‚Strukturierte Bürgerbeteiligung‘ hieß das Modellprojekt, welches 2013 in der Stadt Potsdam gestartet wurde. Dabei ist von vornherein zwischen formeller, gesetzlich verankerter, mithin vorgeschriebener Beteiligung und informeller, freiwilliger Beteiligung zu unterscheiden. Letzteres boomt zurzeit in Deutschland unter dem verbreiteten Titel ‚Bürgerbeteiligung‘ seit den Ereignissen um ‚Stuttgart 21‘, die 2010 eskalierten. Beteiligung ist jedoch seit längerem ein selbstverständlicher Bestandteil vor allem städtischer Planungsverfahren geworden. Es liegen also vielfältige Erfahrungen vor, dennoch gleicht Beteiligung heute in den meisten Städten „einem bunten, beinahe zufällig zusammengesetzten Mosaik, in dem Wegweiser fehlen und der Überblick nur schwer herzustellen ist. Von einer umfassenden guten Praxis und einer bundesweit verbreiteten neuen Beteiligungskultur kann (…) deshalb nicht gesprochen werden“ (Bock/Reimann 2017:12).
Mit dem Wort ‚strukturiert‘ wird auf den Anspruch hingewiesen, dass es dabei nicht um einzelne Projekte der Bürgerbeteiligung geht, sondern dass ein systematischer Aufbau und eine verbindliche Struktur gesucht werden, die sich auf die Stadt als Ganzes beziehen sowie unterschiedliche Themenbereiche wie integrierte Stadtentwicklung, Verwaltung, Politik und Bürgerschaft enthalten können. Bei der Bürgerbeteiligung in diesem weiten Sinne geht es auch um eine Auseinandersetzung darüber, wer das Gemeinwohl wie vertritt: Weder das Expertenwissen für technische Lösungen noch das Herrschaftswissen der Berufspolitiker allein kann dies für sich in Anspruch nehmen. Vielmehr spielen die Bürgerschaft bzw. der Bürger und die Bürgerinnen als Beruf wieder eine Rolle. Doch was kann das heißen? Sie haben ja noch andere Berufe und Rollen zu erfüllen.
Es müssen deshalb neue Wege für eine Bürgerkommune als Beteiligungskommune gefunden werden. Dazu sind mutige Experimente und langwierige Lernprozesse von allen Seiten nötig. Seit der Einführung eines Bürgerhaushalts 2005 geht die Stadt Potsdam diesen Weg. Nach der Oberbürgermeisterwahl von 2010 sollte das Thema ‚Bürgerbeteiligung‘ an die vorderste Stelle rücken. Dazu beauftragte der Oberbürgermeister eine breit zusammengesetzte Arbeitsgruppe, die am 14. September 2011 ein Arbeitspapier unter dem Titel „Bürgerbeteiligung – ein Streitfeld zwischen Regierungskunst und Basisaktivierung“ vorlegte. In einer gut besuchten Veranstaltung mit mehr als 100 Teilnehmern im Kongresshotel wurde es öffentlich vorgestellt und diskutiert. Anwesend waren Politiker, Leute aus der Verwaltung und bereits Aktive im Bereich der Bürgerbeteiligung. In der Folge dieser Veranstaltung, die kontrovers verlief, gründete sich auf Vorschlag des Oberbürgermeisters eine weitere, nun nicht primär von Experten und Professionellen zusammengesetzte Arbeitsgruppe ‚Bürgerbeteiligung‘ zur Überarbeitung des vorgeschlagenen Konzepts, das folgende Vorschläge enthielt:
- die Idee eines Büros für Bürgerbeteiligung (S. 7 ff.)
- die Bereitstellung einer Online-Dialog-Plattform (S. 12 ff.)
- Bürgerdialoge vor Ort (S. 17 f.) (sie werden später wieder aufgenommen für den Leitbildprozess und die Stadtteilspaziergänge des Oberbürgermeisters)
- die Einrichtung von Stadtteilfonds für eine niedrigschwellige Beteiligung
- die regelmäßige Durchführung von repräsentativen Bürgerbefragungen.
