Sicherheit für die Ukraine und Europa 

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Selenski erwartet vom historischen Natogipfel am 11. /12. Juli in der litauischen Hauptstadt Vilnius das klare Signal, in die Nato aufgenommen zu werden. Dafür wirbt er seit langem mit mäßigem Erfolg, dafür reiste er zuvor auch nach Prag und Bratislava und erstmals in die Türkei.

Erdogan spielt eine Schlüsselrolle als Vermittler zwischen Moskau und Kiew. Als einziges Nato-Land beteiligt sich die Türkei nicht an den Sanktionen gegen Russland und baut gleichzeitig seine Energieabhängigkeit von Russland aus. Es verhandelt aber auch das überlebenswichtige Getreideabkommen und den Gefangenenaustausch. 

Selenski legte bei Erdogan zudem ein gutes Wort für Schweden ein, dessen Nato-Beitritt die Türkei wegen der Nichtauslieferung von ‚ kurdischen Terroristen‘ sowie der neulichen öffentlichen Koranverbrennung, die gerichtlich bewilligt worden ist aufgrund der Meinungsfreiheit, verzögert. So spielen liberale Toleranzprobleme in die große Weltpolitik hinein, nicht zum ersten Mal. 

Für den unersetzlichen Stoltenberg, dessen Vertrag wieder verlängert worden ist, liegt Schwedens Nato-Mitgliedschaft in Reichweite. Bevor der Gipfel in Vilnius beginnt, werden sich Kristersson und Erdogan persönlich treffen. Letzterer verknüpft offenbar seine Zusage mit der Forderung nach F-16 Kampfflugzeugen, die wiederum nur die USA liefern können (siehe FAZ, 8. Juli). Erdogan spielt sein eigenes Spiel mir Europa und der Nato, genauso wie Orban. Man spricht schon von der ‚Orbanisierung‘. 

Ebenso kompliziert sind die Verhandlungen über die Aufnahme der Ukraine. Die Nato-Mitglieder sind in dieser Frage gespalten. Eine Aufnahme während des Krieges kann nicht erfolgen, weil sonst die Bündnisverpflichtung nach Artikel 5 greifen würde. Wie steht es aber mit einer Sicherheitsgarantie nach dem Krieg? Feststeht im Moment lediglich, dass die Nato-Ukraine Kommission in einen Rat verwandelt wird, den Selenski in Vilnius erstmals besuchen wird. 

Am kommenden Gipfel wird die Nato noch einmal kräftig in die Rüstung investieren. Mindestens 2% des Bruttoinlandprodukts sollen künftig dauerhaft in die Verteidigung investiert werden. Elf Staaten werden 2023 dieses Ziel erreichen, 2014 waren es drei. Daran sieht man, was die ‚Natoisierung Europas‘ bedeutet. „Deutschland liegt immer noch weit hinten: mit 1,57 Prozent auf dem 21. Platz“ (FAZ, 8. Juli). 

In diese Zeit fällt die heikle Entscheidung der USA, die von vielen Staaten geächtete Streumunition an die Ukraine zu liefern. Obwohl auch Russland solche Munition verwendet, wird diese Entscheidung als weitere Eskalation gewertet, so vom russischen Botschafter Antonow in den USA (8. Juli). 

Die Kämpfe auf dem Gefechtsfeld werden täglich brutaler und verlustreicher. Das perspektivische Bild ist eindeutig: es gibt mehr neue Eskalationen und keine Verhandlungen, wobei die Eskalationsspirale ganz konkret von bestimmten Waffen und Munition abhängt, und damit tagtäglich von bestimmten militärisch- politischen Entscheidungen. Darüber hängt auch das Damoklesschwert der taktischen Atomwaffen. 

Selenski räumt ein, dass die Gegenoffensive nicht schnell genug vor sich geht. Der Oberbefehlshaber der ukrainischen Armee Valery Zaluzhny äußerte seine Frustrationen und wünscht sich “ shells, planes and patience“ (Washington Post, June 30). Die 18 deutschen Leopard-Panzer sind inzwischen an der Front angekommen. Der Bundestagsabgeordnete Marcus Faber aus Sachsen-Anhalt macht sich in der Ukraine darüber ein anschauliches Bild, das er im Verteidigungsausschuss des Bundestages weitergeben wird (Welt TV). 

Die neuen Verbände sind einsatzbereit, schrecken aber noch vor den vielen Minen zurück, die inzwischen von Raketenminenwerfern breit gestreut werden. Gut ein Drittel der großen Ukraine ist inzwischen vermint. Neben die Panzerminen kommen die besonders tückischen, verbotenen Personenminen mit geringem Funktionsdruck hinzu. 

Als „freundschaftlich“ bezeichnete der deutsche Verteidigungsminister Pistorius wohlwollend die Beziehung zur Schweiz, obwohl er sich zu den 96 Kampfpanzern, welche die Schweiz über Deutschland in die Ukraine weiterreichen sollte , eine „andere Entscheidung“ gewünscht hätte (FAZ, 8. Juli). Er hofft nun auf eine positive Entscheidung im Herbst, wenn die zweite Kammer über 25 Leo-Panzer beschließt, welche Lücken bei der Bundeswehr schließen sollen. 

Gute politische Entscheidungen haben grundsätzlich alle ihre (günstige) Zeit (kairos!). Und demokratische Entscheidungen sind darüber hinaus besonders schwierig und anstrengend; demokratisches Regieren muss zudem verantwortet werden. Die Kriterien der Politik und des Politischen sind andere als in der Naturwissenschaft (science). Die Schweiz ringt gegenwärtig heftig intern und demokratisch um ein neues Selbstverständnis ihrer Neutralitätspolitik (siehe den Blog „Waffen für den Frieden“ vom 6 Juli). 

Bern und Wien unterzeichneten am 7. Juli im Beisein von Pistorius die „Absichtserklärung“, der Luftverteidigungsinitiative „European Sky Shield“, dem bisher 17 Nato-Staaten angehören, beizutreten. Wie ist dies mit der Neutralität beider Alpenländer zu vereinbaren? Scharfe Kritik gibt es sowohl in Österreich (FPÖ) wie in der Schweiz (SVP) von einer starken nationalkonservativen Opposition. 

Skeptisch-konservative Köpfe argumentieren, dass man aus der Geschichte auch lernen kann, wie man es besser nicht machen sollte (so der Historiker und langjährige Diplomat Paul Widmer, NZZ 21. Juni 2023). Kann man aber in der heutigen Situation politisch befreundet und nicht verbündet sein? (FAZ, 8. Juli).

Bildnachweis: IMAGO / UPI Photo