Diskursbegrenzung und Diskursvergiftung 

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Das Indiskutable gibt es seit je, es ist keine moderne Errungenschaft; ebenso wie es keine moderne Errungenschaft ist, das Indiskutable, das Heilige oder die Religion abgeschafft zu haben. Die Moderne und die historische Nach-Aufklärung kennt – bei aller Diskussion immer und überall – die Diskursbegrenzung und insbesondere, noch auffälliger, vielfältige und zunehmend raffiniertere Formen der Diskursvergiftung. Darauf wollen wir im Folgenden in einem ersten analytischen Durchgang eingehen.

Diskursbegrenzung

Das Indiskutable wird missbilligt, weil es der öffentlich geltenden Moral widerspricht. Darüber werden normalerweise keine Diskurse mehr geführt. Das ist durch den herrschenden Gemeinsinn gedeckt, der bestimmt, was noch zur Normalität (der Normen) gehört und was nicht. An den Verstößen erkennt man die Grenzen. 

Zur Aufklärung gehört der Gedanke der Gedankenfreiheit. Die neuzeitliche Wissenschaft (science) braucht sie, um voranzukommen. Sie ist durch die theoretische Neugierde legitimiert (Blumenberg). Wissenschafts- und Gedankenfreiheit gehören zusammen. Gehört auch die Kunstfreiheit, die vielen anstößig ist, zur Gedankenfreiheit? Was alles ist durch die Kunstfreiheit gedeckt? Die Blasphemie? Darf die Satire alles? Mit diesen Fragen und Riesenschritten durch die Geschichte kommen wir schon an die Grenzen selbst unserer kleinen aufgeklärt-nachaufgeklärten Welt, die sich ganz besonders für frei und selbstverständlich tolerant hält. 

Die Gedanken sind zwar frei, ihre öffentliche Äußerung jedoch nicht in gleicher Weise unumschränkt. Nichts ist grenzenlos. Grenzen spielen vielmehr in verschiedener Hinsicht eine grundlegende Rolle, die zu reflektieren und demokratisch zu entscheiden ist. Die Versammlungsfreiheit zum Beispiel als Ausdruck unmittelbarer Demokratie ist ein wertvolles Grundrecht geworden, das in einer stabilen Demokratie wie der Bundesrepublik nicht zur Disposition steht und von der Polizei selbst unter widrigen Umständen durchgesetzt werden muss. Oft sind dafür informelle Absprachen nötig. 

Nach dem 7.Oktober 2023 kann ich zwar für die Solidarität mit Palästinensern demonstrieren. Kritik an der israelischen Regierung kann ich weiterhin auf die Straße tragen, nicht aber Sympathien für die Terrororganisation der Hamas, die Israel auslöschen will, und blanken Judenhass. Demonstrationen dürfen stattfinden, solange keine Hinweise auf Straftaten und Hetze im Vorfeld vorliegen. Wie weit geht die Meinungsfreiheit (Art.5 GG)? Der Artikel kennt in Absatz 2 auch „Schranken“, die „in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre“ liegen. 

Das sind Beispiele für die feinen politischen Unterschiede und Ausgrenzungen auch eines liberalen Staates, zu dessen ‚Staatsraison‘ aus historischen Gründen das Existenzrecht Israels gehört (Merkel vor der Knesset 2008, Scholz mehrmals im Oktober 2023). Was bedeutet ‚Staatsraison‘? Wir lassen hier beiseite, was Helmut Schmidt dazu gesagt hat. In Deutschland ist die Holocaustleugnung zu Recht ein Straftatbestand. Da gibt es kein „Ja, aber…“ mehr. Präsident Biden bezeichnete den Terrorangriff der Hamas als das Schlimmste, was den Juden seit dem Holocaust angetan worden ist. Und in Deutschland heißt es „Nie wieder ist Jetzt!“ Eindringlicher war dieser Appell nie. 

Die Sorge ist berechtigt, dass aus Bildern und Aufrufen in Zeiten des Krieges konkrete Taten werden („Neukölln zu Gaza machen“). Die Sicherheitslage ist nicht nur in Frankreich, das die größte jüdische Gemeinde und die meisten Muslime in Europa beherbergt, und Deutschland angespannt. Die Bürger, insbesondere die jüdischen Mitbürger und ihre Einrichtungen, müssen sich auf den Staat und seine Sicherheitsbehörden verlassen können. Seine gewichtigste Legitimität ist dieser wirksame Schutz von Freiheit und Leben. 

Solche grundsätzlichen Unterscheidungen gehören bereits zur frühaufgeklärten Staatsphilosophie im 17. Jahrhundert, die das legitime Gewaltmonopol des Staates und seine absolute Souveränität, damals noch eine Fürstensouveränität, heute Volks- oder Bürgersouveränität begründet (Bodin, Hobbes). In der Demokratie, bzw. der Anarchie der grenzenlos freien Öffentlichkeit, sieht man dagegen die Gefahr der Anstiftung zum Bürgerkrieg, von Anfang an bis heute. Die heutige Protestgesellschaft (‚protestari‘: öffentlich bezeugen) in liberalen Demokratien, im kalkulierten Zusammenspiel mit den Medien, war noch keine politisch so aufdringliche Realität. 