Viele begrüßten diese Vorschläge, manche fühlten sich aber auch bei ihrer Erarbeitung übergangen. Es waren vor allem schon bei der Bürgerbeteiligung aktive Leute, sie wollten nicht, dass wieder ein Konzept ‚von oben‘ vorgestellt wird. Also fand am 29. Oktober desselben Jahres eine Open-Space-Konferenz im Bürgerhaus am Schlaatz statt. Die Ergebnisse dieser Konferenz wurden durch eine neue Arbeitsgruppe ausgewertet. Am 4. Mai 2012 präsentierte die Arbeitsgruppe ‚Bürgerbeteiligung‘ ihre Ergebnisse im Potsdamer Hauptbahnhof. Im Nachgang zu dieser ebenfalls gut besuchten Veranstaltung, an der auch der Oberbürgermeister und der Vorsitzende der Stadtverordnetenversammlung teilnahmen, wurde das revidierte neue Konzept in die Stadtverordnetenversammlung eingebracht und dort im Hauptausschuss beschlossen.
Das Konzept enthält im Wesentlichen drei Bestandteile (Jakobs/Kleger 2014): Erstens die Grundsätze der Bürgerbeteiligung wie Verbindlichkeit, frühzeitige Einbeziehung, Informationsbereitstellung, Aktivierung, Gleichbehandlung u. a. Der zweite Bestandteil besteht im Büro für Bürgerbeteiligung (welches jetzt ‚Werkstatt für Beteiligung‘ heißt), welches eine externe Seite hin zur Zivilgesellschaft, mithin zu Bürgerinitiativen und Projekten hat, sowie eine interne Seite im Rahmen der Stadtverwaltung. Diese Werkstatt bildet die Schnittstelle zwischen der Verwaltung und den Einwohnern. Es ist zum einen ein Kompetenzzentrum für die Verwaltung, und es übernimmt zum anderen Hilfestellungen zur Durchführung von Beteiligungsprojekten. Insbesondere soll es dabei im Sinne der Basisaktivierung (Bottom-up-Ansatz) um die Mobilisierung und Vernetzung innerhalb und zwischen den verschiedenen Stadtteilen, was Bürgerbeteiligung von unten betrifft, gehen. Die Mitarbeiter der Werkstatt dienen als Ansprechpartner für die Bürgerschaft. Die Werkstatt sieht sich als neutrale professionelle Kraft, welche vor allem für die Prozessqualität der Beteiligung verantwortlich ist. Ein paar Beispiele aus dem Verfahrensmonitor verdeutlichen, worum es dabei inhaltlich geht:
- es geht zum Beispiel um die Begleitung der Initiative ‚Kultur-Lobby‘;
- um die Bürgerbeteiligung zum Freiraumkonzept Golm;
- um eine aktivierende Befragung Am Stern
- um die Begleitung der Erstwählerkampagne 2014;
- um die Unterstützung der Stadtteilkonferenz ‚Neue Nachbarschaften‘ sowie zum Beispiel
- um die Fortschreibung des Radwegekonzepts unter Einbeziehung des Blickwinkels von Kindern und Jugendlichen.
Dies sind nur einige Beispiele unter vielen. Der dritte Bestandteil des Modellprojekts ist der Beteiligungsrat. Er begleitet die Arbeit der Werkstatt und ist ein Beratungsgremium für die Stadtverordnetenversammlung im Hinblick auf die weitere Entwicklung der strukturierten Bürgerbeteiligung. Der Beteiligungsrat besteht aus 15 Personen: 2 Mitarbeitern der Stadtverwaltung, 2 Mitgliedern der Stadtverordnetenversammlung und 9 Bürger und Bürgerinnen Potsdams ab 16 Jahre; zudem können externe Experten herangezogen werden.
