Wie geht dieser Krieg zu Ende? (II)

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Bald zieht sich dieser lange große unsinnige Krieg einen Monat hin, der nur den irren Sinn hat, die Ukraine zu zerstören. Der Generalsekretär der UNO Guterres spricht von einem „absurden Krieg“. Absurd und wahnsinnig sind das Gegenteil von Common sense. Seit Wochen hören wir allseits die dringenden Appelle an Putin, diesen Krieg sofort zu stoppen. Sie wirken nicht. 

Die Preiserhöhungsstrategie der Kriegsparteien geht derweil unvermindert weiter – wie lange noch? Tage? Wochen? Niemand weiß es. Nur weil Russland eine Atommacht ist, sind nach den apokalyptischen Bildern von Mariupol noch keine Nato-Truppen in der Ukraine. Die Bilder von Grosny und Aleppo will man nicht noch einmal sehen. Immer dasselbe Muster. 

Inzwischen sind russische Truppen in der Hafenstadt am Asowschen Meer. Wann sieht sich Russland militärisch als Sieger? Wenn das Gebiet von Charkiv bis Odessa besetzt und eine Landverbindung zur Krim hergestellt ist? Wird es neue Offensiven geben? Kommt nun auch noch die Marine vor Odessa zum Einsatz? 

Sicher ist, dass die Ukraine nicht kapitulieren wird. Sie hat auch keinen Grund dazu. Die Guerillataktik mit kleinen beweglichen Einheiten ist erfolgreich, wenn man die nötigen Waffen hat und die Topographie des Landes kennt. Die westlichen Waffenlieferungen waren und sind zentral.

Die ukrainischen Städte werden ukrainisch bleiben, und es wird einen Wiederaufbau geben mit internationaler Hilfe, auch das ist sicher. Aber was wird die Zukunft Russlands sein nach diesem Krieg – mit oder ohne Putin? Wird ihm ein zweiter starker Mann ohne Putinismus nachfolgen? Das könnte wahrscheinlich nur aus der Armeeführung heraus geschehen. 

„Wo soll der russische Neuanfang beginnen?“, fragt der 1961 in Moskau geborene Schriftsteller Michail Schischkin (NZZ, 14.3., S.15). Die externe Demokratisierung wird der Westen nicht durchführen können. Das ist schon in weniger großen Fällen gescheitert. Man soll sich nicht weiterhin völlig überschätzen, nur um vermeintlich seine eigenen Werte zu verteidigen. Das große Desaster von Afghanistan ist noch nicht aufgearbeitet, der Salto mortale in die Wirklichkeit nicht vollzogen. Wir sind weit entfernt von einer realistischen Einschätzung der gegenwärtigen Situation. 

Erst recht ist eine Intervention schwierig, wenn es um Regionalismus, föderale Strukturen, Kultur- und Sprachenfreiheit geht, die historisch wachsen und politisch gepflegt werden müssen. Sie können nicht von einem auf den anderen Tag entstehen oder gar oktroyiert werden. Das gilt ebenso für Russland, China oder die Ukraine. 

Selenskyj hat für alle Kompromisse in Aussicht gestellt, dass das ukrainische Volk darüber abstimmen wird. Das ukrainische Volk wird gefragt, das russische und chinesische nicht. Dieser Umstand demonstriert noch einmal, dass die Ukraine für den grundlegenden Wert der Demokratie kämpft (demokratische Bürgerreligion mit und ohne Gottes Hilfe), 

Die vertikale autoritäre Macht kann und muss demgegenüber den Sieg um jeden Preis erzwingen. Sogar die Gesprächsfähigkeit wird vorgetäuscht, während die demokratisch gewählte Regierung ihrem Volk gegenüber verantwortlich bleibt. Ihre Verhandlungsangebote sind realistisch und drängen in erster Linie auf einen Waffenstillstand. Bei den russischen Verhandlungen gewinnt man dagegen den Eindruck, es gehe nur darum, Zeit zu gewinnen, um die Truppen zu reorganisieren. 

Logischerweise gibt es Nachschubprobleme (an Munition, Benzin, Nahrung). Bei einem flächendeckenden Angriff auf das größte Land in Europa wundert das nicht. Nach militärischer Logik wäre eine Spezialoperation die schnelle Entscheidung in Kiew mit einem Kommandounternehmen gewesen. Die größte Lüge gegenüber der eigenen Bevölkerung wie den eigenen Soldaten gegenüber ist die Rede von der „militärischen Spezialoperation“, die jetzt schon mehr Tote gefordert hat als während des 10jährigen Krieges in Afghanistan. Das hat sicherlich Auswirkungen auf die Kampfmoral und muss auch den Militärs zu denken geben. 

Russland muss mit freien Wahlen beginnen, aber woher kommen die mündigen Bürger, nachdem man jahrhundertelang auf den gütigen Zaren gehofft hatte? (Schischkin). Woher kommen die nicht-korrupten Beamten, die nicht-käuflichen Polizisten, die nicht-willfährigen Richter und Lehrer, die niemandem Rechenschaft schuldig waren? 