Die möglichen Bürgerkriegsparteien wechselten und wechseln. Der Islamische Staat (IS) hatte dem Westen offen und global den Krieg erklärt. Ein funktionierender Staat muss Bürgerkriegsparteien entwaffnen können, das ist das Mindeste, was von ihm verlangt wird. Immer mehr Staaten, ‚failed states‘ wie Libyen, Libanon, Syrien usw. können das nicht, sie sind ein globales Problem geworden, auch im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise. Kann man aber in modernen Öffentlichkeiten auch die Sprache entwaffnen? 

Der Bürgerkrieg beginnt laut Hobbes‘ Theorie mit dem semantischen Bürgerkrieg, das heißt: der falschen Verwendung der Sprache bezüglich Wörter und Ideen (Behemoth 1688). Damit wird der erreichte bürgerliche Frieden wieder intellektuell infrage gestellt und real gefährdet. Es gilt deshalb die Priorität: Rechtssicherheit vor Gerechtigkeit. Dieses Prinzip soll schließlich auch für die Reformer von oben einen geregelten Fortschritt in einem rechtlichen Rahmen erlauben. 

Staat und Recht versuchen im Gefolge der bürgerlichen Revolutionen, die öffentliche Sphäre freizusetzen und zugleich zu regulieren als demokratische Rechtsstaaten. Immanuel Kants politischer Reformismus bewegt sich in diesem Rahmen, zusammen mit seiner klassischen Kritik am Widerstandsrecht und dem legitimen Rechtszwang. Man kann dies Legalismus in der politischen Theorie nennen, dem auch der ethische Sozialismus gefolgt ist (Bernstein versus Lenin).

Wir haben es in der Politik grundsätzlich immer wieder mit Realismus, Moralismus und Legalismus zu tun. Zum politischen Realismus gehört zudem, die weltweite Rolle der Religionen und des Religiösen als Konfliktverschärfer genauer in den Blick zu nehmen. Dazu zählen instrumentell und strategisch genutzte religiöse Motive und politisierbare kulturelle Faktoren und Argumente.

Darum entbrennt in der liberalen Moderne, deren Freiheiten des Individualismus zweifellos grösser geworden sind, erst recht ein ständiger demokratischer Streit, der stets mit den schwierigen Grenzen der Toleranz, die eine Frage der historischen Erfahrung und der Urteilskraft sind, verbunden ist. Der Legalismus ist demgegenüber (wo die Toleranz keine Rechtskategorie mehr ist) enger und strenger, man könnte auch sagen: formaler und weiter. 

Die Konflikte bleiben indes weiterhin bestehen: als Moral-, Verfassungs- und Rechtskonflikte wie praktisch bezüglich der jeweils konkreten Einzelfälle, die immer aufs Neue herausfordern. Denken wir nur an den Umgang mit den Koranverbrennungen in Schweden. Vermeintlich kleine Toleranzprobleme bekommen so weltpolitische Folgen. 

Auch die liberale Toleranz kennt Grenzen, die sich im Verlauf der Geschichte verschieben, progressiv wie regressiv, in Zeiten des Friedens wie der harten Auseinandersetzungen. Die größtmögliche Freiheit ist das Prinzip der Philosophie des Liberalismus, gleichzeitig wird das Nicht-Tolerierbare klar und oft eng markiert. 

Die Katholiken und Atheisten beispielsweise gehörten nicht zu John Lockes Toleranz (1689). Auch bei seinem Liberalismus avant la lettre, der in den USA , einschließlich des ‚Besitzindividualismus‘, erfolgreich wurde und heute weltweit seine Spuren hinterlässt, spielt eine bestimmte Theologie als Hintergrundphilosophie eine Hauptrolle, die ebenso konstitutiv ist für die universale Politik der Menschenrechte (Jefferson, Paine) – die USA als „unverzichtbare Nation“ ( Albright, Biden). 

Du kannst glauben, was du willst, aber nicht alles öffentlich bekennen und dafür eintreten. So lautet die Hobbessche Unterscheidung zwischen ‚fides‘ (Glaube) und ‚confessio‘ (öffentliches Bekenntnis) im ‚Leviathan‘ 1651. In der Demokratieentwicklung führt dies hin bis zum wertvollen Grundrecht der Versammlungsfreiheit als Möglichkeit unmittelbarer Demokratie. Es wird in der konsolidierten Bundesrepublik von der Polizei durchgesetzt selbst in schwierigen Auseinandersetzungen. 