Im April bis Mai 2013 lief die Bewerbungsphase für diesen neu zu bildenden Rat. Am 28. Mai desselben Jahres fand die öffentliche Auslosung statt. Davor gab es eine Übergabeveranstaltung zwischen dem vorläufigen Beteiligungsrat, der vor allem aus Aktiven der Beteiligung für ein neues Beteiligungsverfahren hervorging, und dem nunmehr ausgelosten Beteiligungsrat, der inzwischen mit 2 Mitgliedern auch im Lenkungsgremium des neuen Leitbildprozesses 2025 vertreten ist. Am ersten November 2013 startete die Arbeit der Werkstatt für Beteiligung. Der Probelauf hat bis 2016 gedauert und wurde vom Deutschen Institut für Urbanistik in Berlin evaluiert (Bock/Reimann 2017).
Die Evaluation bildet aus Sicht des Autors einen eigenen, quasi vierten Bestandteil des Modellprojekts, denn sie erfolgte nicht wie üblich im Nachhinein, sondern schon während des Prozesses mit fünf Reflexionsrunden, zahlreichen Interviews und Zwischenauswertungen, die diskutiert worden sind und zu Nachbesserungen geführt haben. Ein Zwischenbericht lag schon 2014 vor mit einem Ausblick auf 2015. Die Evaluation war begleitend und dialogisch, was alle Teilnehmer zu schätzen wussten. Sie verfolgte den Ansatz, Theorie und Praxis miteinander zu verbinden. Das schwierige Zusammenspiel der unterschiedlichen Akteure (Trialogie) wurde offengelegt, diskutiert und verbessert. Die erste große Hürde des anspruchsvollen Probelaufs unter Zeitdruck ist inzwischen überwunden. Das Innovative der neu eingeführten Struktur wurde insgesamt als gelungen und richtungsweisend für eine weitere Verbesserung der Bürgerbeteiligung gewertet. Schwierigkeiten, die der abschließende Evaluationsbericht benennt, bleiben freilich bestehen, worauf im Folgenden eingegangen wird.
Innerhalb von drei Jahren galt es, eine neue experimentelle Struktur bestehend aus der originellen zweigliedrigen Werkstatt für Beteiligung und dem Beteiligungsrat aufzubauen, die ohne Vorbilder war, auf die man hätte zurückgreifen können. Erste sichtbare Spuren sollten in der Stadtgesellschaft, Verwaltung und Politik hinterlassen werden. 2016 bis 2020 ist dieser Druck gemildert worden, wie der Autor aus eigener Erfahrung als Experte im Beteiligungsrat weiß. Insgesamt sind die Beteiligungsangebote der Stadt gewachsen und der Bürgerschaft über Webseite und Newsletter besser vermittelt worden, worüber die neueste Broschüre des Beteiligungsrates einen Überblick gibt (2020). Er stellt noch einmal den Beteiligungsrat vor, der in der Stadt (im Unterschied zum Bürgerhaushalt) noch wenig bekannt ist.
Die Beteiligungsangebote und Kontaktmöglichkeiten sind aufgeführt: Bürgerdialog, Bürgersprechstunde, Bürgerhaushalt, Maerker Online, Stadtforum Potsdam, Beteiligung zur Bauleitplanung, SVV Online, Ortsbeiräte, Wahlen, Umfragen, Bürgerbegehren und Bürgerentscheide, das Kinder- und Jugendbüro, Potsdam Crowd, Nachbarschafts- und Begegnungshäuser, Werkstadt für Beteiligung. Der Newsletter zu den aktuellen Projekten kann kostenfrei abonniert werden: www.Potsdam.de/NewsBeteiligung. Die sieben Grundsätze für eine gute Beteiligung werden verständlich dargestellt, sie sollen genutzt werden für ein bewertendes Feedback, das insbesondere den Beteiligungsrat erreichen sollte, damit neue und verbesserte strukturierte Angebote weiterentwickelt werden können. Die 15seitige Broschüre unter dem Titel „Potsdam aktiv mitgestalten“ ermuntert dazu.
Die 7 Grundsätze der Beteiligung als Selbstverpflichtung und Bewertungsmaßstab sind vor allem von den bereits Beteiligungsaktiven am 4. Mai 2012 eingebracht worden.
