Friedensgipfel in der Schweiz?

  1. Home
  2. /
  3. Blog
  4. /
  5. Friedensgipfel in der Schweiz?

Die Schweiz soll und will auf Bitten von Selenski einen Friedensgipfel über seine Friedensformel organisieren. Der ukrainische Präsident ist am 15. Januar erstmals seit Kriegsbeginn in die Schweiz gekommen. 

In Bern gab es ein Treffen mit Viola Amherd, der Verteidigungsministerin, die 2024 zugleich für ein Jahr als Bundespräsidentin amtiert. Sie gilt als Fürsprecherin für eine aktivere Ukraine-Politik des neutralen Landes. Dessen ablehnende Haltung zur Wiederausfuhr von Rüstungsgütern unterstützte sie nicht.

Tags darauf flog Selenski per Militärhubschrauber ins verschneite Davos zum World Economic Forum (WEF), das in diesem Jahr so politisch ist wie schon lange nicht mehr. Es wird nicht nur über Politik geredet, sondern – sozusagen in Stuhlkreisen – auch Politik gemacht. Darin eingebettet ist der lange Weg zu einem möglichen Friedensgipfel, der quasi mit einer Phase 0, einem Vor-Friedensprozess beginnt.

Im weitesten Sinne sind das informelle Gespräche, genauer gesprochen handelt es sich um Gespräche im NSA-Format auf der Ebene von nationalen Sicherheitsberatern (national security advisors). Anlass und Thema ist die ukrainische Friedensformel:

– Abzug aller russischen Truppen
– Rückgabe der besetzten Gebiete
– Strafen für russische Kriegsverbrechen
– Reparationen
– Sicherheitsgarantien

Nur in einem Grundsatz sind sich alle teilnehmenden Länder völlig einig, nämlich der Bewahrung der territorialen Integrität der Ukraine. Neu dabei waren Länder wie Argentinien, Indien und Brasilien; nicht dabei waren die eigentlichen Schwergewichte Russland und China. Die Ukraine versucht den Kreis weiterzuziehen, über den Westen hinaus zum globalen Süden hin, der kein einheitlicher Akteur ist.

Es gibt mithin neue Chancen für den Frieden durch neue Akteurskonstellationen, die politisch- diplomatisch erreicht werden können und vormals undenkbar waren. Dies erhöht in der internationalen Politik die nötige Legitimation von und für Friedensverhandlungen. Solche Versuche sind also nicht „sinnlos und schädlich“ (Moskau).

Mit dem NSA-Format versucht man, die momentane Dysfunktionalität der Uno zu überwinden oder zu ersetzen, indem man international wenigstens den Geist der Uno-Charta, nämlich die Ablehnung des Krieges als Mittel der Politik, zu beleben versucht. Russland hat seit dem zweiten Weltkrieg im Sicherheitsrat ein Vetorecht, aber niemand will, dass ein Diktatfrieden oder schlechte Kompromisse als Ergebnis eines Angriffskrieges in der Weltpolitik zukünftig Schule machen.

Kriege enden entweder durch Kapitulation oder einen Kompromiss als Ergebnis von Verhandlungen. Das kann ein Waffenstillsand sein oder sogar ein Friedensvertrag, der im besten Fall dauerhaft ist, wofür die Ukraine Sicherheitsgarantien braucht. Es darf kein notdürftiger schlechter Kompromiss werden, der wieder neue Gründe für einen Krieg bietet. Der Friede soll vor allem unseren Kindern und Kindeskindern zugutekommen.

Der schweizerische Außenminister Cassis stellte fest, dass es “ ohne Russland keine Friedenskonferenz geben könne“. Auch China, das eine „strategische Partnerschaft“ mit Russland pflegt, muss realistischerweise eingebunden werden. Der chinesische Ministerpräsident Li Qiang, der zweitmächtigste Mann Chinas, der am Dienstag in Davos vor Selenski sprach, erwähnte indessen den Ukraine-Konflikt mit keinem Wort, auch Taiwan war tabu.

Das Motto des diesjährigen WEF lautet „Für den Wiederaufbau des Vertrauens“. Li Qiang sprach sich für Multilateralismus und mehr Kooperation aus. China ist an Stabilität zweifelsohne nicht nur interessiert, sondern orientiert für eine günstige weltwirtschaftliche Entwicklung, die dem großen Land zugutekommt. Seine Friedensinitiativen blieben aber bisher unkonkret, und was genau alles hinter der strategischen Partnerschaft mit Russland verfolgt wird, weiß man nicht. China kritisiert vor allem die USA, die seit Trump 2016, dazu übergegangen sind, China von wichtigen Technologien abzuschneiden,

Nicht umsonst reiste Henry Kissinger, der zusammen mit Nixon in der internationalen Politik den Weg nach China geöffnet hatte, in seinen letzten Tagen noch einmal nach Peking, zum Mann, der dort die Entscheidungen fällt: Xi Jinping, geb.1953, seit 2012 Generalsekretär der KP Chinas, der „überragende Führer“, wie es auf Chinesisch heißt. Cassis will im Februar nach China reisen. Überschätzt sich die Schweiz?

