The good the bad and the ugly

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Berlusconi, „der erfolgreichste Populist Europa“ (siehe den Blog vom 12. Juni), oder, wie andere sagen: „der Vater aller Populisten“, ist mit dem Wort Populismus noch nicht erfasst oder erklärt.

Das Phänomen Berlusconi fasziniert und beschäftigt weiter, auch nach seinem Tod, mit Staatstrauer und Staatsbegräbnis im Mailänder Dom, die wichtigsten politischen Amtsträger in der ersten Reihe. Der Kardinal preist den „Leader“ in seiner Predigt, die katholische Kirche sah dabei über manche Eskapaden hinweg, der katholische Konsens bröckelt ohnehin. Selbst Papst Franziskus ist mit seiner Politik für die Armen, bei vielen Italienern nicht beliebt.

‚Forza Italia‘ ist wohl die erste Partei, die zusammen mit Werbefirmen entwickelt worden ist. Als erfolgreicher Medienunternehmer hatte Berlusconi die Medien- und Marketingkompetenz im eigenen Haus. Und was ebenfalls nicht zu unterschätzen ist: er hatte attraktive Stellen für viele prekäre intellektuelle Existenzen zu bieten – nicht nur Redaktorposten, sondern Karrieremöglichkeiten zuhauf, mit denen man/frau brillieren konnten. Das ist schon für den Erfolg von Mussolinis Faschismus soziologisch zu beachten, der Schwenk der Intellektuellen (im weitesten Sinne).

Das verstärkte zweifelsohne die Wirkung, ist aber nicht der einzige Grund dafür, weshalb viele Italiener diesen Mann immer wieder wählten – viermal wurde Berlusconi Ministerpräsident! Einerseits gab es nach dem Zusammenbruch der großen historischen Democrazia Cristiana im katholischen Land schlicht keine große konservative Partei mehr, es gab also ein großes Vakuum. 

Zum anderen fürchten Italiener, zumal die selbständig Erwerbenden den Staat. Berlusconi versprach den Staat, besonders die Steuerbehörden, zurückzuhalten. Das ist mehr oder weniger bekannt. Was jedoch nördlich der Alpen zu wenig gesehen wird, ist die Rolle der Imagination in der Politik. Sie wiederum hängt eng mit der politischen Rolle der Rhetorik und dem meisterhaften Einsatz der Medien zusammen. 

Mit dem Projekt einer Brücke über die Meerenge von Messina zum Beispiel sprach Berlusconi die kollektive Phantasie der Italiener an. Nicht umsonst wird das Projekt, das wirtschaftlich wenig sinnvoll ist, von der jetzigen Regierung wieder aus der Schublade geholt. Das ist ein Aspekt, der bisher unterbelichtet blieb: Berlusconi hatte Ideen und Visionen, ein Langweiler, Bürokrat, Funktionär, Fanatiker oder Sektierer war er mitnichten. 

Mit dem Fernsehen (Unterhaltung) und dem Sport (Fußball), beides Massenphänomene, verband er Visionen, die begeisterten, und nicht bloß Geschäfte. Unter seiner Förderung wurde der AC Milan mehrmals Championsleague-Sieger. Die guten Spieler kannte er persönlich. Heute ist der Klub an Chinesen (?) verkauft. Was sagen jetzt die Fans dazu?

Mit seinen berühmt- berüchtigten Witzen unterhielt er die Leute. Er war ein von der Pike auf gelernter Entertainer als Musikant auf Schiffen und wurde ein überaus erfolgreicher politischer Entertainer, der sogar neue politische Koalitionen schmieden konnte. Er war keineswegs nur von „Dummköpfen“ umgeben, erwähnt sei nur der langjährige Wirtschafts- und Finanzminister Tremonti, der für das Bürgertum eine Garantie liberaler Politik war.

Weil Berlusconi seine Landsleute kannte, kompensierte er wohl die Sorge vieler Italiener, dass sie vom Ausland nicht für voll genommen werden. Es gab einen geheimem Stolz auf die Chuzpe von Berlusconi, so auch im krassen Fall, als er den Europapolitiker Schulz im größten Parlament der Welt im Juni 2003 einen „Kapo“ nannte.