Sie lauten:
- Verbindlichkeit von Beteiligungsprozessen;
- frühzeitige Einbeziehung;
- niedrigschwellige Informationsbereitstellung;
- angemessene Kommunikationskultur;
- Aktivierung von Einwohnerschaft, Politik und Verwaltung zur Beteiligung;
- fördern einer Anerkennungskultur;
- Herstellung von Chancengleichheit in Beteiligungsprozessen.
Die kursiv gesetzten Worte sind besonders wichtig und keineswegs selbstverständlich. Sie sind aber auch nicht von vornherein definiert und müssen deshalb für die Anwendungsfälle ständig interpretiert und konkretisiert werden. Interpretation, Definition ebenso wie Bewertung der Grundsätze bilden deshalb einen fortlaufenden Prozess der Beteiligten selber. In solchen Aufklärungsprozessen gibt es nur Beteiligte und keine Experten, welche die Bewertung vornehmen (bei aller sicher sinnvollen Professionalisierung und fortlaufenden Evaluation). Die geforderte, gewünschte und verbesserte Bürgerbeteiligung muss sich selber evaluieren. Selbstverständlich bleibt auch eine wirkungsvolle Bürgerbeteiligung (bei allem Grundkonsens, den sie braucht) politisch umstritten. Was ist zum Beispiel mit Verbindlichkeit gemeint? Was ist das Verbindend-Verbindliche im moralisch-politischen Sinne? Was sind die rechtlichen Möglichkeiten? Wie lassen sich diese verbessern? Was heißt ‚frühzeitig‘? Was heißt ‚niedrigschwellig‘? Bei diesen Fragen sind oft sehr konkrete Details (Raum, Zeit, Setting usw.) zu beachten, die gerne unterschätzt werden. Wie kann in diesem Zusammenhang der ‚sozialen Selektivität‘ entgegengewirkt werden? Mit welcher Sprache und Kommunikation? Welche Rolle spielen Emotionen dabei? Wann fühlt man sich ‚anerkannt‘? All diese Fragen und viele weitere sind berechtigt und werden bestehen bleiben. Wichtig ist, dass man sie nicht außer acht lässt und weiterhin an ihnen – im Setting und persönlich – arbeitet.
Die Evaluation ergänzt eine Innenperspektive mit einem Beobachtungsteil. Aus dieser Doppelperspektive misst sie den Erfolg des Modellprojekts, seine Schwierigkeiten und Nachsteuerungsbedarfe. Die große Frage für die Sozialwissenschaftlerinnen war, ob das Modellprojekt zu einer neuen kommunalen Beteiligungskultur beitragen konnte. Die Innenperspektive zeigt insgesamt eine positive, aber nicht überschwängliche Einschätzung (Seite 47): „Die drei Säulen des Modellprojekts werden nicht in Frage gestellt, sie werden als Einheit wahrgenommen und als wichtiger Schritt zu mehr Beteiligung erlebt. Die in einigen Gesprächen genannte anfängliche Skepsis gegenüber der Konstruktion oder den handelnden Personen konnte größtenteils ausgeräumt werden“ (Seite 49). Die drei Bausteine werden allerdings unterschiedlich wahrgenommen und wertgeschätzt. Die Grundsätze und der Beteiligungsrat stehen im Schatten der Werkstatt für Beteiligung, die für alle Seiten eine überraschend gute professionelle Arbeit erledigt hat. Bei ihrem Aufbau wurde sie allerdings in den ersten Jahren konstruktiv vom Beteiligungsrat unterstützt, was auch nicht außer acht bleiben darf. Neben den Schwierigkeiten der internen Kommunikation und Abstimmung zwischen der verwaltungsinternen Werkstatt für Beteiligung und der externen Werkstatt mit einem freien Träger, suchte vor allem der Beteiligungsrat seine Rolle.