Kritik regte sich bereits unmittelbar nach Ankündigung des Friedensgipfels am Montag, gemeinsam durch die Bundespräsidentin und Selenski. Er sei nicht abgestimmt mit dem Gesamtbundesrat, der eine 7köpfige Kollegialbehörde ist, böse Zungen sagen: eine Allparteien-Regierung, beziehungsweise zugespitzt: gar keine Regierung. Der Gestaltungswille in der Außenpolitik durch das Duo Amherd/Cassis überraschte deshalb und passt für Traditionshüter nicht dazu, insbesondere wenn man dafür vorher nicht mit der dominierenden Kriegspartei Russland gesprochen hat. Für Russland figuriert die Schweiz auf der Liste der „feindseligen Staaten“.

Die diplomatischen Erfolgsaussichten in der Tradition der ‚Guten Dienste‘ werden demzufolge als gering beurteilt (siehe NZZ, 20.1., S.27). Immerhin unterstützt der Bundesrat die zehn ukrainischen Bedingungen für den Frieden. So verteidigt sich die Bundespräsidentin zurecht, die noch einmal mit dem Gesamtbundesrat darüber sprechen will. Die Schweiz verfolgt damit den neuen Ansatz der kooperativen Neutralität, der vor allem auf die Einhaltung des Völkerrechts pocht. Dieses sieht kein jus ad bellum vor, weshalb Putins Russland zum Rückzug verpflichtet ist.

Am Sonntag, den 14. Januar fand – nach Kopenhagen, Jidda und Malta – das vierte Treffen im NSA-Format in Davos statt, bei denen es um die Voraussetzungen von Friedensverhandlungen aus ukrainischer Sicht geht unter Einbezug zahlreicher Sicherheitsexperten, wie man heute Frieden machen könnte. Nicht der Krieg und das Militär sind dabei im Fokus. Nicht eine ukrainische Wunschliste, sondern ein detaillierter Plan soll erarbeitet werden (Jermak).

Für Selenski steht momentan nicht weniger als die weitere westliche Unterstützung, die nachzulassen droht durch finanzielle Blockaden in den USA und der EU von Geldern, die für sein Land existenziell sind, auf dem Spiel. Seine aufrüttelnde historische Rede am Davoser Weltwirtschaftsforum, das ihm eine große Bühne bietet, spricht sich gegen ein „Einfrieren des Krieges“ und gegen Verhandlungen mit Putin aus, die aus „Angst vor einen dritten Weltkrieg“ folgen könnten. 

Der Ukraine-Krieg wird auch im tiefen Winter unerbittlich weitergeführt. Er befindet sich einmal mehr in einer schwierigen und entscheidenden Phase. Die militärische Situation in der Ukraine ist unübersichtlich und schwierig einzuschätzen. Russland überzieht das ganze Land verstärkt mit Raketenangriffen, die vor allem zivile Ziele treffen. Der Stellungskrieg an der langen Front dauert unvermindert an, mit hohen Verlusten auf beiden Seiten. Dennoch ist die Lage für die Ukraine nicht aussichtslos, sie hat auch Erfolge zu vermelden, zum Beispiel neulich den Abschuss von zwei strategisch wichtigen Flugzeugen im Asow-Gebiet oder die Schläge gegen die Schwarzmeerflotte.

Aus Angst vor weiterer Eskalation, die militärische Unterstützung der kämpfenden Ukraine zu verringern und nicht, im Gegenteil, noch einmal im gewünschten Maß zu verstärken, führe nicht zum Frieden durch Verhandlungen mit Putin, so Selenskis Hauptargument. Inzwischen dauert der verheerende Krieg, der ganz Europa bedrohe, 10 Jahre, seit der Annektierung der Krim. Neue Erfahrungen mit Putins Russland haben sich angesammelt, in der Quintessenz lauten sie:

„Putin bedeutet Krieg, er lebe vom Krieg“, so Selenskis zweites Hauptargument, was man auch in Afrika und anderen Ländern sehe. Auch in Syrien mit seinem verheerenden Bürgerkrieg dauert der Krieg inzwischen 13 Jahre, weil Putin seinem Russland und der Welt etwas beweisen will und dort neue Waffen ausprobiert.

Der berühmt-berüchtigte General mit dem Spitznamen ‚General Armageddon‘, syrienerprobt, General Surowikin konnte die nach ihm benannte Verteidigungslinien bauen, weil sich die westliche, militärisch adäquate Unterstützung viel zu lange Zeit gelassen hatte. Dieses Zögern wirkte verheerend. 

