Ist der Krieg noch zu gewinnen für die ukrainische oder die russische Seite? Wie geht die Entscheidungsschlacht um die Festung Kiew aus? Selenskyj will in der Hauptstadt bleiben,
die Kampfmoral des ukrainischen Widerstands ist ungebrochen, der Orts- und Häuserkampf wird einen hohen Blutzoll erfordern, wie alle Militärs wissen; „hässliche Kämpfe“ stehen bevor (CIA, 9.3.).
Wird Putin sein Kriegsziel erreichen? Es gibt Probleme, logistische und solche aufgrund der militärischen Gegenwehr, aber kein Desaster für seine Armee. Das russische Fernsehen zeigt unaufhörlich Siegerbilder. Der Wirtschaftskrieg kann den akuten Krieg nicht stoppen, so schlimme Folgen er hat. Präsident Biden beschließt jetzt auch ein Ölembargo. Wird Deutschland nachziehen? Täglich werden in Zeiten des Krieges so genannte rote Linien überschritten, man kann nichts ausschließen.
Kommt es zu einem militärischen Patt, so dass Kompromisse bei Verhandlungen gefunden werden müssen? Am 9. März meldet die Ukraine den bisherigen Beschuss von 61 Krankenhäusern, wir haben leider keinen Grund, es nicht zu glauben. Auch die so wichtigen Fluchtkorridore für die Zivilisten sind militärstrategisch ambivalent, wie wir aus vielen Kriegen wissen. Russland zerstört gerade vor den Augen der Welt die Ukraine mit immensen Folgeschäden. Vielleicht kommt es zu einem Frieden, in dem die Ostukraine ein Teil Russlands wird.
Die Ukrainer wiederum glauben an den Sieg, sonst würden sie nicht kämpfen. Selenskyj setzt aber auch auf Verhandlungen, die vorbereitet werden müssen: „Wir sind Realisten.“ Kompromisse sind möglich, etwa bezüglich dem Donbass oder die Krim (8.3.). Sogar eine Neutralität wird ins Spiel gebracht. Über die Nato hingegen ist man enttäuscht, die Liebe zu ihr hat sich merklich abgekühlt. Lawrow wiederum will zurück zur friedlichen Koexistenz des Kalten Krieges.
Putin zieht seinen Krieg durch und vertraut auf die Professionalität seiner Berufsmilitärs. Und die Nato will helfen, ohne einzugreifen. Das wird – obwohl als rote Linie deklariert -schwieriger angesichts dessen, was mit jedem Tag und jeder Stunde brutaler wird und militärstrategisch im Blick auf die massive Aufrüstung Chinas, das den „Konflikt“ genau beobachtet: „Es gibt Schlimmeres als die Angst vor dem Atomkrieg“ (Ben Hodges), wohlverstanden die Angst, die eine reale ist! Siehe auch das Buch des ehemaligen amerikanischen NATO-Generals, der schon frühzeitig vor der russischen Militärexpansion gewarnt hat: Future War and the Defence of Europe, Oxford University Press 2021.
„Si vis pacem, para bellum“ (wenn du den Frieden willst, so bereite den Krieg), so lautet ein bekanntes römisches Sprichwort, ein Gedanke, der sich schon bei Platon in den ‚Nomoi‘ findet. Wie weit wird Putin gehen? Seine unverhohlen beängstigenden Drohungen sind an ein westliches Publikum gerichtet. Blufft er, wie schon Saddam Hussein oder Gaddafi oder wie er selbst damals 1989 vor der KGB- Zentrale in Dresden? Was ist Rhetorik, und worauf muss man sich einstellen. Was steckt dahinter? Lässt man sich einschüchtern, so gewinnen Leute wie Putin. Ahnungslos dürfen wir nicht bleiben.
Während die patriotischen Kämpfer in der Ukraine um ihr Land und ums Überleben kämpfen, hat der Westen und seine Bevölkerung Angst vor einem bevorstehenden Atomkrieg. Auch hierzu gibt es wichtige Unterscheidungen und neue Unbekannte, über die man jetzt reden muss. Zwischen strategischen und taktischen Atomwaffen ist ebenso zu unterscheiden, wie zwischen Defensiv- und Offensivwaffen, obwohl die Unterscheidung unter manchen Aspekten fragwürdig und künstlich geworden ist. Nach meinem Wissen verfügen die Russen (noch) über keine Mini-Nukes, dennoch gibt es gefährliche Unbekannte auf dem Gefechtsfeld wie zum Beispiel sogenannte Hyperschallwaffen, die durch die herkömmliche Flugabwehr nicht mehr erreicht werden können.
Und vieles andere, was wir als Laien nicht genau wissen. Russland jedenfalls hat in die Modernisierung der Armee voller Stolz investiert, China tut dies gegenwärtig in noch weit höherem Masse und auch die USA werden ihren Verteidigungshaushalt weiter aufstocken. Wie können normale Demokraten und gewählte Politiker, Parlamente und Regierungen mit diesem Wissen umgehen? Was können sie tun? Man muss diese Fragen jetzt diskutieren und bedenken, bevor es zu spät ist: die Zeit in einer Krisensituation und erst recht die Kriegszeit sowie die Zeit auf dem Gefechtsfeld ist eine andere. Es bleibt dann keine Zeit mehr.
Am 9. März erteilt das Pentagon der Übergabe von polnischen Kampfjets, die wieder und wieder von der Ukraine gefordert worden sind, eine Absage. Am selben Tag, während sich die russischen Kräfte neu formieren und versuchen weiter voranzukommen, wird mit Spannung ein Statement von Lawrows rechter Hand im Außenministerium Maria Sacharowa erwartet. Sie erhebt schwere Vorwürfe gegen das „Kiewer Regime“ und die USA, biologische Waffen im „postsowjetischen Raum“ entwickelt zu haben, was gegen die UN-Konvention verstoße. Das Ganze ist Teil des Informationskrieges.
In der Pressekonferenz kündigt Sacharowa des Weiteren ebenso überraschend an, dass Russland keinen Umsturz, mithin einen Systemwechsel in Kiew plane. Wie glaubwürdig diese plötzliche Änderung des Kriegsziels ist, weiß man nicht. Damit wäre die Staatlichkeit der Ukraine anerkannt, wenn auch eine begrenzte Souveränität wie zu Breschnews Zeiten. Das Statement dient freilich der Vorbereitung der Gespräche am 10. März in der Türkei, wo viel taktiert werden wird. Auch diese Verhandlungen sind Teil des Krieges, der parallel weiter läuft und sich noch lange hinziehen kann – auf dem Weg zum Frieden. Was kann Selenskyj und seine Bevölkerung dabei akzeptieren, die den Glauben an den Sieg nicht verloren haben?
Für den 10. März sind zum ersten Mal seit Beginn des Krieges Verhandlungen auf Regierungsebene zwischen Außenminister Lawrow und Außenminister Kuleba in der Türkei bei Antalya vorgesehen – nicht Genf, sondern die Türkei. Der Ort ist gut gewählt, denn die Türkei Erdogans unterhält ausgezeichnete Beziehungen zu Putin und hat zugleich der Ukraine frühzeitig militärisch wirksame Drohnen geliefert, mehr als der Westen zusammen.
Bildnachweis: Collage, IMAGO / SNA und Ukrinform