Waffenstillstand in der Ukraine?

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Die Münchner Sicherheitskonferenz (msc) ist ein neutrales Forum (Motto: Frieden durch Dialog), von dem in diesem Jahr konkrete Schritte hin zu einem möglichen Waffenstillstand in der Ukraine erwartet werden. In hundert Tagen, nicht in einem, wie Trump im Wahlkampf verkündet hatte, ist realistisch.

Lange hat man auf Trump, den neuen „starken Mann“ (Selenski) gewartet: Siehe den Blog Warten auf Trump vom 17. Dezember 2024. Viel ist seitdem spekuliert worden darüber, wie die Umrisse seines Friedensplanes aussehen könnten. Sein Sonderbeauftragter für die Ukraine, der frühere General Kellogg hatte darüber schon Papiere verfasst, die in Richtung einer ‚koreanischen‘ Lösung gingen.

Nun gehts los: Am 12. Februar nach dem eineinhalbstündigen Telefonat von Trump mit Putin, der ihn danach sogar nach Moskau einlädt, kündigt der neue amerikanische Präsident unverzügliche Verhandlungen zur Beendigung des Krieges an. Die grossen Ankündigungen behält er sich selbst vor, die seit seinem Amtsantritt geradezu auf die Welt einprasseln.

Trump hält die Welt in Atem und übt international Zugzwang aus in Wirtschaft und Politik. Selbst die Wirtschaftsteile der grossen Zeitungen sind voll mit Kriegsrhetorik: Handelskrieg, Wirtschaftskrieg, Zoll-Schlacht. Trump ist weltweit Thema Nr.1.

Gleichzeitig reisen Trumps neue Leute nach Europa: so der neue Verteidigungsminister Hegseth zur Nato nach Brüssel und Vizepräsident Vance, zusammen mit Aussenminister Rubio und Sonderbeauftragter Kellog nach München, wo Vance mit Selenski zu einem Gespräch zusammentreffen wird. Für Selenski wird es das wichtigste Treffen seit Monaten sein. Neue Möglichkeiten, etwa Gebietsabtretungen oder einen Gebietstausch mit Kursk hatte er schon angedeutet. 

Seit Selenskis ‚Siegesplan‘ im Herbst hat sich der Krieg weiter intensiviert und ausgeweitet. Mit dem überraschenden Vorstoß nach Kursk versuchte die Ukraine ihre Verhandlungsposition zu stärken, während gleichzeitig die russische Armee mit schweren Verlusten in der Ostukraine , vor allem in Donezk, immer weiter voranrückt. Auch in der Region Kursk verlieren sie wieder Gebiete.

Der Drohnenkrieg auf beiden Seiten hat neue Dimensionen erreicht. Das Personalproblem ist für die Ukrainer noch immer akut, und die Erschöpfung groß. Sogar mit Prämien versucht man inzwischen junge Leute an die grausame Front zu locken. Die Desertionen haben zugenommen, selbst bei neu aufgestellten Eliteverbänden.

Nicht von allen wichtigen Waffen hat man genug, obwohl inzwischen auch, sehr spät, Kampfflugzeuge wie F-16 und Mirage aus Frankreich, die dort ausgemustert werden, endlich eingetroffen sind. So kann man keinen Krieg gewinnen. Die Ukraine führt außerdem erfolgreiche Angriffe auf russisches Kernland durch und trifft wichtige Ziele wie Munitionsfabriken, Flugplätze und Ölraffinerien mit den reichweitenstarken Waffen. 

Die Ukraine hat den Krieg mit Russland auf russisches Territorium ausgeweitet, das inzwischen auch nordkoreanische Soldaten einsetzt. Man will den ‚Mythos von der Unbesiegbarkeit der russischen Armee‘, den Putin ins Feld führt, zerstören. Für Russland kommt es auf die Realität an der Front an und auf nichts anderes. Während der Konferenz in München erobern sie weitere Ortschaften in der Ostukraine.

Was die Amerikaner für „realistisch“ halten, wird „entscheidend“ sein. Der neue Verteidigungsminister Pete Hegseth hat dafür schon deutliche Worte gefunden: kein Natobeitritt, Gebietsabtretungen, keine Wiederherstellung der Grenzen von 2014, Friedenstruppen ohne die Amerikaner, die sich auf den Indopazifik konzentrieren wollen. Das heißt in der Konsequenz: vor allem die Europäer müssen sich in Zukunft vermehrt um die eigene Sicherheit kümmern.

„Europeans should own the Ukraine conflict“, so Sicherheitsberater Mike Waltz. Das ist eine historische Zäsur, deren Folgen die europäischen Staaten noch lange beschäftigen werden. Mit der Zeitenwende wird es nun ernst, auch für die neue deutsche Regierung, viel Zeit gibt es dafür nicht mehr. Die Bundeswehr ist blank und für die Zeit nach der Bundestagswahl sind große Investitionen dauerhaft in den Haushalt zu integrieren.