Solche Bilder, etwa der Castor-Proteste seit 1995, sind in den meisten Ländern der Welt nicht zu sehen, eher das brutale Gegenteil, das einschüchtert und abschreckt. Die Klimaproteste der ‚Letzten Generation‘ wiederum führen gerade viele, sowohl Politiker wie gewöhnliche Bürger, an die Grenzen des Erträglichen selbst in einer liberalen Demokratie, die sich an tägliche Demonstrationen, nicht nur in Berlin, gewöhnt hat. Die meisten Prozesse dort gibt es wegen der Klimakleber. 

Während der Corona-Pandemie war das Grundrecht der Versammlungsfreiheit wegen des grundrechtlichen Gesundheitsschutzes eingeschränkt. Menschenketten mit Abstand und Schutzmasken waren gleichwohl möglich, auch Demonstrationen von Gastronomen mit leeren Stühlen auf öffentlichen Plätzen (zum Beispiel auf dem Alten Markt in Potsdam). Die Bundesrepublik ist eine Grundrechte-Demokratie mit einer starken Verfassungsgerichtsbarkeit. 

Mein Heimatland Schweiz dagegen ist eine spezifische Kombination von direkter Demokratie und Konkordanzdemokratie, Frankreich eine Präsidialdemokratie mit direkter Demokratie von oben (plebiszitäre Demokratie), Kalifornien wiederum eine spezifische Verbindung von Verfassungsgerichtsbarkeit und direkter Demokratie und so weiter und so fort. 

Auch auf Seiten der ‚Autokratien‘ und ‚Diktaturen‘, die heute weltweit in der Mehrzahl sind, ist zu differenzieren. Innenpolitisch gilt auf Seiten der Rechten das Gleiche, wie es sich auf Seiten der Linken inzwischen eingebürgert hat, wo eine demokratische Linke im Zeitalter der Extreme zur tragenden Mitte gehört. Die genaue empirische Gegneranalyse ist ebenso notwendig wie ein Selbstverständnis, das selbstkritisch bleibt, wenn man politisch erfolgreich sein will. 

Wir wollen dies hier nicht weiter ausführen, in Wirklichkeit ist es noch komplizierter mit dem demokratischen Regieren und der vertiefende Vergleich ist lehrreich, wofür man freilich die historischen Kontexte kennen muss. Der Fingerzeig soll lediglich darauf hinweisen, dass ‚Demokratie‘ ein ‚essentially contested concept‘ (Gallie 1956) ist und es auch bleiben wird. Allein von Krise der Demokratie und Demokratieverteidigung bloß moralisch-empört zu reden, wird sie nicht verteidigen. Dafür sind Analyse und Kritik ungenügend. 

Dazu kommt, dass die Kommunen als Schnittstellen der Politik zwischen Bürgern und ihren Lebenswelten sowie hauptsächlicher (Ursprungs-)Ort der Demokratie, die im Kern lokal und städtisch ist, als bloße Anhängsel des Föderalismus systematisch vernachlässigt werden. Ihre Unterstützung muss nicht nur in der aktuellen Migrationskrise hochgefahren werden. Das wird mitentscheidend werden für das Überleben der liberalen Demokratie insgesamt. 

Die Demokratie ist nach den europäischen Revolutionen 1989 nicht „feindlos“ geworden, wie deutsche Intellektuelle vorschnell annahmen – weltweit nicht und selbst innenpolitisch nicht, wo der Rechtsextremismus als Hauptproblem gilt: „Rassismus tötet“. Hinzugekommen ist die Gefahr des Terrorismus, darunter zahlreiche antisemitische Straftaten. Schon länger steht Deutschland in der Kritik, zu wenig gegen muslimischen Antisemitismus und Islamismus als politische Religion zu tun. Dass die Religionspolitik des Staates versagt hat, sieht man nun deutlich nach dem 7. Oktober 2023.

Dabei sind Tabus im Spiel und oft auch nur die Angst vor dem Beifall von der falschen Seite, was zur schweigenden Mitte, statt zur kämpferischen Toleranz führt. Das ist fatal. Probleme müssen jedoch angesprochen und diskutiert werden, damit man sie lösen kann. Ignoranz ist hier das Hauptproblem, nicht die (falsche) Toleranz. Den ‚engen Meinungskorridor‘ schaffen wir selbst durch falschen Konformitätsdruck, durch den die Mündigkeit abstirbt. Warum muss ständig „gewagt“ werden (Demokratie, mehr Beteiligung), was selbstverständlich ist. 

Der Begriff der „militant democracy“ ist nicht neu (Karl Loewenstein 1937). Er wurde zugeschnitten auf die emotionalisierenden Massenerfahrungen mit dem Faschismus, dem Nationalsozialismus und dem Kommunismus. Es waren politisch bittere Erfahrungen mit neuen Medien und neuen Wahl – und Straßenkämpfen. Politische Emotionen, national und sozial, sowie charismatische Führerfiguren wurden vorherrschend, die heute nicht weniger auffällig sind. 