Als wichtigster Kritikpunkt ist zu nennen, dass das Modellvorhaben in der Kommunalpolitik nur rudimentär zur Kenntnis genommen worden ist (Seite 50). Über neue Formate der Einbindung der Politik ist deshalb weiterhin nachzudenken (Seite 53). Das interne Büro konnte als Anlaufstelle etabliert werden, welches die Mitarbeiter der Verwaltung bei anstehenden Beteiligungsprozessen beriet und unterstützte, was zunehmend genutzt wurde und zu einer besseren Qualifizierung der Beteiligungsprojekte beigetragen hatte. Auch das externe Büro wurde zu einem wichtigen Ansprechpartner für die Verwaltung, um sozusagen die Tür zu den aktiven Gruppen und Bewegungen in der Zivilgesellschaft zu öffnen. Die Aktivierung und Unterstützung von Bottom-up-Prozessen muss jedoch gegenüber den Prozessen, die von der Verwaltung angestoßen worden sind, noch weiter ausgebaut werden. Die intensive Kooperation mit einem freien Träger (Mitmachen e.V.), der auf zahlreiche Erfahrungen in der Stadtpolitik zurückgreifen konnte, bot nicht nur für die Verwaltung einen großen Mehrwert. In diesem Zusammenhang ist die Vermittlung von Beteiligungskompetenzen an Initiativen, Vereine und Bürger besonders positiv hervorzuheben. Sie sicherte den vielgenannten niedrigschwelligen Zugang.
Für die Evaluation ist das interne und externe Büro sowie der Beteiligungsrat ein unverzichtbarer Baustein der künftigen Beteiligungskultur in Potsdam. Allerdings muss die konzeptionelle Strukturarbeit, zu der man in den ersten Jahren wenig Zeit zur Verfügung hatte, weiter ausgebaut werden, was freilich auch weitere finanzielle und personelle Ressourcen erfordert. Mindestens die externe Werkstatt für Beteiligung ist an den Grenzen ihrer Belastbarkeit. Die Organisation des internen Büros ist inzwischen in der Verwaltung selber verändert worden, was weitere konzeptionelle Arbeit auch im neu gebildeten ‚Ausschuss für Partizipation, Digitalisierung und Transparenz‘ der Stadtverordnetenversammlung erfordern wird. Mit ihm ist nun (2020) eine Zusammenarbeit angebahnt.
Im Ausschuss haben nur Stadtverordnete ein Stimmrecht, der Beteiligungsrat hat ein Rederecht. In diesem Ausschuss geht es zunächst vor allem um Digitalisierung und Transparenz. Er muss seine Rolle erst noch finden, eine Brücke zum Beteiligungsrat ist indes gebaut. Auch die Verwaltung ist 2019/20 umgebaut worden mit Folgen für das Beteiligungsthema. Dieser taucht nur an verschiedenen Orten auf und wirkt so parzelliert. Ist das ein Vor- oder Nachteil für die Bürgerbeteiligung? Die interne Werkstatt ist dem (Verwaltungs-)Bereich ‚Partizipatives und tolerantes Potsdam‘ zugeordnet worden, der am nächsten bei den zivilgesellschaftlichen Themen der Stadt ist (Bündnis ‚Potsdam bekennt Farbe‘, Stadt ‚sicherer Häfen‘ u. a.). Zudem hat Oberbürgermeister Mike Schubert, der 2018 gewählt worden ist, eine neue Stelle für Bürgerbeteiligung geschaffen, die sich primär um die Auswertung der anvisierten Stadtteildialoge zu kümmern hat. Mehrere solcher Veranstaltungen (bestehend aus Stadtteilspaziergang und Stadtdialog) haben inzwischen im Schlaatz, Babelsberg und Potsdam-West stattgefunden. Es handelt sich dabei um eine Bürgerbeteiligung ‚von oben‘ zusammen mit der Verwaltung und Engagierten vor Ort, die auf Probleme und Problemlösungen hin ausgewertet werden. Der Beteiligungsrat und die Werkstatt helfen mit.