„Diese Szene hat mein Leben verändert „, sagt der nachmalige, 100% Kanzlerkandidat der SPD (2017) Martin Schulz (im Interview in der ‚Zeit‘ am 29.6.2023, S.11). Berlusconi verglich Schulz mit einem KZ-Wärter. Wie kam es zu diesem Eklat? Schulz antwortet (alle nachfolgenden Zitate stammen aus diesem Interview) :

„Ich hatte Berlusconi ziemlich provoziert, das muss man sagen“. Italien hatte gerade die Ratspräsidentschaft der EU übernommen. Der erfahrene Europaparlamentarier Schulz stellte für seine Fraktion drei Fragen:
1. Was tun Sie für die beschleunigte Einführung einer Europäischen Staatsanwaltschaft?
2. Was für die Einführung eines Europäischen Haftbefehls?
3. Was für den Dokumentenaustausch in grenzüberschreitenden Strafverfahren?

Das traf Berlusconi „politisch, aber auch persönlich“(Schulz).

Die informierten Interviewer der ‚Zeit‘ werfen ein: „Am Anfang Ihrer Rede hatten Sie Berlusconi auf den „Intelligenzquotienten“ seiner Minister angesprochen. Im Grunde genommen haben Sie gesagt: Ihre Leute sind blöd!“ Schulz: „Ich bezog mich auf einen Minister der Lega Nord, der sich offen rassistisch geäußert hatte. Parlamentarismus hieß und heißt für mich, man muss so deutlich reden, dass die Leute einen Unterschied machen können zwischen dir und deinem politischen Wettbewerber.“

Dann folgte die berühmte Szene, die in die Geschichte einging. Berlusconi, der innerlich bebte, sagte, in Italien werde gerade ein Film über nationalsozialistische Konzentrationslager gedreht und wandte sich direkt an Schulz: „Ich würde Sie für die Rolle des Kapos vorschlagen. Sie sind perfekt dafür!“
Im Plenum herrschte Empörung. Schulz antwortete knapp und beherrscht: „Mein Respekt vor den Opfern des Nationalsozialismus verbietet es mir, darauf einzugehen.“

Schulz, der schon 9 Jahre im Parlament gearbeitet hatte, wurde mit einem Schlag berühmt: „Das ist der Beweis dafür, dass du mit seriöser Arbeit weniger Aufmerksamkeit erzielst als mit Krawall“(Schulz). Es wird kolportiert, typisch Berlusconi, dass er Schulz eine Rechnung schicken wollte für die Publicity, die er ihm verschafft hatte.

Berlusconi war der Auffassung, er sei „ironisch“ gewesen, Schulz habe ihn vielmehr ernsthaft angegriffen. Eine Entschuldigung blieb aus, die meisten EU-Parlamentarier stellten sich hinter Schulz (Spiegel, 2.7. 2003). Der Lega Nord Politiker Calderoli hingegen lobte Berlusconi: “Der von Berlusconi gegen Herrn Schulz abgefeuerte Kanonenschuss macht mich sehr glücklich Endlich spricht jemand Klartext zu diesen Linken. So werden wir uns wieder Respekt verschaffen“(a.a.O.).

Bedeutet das Sympathie mit Berlusconi? Sympathie ist das falsche Wort, eher ist es interessierte Antipathie zu einem gewichtigen politischen Gegner, den man nicht unterschätzen darf. Schulz beschreibt ihn als „hemmungslosen Rechtspopulisten“. Irgendwelche Sympathie hatte ich nie, dazu bin ich politisch zu links geprägt, was nicht als Verdienst hervorgehoben werden soll.

Jenseits von politischer Gesinnung und Moral muss es heute jedoch vor allem darum gehen, den Erfolg von Berlusconi zu erklären und die Mechanismen der Massenkommunikation zu verstehen. Aufklärende empirische Öffentlichkeitsforschung, die ihre Ergebnisse vermitteln kann, ist dringend nötig.

Ansonsten laufen uns die Aktualitäten davon und wir werden von der schnellen politischen Wirksamkeit eigener Öffentlichkeiten (z. B. die der AfD) überrascht.

Bildnachweis: IMAGO / ABACAPRESS