Sich verbünden lernen 

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Aus Anlass des 25 jährigen Jubiläums des Handlungskonzepts ‚Tolerantes Brandenburg‘ fand im Landtag am 21. Juni eine Debatte darüber statt. 

Die regierende SPD hält das Konzept heute für wichtiger denn je: „Wir müssen uns mehr verbünden. Wir brauchen einen neuen Schulterschluss von Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft“, so der Fraktionschef der SPD Daniel Keller. Die Begründung ist ebenso triftig: “ Heute gibt es politische Kräfte, die reale Herausforderungen und Krisen nutzen, um das Vertrauen der Menschen in demokratische Institutionen zu untergraben.“ 

Die Situation ist heute eine andere als in den 90er Jahren, als Schulklassen aus Berlin, mitten in Brandenburg, nicht mehr gerne ins Umland reisten. Brandenburg war aufgrund der verbreiteten Fremdenfeindlichkeit und zahlreicher gewalttätiger Übergriffe ein kompromittiertes Land, weswegen mit dem Handlungskonzept ‚Tolerantes Brandenburg‘ von Seiten der Regierung etwas getan werden musste, nachdem jahrelang die fremdenfeindlichen Vorfälle bagatellisiert worden sind. 

Zu den Veränderungen seitdem gehört, so Ministerpräsident Woidke, dass „stärker als jemals zuvor“ rechtsextremes Gedankengut über Parlamente transportiert werde. „Das trifft auch auf dieses Haus zu. Es spricht Bände, dass die zweitgrößte Fraktion dieses Hauses ein rechtsextremistischer Verdachtsfall ist“ (PNN, 22.6.). Die AfD liegt derzeit in den Umfragen vorn. Als sie bei den letzten Jugendwahlen in Ostdeutschland gut bis sehr gut abschnitt, kümmerte es niemanden, wie es dazu kommen konnte. 

Sie hat inzwischen ihre eigene Öffentlichkeit, mit der man sich beschäftigen muss. Statt Panikmache, sollte man stattdessen kontinuierlich etwas tiefer bohren, um dem Einstellungswandel auf die Spur zu kommen, und sich mit den realen Problemen und Menschen vor Ort konfrontieren. 

Die Handlungs- und Bündnisfähigkeit beginnt nicht erst auf der Ebene von Organisationen, sondern – wenn man Zivilgesellschaft (besser: Bürgergesellschaft) wirklich ernst nimmt – mit den Personen, die zugänglich und zugewandt sind. Wir müssen überall auf Personen (nicht nur als Wähler) zugehen, miteinander leben und sprechen sowie das öffentliche Überzeugen stärken, welches grundlegend ist für die Demokratie. 

Woidke sieht sein Land auf einem wirtschaftlichen Erfolgskurs, der durch den Rechtsextremismus gefährdet ist, und er baut auf den starken Staat. Starker Rechtsstaat und starke, vielfältige, zahlreicher gewordene Zivilgesellschaft schließen sich nicht aus und sind auch keine Antagonisten, sondern treten in ein zwar nicht konfliktfreies, aber konstruktives Wechselspiel. Im Landtag lehnten alle anderen Parteien den AfD-Vorstoß ab, das ‚Tolerante Brandenburg‘ abzuschaffen. 

Das ist ein gutes Zeichen und Ausdruck eines bekräftigten Verfassungskonsenses, den man in den heutigen schnellen und verwirrten Zeiten besonders hochhalten und immer wieder verdeutlichen muss. Es ist auch ein Reifezeugnis der Parteiendemokratie, so schwierig das Regieren in Koalitionen unter schwierigen Bedingungen derzeit geworden ist, was zu Enttäuschungen führt. 

Auch der Fraktionschef der CDU Jan Redmann hat recht, wenn er sich gegen eine reine Anti-AfD-Allianz wendet, „die so langweilig sei wie ein Brandenburger Kiefernwald“ und ihren Vormarsch nicht stoppe (PNN 22.6.). Es sei deshalb „dringend nötig“, das Konzept weiterzuentwickeln. Aber wie? 

