„Wir können es besser“.

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Über den Zweckoptimismus politischer Aufklärung 

Am 30. März startet Armin Laschet den Wahlkampf mit einer Beteiligungskampagne für die Erarbeitung des Wahlprogramms. Nicht nur Parteimitglieder, auch interessierte Bürger und Verbände sind eingeladen. Es ist die zweite ‚erlösende‘ Rede (nach der Bewerbungsrede im Januar zum Parteivorsitzenden), auf die man lange gewartet hatte. 


Ein Wahlprogramm der CDU/CSU liegt noch nicht vor, ebenso steht der Kanzlerkandidat (Laschet oder Söder?) noch nicht definitiv fest. Bis Pfingsten soll diese Frage entschieden sein. Der Auftritt von Laschet macht klar, dass er sich als Kanzlerkandidaten sieht. Er ist ein stiller Macher, die CSU erwähnt er in seiner Rede kein einziges Mal. Laschet passt zur (alten erfolgreichen) Bundesrepublik und will dennoch kein „Weiter so“ nach 16 Jahren Merkel, vielmehr geht es ihm um ein „neues Modernisierungsjahrzehnt“. 

Wichtiger als der Wahlkampf ist jedoch noch immer (nunmehr seit einem Jahr) die Pandemiebekämpfung. Vor Ostern steht man wieder vor einer neuen Welle, die einen harten Lockdown erfordert. Folgerichtig beginnt Laschet seine Rede mit dem Eingeständnis von Fehlern im Krisenmanagement, einschließlich des „Egoismus in den eigenen Reihen“, womit er auf die Maskenaffäre anspielt. Das Vertrauen in die Krisenkompetenz und Regierungsfähigkeit der CDU hat dadurch erheblich gelitten. 

„Wir werden das besser machen“ – wir, das ist die CDU mit ihrem „Gesellschaftsmodell der Freiheit und sozialen Verantwortung“ gegen „linke Experimente“ und „linke Ideologie“. Wir sind das Bollwerk gegen „ideologiegetriebene Politik“, womit SPD und Grüne gemeint sind, ohne dass Laschet die Parteien beim Namen nennt. Noch immer gilt wie in Stein gemeißelt: Wo wir sind, ist die Mitte. Dieser Grundlinie, welche die CDU stark gemacht hat, bleibt Laschet treu. 

„Im Ziel sind wir uns einig (in welchen Zielen genau?) einig, die Wege aber sind völlig unterschiedlich (meint er damit: marktwirtschaftliche Verfahren vs. Staatsgläubigkeit?). Laschet spricht von „erfolgreicher Wirtschaftspolitik“ ohne “ bürokratische Bevormundung“. Es wird hier wie in der Europapolitik wahrscheinlich ebenso konkret wie grundsätzlich vor allem um die Rolle des Staates in der Politik gehen. Trotz oder gerade wegen der immensen Vergemeinschaftung der Schulden in der Coronakrise äußert sich Laschet nicht politisch zu Europa. Er sagt nur, was er immer sagt: „Ich bin ein leidenschaftlicher Europäer“. Sein Ideal von Europa will sich der Aachener Katholik nicht kaputtmachen lassen. Er ist wie Macron für mehr Europa. 

Zum Modernisierungsjahrzehnt gehört eine Staatsreform. „Wir werden nicht besser, wenn wir mehr regulieren“. Stattdessen sind mehr Freiheit, Freiräume und Flexibilität nötig. Für wen? Natürlich die Unternehmer. Auch für die Hausärzte, Lehrer, die Kommunen? Wie beurteilt man den starken und teuren Sozialstaat mit dem Kurzarbeitergeld in der Krise? Staatliche Investitionen in die Infrastruktur, Bildung und Forschung? Wie die Reform der Schuldenbremse? Vieles bleibt offen, auch nach Laschets zweiter Rede. 

„Weniger Staat, mehr Freiheit“ wird von Liberalen seit den 80er Jahren gefordert. Es ist ihr Credo und ihr Programm, international, in Deutschland abgeschwächt durch die Christdemokratie und den Verbändestaat. Statt schlanker wurde der Staat in der Realität aber immer grösser und wichtiger: „decomposition of power by increase of functions“ (Grimm 1986) lautet die treffende Diagnose. 