Diesem revolutionären Emotionalismus, gepaart mit totalitären Großideologien als Krisenausgänge, war mit rationalen Diskursen nicht beizukommen. “Legalistische Selbstzufriedenheit‘ (Loewenstein) unterschätzt zudem die illiberalen Techniken der Politisierung wie der organisierten Machteroberung, die heute noch subtiler geworden sind. Denken wir nur an die Macht der neuen (a-)sozialen Medien, etwa an die antisemitischen Videos auf TikTok, welche die Jugendlichen radikalisieren. Die zivile Demokratie muss sich infolgedessen durch Demokraten und Institutionen verteidigen können, aufmerksam bleiben und darf nicht naiv werden, was zur heutigen allgemeinen Weltfremdheit gehört. 

Ein Tiefpunkt politischer Bildung ist schließlich erreicht, wenn in der Öffentlichkeit, in den Medien wie in den Parteien, Bürgerräte mit direkter Demokratie verwechselt werden. So streut man Bürgern Sand in die Augen und erreicht das Gegenteil von weiterer Demokratisierung, was ja immer ein Programmpunkt war sowohl des (westlichen) Bundesrepublikanismus nach 1945 als auch der östlichen bürgerrechtlichen Bewegungen vor und nach 1989. Schulische und außerschulische Bildung tun not, wobei zum Bildungsbegriff die elementare Demokratiebildung gehört. 

Der Mensch lebt als ‚zoon politikon‘ in politischen Gemeinschaften, modern sagen wir ‚Nationen‘ dazu. Das ist der Ansatz von Aristoteles‘ ‚Nikomachischer Ethik‘. In ihr sind Menschen bestenfalls zu konkreter Urteilskraft fähig. Politisch relevant wird überdies die gesellschaftliche Topik. Mit anderen Worten: die relevanten Gemeinplätze für die Argumentation. In diesem Zusammenhang der öffentlichen Rhetorik als Argumentationslehre, die für demokratische Auseinandersetzungen, wo es um die Zustimmungsbereitschaft von Mehrheiten geht, grundlegend ist, empfehlen Aristoteles und Cicero elementar Wichtiges, „Selbstverständliches“ zu beachten, was wieder zu fokussieren ist. 

Darunter, dass bestimmte Ansichten nicht diskursfähig, sondern vielmehr moralisch-politisch zu missbilligen sind, polemisch und unversöhnlich. Diese Ethik, Topik und Rhetorik kennt moralische Pflichten wie zum Beispiel die Elternliebe, deren Verleugnung, statt erörterungsbedürftig, notwendigerweise missbilligungsbedürftig ist. An dieser Stelle muss und kann nicht mehr argumentiert werden. 

Der Diskurs wird vielmehr abgebrochen, beziehungsweise gar nicht erst aufgenommen, was eine Legimitätskonzession in Richtung Vergiftung des Diskurses Menschenverachtung wäre. Genauso gibt es Handlungen, die zu loben sind, was wir heute Wertschätzung nennen. Der Philosoph Martin Seel zählt, statt einer abstrakten Moralphilosophie, 111 Tugenden und Laster auf und erläutert sie (2011). 

Die Individualität und Universalität der Tugenden scheint mir ein Orientierungsleitfaden zu sein, der allerdings in offenen kontroversen Stadt- und Dorfgesprächen immer wieder aktuell zu entwickeln ist, und zwar zusammen mit einem freundlichen Zugehen auf die verschiedensten Menschen. Das meint Tugendethik ohne Tugendterror (in Kleger 2015), ein Beispiel dafür ist: https://www.heinzkleger.de/zwischen-toleranz-und-entschiedenheit-toleranzedikt-als-stadtgespräch-2008-2023ff/

Das Toleranzedikt als Stadtgespräch soll das demokratiepolitische Handlungskonzept ‚Tolerantes Brandenburg‘, das 1998 nach einer Welle des Fremdenhasses entstanden ist, sowohl kommunalpolitisch als auch ideenpolitisch vertiefen. Der letztere Aspekt wird gerne als bloss symbolisch übersehen und unterschätzt, ist aber wichtig (nicht nur symbolisch), um den rechten Hegemonieversuchen und dem Nihilismus, dessen Leere sie besetzen, etwas entgegensetzen zu können. 

Das (hermeneutische verständigungsorientierte) Gespräch, „das Gespräch, das wir sind“(Gadamer), kann, ohne es zu idealisieren, als basisdemokratisches Element wirken. Es ist alltäglich bei der Begegnung von Menschen und potenziell grenzenlos in sachlicher, sozialer und zeitlicher Hinsicht. Dadurch kann die Stärke der Toleranz für ein friedliches und kreatives Miteinander ausgeschöpft werden. Daraus wiederum können im besten Fall Bündnisse entstehen, die effektiv, nachhaltig und demokratiepolitisch relevant sind. 