Ebenso wird die interne Koordination zwischen dem externen und internen Büro wieder neu diskutiert werden müssen. Die Evaluatorinnen bemerken richtig, dass „die innovative Doppelstruktur der Werkstatt für Beteiligung kein Selbstläufer ist“ (Seite 61). Verwaltungen und freie Träger arbeiten nicht selbstverständlich und konfliktfrei zusammen. Genauso ist die Zusammenarbeit der Werkstatt mit dem Beteiligungsrat nicht ohne Schwierigkeiten. Vor allem der Beteiligungsrat sucht immer wieder seine Rolle, um seinem (vielleicht zu hohen) Anspruch gerecht zu werden. Im Unterschied zu den Professionellen ist er aber ein ehrenamtliches Gremium, welches nur einmal im Monat unter professioneller Moderation tagt. Die Sitzungen dürfen nicht zu lange dauern, der Wechsel der engagierten Bürger und Bürgerinnen ist häufig, oft ist nur ein Drittel anwesend, die Fluktuation wird dadurch groß und die Einarbeitung schwierig.
Inzwischen gab es drei Moderatoren, die ihre Sache (übereinstimmend) sehr gut gemacht haben. Sie ist keine Schwachstelle. Diese professionelle Moderation ist unbedingt nötig, ebenso wie die geforderte Sprech- und Zeitdisziplin. Manche wären aus sachlichen Gründen sogar für häufigere Sitzungstermine, was sich aber aus realistischen Gründen kaum realisieren lässt, ebenso wie häufige Klausuren, bei denen am Schluss der Zeit fast nur noch die Professionellen übrigbleiben. Um dem inhaltlichen Anspruch des Beteiligungsrates gerecht zu werden, wären häufigere Sitzungen allerdings notwendig. Es ist deshalb entscheidend, dass sich der jeweilige neu zusammengesetzte Rat diejenigen Themen vornimmt, die er personell, sachlich und zeitlich auch angehen und lösen kann. Dabei gibt es vor der Stadtgesellschaft relevante Aufgaben, bei denen er nicht fehlen darf. Das war zum Beispiel beim Leitbildprozess der Fall, der nun (2020) in den Planungswerkstätten für die integrierte Stadtentwicklung fortgeführt wird. Auch die Weiterentwicklung des Bürgerhaushalts (z.B. die Einführung eines Bürgerbudgets) war und ist ein solches Thema. Daneben gibt es fakultative Themen, die nicht weniger wichtig sind, die aber je nach personellen Ressourcen und Kompetenzen angegangen werden müssen. Zudem gehören bestimmte Aspekte durchgängig und generell zur Arbeit des Beteiligungsrates wie die Begleitung der Werkstattarbeit oder die angemessene Berücksichtigung der Arbeit des Kinder- und Jugendbüros. Die kluge Selbstbeschränkung ist aber für die Arbeit des Beteiligungsrates entscheidend, während die personellen Kapazitäten der Werkstatt noch aufgestockt werden können und müssen. Außerdem sollte die gegenwärtige ‚Verzettelung‘ des Beteiligungsthemas in der Verwaltung aufgehoben werden. Dies ist möglich, indem noch einmal gemeinsam in die strukturierte Bürgerbeteiligung, gerade auch für neue Mitarbeiter/innen eingeführt wird. Was die ‚einzelnen Teile‘ voneinander erwarten und wie sie sich aufeinander abstimmen, muss noch einmal (und wahrscheinlich immer wieder) besprochen werden.
Der Beteiligungsrat wie die Werkstatt müssen sich auf wenige Projekte konzentrieren. Die Arbeits- und Aufgabenverteilung zwischen Werkstatt für Beteiligung und Beteiligungsrat verlaufen noch nicht optimal (Seite 63). „Noch arbeiten beide Bausteine recht unverbunden nebeneinander“ (Seite 63). Die Evaluation meinte auch, dass das interne Büro die Federführung für die Strukturarbeit übernehmen sollte (Seite 65). Was das heißt, ist allerdings 2020 weniger klar als 2016. Ebenso ist unklar geblieben, was weitere Maßnahmen zur Regulierung und Standardisierung von Bürgerbeteiligung sind. Oder, was es heißen soll, die Grundsätze zu Leitlinien weiter zu entwickeln? Bestätigt hat sich die Einschätzung, dass die Überlastung und Überforderung der Arbeitsebene im Blick behalten werden muss (Seite 66).