In der gegenwärtigen Krisenrealität findet wieder ein Paradigmenwechsel statt weg von der neoliberalen Ära der ‚Staatsfeinde‘ hin zum ‚big government ‚ und keynesianischen Staat der Schuldenaufnahme. Selbst im liberalen Amerika wagt Biden einen großen ‚Wumms‘ mit seinem 2 Billionen-Programm. Die Fehler liegen nicht auf der Seite einer seriösen und differenzierten Staatstheorie, sondern die Mängel sind in Deutschland ganz konkret und alltäglich offenkundig geworden. Das Selbstbild des Organisations- und Verwaltungsweltmeisters hat mittlerweile durch das Krisenmanagement der Pandemie bis in die staatstragenden Schichten hinein Risse bekommen durch: 

1) Überregulierung 

2) Hang zur staatlichen Feinsteuerung 

3) Rückstand bei der Digitalisierung 

4) Risikoaversion 

5) Grundsatzdebatten statt Tempo (etwa beim Impfen) 

(NZZ, 26.3.2021, S.13) 

Diese zum Teil schon länger bekannten Selbstblockaden lassen sich auflösen. Das große Wort dafür lautet: „Kulturwandel der Politik“ (Laschet). Dahinter verbergen sich Haltungen wie Ängstlichkeit, Unselbständigkeit und Unsicherheit. Der lernfähige Staat, der einer lernfähigen Demokratie entspricht, enthält sowohl Elemente des herkömmlichen Rechts- und Sozialstaats als auch Elemente eines neuen Moderator-Staates, der sich über die klassische Form hoheitlich-souveränen Handelns hinaus auf der Basis von Gesetzen und öffentlich-rechtlichen Normierungen diversifiziert. 

Die sozialwissenschaftliche Steuerungstheorie (Scharpf, Mayntz, Willke u.a.) hat die Politik- und Staatsvorstellungen erheblich differenziert, dennoch verschwindet die Politik, die strukturell über den neuzeitlichen souveränen Staat läuft, nicht. Sie wird auch nicht obsolet, im Gegenteil wird sie in gewissen Bereichen, etwa der inneren Sicherheit, angesichts neuer Herausforderungen von Terrorismus und Kriminalität sogar aktueller. Hier ist im Laufe der Zeit ein „demokratisch legitimiertes und rechtsstaatlich kontrolliertes Verfahren der Politik hervorgebracht worden, welches hinsichtlich der klassischen Staatsaufgaben der ‚guten Polizey‘ besser funktioniert als jedes andere System“ (so Willke, Systemtheorie entwickelter Gesellschaften, 1989, S.128). 

Diese Aufgaben sind grundlegend, handelt es sich doch um die Sicherung des Gewaltmonopols, die Durchsetzung der Rechtsordnung, die Steuerhoheit, zentrale Verwaltungsaufgaben u.a. Versagt hier der Staat, dann versagt die gesamte Politik. Geändert haben sich im Lauf der Zeit freilich die gesellschaftliche Komplexität und Differenziertheit, auf die sich Politik- und Staatstheorie heute beziehen müssen. Der moderierende und kooperative Staat von heute steuert komplizierter, nämlich ebenso indirekt und in Netzwerken. Er kann auf diesem Wege auch eine bürgergesellschaftlich beauftragte Politik der Staatsentlastung betreiben, was freilich erst recht einen Primat der Politik und einen starken vertrauenswürdigen Staat voraussetzt, der seine Grenzen kennt – einen lernfähigen reflexiven Staat. 

Laschet ruft mit seinem Modernisierungsjahrzehnt eine Zeit der Macher/innen auf allen Gebieten aus, sie sollen durch Bürokratie nicht erstickt, sondern unterstützt und gefördert werden. Auf Technologiepolitik und beschleunigte Verfahren wird gesetzt. Start ups sollen sogar ein bürokratiefreies Jahr bekommen, nicht nur Freiräume. Privilegien von Staats wegen soll es geben. Laschet träumt von der „Aufsteigerrepublik“, sein Beispiel ist der Biontech-Gründer, der mit vier Jahren als Arbeiterkind aus der Türkei nach Deutschland kam und als Erster seiner Familie ein Gymnasium in Köln besuchte. 

