bürgerkommune
13. Februar 2023
Für eine Argumentation politischer Theorie ist entscheidend, welche Ereignisse sie in welcher Art als Orientierungspunkte nimmt. 1989 fungiert hier ebenso als positiver Orientierungspunkt wie die nach 1996 trotz großer Schwierigkeiten wieder größere Selbstständigkeit der neuen Bundesländer einschließlich der kommunalen Selbstverwaltung und des damit verbundenen Aufbruchs der Städte (Keim 1995).