Wege zu einem schwierigen Frieden

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Gegen Ende des Jahres 2024, was man kaum mehr für möglich gehalten hätte, intensiviert sich der Krieg in der Ukraine noch einmal, auf beiden Seiten. Die ukrainische Bevölkerung ist dabei einem flächendeckenden Zerstörungs- und Zermürbungskrieg ausgesetzt, der in den dritten harten Winter geht und zunehmend erschöpft.

Die lange Frontline im Donbass ist unter gewaltigem Druck. Die russische Militärwalze rückt unaufhaltsam vor, unter riesigen Verlusten zwar, man schätzt 1000 bis 2000 Tote täglich, aber kaum noch zu verteidigen. Die ukrainische Infanterie hat nicht nur zu wenig Munition, sondern vor allem zu wenig frische Soldaten, um diesem Ansturm noch lange gewachsen zu sein.

Riesige Mengen von amerikanischen Antipersonenminen werden ihn auch nicht aufhalten. In der Region Donezk rückt Russland sogar schneller vor denn je. Wird der Verkehrsknotenpunkt Kurachowe schließlich erreicht, so ist der Weg nach Westen frei und damit auch das größte Lithiumfeld sowie das größte Steinkohlebergwerk, das noch in Betrieb ist, in unmittelbarer Griffnähe. Beides ist wirtschaftlich von größter Bedeutung für die Ukraine.

Das akute Personalproblem ist seit den Tagen des ehemaligen populären Oberbefehlshabers Saluschny bekannt, der es frühzeitig, offen und ehrlich ansprach. Die kämpfenden Truppen sind ohne Rotation mittlerweile erschöpft, und schnell ausgebildete Soldaten in den extrem verlustreichen Kampf zu schicken, ist mehr als verantwortungslos. Solche Feldschlachten sind nichts für Rekruten.

Das hat jüngst (27. November) zur geradezu verzweifelten amerikanischen Empfehlung von außen geführt, das wehrfähige Alter von 25 auf 18 Jahre herabzusetzen, was die politische Führung in Kiew prompt zurückweisen musste. Es ist ein Spiegel der furchtbaren Tragödie von innen.

Kiew verlangt weiterhin mehr Waffen statt junge Soldaten. Selenski pocht bereits auf die Lieferung weiterer F-16, die eine anspruchsvolle Infrastruktur und Ausbildung erfordern. Kein Waffensystem allein ist jedoch der erhoffte Gamechanger, allein im Verbund der Waffen und in großer Zahl können sie kriegsentscheidend sein. Israel führt es vor.

Die überraschende Kursk-Offensive im August scheint zu verpuffen und bindet die ohnehin schon knappen Ressourcen. Selenski geht davon aus, dass Putin den Krieg nicht beenden will, es sei denn zu seinen Bedingungen. Auf dem Schlachtfeld hat er gegenwärtig die Oberhand.

Allerdings sind die reichweitenstarken Waffen, welche die Amerikaner (Atacms) und die Briten (Storm shadow) auch für das russische Hinterland freigegeben haben (obwohl sie schon vorher wirkungsvoll auf der Krim eingesetzt worden sind), mehr als Nadelstiche. Sie machen Putin zunehmend nervös.

Putin hat darauf mit seiner Mittelstreckenrakete ‚Oreschnik‘ in Dnipro reagiert. Er nannte sie eine „experimentelle Rakete“, die er nun in Serienproduktion herstellen will. Die droht er, auch auf Entscheidungszentren in Kiew einzusetzen. 

Schwere Eskalationen gibt es mithin am laufenden Band. Möglich, dass sich das Zeitfenster für eine erfolgreiche militärische Unterstützung von außen zu schließen beginnt, wenn Russland den Druck aufrechterhält, den es offensichtlich bis Weihnachten noch zusätzlich erhöht. 

Auch in Europa mehren sich problematische oder negative Anzeichen: in Rumänien, Georgien, Moldau, Ungarn, Slowakei und Serbien sowie Bulgarien. Auch Deutschland bewegt sich innenpolitisch zu neuen außenpolitischen Konstellationen. Welche Kräfte welche Ängste zu welcher Zukunftsfähigkeit bündeln können, bleibt offen. 

Am 23. Februar 2025 werden wir mehr wissen. Krieg und Frieden sind auf jeden Fall wieder ein zentrales Thema. Genauso in Frankreich, dem zweiten großen Flächenstaat in Europa mit lediglich rhetorisch großen Plänen für Europa, Afrika und die Welt.

Nordkoreanische Truppen agieren bereits im Ukrainekrieg, und das Land sichert Russland „volle Unterstützung im Kampf gegen die Imperialisten“ zu, China und Iran schauen zu und unterstützen mit Waffen. Auf welche Reaktionen stoßen sie im Westen? Oder ist das eine Blaupause für Taiwan? Putin testet die Psyche der Europäer (Spiegel), deren Abwehrfront er zu durchlöchern versucht.

Auch der syrische Bürgerkrieg seit 2012 ist wieder aufgeflammt, und die Millionenstadt Aleppo erneut in den Schlagzeilen wie schon 2016. Assad war gerade in Moskau, um dringend Hilfe zu erbitten. Russland wird mehr Kampfjets liefern, Syrien ist als militärischer Stützpunkt wichtig für Russlands geopolitische Ambitionen in Afrika. Auch dieser Krieg hat größere Dimensionen.

Iran und Irak unterstützen ebenfalls Assad, während die Kurden einmal mehr, zwischen allen Fronten, gegen die Dschihadisten kämpfen. Möglicherweise können sich die Türkei und Russland auf einen Waffenstillstand einigen in dieser kriegsversehrten Region. Erdogan spielt einmal mehr sein zynisches Machtspiel.