Sein Lob der Macher/Innen versteht er gewagt als “ Übersetzung des christlichen Menschenbildes ins 21. Jahrhundert“. So wichtig der Staat ist, so sehr geht es hier um die Absetzung von einem allzu bequem gewordenen Wohlfahrtsstaatsbürgertum und einer vermeintlich alternativlos gewordenen Politik. Für eine erste Diskussionsrunde nach der Grundsatzrede schaltet sich Laschet exemplarisch Macher/innen zu: die Schuldirektorin Sandra Gockel aus Dresden, die erläutern kann, wie Digitalisierung an der Schule funktioniert; die Vereinsgründerin Mariella Hansch, die Plastik aus Flüssen herausholt; den bekannten Unternehmer Werner, der für seine Drogeriekette Testangebote entwickelt hat, ohne auf den Staat zu warten; sowie den Gewerkschaftschef Vassiliadis von der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie. 

Selber machen, nicht outsourcen. Durch die Krise sind Abhängigkeiten wieder schmerzhaft bewusst geworden, beispielsweise in der Arzneimittelherstellung von China. In Europa stand einst die älteste Apotheke, in Dubrovnik, heute soll Europa wieder die „Apotheke der Welt “ werden. Und Europa wird beweisen, dass man selbst Stahl grün herstellen kann. Deutschland wird grüne Wasserstoffnation Nr.1 werden und so weiter, das Träumen ist auch in der Politik erlaubt, nur mit den Versprechungen muss man vorsichtig sein. Auch eine Republik der Chancen kann aufgrund von Neid, Ressentiments und politischer Polarisierung zu einem ‚Krieg aller gegen alle‘ werden. Die Ansteckung zum Reichtum liegt in der Dialektik der eingebildeten Gleichheit beschlossen, da der Wunsch nach Gleichheit „um so unersättlicher wird, je grösser die Gleichheit ist“ (Tocqueville, ll/204). 

Laschet will „Klimawohlstand“, er will dafür Klimaschutz und Wachstum miteinander verbinden, nicht durch Bürokratie, sondern durch Innovation und marktwirtschaftliche Instrumente, was eine Spitze gegen die Grünen sein soll, obwohl diese ordoliberal von einem Ordnungsrahmen für eine sozialökologische Marktwirtschaft sprechen. Staat, Wirtschaft und Ökologie sollen neu justiert werden, „Vorfahrt für Zukunftstechnologie“ lautet das Motto. Sozialer Zusammenhalt und gute Arbeit werden zwar erwähnt, stehen aber nicht im Zentrum wie bei der SPD, deren Stammland NRW einst war. 

Ebenso wird das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 zwar erwähnt, dennoch gewinnt man den Eindruck, die Klimapolitik werde ebenso wie andere ökologische Themen wie Artensterben, Flächenverbrauch, Landwirtschaft, Ernährung, Tierwohl u.a. gleichsam den Grünen überlassen. Dabei wäre schon für die proklamierte geistig-moralische Wende 1982 von Helmut Kohl – in Reaktion auf die Folgen von 1968 – die Ökologie ein wichtiges konservatives Thema für eine Partei gewesen, die das große ‚C‘ und damit die Bewahrung der Schöpfung im Namen trägt. Dieser Zug ist gründlich verpasst worden. 


Gegenüber Laschets Stichworten mehr oder weniger aus seiner Regierungspraxis in NRW ist das Wahlprogramm der Grünen von heute ersichtlich lange vorbereitet, thematisch umfangreicher und weit detaillierter. Das hat Vor- und Nachteile. Für die Kritiker steht bereits fest, dass sie „mit Quoten und Verboten ins neue Deutschland gehen wollen?“ (NZZ) Es ist aber auch klar und auf 137 Seiten nachlesbar, dass sie regieren wollen und dafür Vorschläge machen, die sich an neuen Aufgaben ausrichten. 