An dieser stark befestigten und verminten Front scheiterte die ukrainische Sommer- Offensive, von der man sich zu viel erwartet hatte. Keine Nato-Armee würde seine Soldaten ohne Luftüberlegenheit auf ein solches Minenfeld anrennen lassen, zudem fehlten Minenräumer und zu viele gepanzerte Fahrzeuge, die schnell und leicht hätten geliefert werden können.

Putin belastet nicht nur die Ukraine und Europa, sondern die ganze Welt mit Krieg. Die Weltgemeinschaft müsse ihn stoppen und dürfe sich von seinen Drohungen nicht weiter beeindrucken lassen, so Selenskis eindringlicher Appell, der wie ein letzter Appell klang im Mittelpunkt seiner großen Rede.

„Russland ist auf dem Schlachtfeld nicht zu besiegen“, ist Putins ausgesprochene fanatische Überzeugung, die sich seit dem Herbst 2022 mit der Annexion der ukrainischen Gebiete verfestigt hat. Kriege wiederum sind beiderseitige Willensproben; besiegt ist nur, wer sich für besiegt erklärt (Clausewitz).

„Er wird sich nicht ändern, wir müssen uns ändern“, so lautet dagegen Selenskis Überzeugung, die sich im Verlauf des Krieges verfestigt hat und zugleich die ultimative Aufforderung zur militärischen Entscheidung geworden ist. Der „Terrorstaat“ Russland bekommt nur noch Unterstützung von terroristischen Kräften wie Nordkorea und Iran.

Wer meint, dass es nur um die Ukraine geht, „der täusche sich“. Der Verteidigungskrieg in der Ukraine ist eine Chance für die Welt: „Jetzt ist der Zeitpunkt, die Katastrophe aufzuhalten“. Selenski (wieder in Kiew) spricht am 20.Januar in seiner wöchentlichen Videobotschaft von der „Gefahr neuer Kriege“ und vom „Wahnsinn der russischen Führung“, der alle Nationen betreffe.

Die Welt hat aufgehört, an Russland zu glauben, niemand will eine solche Zukunft. Das ist wahrlich der Zeitpunkt, darüber nachzudenken, wie heute unter schwierigen geopolitischen Bedingungen, ein gerechter und stabiler Frieden vorzubereiten ist. Mit dem Konzept „nur keine Eskalation“, und das ist das deutlichste Hauptargument in der 45minütigen Rede, wird „Putin gewinnen“. Da hat er recht.

Durch das Argument „nur keine Eskalation“ sei viel Zeit (!) verloren gegangen. Die Drohungen aus Russland hätten sich als Bluff erwiesen. Stattdessen sei man selber erfolgreich mit den Patriots Raketen, mit den Langstreckenwaffen usw.. Mit der Luftüberlegenheit, etwa durch F-16 Kampfflugzeuge, würde man auch Fortschritte am Boden für die Infanterie erzielen. Diese und weitere Argumente sind seit langem bekannt und schon oft ausgetauscht worden, nicht nur unter Militärs. Die Politik freilich trägt die Verantwortung, sie regiert und nicht die Militärs und nicht die sogenannten Experten.

Verzögerte Hilfe, um nicht verlieren, aber auch nicht gewinnen zu können, helfe nur Putin, und sei angesichts der Erfahrung des bisherigen Krieges mit zahlreichen unnötigen Opfer durch nichts zu rechtfertigen. Dazu kommt die indirekte Unterstützung des Regimes durch nicht 100% durchgesetzte Sanktionen in Bezug auf Technologien und Gelder. So seien in jeder russischen Rakete europäische Komponenten verbaut, und die eingefrorenen Vermögen der russischen Oligarchen brauche man dringend für den Wiederaufbau.

Selenski schöpft mit seiner starken Rede wieder Hoffnung nach einer kurzen Phase der Enttäuschung im Herbst, vor allem bei den Militärs. Nicht nur das Einfrieren des Krieges lehnt er ab, er sucht ebenso geradezu handlungsoptimistisch einen Friedensprozess, langfristig und beharrlich. Das ist ein neuer Frieden zusammen mit der internationalen Gemeinschaft nach der Zerstörung der europäischen Nachkriegsordnung durch die Rückkehr des Staatenkrieges (siehe dazu auch seinen Stabschef Andri Jermak, „Die Ukraine zählt auf die internationale Gemeinschaft“, in: NZZ, 15.1., S.13).

Dafür schlägt er jetzt einen „Weltfriedensgipfel in der Schweiz“ vor, in diesem „wunderschönen Land“. Alle Länder, die Frieden wollen, sind willkommen, sich an diesem Friedensprozess zu beteiligen.

Bildnachweis: IMAGO / Bestimage