Gespräche werden immer gesucht, formelle und informelle. Diplomatie hört nie auf, auch wenn sie ständig an Grenzen stößt. Auch gibt es sogenannte diplomatische Gepflogenheiten und einen Diplomaten-Sprech, der zwar über vieles hinwegsieht, nicht alles anspricht und trotzdem Brücken der Verständigung erhält.
Friedensgipfel in der Schweiz
Mitte Januar überraschte der ukrainische Präsident Selenski mit der Ankündigung, einen Friedensgipfel in der Schweiz durchführen zu wollen (siehe dazu den Blog vom 24. Januar), der in informellen Gesprächsformaten von Sicherheitsberatern schon länger vorbereitet wird.
Am 14.Januar fand das vierte Treffen in diesem NSA-Format (national security advisors) in Davos statt. Die Ukraine sucht den Rückhalt der internationalen Gemeinschaft für ihren Friedensplan. Wir haben uns gefreut und gleichzeitig ein großes Fragezeichen gesetzt, wie so oft in diesen Tagen.
Aus der militärisch wie politisch völlig verfahrenen Situation des Ukrainekrieges einen Ausweg zu finden, scheint derzeit ein unmögliches Unterfangen. Dass es ohne China nicht geht, in diesem Punkt sind sich jedoch alle einig.
Deshalb sollte der schweizerische Außenminister, der Tessiner Bundesrat Ignazio Cassis im Februar nach Peking reisen. Das Treffen mit dem chinesischen Außenminister Wang Yi dauerte zwar 45 Minuten länger als geplant: “ Doch konkrete Ergebnisse gab es keine“ (NZZ, 9.Februar, S.24). Schnelle Fortschritte sind auch nicht zu erwarten.
Diplomatie muss beharrlich sein und warten können. China will die Teilnahme am Friedensgipfel zunächst intern diskutieren. Das ist für die Diplomatie schon ein Ergebnis. Die politische Bewertung fällt dagegen harscher aus: die Aussichten für eine Konferenz, die echte Fortschritte in Richtung Frieden bringt, sind „düster“ (NZZ, a.a.O).
Die Abhängigkeiten in der “ Freundschaft ohne Grenzen“ zwischen Xi und Putin sind groß. Und zwar nicht nur des ‚Juniorpartners‘ Russland gegenüber China (das hat sich seit der Geschichte des Kommunismus von Stalin zu Mao gedreht), sondern auch – was gerne übersehen wird – von Xi gegenüber Putins Russland im geostrategischen Konflikt mit den USA. Erst kürzlich äußerte sich Putin geradezu zynisch dazu: „sie werden uns noch brauchen“.
Matthias Kamp aus Peking kommentierte deshalb treffend, dass es „diplomatische Gepflogenheiten“ gebieten, den Vorschlag aus der Schweiz zu prüfen, “ um das Vorhaben im Sande verlaufen zu lassen“. Auch diese Verhalten kann man zynisch nennen, wenngleich man bei der Diplomatie nicht nur moralische Maßstäbe anwenden sollte.
Im offiziellen Communiqué wird denn auch die Einladung der Schweiz zur Friedenskonferenz mit keinem Wort erwähnt: „Wir setzen unseren eigenen Weg fort, um Friedensgespräche zu ermöglichen und eine politische Einigung der Staaten zu erzielen“, formuliert China, das Russland weiterhin den Rücken freihält, selbstbewusst und gewohnt formelhaft.
So allgemein und unkonkret sind die chinesischen Friedensinitiativen, von denen viel erwartet wurde, von Anbeginn. Cassis kann darauf nur noch diplomatisch antworten: „Es ist ein erster Schritt.“ Während der andere erste Schritt der schweizerischen Diplomatie, den Aggressor Russland zur Friedenskonferenz einladen zu können, im Moment aussichtslos erscheint.
