Die Kraft der Demokratie

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Die Kraft der Demokratie, so könnte auch der Titel lauten von Frank-Walter Steinmeiers starker Antrittsrede am 13. Februar 2022 im Abgeordnetenhaus in Berlin, welches für die 1472 Wahlleute aus dem ganzen Land (so viele wie noch nie) unter Corona- Bedingungen hergerichtet worden ist. Steinmeier erhält 1045 Stimmen.

An diesem Wochenende hatte man erfahren, dass der amerikanische Geheimdienst einen militärische Angriff Russlands auf die Ukraine für die nächste Woche erwartet. Die USA und Deutschland empfehlen ihren Bürgern, das Land zu verlassen. Die Lage ist jetzt sehr ernst.

Der erfahrene Politiker und ehemalige Außenminister Steinmeier, der auch das Minsker Abkommen verhandelt hatte, trifft das aktuell wichtigste Thema und den richtigen Ton! Er spricht von einer Zeit der Sorge um den Frieden, an den wir uns in Europa, geschützt von Freunden, gewöhnt hätten. Was für ein historisches Glück für die Bundesrepublik. Aber nicht nur die Demokratie, auch der Frieden, der ihr zugrundeliegt, müssen immer wieder erarbeitet werden. Sie sind nicht selbstverständlich, sondern zerbrechlich.

Diese beiden höchsten Güter – Frieden und Demokratie – benötigen gerade in der heutigen Zeit der Krisensteigerung und Krisenvertiefung der Entschiedenheit und Wehrhaftigkeit, nach innen wie nach außen. Steinmeier spricht als Erstes klar und deutlich, deutlicher als der Kanzler bisher, Putin als Verantwortlichen an. Der Truppenaufmarsch, der in den letzten Tagen trotz intensiver Diplomatie weiterging und die Schlinge um die Ukraine immer enger zog, ist nicht misszuverstehen.

Deutschland sei sich aber den “ Verpflichtungen im Bündnis“, ohne die es die BRD nicht geben würde, sehr wohl bewusst. Die Ukraine, Estland, Lettland, Litauen, Polen, die Slowakei und andere Länder können sich auf Deutschland verlassen. Die Empathie ist zweifellos vorhanden, aber was heißt das bezüglich Wehrhaftigkeit, Waffen für die Verteidigung, Bundeswehr und Sanktionen?

Steinmeier kommt dann auf die Ebene des globalen Systemkonflikts zwischen Demokratien und Autokratien zu sprechen. Er warnt Präsident Putin: „Unterschätzen sie nicht die Kraft der Demokratie!“ mit einem selbstbewussten Ausrufezeichen. Putin und seine Machtclique haben im tiefsten Inneren sicherlich Angst vor einer Maidan-Revolution. Ihre Stärke ist nur noch der militärisch-industrielle Komplex. Kommt es tatsächlich zu einem Kräftemessen um die Einflußsphären zwischen der Nato und Russland, dem Imperium? Muss deshalb auch die EU unter dem Vorzeichen strategischer Souveränität ein Imperium werden?

Mit Stärke der Demokratie meint Steinmeier aber nicht nur das transatlantische Bündnis der liberalen Demokratien unter Führung der USA, sondern auch und vor allem ihre innere Stärke, um die es nicht zum Besten bestellt ist. Auch Steinmeiers zweite Amtszeit steht deshalb unter dem Motto Kampf für die Demokratie. Demokratie ist das häufigste Wort seiner Antrittsrede, es handelt sich geradezu um eine Beschwörung der Demokratie, die sich an jeden Einzelnen richtet.

Denn die Demokratie, so seine starke These gegen Putin und die Autokraten, ist getragen von verantwortungsbewussten Bürgern und nicht von den Verführungen nationaler Größe und Drohungen nach innen. Die starken Männer hätten sich in der Corona- Krise blamiert, während Forscher in Mainz einen wirksamen Impfstoffe entwickeln konnten. Wir sollten uns nicht kleinmachen, so Steinmeier. Da hat er recht, denn Demokratie beginnt im Kleinen und wurzelt im Lokalen, sie endet dort aber nicht.

Der Bundespräsident lobt die Achtung der demokratischen Institutionen, die er repräsentiert, auch wenn das Vertrauen in sie schwindet. Man braucht auch nicht bei jedem Entscheid als Bürger mit ihnen übereinzustimmen, selbst beim höchsten Verfassungsgericht. Aber ihre Autorität, die auf vielen guten Gründen beruht und historisch erarbeitet wurde, ist zu akzeptieren.

Steinmeier sieht sein Amt als überparteilich an, versteht sich aber nicht als neutral, wenn es um die „Sache der Demokratie“ geht, die keine einfache Sache ist. Die Gegner der Demokratie sind seine Gegner, und er wiederholt den Vorwurf, dass die Proteste gegen die Corona-Diktatur „Unfug“ seien. Die rote Linie, die zu halten ist, heißen Hass und Gewalt. Hass ist keine Meinung und Gewalt ist stumm. Die zunehmenden Übergriffe gegen Polizisten, Helfer und Politiker sind darüber hinaus alarmierend und deuten auf eine neue aggressive Staatsfeindschaft hin. 

Treffend ist auch, dass Steinmeier die einzigartige Bundesversammlung an diesem 13. Februar jenseits von Regierung und Opposition für einen Grundkonsens der Demokratie hält. Wir haben dies die atlantisch-bundesrepublikanische Zivilreligion genannt, ein Schatz, der nicht verspielt werden sollte, wie immer man ihn nennt. Er ist Ausdruck eines vielfältigen Landes, das gelernt hat, auch in der Krise zusammenzuhalten.

Steinmeier bekundet auch Respekt vor seinen Mitbewerbern, vor allem für das Thema des Sozialmediziners Gerhard Trabert, der von den Linken vorgeschlagen worden ist und respektable 96 Stimmen erhält. Steinmeier, der als Jurist über das Thema Obdachlosigkeit promoviert hatte, lädt ihn ein, darüber ins Gespräch zu kommen, was eine große persönliche Geste seiner Rede war, die hoffentlich praktische Konsequenzen haben wird. Dazu sind beide in der Lage.

Die Strategie der AfD hingegen mit ihrem Kandidaten Max Otte einen Keil in die Christdemokratie zu treiben, ist nicht aufgegangen, im Gegenteil. Sie ermöglichte dem neuen Parteivorsitzenden Friedrich Merz vielmehr eine klare Abgrenzung nach Rechts und die eigene Profilierung. Die Physikerin Stefanie Gebauer, Kandidatin der „Freien Wähler“, die sich in den Ländern verdient machen um die direkte Demokratie und deren Verbesserung, erreichte immerhin 58 Stimmen.

Steinmeier unterschätzt die Gegner der Demokratie nicht, die auch künftig mit der Angst Politik machen werden, gerade auch beim großen gesellschaftlichen Thema des Klimawandels und der sozialökologischen Transformation. Jeder der hier zurückgelassen werde, sei auch für die Demokratie verloren, sagt er typisch sozialdemokratisch. Das wollen wir nicht hoffen. Richtig ist indessen, dass heute die Enttäuschungen und Frustrationen weit über die Politik hinausgehen bis hinein in alle Freundschaften und Familien. Wie sich das politisch auswirken wird, weiß niemand.