Es steckt bereits in „Deutschland. Alles ist drin“ viel grüne Regierung drin, obwohl man in Koalitionen das Beste aus Gegensätzen herausholen will, was auch ein guter Gedanke ist. In Absetzung zu Laschets Ausführungen kann man das Programm auf folgende Stichworte bringen, die zugleich am meisten für Kontroversen sorgen werden: Mehr Klimaschutz, schnellerer Kohleausstieg, mehr staatliche Investitionen in Infrastruktur und mehr Schulden. 

Die Grünen wissen, weshalb sie regieren wollen. Sie sind nicht mehr grün hinter den Ohren. Grün hat bereits über viele Jahre gewirkt, und die Gesellschaft hat durch Katastrophen gelernt. Die Jugend fordert heute lautstark und zurecht Zukunftsverantwortung ein, die nicht vertagt werden kann. Die Klimaziele des Pariser Abkommens und die europäischen Vorgaben sind für die Grünen nicht mehr verhandelbar, ansonsten sind sie in der Regierung überflüssig (Habeck). Sie sprechen inzwischen von „unserer Staatlichkeit “ und sind mithin staatstragend geworden und gleichermaßen in vielen Punkten radikal geblieben. Das deutet auf eine neue grüne Hegemonie hin. Die Grünen können nicht mehr als ‚rote Socken‘ aus der bundesrepublikanischen Politik ausgegrenzt werden. 

Die Coronakrise hat für sie gezeigt, „wie viel unser Staat leistet – und wo es mangelt“ (S.136). Sie sprechen vom lernenden Staat (S.89) und wollen einen starken und effizienten Staat und nicht wieder zurück in die alten unfruchtbaren Debatten ‚mehr oder weniger Staat‘, ‚regieren oder nicht regieren‘. Ein Regieren auf Augenhöhe mit den Herausforderungen der Zukunft ist nur mit einem guten Staat möglich, der zu den differentiellen Vermögensbeständen der Demokratie zählt. Lernfähiger Staat und lernfähige Demokratie müssen sich dabei ergänzen, wenn es tatsächlich um eine bessere demokratische Regierbarkeit gehen soll. 

„Wir können es besser “ gilt sicher für die vielfältige Bevölkerung in Deutschland. Dafür braucht sie Freiheit und Chancen. Freiheit ist für eine aktive Gesellschaft nicht das Problem, sondern die Lösung. Nur fehlt immer öfter, selbst an Hochschulen und in der Kultur, die Toleranz dafür. Der Streit um die besten Lösungen ist zivil und demokratisch auszutragen, Zuhören und Argumentieren sind Voraussetzungen dafür. Die Parteien machen Vorschläge und bilden nach erfolgten Wahlen Regierungskoalitionen, die immer schwieriger werden. 

Regierungskonsense, Verfahrenskonsense und Verfassungskonsense sind allemal notwendig, aber nicht selbstverständlich. Jede Partei, die eben buchstäblich nur einen Teil der Gesellschaft bildet (pars), meint es besser zu können und versucht, andere mit Leidenschaft und Sachlichkeit, die sich nicht ausschließen, zu überzeugen. Ob die CDU nach langen Regierungszeiten es immer noch besser kann, erscheint im Moment eher fraglich. Ob die Grünen es besser können, wird sich zeigen. Zuzutrauen ist es ihnen. Die Ambition, die Vorbereitung und das Personal ist da. 

Politische Aufklärung findet ihre Anlässe in der Gegenwart, es ist eine Aufklärung mit Wirklichkeitssinn, zu der Handeln-Wollen und Handeln-Können, Handlungsoptimismus und Handlungsmut gehören. Der Zweckoptimismus politischer Aufklärung bezieht sich auf eine veränderbare Realität, gleichzeitig müssen nicht nur Realitäten zur Kenntnis genommen, sondern es muss mit ihnen auch umgegangen werden. Die Wirklichkeit kommt vor der Sprache. Aufklärung, die vor der politischen Aufklärung steht, kann und muss die facettenreiche Realität in vielen Teilen auch so lassen, wie sie ist. 

© Olaf Kosinsky Olaf Kosinsky creator QS:P170,Q30108329 , 2018-12-07 Armin Laschet CDU Pateitag in Hamburg-2494CC BY-SA 3.0 DE