Fortschritte, aber kein Durchbruch

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Eine ungewöhnlich lange (mehr als 1000 Kilometer) unheimliche Frontlinie in den annektierten Gebieten, die mit Minenfeldern, Panzersperren und Schützengräben vorbereitet werden konnte, lässt die am 4. Juni angekündigte ukrainische Großoffensive langsam vorankommen. 

Angriffe erfordern zudem im Unterschied zur Verteidigung immer ein Überlegenheitsverhältnis bei der Zahl der Soldaten, die in mehr als Kurzlehrgängen ausgebildet sein müssen, um in größeren Verbänden koordiniert kämpfen zu können. Dazu kommt , vielleicht als größtes Handicap, die fehlende Luftüberlegenheit.

„Der erhoffte schnelle Durchbruch durch die russischen Verteidigungslinien ist ausgeblieben“, so Andreas Rüesch in einer differenzierten Zwischenbilanz am 29. Juli 2023 (NZZ, S.3). Die Gebietsgewinne sind gering und mit einem hohen Preis bezahlt. Es fehlen unter anderem Minenräumfahrzeuge und Flugabwehrsysteme.

Die Infanteristen kämpfen in kleinen Einheiten und befinden sich im „Abnützungskrieg“ (a.a.O). Die Hoffnung des Generalstabs in Kiew war und ist es, in einen „Bewegungskrieg“ übergehen zu können Richtung Melitopol und Asowsches Meer.

Ein wichtiges militärisches Ziel wäre die 30 Kilometer hinter der Front gelegene Eisenbahnlinie, welche die russischen Truppen versorgt. Auch die Angriffe auf die nicht nur symbolisch herausragende Kertsch-Brücke gelten der lebenswichtigen Versorgung. Überhaupt gerät jetzt die Krim aufgrund der Reichweite der westlichen Waffen verstärkt ins Visier, was noch einmal zu Eskalationen führen kann.

Rüesch spricht (a.a.O.) davon, dass der russische Gegner von westlicher Seite unterschätzt worden sei und von Fehlern sowie mangelnder Ausbildung auf ukrainischer Seite. Dieser Vorwurf trifft auch die Nato (-Ausbilder).

Die optimistischen Amerikaner verschweigen nicht, dass sie sich schnellere Erfolge gewünscht hätten. Ich erinnere mich an Prognosen von Militärexperten, die schon 2022 davon gesprochen haben (Hodges), dass die Ukrainer im Sommer 2023 die Krim zurückerobert haben würden. Dennoch behauptet Generalstabschef Mark Milley, dass die Offensive weit vom Scheitern entfernt sei.

Die USA baut derweil ihre Militärhilfe weiter aus: F16 Piloten werden ausgebildet, Streumunition wird ebenso geliefert wie weitere Schützenpanzer. Die Nato setzt zurecht auf Geduld und Hartnäckigkeit. Vor Herbst wird der Kleinkrieg realistischerweise nicht aufhören.

Putin auf der anderen Seite versucht im internationalen hybriden Krieg und gegen innen gezielt eine Stimmung zu erzeugen, welche die Gegenoffensive als gescheitert darstellt. Eine Strategie, wie Russland die 2022 annektierten Gebiete halten und entwickeln will, ist jedoch in diesem Zermürbungs- und Zerstörungskrieg auch von Ferne nicht in Sicht.

Die hohen eigenen Verluste werden vielmehr verschwiegen und heruntergespielt. Die Spezialoperation hat mittlerweile das ganze Land als (Verteidigungs-) Krieg erfasst. Und wie die verschiedenen Stimmen der Generäle (die es unter Stalin nicht gegeben hätte) die militärische Lage einschätzen, wird für Außenstehende nicht erkennbar. 

Das große Land (zweimal so groß wie die USA) wie das verschanzte Militär vor Ort, das seinen Terror gegen die ukrainische Zivilbevölkerung (auch wieder Odessa) fortsetzt, liegen im Dunkeln.

Damit ist viel im Dunkeln.

Bildnachweis: IMAGO / ZUMA Wire