Die stellenmäßigen und finanziellen Ressourcen, insbesondere der externen Werkstatt sind, das war schon 2016 klar, unbedingt weiter auszubauen. Gerade im Blick auf die Ressourcenausstattung sollte daher eine Nachsteuerung möglich sein. Das ist aber bis 2020 nicht geschehen, im Gegenteil. Eine wichtige Stelle der internen Werkstatt (die Stelle von Herrn Jonas) ist weggefallen. Wie in der Verwaltung eine ämterübergreifende Steuerungsgruppe ‚Bürgerbeteiligung/Beteiligungskultur‘ eingerichtet werden soll (Seite 66), diese Frage stellt sich 2020 nach den Umstellungen in der Verwaltung besonders dringlich.
Dass die trialogische Kompetenz an der Schnittstelle von Laien- und Expertenwissen im Beteiligungsrat fortlaufend ein Thema bleibt, ist richtig und wichtig. Dieses Arbeiten ist immer wieder einzuüben. Dabei muss mit strukturellen Ungleichheiten bewusster umgegangen werden. Die Moderation spielt dabei gerade in Bezug auf die Sprechfähigkeit der ausgelosten bzw. besonders engagierten Bürgerinnen und Bürger eine große Rolle. Dass die schleichende Professionalisierung der Bürgerbeteiligung auch die Diskussionskultur bestimmt, wird zu wenig reflektiert. Deshalb muss auch über veränderte Veranstaltungsformate nachgedacht werden. Die knappen zeitlichen Ressourcen insbesondere der Bürger im Beteiligungsrat sind noch immer ein unterschätztes Problem, woraus Frustrationen, Absenzen und eine große Fluktuation resultieren. Ein inhaltlicher Hauptpunkt der Kritik ist zurecht die bisher unzureichende Kommunikation mit der Politik, was auch an der personellen Überforderung der Parteienpolitik liegt. Hier und bei den langen Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung (die faktisch viel mehr als ein ehrenamtliches Gremium ist) liegt das zentrale Problem. Vom Beteiligungsrat wurde ein fehlendes Interesse der Parteien und ihrer Fraktionen an seiner Arbeit immer wieder konstatiert. Diese Fragen blieben bisher unbeantwortet. Die kritische Frage kam auf, ob die städtische Politik überhaupt ein Interesse an der strukturierten Bürgerbeteiligung hat. „Der Transfer in die Kommunalpolitik ist nicht in ausreichendem Maße gelungen. Es konnte keine tragfähige Brücke zu den Stadtverordneten hergestellt werden“, stellte der Evaluationsbericht schon 2016 fest. Dies hat sich seitdem nicht verändert.
Bürgerbeteiligung ist ein Marathon, kein Sprint.
Literatur
Bock, Stephanie; Reimann, Bettina: Evaluation des Modellprojekts, Norderstedt 2017.
Jakobs, Jann; Kleger, Heinz (Hg.): Auf dem Weg zu einer strukturierten Bürgerbeteiligung, Potsdam 2012.
Dies. (Hg.): Ein Blick zurück, ein Schritt nach, vorn, Potsdam 2014.
Kleger, Heinz (Hg.): Bürgerbeteiligung zwischen Regierungskunst und Basisaktivierung, Potsdam 2015.
Kleger, Heinz: Neue Wege in die Beteiligungskommune: Strukturierte Bürgerbeteiligung in Potsdam, in: Partizipation in der Bürgerkommune, Potsdam 2017 (KWI).
Kleger, Heinz: Bürgerkommune als Beteiligungskommune, in: Potsdamer Neueste Nachrichten, 6. August 2018.
Potsdam aktiv mitgestalten, Beteiligungsrat, Potsdam 2020.