Die Deutschen hatten ihre Stunde null nach der totalen Kriegsniederlage und Kapitulation. „Auch Russland braucht eine Stunde null für einen demokratischen Neuanfang“. Schischkin weiß, dass es das, was notwendig ist, nicht geben wird. Es ist lediglich eine theoretische Spekulation. Zu chaotischen Zuständen darf es jedoch ebenfalls nicht kommen in einem Land mit so vielen Atomsprengköpfen. Welche Ordnung kommt dann? Und wer richtet sie ein? 

Woher rührt die Gleichgültigkeit vieler Russen, fragt Sergej Lebedew (NZZ, 17.2.). Er rekapituliert noch einmal die schnelle Wiederherstellung autoritärer Strukturen nach 1991 und vor Putins Machtantritt 2000 als loyaler Mann Jelzins. Die systematischen Defizite sieht er in der gesellschaftlichen Moral, was sich sowohl in der Pandemie wie gegenüber dem Ukraine-Krieg zeige. 

Die zivile Aufarbeitungspraxis der verbotenen Menschenrechtsorganisation Memorial, eine der ältesten NGO Russlands, sei nie “ von einer breiten Bevölkerung getragen worden.“ Ganz 
im Unterschied zur orthodoxen politischen Theologie von oben: Die russisch-orthodoxe Kirche hat eine wahre Renaissance erfahren. Der Moskauer Patriarch Kyrill und sein „treuer Sohn“ Putin sind vereint im antiwestlichen Affekt, gegen innen wie außen (NZZ, 15.3., S.8). In diesem Weltbild können und dürfen Völker und ihre Individuen nicht für sich selber sprechen. 

Der Putinismus nährt sich freilich aus unterschiedlichen Quellen, auch aus faschistischen. 
Darunter der Philosoph Ilyin (1883-1954), der den Individualismus als „satanisch“ bezeichnete und eine Synthese von Kirche und Faschismus vertrat, ähnlich wie Mussolini und Salazar ( siehe ‚Die Zeit‘, 17.3. ). 

Er definiert den Faschismus angemessen als „rettendes Übermaß an patriotischer Willkür“. Ilyin befürwortete einen faschistischen Putsch in Russland und forderte eine „neue Verfassung für ein russisches Imperium“. Putin empfahl seinen Beamten, Lenin wegzulegen und zu Ilyins „Unsere Aufgaben“ (1956) zu greifen, der die Ukraine nur in Anführungszeichen schreibt. 

In Krisenzeiten, wo die Orientierung fehlt, können solche (und andere) durchaus wirre und esoterische Philosophien maßgeblich werden. Man unterschätzt sie, solange sie marginal bleiben. Ilyin, der lange Zeit im Schweizer Exil lebte, bezog sich in seinen Schriften stets auf Russland und hat viel publiziert. Er wünschte sich ein „freies Russland“ mit einem „starken Duce“. Nun ist der starke Führer, aus dem alle Legitimität abgeleitet wird, da, der die schwache EU zugunsten eines starken Eurasien, das von Lissabon bis Wladiwostok reicht, überwinden will (Putin 2012, 2014). 

Bekannter im Westen ist der geopolitische Ideologe Alexander Dugin, der 1994-98 Co-Vorsitzender der Nationalbolschewistischen Partei Russlands war. Vielen gilt er als umtriebiger Stichwortgeber hinter Putin. Er ist Propagandist der eurasischen Idee, von der es allerdings verschiedene Varianten gibt. Seine Hinwendung auch zum Islamismus (Iran) dürfte den Russen nicht gefallen. Auf jeden Fall sammelt er eifrig das Gedankengut der extremen Rechten in Europa auf und kommt zu einer „Vierten Politischen Theorie“(2009) nach Liberalismus, Marxismus und Faschismus, einem unglaublichen Gebräu. 

Putin und seine Gefolgsleute sind nicht allein beim Zwangsgedanken, dass Russland ohne die Ukraine kein Imperium ist. Putins Hass auf die Ukraine kommt dem Stalins gleich, der gottgleich, anders als Putin, Religion, Kirchen und Klöster zerstörte. Obwohl es Parallelen gibt, sollte man sich vor historischen Analogieschlüssen hüten. 

Putinismus ist nicht Stalinismus oder Nationalsozialismus, die man als totalitäre politische Religionen bezeichnen kann (siehe Ryklin, Kommunismus als Religion, 2008). Putinismus ist vielmehr eine eigene, neue russische Art von Faschismus, dessen Kernmerkmal Politik als Gewalt ist. 

Putin verkörpert als im KGB geschulter politischer Krieger „die unbewältigte Geschichte des untergegangenen Imperiums, dessen Auflösung anzuerkennen er nicht die Kraft besitzt und dessen Wiedererrichtung als ‚Drittes Imperium‘ “ er mit allen ideologischen und militärischen Mitteln betreibt. Er ist keine Marionette irgendeines Chefideologen. 

„Das zum Untergang verurteilte Imperium ist Putin wichtiger als das Überleben Russlands“. Und „er hasst die Ukraine, die nichts anderes will, als ein normales Land zu sein“ – leben und leben lassen, mit größtmöglicher Toleranz (Karl Schlögel, in: NZZ, 21.3., S.17).

Bildnachweis: IMAGO / SNA