Ein Gespräch ist nicht immer ein Diskurs, weder über die Wahrheit noch über verallgemeinerungsfähige Normen. Ein Stadtgespräch jedenfalls verfolgt unterschiedliche Gesprächs- und Diskursformate, organisierte und spontane. Die Beteiligungsmöglichkeiten sind darüber hinaus in den letzten Jahren, vor allem auf kommunaler Ebene, zahlreicher und vielfältiger geworden. Sie sind in der Lage, Diskurse zu entgiften. ‚Cancel culture‘ dagegen, ein Begriff, der seit 2018 in akademisch-kulturellen Milieus rechts wie links aufkommt, ist Unkultur mit einer ‚besonderen Empfindlichkeit‘ und ‚angemaßten Überheblichkeit‘.

Sie erodiert die Diskursbereitschaft und gefährdet die Meinungsfreiheit offener Diskurse als „Grundpfeiler einer freien Gesellschaft“ (Westminster Declaration 2023). Freie Meinungsäußerung ist ein Menschenrecht (Art.19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte). Wir wollen deshalb unser Diskursideal politisch so definieren, „von Grund auf eine Atmosphäre der Meinungsfreiheit zu schaffen, indem wir das Klima der Intoleranz zurückweisen, das zur Selbstzensur ermutigt.“ Und gegen die ‚Cancel Culture‘ gesprochen: „Anstelle von Angst und Dogmatismus müssen wir Fragen und Debatten zulassen“ (Westminster Declaration). 

Bewundern oder zumindest wertschätzen, muss man können, nicht beneiden (bis hin zum sogenannten ‚Kannibalismus‘), welches durch das ständige Konkurrieren und Vergleichen überall in der Moderne hervorgetrieben wird. Rousseau hat dies schon 1755 kulturkritisch in seinem ‚Diskurs über Ungleichheit‘ beobachtet und analysiert. Er griff der gegenwärtigen Zeitdiagnose weit voraus, indem er zwischen primärem (amour de soi, Selbstliebe) und pathologischem Narzissmus (amour propre, Selbstsucht) mit seiner Grenzen- und Rücksichtslosigkeit, die ihm entsprechen, unterschied. Letzteres gibt dem Menschen „alles Böse“ ein. 

Die Autoritäten beruhen auf Anerkennung, nicht auf Zwang, auch nicht auf Rechtszwang allein wie in der liberalen Gesellschaft, für die nicht nur die bürgerlichen und politischen Freiheiten als Errungenschaft und die entsprechende Toleranz in ihrem Zentrum typisch sind, sondern ebenso die Verrechtlichung und der leistende Rechtsstaat als Signum der Moderne. 

Neuzeitliche Staatsphilosophie, legitimer Rechtszwang und traditionale Gemeinschaften begrenzen den Diskurs und bestimmen mit, was noch als Argument gilt und was nicht. Das ist der jeweils vorherrschende Commonsense, der auch ein sensus immunis ist gegenüber den Verführungen des Wahnsinns, Fanatismus, Extremismus und Totalitarismus. 


Diskursvergiftung

Demgegenüber sind Correctnessregeln zumeist „Commonsense transzendent“. „Der expansive Auftritt von ihnen hat modernitätsspezifische Gründe“, so die These von Hermann Lübbe (In: Zivilisationsökumene 2005). Er erwähnt vier hauptsächliche Fälle von solchem Correctnesseifer, welcher heute die Diskurse vergiftet: 

1. die Moralisierung kognitiver Gehalte, 

2. Argumente zur Sache als Zynismus-Abwertung, 

3. Realitätsverluste, 

4. Moral als Medium politischer Disqualifikation. 


Zu 1.) Wissenschaftlichen Diskussionen geht es um Neugier für die Wirklichkeit, um Objektivität und Wahrheit. These und Antithese als Hypothesen spielen ebenso eine grundsätzliche Rolle wie ein größtmöglicher Falsifikationismus als Methode und die intellektuelle Redlichkeit als subjektive Haltung, die zudem Außenseiter-Positionen nicht nur gelten lässt, sondern als mögliches Korrektiv begrüßt. Selbstverständlich ist auch Wissenschaft ein soziales System, das nicht machtfrei und heute in vielerlei Weise und Hinsicht eingebunden und finalisiert ist. 

Dennoch kann von einem Diskursideal gesprochen werden, welches sich auf andere Bereiche bis zu einem gewissen Grad übertragen lässt. Um konstruktive Kritik muss man sich bemühen. Die schnelle Moralisierung von Beschreibungen, Behauptungen und Arbeitshypothesen von vornherein, belebt dagegen mögliche Überlegungen und Diskussionen nicht, sondern zerstört sie. 