Dazu hätte man in all den Jahren auch einmal einen Gedanken beisteuern können. Wie gewinnen Parteien noch Menschen für die Demokratie, wenn diese hören oder lesen, dass sie schon auf der untersten kommunalpolitischen Ebene gute Leute wegen ‚persönlicher Verfeindung‘ (Mobbing) verlieren (wie in Potsdam jüngst wieder geschehen). Demokratiepolitik ist kein Modethema, welches insbesondere auch, aber nicht nur die Parteien betrifft. 

Das ‚Tolerante Brandenburg‘ mit seinen 46 Kooperationspartnern, darunter der Landessportbund, die Johanniter-Unfallhilfe, das Tourismus-Marketing u.v.a. – „ein Filz“ (Berndt, AfD) ist das nicht! – sollte man als ein demokratiepolitisches Konzept verstehen, vertiefen und ausbauen. 

Auf Landesebene ist es zugleich so etwas wie ein ‚politisches Glaubensbekenntnis‘ oder ein ‚Leitbild‘, auf das allerdings häufiger und gezielter öffentlichkeitsoffensiv Bezug genommen werden muss. Das gilt für die Demokratiepolitik generell, insbesondere für die Demokratiepolitik im Kleinen, die zahlreicher und vielfältiger geworden ist in den letzten zehn Jahren. 

Alfred Roos ist seit Mai 2023 neuer Leiter der Koordinierungsstelle in der Staatskanzlei. Er sieht die Aufgabe des Toleranzbündnisses nicht primär darin, die AfD zu bekämpfen. Das ist zunächst Aufgabe der Parteien. Drei Punkte sind ihm wichtig: 
– klare politische Signale von Parlament und Regierung; 
– die Unterstützung der zivilgesellschaftlichen Strukturen; 
– die staatliche Repression bei Verfassungsfeinden durch Polizei, Justiz und Verfassungsschutz (PNN, 21.6.). 

Er sieht die praktische Notwendigkeit, im Cottbusser Raum die Mobilen Beratungsteams (MBT) und die Schulberatung zu verstärken. Darauf weist auch der Brief eines losen Bündnisses zivilgesellschaftlicher Vereine unter dem Titel „Ein Einzelfall, unter Tausenden“ hin, der sich mit den Lehrern aus Burg, Landkreis Spree-Neiße, solidarisiert. Sie kennen die seit Jahrzehnten gewachsenen rechtsextremen Strukturen vor Ort, die sich auch im Schulalltag niederschlagen, und fordern einen Fonds für politische Bildung an den Schulen sowie die verbesserte Ausbildung von Lehrkräften in diesen Belangen. 

Effektives Beratungsnetzwerk 

Ein Blick von außen identifiziert 2017 folgende Stärken des demokratiepolitischen Handlungskonzepts: „Die effektiven Informations- und Kommunikationsstrukturen im Beratungsnetzwerk, die zentrale Rolle der Koordinierungsstelle und der Kernakteure wie der mobilen Beratungsteams (MBT) und der regionalen Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie (RAA), das Mitwirken zahlreicher Kooperationspartner, der parteiübergreifende Grundkonsens und das konstruktive Zusammenwirken aller demokratischen Kräfte sowie die finanzielle und personelle Stabilität und Kontinuität der Arbeit “ (Schubarth, Kohlstruck, Rolfes). 

Als neue Bewährungsproben kamen 2015 und 2016 die Flüchtlingsaufnahme und das Erstarken des Rechtspopulismus nunmehr auch in Gestalt einer starken Oppositionspartei im Landtag hinzu. Umso dringlicher stellt sich die Frage, wie das Verhältnis von Rechtsextremismus-Bekämpfung, Demokratieförderung und Integrationsproblematik zu verstehen und zu gestalten ist. 