Denn Putin benutzt gerade mit Absicht und Bedacht das Zeitfenster bis zu den amerikanischen Wahlen im November dazu, keine Verhandlungen aufzunehmen, die er verbal gleichwohl ständig zu seinen Bedingungen anbietet. Wenn der Westen, seine Waffenlieferungen einstelle, wäre der Krieg sofort vorbei. Ja, und Putin wäre der Sieger und die Ukraine unterworfen. Russlands Kriegsziele haben sich nicht verändert. Putin redet unverändert von der „Denazifizierung“ der Ukraine.
Siehe dazu das zweistündige Interview mit Tucker Carlson, das Putin an Trump und seine Republikaner mit großer Reichweite richtete – eine Propagandashow und eine Vorführung des ’naiven Amerikaners‘ für Russen. Einen Angriff auf NATO-Staaten schließt Putin aus, es sei denn,“ Polen greife Russland an“.
Derweil sieht die aktuelle militärische Lage für die kämpfende Ukraine einmal mehr schwierig aus, Awdijiwka ist das zweite Bachmut geworden. Sie ist dennoch nicht aussichtslos, wie die schweren Schläge auf die stolze Schwarzmeerflotte demonstriert haben. Die weitere westliche Unterstützung wird in dieser Situation allerdings noch wichtiger als eh schon.
Gleichzeitig ist sie in Frage gestellt, da finanzielle Zusagen blockiert und versprochene Munitionslieferungen nicht rechtzeitig eingetroffen sind, was die Frontsoldaten zunehmend zermürbt. Es sind diese elementaren Dinge, die fehlen, und nicht die großen Worte, die ständig wiederholt werden. Während die Umstellung Russlands auf Rüstungswirtschaft ihre Wirkungen entfaltet, zunächst bei der Artilleriemunition.
Der letzte Besuch von Scholz bei Biden war diesmal einer mit umgekehrten Rollen: Biden lobte ausdrücklich Scholz’s Führung (etwas, was man in Deutschland vermisst) . Der besonnene Kanzler ist sich der Möglichkeiten der Mittelmacht Deutschlands außenpolitisch jedoch sehr bewusst, was für ihn spricht. Er reist nicht öffentlichkeitshungrig und ahnungslos durch die Welt.
Für Deutschland und Europa ist der Bündnispartner USA „unverzichtbar „. Die jüngsten Äußerungen von Trump zur Nato, dass er die säumigen NATO-Zahler nicht mehr unterstützen werde, haben deshalb in Europa regelrecht einen Schock ausgelöst. Scholz sprach zurecht von „unverantwortlich und gefährlich“.
Der Sonderfonds für die Bundeswehr soll nun blitzartig verdreifacht werden (Kiesewetter). Den Krieg sollte man dennoch nicht auf Russland ausweiten, um die russische Bevölkerung aufzurütteln (derselbe Kiesewetter: hier wird der Lapsus von Baerbock “ Krieg gegen Russland“ zum System).
Auf der anderen Seite gewinnt das russische Militär wieder vermehrt die Oberhand. Putin bekräftigt, dass „Russland auf dem Schlachtfeld per definitionem nicht zu besiegen ist“. Mit diesem Fanatismus ist zu rechnen. Seit der Annexion der vier ukrainischen Gebiete Ende September 2022 ist offenkundig, dass Russland diese Gebiete plus die Krim, was vorher schon klar war, nicht mehr kampflos hergeben wird.
Sie sind jetzt der Russischen Föderation zugeschlagen, auch verfassungsmäßig und stehen unter deren Schutz. Verhandlungen wird es nur unter diesem Diktat geben, es sei denn die militärische Lage ändert sich noch grundlegend. Was kann und soll da noch die Diplomatie ausrichten können über die Organisation von Gefangenenaustausch hinaus? Trotzdem dient Diplomatie generell der friedlichen Koexistenz und nicht dem Krieg.
Münchner Sicherheitskonferenz
„Es darf nicht ausgehen wie im Ersten Weltkrieg!“ (Heusgen). Auch der Spitzendiplomat Heusgen setzt deshalb auf eine Verhandlungslösung und erinnert an frühere Abkommen, die gescheitert sind. Der ehemalige außenpolitische Berater von Kanzlerin Merkel und heutige Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz verteidigt dabei auch das Minsker Abkommen.