Zu 2.) Argumente ad hominem (zur Person) sind nicht Argumente zur Sache (ad rem), welche die Diskussion versachlichen. Dazu gehört auch die Zynismus-Abwertung. Zynismus kann Realismus transportieren, ist indes als moralfreie, ja moralverachtende ethische Haltung beispielsweise von Lehrern gegenüber Schülern unangebracht. 

Die grundsätzliche und generelle Herabsetzung von Moral als gängiger Vorwurf des politischen Moralismus ist ebenfalls abzulehnen. Mit dem Zynismus-Vorwurf ist deshalb vorsichtig und differenziert vorzugehen, wie mit dem noch gewichtigeren Vorwurf des Realitätsverlusts, welcher die politischen Debatten heute beherrscht. Er hat auch damit zu tun, dass Bürger zu wenig gehört und frühzeitig in Entscheidungen einbezogen werden. 

Zu 3.) Realitätsverlust, sei es in Bezug auf den Klimawandel, sei es in Bezug auf Probleme der Zuwanderung ist wohl das häufigste polemische Argument in politischen Debatten geworden. 
Es ist eine Fremdkennzeichnung, die gleichzeitig mit anderen Vorwürfen wie Ideologie, Naivität und politischem Moralismus einhergeht. Der Triftigste ist, dass sich Gesinnungsintensität und Commonsense-Schwund entsprechen, woraus moralisierende Politik oder politisierende Moral resultieren. Markige Worte indes sind zum Beispiel noch keine Migrationspolitik. Wohl aber macht es einen Unterschied, von ‚Steuerung‘ oder ‚Begrenzung‘ der Zuwanderung zu sprechen. Worte machen Politik (manchmal sogar einzelne Buchstaben: Feuerpause oder Feuerpausen), aber nicht jedes Wort muss deshalb moralisch aufgeladen werden. 

Es gibt nichts Einfacheres als den schlichten Hinweis auf die (sogenannte) Realität im Singular wie gleichermaßen (erkenntnistheoretisch) Komplexeres als die Realität oder Wirklichkeit (genauer: Wirklichkeiten im Plural, in denen wir leben, Blumenberg) mit ihren verschiedenen Facetten. Denn wir sind alle „weltfremd“ geworden in einer funktional differenzierten modernen (Welt-)Gesellschaft! Deshalb ist die Bemühung um (politischen) Realismus so wichtig und gleichzeitig so schwierig. 

Zu 4.) Dieser Punkt verstärkt und dramatisiert die ersten drei Punkte, weil öffentlich exponierte Personen mit ihrer Integrität zentral involviert und betroffen sind. Der Verdacht gegen die Person arbeitet mit bösartigen Unterstellungen wie beispielsweise Rassismus, Faschismus oder Islamophobie, gegen die kaum argumentiert werden kann. Der mittelalterliche Pranger ist in der Moderne mit vernichtender technischer Macht zurückgekehrt. Das aufklärende ‚öffentliche Auge‘ der französischen Revolution (Marat) hat seine Unschuld verloren und vermag heute Personen bewusst und gezielt durch Verdächtigungen zu zersetzen. An Personen hängt letztlich Handlungsmut und Zivilcourage. 

Propaganda und Desinformation sind durch die neuen sozialen Medien noch verbreiteter und raffinierter geworden, so dass schon vom ‚Post-Truth- und Fake-‚ Zeitalter gesprochen wird. Diese Tendenzen werden durch automatisierte Bots und die künstliche Intelligenz (KI) potenziert, was den Simplisten und Totalitären in die Hände spielt. Politisierte Extremisten sind zudem schnell solidarisch und fragen nicht weiter. Öffentlichkeiten, die sich abschotten, stehen so in einer bissig-polemischen Auseinandersetzung unter – bzw. gegeneinander, was bis zur Verrohung der politischen Kultur selbst in konsolidierten Demokratien führen kann. Eine Erstürmung des Kapitols wie am 6. Januar 2021 hätte man sich davor nicht vorstellen können. 

Uns kann es hier nur um eine beharrliche Aufklärung anlasshalber und im Kleinen gehen in einer größeren Auseinandersetzung mit einer strategischen Gegenaufklärung, die mit bewusster Diskursvergiftung arbeitet. Neue Querfronten entstehen (siehe Spiegel 22.10.23, WirtschaftsWoche 22.10.23). Siehe dazu auch: „Warum der Israelhass ausgerechnet jene Gruppen verbindet, die sonst wenig miteinander teilen: Islamisten und Queerfeministen, Kommunisten, türkische Nationalisten, Anhänger und Gegner des iranischen Regimes“ (Cheema/Mendel in FAZ, 24.10.23, S.9).