Am 26.11.2015 kam das ‚Bündnis für Brandenburg‘ aus aktuellem Anlass ergänzend hinzu, aus dem zum Beispiel das Flüchtlingshilfeportal ‚ HelpTo‘, das noch in zwölf weiteren Bundesländern Fuß fassen konnte, finanziert wurde. Ab März 2022 wird es auch für die Flüchtlinge aus der Ukraine benutzt. Nicht nur die Probleme für die Kommunen wiederholen und verstärken sich, der russische Angriffskrieg, fügt zudem der Extremismus-Problematik eine weitere Facette hinzu. 

Brandenburg zeigt Haltung 

Die Initiative des Neuen Potsdamer Toleranzedikts „Brandenburg zeigt Haltung!“ ruft zu Solidarität und Zusammenhalt in der Corona-Pandemie auf. Sie bezieht im Januar 2022 klar Stellung gegen die zunehmenden Aktionen von Kritikern an der sogenannten Corona-Diktatur der Regierung , wo vielerorts rechtsextreme Gruppen und Verschwörungstheorien den Ton angeben: Es ist deshalb an der Zeit, der stillen Mehrheit eine Stimme zu geben, was den Aufgaben eines demokratiepolitischen Handlungskonzepts entspricht, wenn lautstarke Minderheiten alles übertönen und zu einer neuen Delegitimierung des Staates beitragen, bei der die bekannten politischen Grenzen verwischen und Orientierung schwierig wird.

Orientierung gibt Halt und Haltung bedeutet, aus Anstand Abstand zu bewahren gegenüber undemokratischen Umtrieben und demagogischer Hetze, nicht zuletzt gegen demokratisch gewählte Politiker. Gewalt und Hass bilden dabei die rote Linie, denn Hass ist keine Meinung und Gewalt ist stumm. Ansonsten sollte man Brücken bauen und reden, solange es geht.

Ist Toleranz ein Wert, eine Tugend oder eine Haltung? Eine Verhaltenstugend zwischen Offenheit und Entschiedenheit könnte eine Antwort lauten. Entschiedenheit wofür? In der Politik geht es nicht ohne Entscheidungen. Toleranz muss sachlich und sozial in die Breite gehen, wenn sie demokratiepolitisch relevant werden will. Sie ist eine Stärke, es gibt aber auch das Problem der Selbstaufgabe durch (falsche) Toleranz.

Zusammenhalt bekommt im Flächenland Brandenburg einen präzisen pragmatischen Sinn. Im Rahmen von ‚Brandenburg zeigt Haltung‘ fanden Veranstaltungen an 20 Orten in verschiedenen Regionen Brandenburgs statt: mit dem Landkreis Oberspreewald-Lausitz, mit Elbe-Elster, Brandenburg an der Havel, Cottbus, Senftenberg, Frankfurt an der Oder, Fürstenwalde, Bernau, Schwedt, Bad Belzig und anderen Orten.

Bürgerinnen und Bürger aus diesen Orten, in kleineren und größeren Zusammenschlüssen, in lokalen Bündnissen und Vereinen wenden sich im Rahmen des ‚Toleranten Brandenburg‘ gegen die zunehmend rechtsextreme, verschwörungstheoretische und antidemokratische Stimmungsmache bei den sogenannten Corona-Demonstrationen, die immer zahlreicher stattfanden. Sie alle sind Säulen der aufmerksamen und lebendigen Zivilgesellschaft vor Ort, 

Das Tolerante Brandenburg bietet ihnen ein Dach, Unterstützung und Verbindung. Letzteres ist eine ebenso notwendige wie elementare Voraussetzung der Demokratiearbeit gerade in einem dünnbesiedelten Flächenland. Die Verbindung sollte freilich zu noch mehr Kommunikation und Austausch unter den handelnden Personen führen und noch mehr erreichen. Das heißt, sich verbünden lernen.

Bildnachweis: Neues Potsdamer Toleranzedikt e. V.