Kissingers Lieblingskommunist

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Am 22. September ist der ehemalige kommunistische Spitzenfunktionär Giorgio Napolitano
im hohen Alter von 98 Jahren in Rom gestorben.

Geboren ist er 1925 in Neapel, dessen Wahlkreis er zeitlebens vertreten hatte. Gestorben ist er mit dem noblen Titel eines Senators auf Lebenszeit, nachdem er zweimal italienischer Staatspräsident war. 

Zu seinem Staatsbegräbnis mit dem gewünschten nicht-religiösen Zeremoniell kamen auch Macron und Steinmeier, sogar der Papst erwies ihm, zum ersten Mal im Saal des italienischen Senats, die letzte Ehre.

Anhand der politischen Biographie dieses Mannes könnte man mehrere Seminare in politischer Ideengeschichte und Theorie bestreiten. Es wäre spannend, und man würde viel über Politik lernen.

1945 nach dem Krieg ist Napolitano der KPI (PCI) beigetreten. Als studierter Jurist machte er eine steile Parteikarriere: 1956 wurde er Mitglied des Zentralkomitees und 1966 Mitglied des Politbüros. Damit war er im engeren Führungszirkel der großen Volkspartei, die einst Antonio Gramsci gründete, ebenso wie die Parteizeitung ‚L‘ Unità‘, die eine der besten Zeitungen Europas wurde. Auch Napolitano indes wurde vorgeworfen, den Stalinismus zu verharmlosen.

Schon 1953 wurde er Abgeordneter dieser Partei, die damals von Palmiro Togliatti, der sie auf einen unabhängigen Kurs zu bringen versuchte, geführt wurde (1947 bis 1964). Napolitano blieb ein verdienter langjähriger Parlamentarier, der 1992 sogar als ehemaliger Kommunist Präsident der Abgeordnetenkammer wurde. Er gehörte stets zu den Moderaten in der kommunistischen Führungsriege und zu den Vermittlern über Parteigrenzen hinweg im Parlament. Früh strebte er das Bündnis mit den Sozialisten an.

Napolitano profilierte sich als Miglioristi (Reformist) und Außenpolitiker, der auch die Sowjetunion wegen des Afghanistankrieges 1979 kritisierte. Den Weg zum ‚historischen Kompromiss‘ mit der Christdemokratie (Aldo Moro) unterstützte er, siehe dazu das Gespräch mit dem britischen Historiker Eric Hobsbawm 1978.

Dieser bildete für ihn die Vorstufe zur Sozialdemokratisierung der KPI. In den 80er Jahren kam es darüber zu Auseinandersetzungen mit dem sardischen Aristokraten Enrico Berlinguer, der die Partei 1972 bis 1984 erfolgreich führte. Dessen ‚Eurokommunismus‘ (als Begriff und Fremdkennzeichnung 1975 entstanden) mit der spanischen (Carrillo) und der französischen KP ( Marchais) ging Napolitano jedoch nicht weit genug.

Berlinguer kann man vorwerfen, dass er es verpasst hat, die eigensinnige KPI wirklich von Moskau abzukoppeln. Der Eurokommunismus hätte die Alternative dazu sein sollen, war es aber nicht, auch wegen des stalinistischen Schwergewichts Georges Marchais.

Im Zuge dessen profilierte sich Napolitano immer mehr auch als Freund der USA und für eine feste Verankerung Italiens in der EU und der Nato. Den linken Fehler des Antiamerikanismus wollte er nicht wieder begehen (siehe dazu heute: Lafontaine, Ami go home! 2022).

Die KPl löste sich 1991 auf, unter Tränen vieler Genossen. Schon vorher wollte Napolitano sie umbenennen in ‚Partito del Lavoro‘. Auch der neue Vorsitzende und Politologe Occhetto folgte dieser Tendenz nach 1989. Das Resultat lautete schließlich ‚Partito Democratico della Sinistra‘ , die italienische ‚PDS‘. Die Traditionalisten überlebten in der ‚Rifondazione Comunista‘.

Napolitano war , sage und schreibe, zehn Legislaturperioden lang Abgeordneter in der Camera dei Deputati. 1989 bis 1992 war er außerdem im europäischen Parlament für die europäische Linke. 1996 bis 1998 wurde er schließlich viel gelobter Innenminister der Mitte-Links-Regierung des Bologneser Wirtschaftsprofessors Romano Prodi. Es gelang der demokratischen Linken, ein Bündnis (‚Ulivo‘) zu schmieden, das von der PDS maßgeblich mitgetragen wurde, und so den rechten Bündnisschmied Berlusconi zu schlagen. 

Berlusconi, der erfolgreichste Populist Europas war schlagbar, auch von einer neuen demokratischen Linken, die mit der alten Linken, die in Italien populär war, aus verschiedenen Gründen nichts mehr zu tun hatte. Der Traditionsbruch war unwiederbringlich vollzogen, auch gegen die verständliche Nostalgie.

Die intimen Kenntnisse des italienischen parlamentarischen Systems aufgrund langjähriger Erfahrungen in verschieden Funktionen ermöglichten Napolitano sodann die politischen Meisterstücke, weswegen er als Staatspräsident zurecht weltberühmt wurde. Dafür braucht es: Persönlichkeit und System, Handlung und Struktur. Man darf beides nicht gegeneinander ausspielen. Beides ist vielmehr zu beachten und zu stärken.

Das politische System Italiens, das kein Präsidialregime ist wie Frankreich oder die USA, ermöglicht dem formellen Staatspräsidenten gleichwohl Handlungsmöglichkeiten, die in der Krise entscheidend sein können. So überlebte in der globalen Krise die italienische Demokratie.

2011 im Zusammenhang mit dem Rücktritt des Cavaliere Berlusconi, der das Land an die Wand gefahren hatte: “ Italien taumelte im Sommer 2011 am Abgrund einer Staatspleite. Vor den Folgen eines Bankrotts der drittgrößten Volkswirtschaft der EU zitterte damals ganz Europa“( NZZ, 26.9.2023), beauftragte Napolitano den Ökonomen und früheren EU-Kommissar Mario Monti, über den Parteien stehend, die sich nicht einigen konnten, eine neue Regierung, ein technokratisches Kabinett zu bilden. 

Das Parlament löste er am 22. Dezember 2012 auf, nachdem er den zerstrittenen Parteipolitikern zuvor gehörig die Leviten gelesen hatte: „Er hielt Italien zusammen, wenn die Politik versagte“ (NZZ, a.a.O). Das ist auch eine demokratische Lektion, die man als Ration in eine ungewisse Zukunft mitnehmen sollte.

2013 trat er, inzwischen 87jährig, auf Drängen und Bitten seine zweite Amtszeit an, die er aus Gesundheitsgründen vorzeitig beendete. Mit mehr als 8 Jahren wurde es insgesamt die längste Amtszeit eines italienischen Staatspräsidenten. 2015 wurde Matarella sein Nachfolger.

Bildnachweis: IMAGO / UPI Photo