Trump versprach am ersten Tag seiner Präsidentschaft am 20. Januar den Krieg zu beenden, indem er mit Putin sprechen würde, während Putin und Biden sich gegenseitig hassten. Trump hat den ehemaligen General und Vietnamkrieg-Veteran Keith Kellog, der immer für offene Gesprächskanäle war, zum Sonderbotschafter für diese Frage ernannt. Dieser hat zweifellos als seit langem loyaler Gefolgsmann das Ohr seines Chefs. Als Krieger, der den Kalten Krieg durchlebt hat, wird der 80-Jährige auch die Ukraine nicht fallen lassen.

Kellog und Co. haben bereits im April für einen konservativen Think-Tank einen Plan erarbeitet für mögliche Friedensverhandlungen. Demnach sollen die gegenwärtigen Frontlinien des Krieges eingefroren werden und ein 20-jähriges Nato-Moratorium für die Ukraine gelten. Die Ukraine wird dabei Gebiete abtreten müssen, was nach einer koreanischen Lösung aussieht.

Die amerikanische Stärke soll Putin zu Friedensverhandlungen zwingen, Frieden durch Stärke! Und dabei die Interessen Amerikas wahren. Die konkreten Details werden es bei einer so langen demilitarisierten Frontlinie (mehr als 1000 Kilometer), die zuverlässig überwacht werden muss, in sich haben. 

Ihnen lässt sich jedoch nicht vorgreifen. Sie werden Thema der schwierigen Verhandlungen sein, die sich hinziehen können und für die absehbar auch enorme Aufgaben auf die Europäer zukommen werden.

Selenski äußerte am 29. November, „dass Putin Trumps Friedensverhandlungen sabotieren will“. Er kann seine Kriegswirtschaft 2025 und länger noch aufrechterhalten, in diesem Jahr wollte Selenskis ‚Siegesplan‘ ursprünglich den Krieg beenden. Jetzt spricht er auch von einem möglichen diplomatischen Ende durch Verhandlungen und setzt dabei auf Trump, wie nicht wenige in der ukrainischen Bevölkerung auch. 

Dafür bietet Selenski dem Dealmaker Erdgas und Lithium-Schätze an, die auch Musk interessieren werden. Er will Trump auf seine Seite ziehen. Die persönlichen Beziehungen zwischen Trump und Selenski werden ebenso eine Rolle spielen wie die Gespräche zwischen Putin und Trump. Das ist bei dieser Art der Krisenkommunikation auf höchster Ebene nicht zu unterschätzen. 

Das klingt banal, ist es aber nicht. Natürlich muss man ebenso den Hintergrund der Beratungskulturen, die Thinktanks, Stäbe, Nachrichtendienste, Spindoktoren, Pläne etc. beachten, was für Nichtprofessionelle schwieriger ist. Der inzwischen inflationär gebrauchte Terminus „Narrative“ verweist zudem verräterisch auf die Zuverlässigkeit und Validität dieser Räte, die sich in Heerscharen anbieten. Die Konkurrenz ist groß.

Es scheint so, dass sich Selenski den Plänen von Kellogg proaktiv anpasst, um einen Waffenstillstand zu erreichen, den er zugleich mit der Maximalforderung verknüpft, die Nato-Mitgliedschaft herausholen zu können. Anfangs Dezember verlangt er Nato-Schutz für den unbesetzten Teil der Ukraine.

Die estnische Politikerin Kaja Kallas warnt derweil als frisch gewählte EU-Außenbeauftragte am 1. Dezember bei einem Solidaritätsbesuch in Kiew Trump vor der Abtretung von Gebieten, die im großen geopolitischen Krieg nur China, Nordkorea und dem Iran zugutekommen würden. Das ist ein anderer Stand als noch auf dem Nato-Gipfel in Vilnius 2023.

Selenski rechnet seinerseits offenbar mit der durchaus realistischen Annahme, dass Russland einem Waffenstillstand nicht zustimmen wird, jetzt, wo es militärisch im Vormarsch ist.
Dies müsste dann den besonderen amerikanischen Druck hervorrufen, welcher schon auf die nordkoreanische Eskalation hin ausgesprochen wurde – als „harte Antwort“ (Blinken), die nur die USA geben können. Insofern wäre dann tatsächlich eine Vorkriegssituation (horribile dictu) erreicht, die bei einer Politik der Stärke erst recht weitere Waffenlieferungen an die Ukraine zur Folge hätte. 

Trump wird mit den Verbündeten, außer mit den Briten, bei strategischen Entscheidungen keine große Rücksprache nehmen. Für weitere Waffenlieferungen werden sie jedoch bezahlen müssen. Tun sie seiner Ansicht nach zu wenig, so kann er den Europäern die Schuld für die Niederlage der Ukraine zuschieben. Das wird auch die transatlantischen Verhältnisse zerrütten, was ein strategischer Erfolg Russlands wäre. Putin spekuliert ohnehin auf das Auseinanderdriften von EU und Nato.

Auf die Belastbarkeit von EU-Europa, zumal Deutschland und Frankreich gleichzeitig schwächeln und unter ähnlichen Problemen leiden, kommt einiges hinzu. Frankreich schlittert in die Unregierbarkeit, und Deutschland steht davor.

Auch ihre wirtschaftliche Entwicklung zieht Europa herab, was ein Novum ist, während sich militärisch-politisch ein neues Kraftzentrum in Gestalt einer antirussischen Ostseeallianz mit Polen, Skandinavien und dem Baltikum herausbildet, das in punkto Verteidigungsfähigkeit entschlossen vorangeht. 

Entscheidend wird sein, dass Europa an der Seite der USA bleibt, egal, welche Administration dort gerade regiert.

Bildnachweis: IMAGO / NurPhoto