Es ist unter deutsch- französischer Vermittlung zustande gekommen und versuchte 2015, den Osten der Ukraine zu befrieden (siehe auch das Buch “ Führung und Verantwortung“, 2023).
Die meisten Verpflichtungen aus dem Minsker Abkommen wurden jedoch nie umgesetzt. Russland und die Ukraine geben sich gegenseitig dafür die Schuld. Die Interpretation dieser Vorgeschichte spielt in die Gegenwart hinein, sie ermöglicht und verhindert mögliche Verhandlungskorridore und verhärtet Positionen.
Inzwischen hat der Verlauf des Krieges weitere Fakten geschaffen, die erschwerend für einen möglichen Friedensprozess hinzukommen. Mit der Aufarbeitung der (Zeit-)Geschichte kommen wir gar nicht mehr hinterher, so sehr werden wir in Beschlag genommen durch die notwendigen Entscheidungen des Krieges (chronos und kairos). Das gilt gleich für mehrere Akteure.
Heusgen findet das Minsker Abkommen genauso gut oder schlecht wie das Budapester Memorandum von 1994, in dem Russland die Souveränität der Ukraine garantiert, gleichzeitig aber auch gegen die Nato-Osterweiterung ist, oder die UN-Charta: „Alle drei hat Putin in die Tonne getreten, aber deswegen sind sie nicht schlecht. Putin ist schlecht, weil er sich nicht an das internationale Recht hält (gmx.net/ 8.2.). Heusgen hat auch schon von „Zivilisationsbruch“ gesprochen. Die Ukraine soll frei entscheiden können, ob sie Mitglied der EU oder Nato wird.
Das versuchen auch Jermak, der Stabschef von Selenski, und der Däne Rasmussen, der ehemalige Nato-Generalsekretär, im Hinblick auf einen Friedensgipfel in der Schweiz seit langem im Hintergrund diplomatisch zu erreichen. Dabei geht es auch um Sicherheitsgarantien für die Ukraine. Das ist ein Versuch buchstäblich internationaler Politik, in einer Situation, in der die UNO dysfunktional geworden ist aufgrund des russischen Vetos im Sicherheitsrat.
Gleichzeitig geht es heute auch um den Aufbau einer neuen Sicherheitsarchitektur in Europa – mit oder ohne Russland. Das ‚Weimarer Dreieck‘ (Frankreich, Deutschland, Polen) wird diesbezüglich eine führende Rolle spielen müssen, zumal der Europäer Tusk nun Premierminister geworden ist. Lediglich Polen bereitet sich militärisch wirklich auf einen Angriff Russlands vor. Es hat seine Verteidigungsausgaben verdoppelt und das Militär auf 300 000 Soldaten erhöht. Polen und Deutschland sind die stärksten Unterstützer der Ukraine.
Bei der 60. Münchner Sicherheitskonferenz, die vom 16. bis 18. Februar stattfindet, liegen die dringenden Themen auf der Hand und sind, jedes für sich, schwer genug, ob Ukraine-Krieg, europäische Sicherheit oder Nahost- Konflikt. Die Tagung, die es seit 1963 gibt, hat seit je einer transatlantischen Ausrichtung. Sie begann klein mit Kissinger und Schmidt und ist inzwischen ein Grossereignis geworden, einschließlich Protesten und Gegenveranstaltungen.
Zahlreiche Regierungschefs und Außenminister sind angekündigt: Scholz, Harris, Blinken, Selenski, Herzog u.a., aber auch Gäste aus dem Libanon, Katar, Irak, Kuweit, Saudi-Arabien und Oman werden erwartet. Die Pendlerdiplomatie, die Kissinger einst erfunden hatte, kann vertieft fortgeführt werden. Wichtige Stimmen aus Russland, China und Iran jedoch werden fehlen.
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