Viele richtige Argumente

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Der Kompromiss der drei Häuser: Turm, Haus der Demokratie, Rechenzentrum, hat mich überrascht. Nach jahrzehntelangem, teils heftigem und unversöhnlichem Streit um die Garnisonkirche scheint ein Ausweg gefunden – ein Ausweg, der allerdings noch nicht die Lösung ist, das sehen auch die Protagonisten des Kompromisses so.

Die Debatte spitzt sich wieder zu und von verschiedener Seite werden wichtige und richtige Argumente vorgebracht. Die Fördergesellschaft für den Wiederaufbau der Garnisonkirche steht vor einer Zerreißprobe. Mitglieder fordern den Rücktritt des Vorsitzenden Matthias Dombert und von Altbischof Huber vom Stiftungsrat, die ohne Verhandlungsmandat der Basis diesen Kompromiss, der „satzungswidrig“ sei, in „Hinterzimmern“ ausgehandelt hätten.

Dombert wiederum sieht den Kompromiss als Neuanfang eines neuerlichen Dialogs, bei dem auch die andere Seite Recht haben kann (PNN, 5.1.22). Er argumentiert dabei mit der philosophischen Hermeneutik von Hans-Georg Gadamer: „das Gespräch, das wir sind“. Dies erfordert einen Perspektivwechsel, der für einen produktiven Fortgang wiederum „Offenheit von allen Seiten “ verlangt (Hüneke, PNN, 5.1.22). Dieser anstrengende Weg wäre erst noch zu gehen.

Die Garnisonkirche soll ja ein Versöhnungsprojekt sein, was nicht für alle auf Anhieb verständlich war und ist. Denn was bedeutet Versöhnung heute? In der Potsdamer Stadtgesellschaft? Versöhnung durch Demokratie? Der Kompromissvorschlag zwischen der Landeshauptstadt, der Stiftung und den Nutzern des Rechenzentrums soll dafür eine ausgestreckte Hand bieten. Dagegen gibt es Argumente, die das von vornherein skeptisch bis ablehnend sehen.

Darunter sind die Anhänger eines originalgetreuen Wiederaufbaus der Garnisonkirche, die oft als einfache Mitglieder einer Gemeinde namens Garnisonkirche jahrelang an den Ständen in der Stadt für das Projekt geworben haben. Sie werden unterstützt von der Bürgerinitiative ‚Mitteschön‘: mit Rechenzentrum und Garnisonkirche soll etwas zusammengefügt werden, „was nicht zusammenpasst“ (Barbara Kuster).

Das Areal sei ein „städtebaulicher Mißstand“ (1999). Zudem habe man ein eigenes Konzept für das Kirchenschiff, das multifunktional ausgerichtet ist und auch für einen Plenarsaal genutzt werden kann. So argumentierte am 5. Januar im Hauptausschuss auch der Experte für Potsdam-Architektur Andreas Kitschke, der Gründungsmitglied des Fördervereins ist. Er, der einen neuerlichen Dialog ebenfalls nicht ausschließt, legt die Fakten, von denen auszugehen ist, auf den Tisch.

Von Carsten Linke wiederum, ein entschiedener Gegner des Garnisonkirchenprojekts von Anfang an, ist das bedenkenswerte Argument zu lesen, dass der Plenarsaal der Stadtverordnetenversammlung besser ins Rathaus passe als in den „Schatten eines Turms“, der immer grösser und überwältigender wird. Tatsächlich gewinnt man bei einem heutigen Stadtspaziergang diesen Eindruck, aber wer zu einem Turmbau A sagt, muss auch B dazu sagen, zu stoppen ist er nicht mehr.

Es bleibt als mögliche gemeinsame Vision das Argument von Oberbürgermeister Mike Schubert, dass man das Areal zur Gänze betrachten müsse im Sinne einer lehrreichen und anschauungsgesättigten Auseinandersetzung mit deutscher Geschichte. Und da hat es dieser Ort wahrlich in sich. Das betrifft in erster Linie Nationalprotestantismus, Militarismus und Widerstand; mit dem Rechenzentrum käme ein Teil der DDR-Geschichte noch dazu. Das wäre zunächst eine inhaltliche Grundsatzentscheidung, die ich gut fände.

Wie das im Einzelnen, auch architektonisch, zu gestalten wäre, ist damit noch nicht ausgemacht. Es wäre noch einmal eine gewagte kontroverse Geschichte für sich, die nicht ohne Einbezug der viel genannten Stadtgesellschaft verlaufen könnte, sofern man zu einem einigermaßen versöhnlichen Resultat kommen will. Bruch und Harmonie, Konsens und Dissens bilden jedenfalls keine sich ausschließenden Gegensatzpaare, sondern gehören zur anregenden Urbanität dazu, auch in Potsdams historischer Stadtmitte.

Foto: Daniel Wetzel, 2005 (vor dem Baubeginn des Turms für die Garnisonkirche)