Es gibt nicht nur alte und neue Querfronten, sondern ebenso Pseudofronten. Die ‚große Spaltung‘ der Gesellschaft, von der in Deutschland gerne dramatisierend gesprochen wird, ist eine solche Pseudofront. Aufregungspunkte führen zu Pseudofronten, die in Wirklichkeit „kulturkämpferisches Triggertheater“ sind, das von extremen Rändern her aufgebauscht wird (siehe dazu die empirische Untersuchung von Mau/Lux/ Westheuser über Konsens und Konflikt, 2023). Sie nehmen medial und politisch den Platz realer Konflikte ein. Grösser jedoch ist ein Wertekonsens, der weiterführende Gespräche ermöglichen würde. Er umspannt soziologisch eine breite Mitte bei aller Individualisierung und Interessendifferenzierung. 

Sprache und Politik, beziehungsweise die politische Sprache, ist ein mehrdimensionales (sachlich, emotional, moralisch und bezüglich unterstellter Handlungsfolgen) komplexes Handlungsfeld. Das gilt allein schon phänomenologisch und sprachanalytisch, noch unabhängig von Analyse und Kritik. ‚Sein und Heissen‘ (Lübbe) ist selbst ein politisches Handlungsfeld, das heißt: man soll und muss sich – entgegen der Empfehlung von Aristoteles – um Worte streiten! Es bleibt einem nichts anderes übrig, kämpferisch, aber sachlich. Das gilt auch für die Toleranz, die Biss und Neugierde behalten muss. Stattdessen brilliert in Zeiten des Krieges und der Dezivilisation die ‚Nulltoleranz‘. 

Im Unterschied zu den Wissenschaften und dem wissenschaftlich-akademischen Diskurs im engeren Sinne, wo es Terminologien gibt (Termini als definierte Begriffe), herrscht in einer freien exoterischen Sphäre des Öffentlichen keine Kunstsprache. Der Streit um Worte und Ideen (was heißt Liberalismus, Konservativismus, Nation, Freiheit, Gerechtigkeit usw.?) ist in der Politik unvermeidlich, je liberaler und demokratischer sie ist. Was darf und soll wie heißen? Ghetto, Genozid, Slums, Gewalt, Widerstand, Terror?

Dieser Streit gehört grundlegend zur Demokratie und ist unabschließbar. Gleichwohl sind reflektierte und sachliche Diskurse durch Philosophie, Politische Theorie und Bildung, Ideengeschichte und Ideenpolitik möglich, und sei es als Inseln im Meer der Praxis. Raum und Zeit für Reflexion sind ebenso nötig wie Handeln. Der Politik fehlt heute eher die sanfte Macht der Reflexion als die Betriebsamkeit und der Aktivismus, welche zunehmend überdrehen.


Diskursrealitäten und Diskursideale


Politisches Sprechen ist politisches Handeln. Dieses Verständnis des politischen Sprechens (mit seinen unterschiedlichen Rollen) beruht auf einem allgemeinen Begriff von Sprache, der phänomenologisch primär eine Lebensform meint. Das sind subjektiv-objektive Handlungsformen, in denen sich Theorie und Praxis durchdringen. Die politische Sprache ist ‚polemogen‘, freilich in ganz unterschiedlicher Intensität (siehe Julien Freund, Sociologie du conflit, Paris 1983). Das heißt: ihr Handlungssinn ist meistens auf eine konkrete Gegensätzlichkeit bezogen, was Kooperation und Konsens nicht ausschließt. 

In jedem Fall ist politisches Sprechen an konkrete historische Situationen, die sich schnell verändern können, gebunden. Diese Situationen werden gedeutet, was Handlungskonsequenzen hat. Es gibt zunächst einen Primat der Interpretation (erkenne die Lage!), gleichwohl haben behauptende Sätze in der Politik eine intentionale Stoßrichtung, mit der etwas bewirkt werden soll. Zwischen der politischen Semantik und politischem Handeln besteht ein innerer Konnex, der das Repräsentationsmodell der Sprache sprengt. Davon geht die ‚Gebrauchstheorie der Bedeutung‘ von Ludwig Wittgenstein aus, siehe seine ‚Philosophischen Untersuchungen‘ 1960. 

Nicht jedes Gespräch ist ein Diskurs. Diskurs ist im Deutschen ein schillernder Begriff geworden und wird heute mit Ansprüchen inflationär verwendet, die alltägliche Gespräche normalerweise nicht erheben. ‚Le discours‘ meint im Französischen die sichtbare Praxis dessen, was man in der traditionellen Auffassung vom Menschen als sprachfähigen Wesen ‚denken‘ nennt. 

In der Perspektive des französischen Philosophen Michel Foucault und dessen strenger Analytik dessen, was wir nicht mehr sind, wurzelt jedoch die gemeinschaftliche Produktivität von Kommunikationsprozessen nicht mehr in einem sinnstiftenden Subjekt (es ist verschwunden) und auch nicht in kommunikativer Vernunft (Habermas), sondern in historisch auftauchenden und verschwindenden Techniken oder Rhetoriken des Sprechens: sogenannten diskursiven Praktiken (siehe Archäologie des Wissens 1969). 

Diskursive Praktiken bleiben wegen ihrer Alltäglichkeit und grundlegenden Einfachheit in der Regel verborgen. Foucault untersucht den Diskurs primär als Gegenstand von Macht (Diskursanalyse). Diskursivierung ist die Feinmechanik von Macht, und Macht ist produktiv. Während wir vor allem auf Repression und Verbote achten, beherrscht uns diskursive Macht, so seine Pointe, die uns zum Beispiel als „Geständnisse“ beflissen die „Wahrheit“ sagen lässt. Wenn Foucault in seiner Antrittsvorlesung 1970 am Collėge de France Nietzsche als Verbündeten im Widerstand gegen die kontrollierte Ordnung des Diskurses anruft, dann wird klar, wie schwierig es im öffentlich-politischen Umgang mit den Begriffen Macht, Widerstand und Wahrheit werden wird. 

Dagegen ist der Diskurs-Begriff von Jürgen Habermas im Deutschen ganz anders geartet. In seinem Diskurs werden Argumente erzeugt, in ihm herrscht das Motiv der kooperativen Verständigungsbereitschaft. Es geht darum, einen wirklichen, das heißt: einen wahren Konsens zu erzielen. Ohne Dissens wäre dieser nicht nötig. Also dient der Diskurs der Fortführung konsensuellen Handelns, und zwar in reflexiver Einstellung. Inhalte werden dabei weniger erzeugt, als dass sie in spezifischer Einstellung bearbeitet werden. 

So dient der Diskurs der Konsenstheorie der Wahrheit und als praktischer Diskurs der Ausfilterung verallgemeinerungsfähiger Normen. Er thematisiert problematisierbare Geltungsansprüche und ist idealerweise herrschaftsfrei. Man kann an Habermas ‚Theorie des kommunikativen Handelns‘ (1981) als normativer Grundlage für eine kritische Gesellschaftstheorie, die er seit der Kritik an Luhmanns funktionaler Systemtheorie 1971 kontinuierlich weiterentwickelt hat, vieles kritisieren, nicht jedoch: dass er Diskurstheorie mit Demokratietheorie verwechselt hätte (Habermas/Luhmann, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie, S.101-141). 

Letztere stützt sich, ausgehend von seinem aufklärerischen Öffentlichkeitsbegriff (1962), auf ein deliberativesVerständnis von Politik, welches ihre polemogenen und rhetorischen Aspekte außer Acht lässt. Entsprechend heißt sie deliberative Demokratietheorie und nicht Diskurstheorie, es ist eine von vielen Demokratietheorien. In ihr steht weiterhin die Suche nach dem vernünftigen Konsens im Fokus und nicht die korporative Verhandlungsdemokratie, der Meliorismus und der Kompromiss und schon gar nicht die parteipolitische Polarisierung. 

Politische Debatten finden indes nicht handlungsentlastet statt, sie stehen vielmehr unter ständigem Entscheidungs- und Zeitdruck. Die permanente Medialisierung, Personalisierung und Skandalisierung kommen hinzu. Von der Politik wird zudem erwartet, dass sie entscheidungs- und auch in Koalitionen regierungsfähig ist. Nicht unendliche Diskussionen eines relativen Rationalismus (Schmitt) sind gefragt, sondern Entschiedenheit und Durchsetzungsfähigkeit bei Problemlösungen von Politikern aller demokratischen Parteien. Dabei ist auf eine neue Generation von ‚Machern‘ und ‚Macherinnen‘, die Verantwortung übernehmen, zu setzen, welche die sachlichen Schwierigkeiten und Probleme sehen. 

Die parlamentarische Debatte kennt darüber hinaus nicht nur Regeln, sondern auch einen Schluss der Debatte. Rhetorisch wird mit Argumenten um die Zustimmungsbereitschaft von Mehrheiten in den Parteien, Parlamenten und der Öffentlichkeit gekämpft. Politische Argumente müssen exoterisch von Laien für Laien überzeugend (plausibel) sein und sind keine wissenschaftlichen Dispute. 

Dennoch spielen auch in der demokratischen Politik, in der Verwaltung wie im Regierungshandeln, wissenschaftliche Beratung, ja professionelle Beratung (Beratungskulturen) generell eine immer größere Rolle, was gerne verdrängt wird. Dabei handelt es sich in der Realität eher um Experten- als um Bürgerräte, mithin um Expertokratie und nicht um eine partizipatorische Demokratie der Bürger. Das gehört zu den harten Diskursrealitäten von heute dazu, die viel mit Technik, Wissenschaft, Wissen und Macht zu tun haben. Das technokratische Regieren ist zum Sicherheitsnetz geworden, das unter jedem politischen Regieren in Krisen gespannt ist, egal ob rechtsstaatliche Demokratien oder Diktaturen.

Bildnachweis: Neues Potsdamer Toleranzedikt e. V. / Adam Sevens