Die Amerikaner werden sich nicht gänzlich aus Europa zurückziehen, aber sie werden finanziell mehr für die Natoverteidigung verlangen. Hegseth bekräftigt Trumps 5 % -Ziel. Putin schmeichelt währenddessen Trump, der offenbar baldmöglichst direkte Gespräche in Riad vorbereitet. Der Ort ist kein Zufall.

Auch Selenski ist bereit, sich auf einen Deal mit Trump für die weitere Unterstützung einzulassen: kritische Bodenschätze, insbesondere seltene Erden, sind begehrt und werden vom zweitgrößten europäischen Land, das reich ist mit Bodenschätzen, den Amerikanern sozusagen als Köder angeboten. 

Trumps ‚Art of trade‘ als Politik kommt hier zum Zuge. Sie bewirkt etwas, kombiniert mit Drohungen, die man militärisch auch einlösen kann (im Nahen Osten wie gegenüber Russland). Die Amerikaner reden nicht nur wie die Europäer, sie können auch etwas. Und sie sind weltpolitikfähig und realistisch, was man ihnen zugutehalten muss, bei allen Fehlern, welche diejenigen begehen, die handeln.

Sogleich wird die Kritik laut, dass die Europäer in Trumps Politik nicht einbezogen seien, und er Putin von vornherein zu viele Zugeständnisse mache, indem er zum Beispiel den Natobeitritt vom Tisch nimmt. Wir halten das nicht für klug, und wir wollen bei Verhandlungen nicht „am Katzentisch sitzen“, so Pistorius beim Treffen der Verteidigungsminister. Sie sitzen aber am Katzentisch.

Pistorius ergänzt in München am 14.2., mit Hegseth abgesprochen, eine „road map“ für eine neue Lastenverteilung, die beim nächsten Natogipfel spruchreif werden könnte. Sie orientiert sich an den Natofähigkeitszielen. Deutschland müsse endlich die Zeichen der Zeit erkennen. Es gehe um „security next generation“, dabei seien auch die Maastricht-Kriterien kritisch zu betrachten, so Pistorius. Von der Leyen will die Verschuldungsgrenze aufheben, wenn es um Rüstungsausgaben geht. Das wird den Euro auf Talfahrt schicken, aber sonst wenig Gutes bewirken.

Über Friedenstruppen will der Verteidigungsminister jetzt noch nicht spekulieren, da hat er recht. Klar ist, dass die Europäer nicht in der Lage sind, wirksame Abschreckung in der Ukraine ohne amerikanische Unterstützung zu leisten. Trump und Vance werden dies beachten müssen, wenn sie die Ukraine nicht fallenlassen wollen.

Es gibt immer wieder Einschränkungen bei der amerikanischen Position: US-Truppen sind noch denkbar, um den Waffenstillstand abzusichern, bei dem ansonsten die konkreten Fragen im Detail noch offen sind. Bei einer 1700 Kilometer langen Frontlinie, die eingefroren werden soll, sind das sehr viele. Die Fehler des Waffenstillstandes von 2014 sollen jedenfalls nicht wiederholt werden. An bitteren Erfahrungen mangelt es nicht. Die Sicherheitsgarantien spielen deshalb eine maßgebliche Rolle, soll es in Richtung echter Friedensverhandlungen auch nur kleinste Fortschritte geben.

Muster dieser Politik des Trade und der Drohungen ist es, zunächst mit Maximalforderungen zu kommen, die dann im Zuge neuer Verhandlungen abgeschwächt werden. Trump bringt immerhin Bewegung in die Sache, die mehr als drängend ist, geht es doch wirklich um Frieden und Freiheit.

Trump verhandelt mit Putin in Riad. Das ist ein Geschenk an die Saudis mit Blick auf Gegenleistungen für Israel. Am Weltwirtschaftsforum in Davos (23. Januar) sprach der Geschäftsmann Trump auch davon, mit Hilfe von Saudi-Arabien den Ölpreis zu senken, was Russland eine wichtige Haupteinnahmequelle nehmen würde.

Sanktionen bleiben also im Spiel, militärischer Druck ebenso, es fragt sich nur, in welchem Ausmass. Auf diese Weise würde Trump auch Putin schwächen, sollte er nicht auf Verhandlungen eintreten. Das geht auch nicht über die Köpfe der Ukrainer hinweg, die sich nach einem Ende dieses zerstörerischen Krieges, der mit jedem Tag weiter zerstört, sehnen. 

Am 14.2. schlägt eine russische Kamikaze-Drohne in den Sarkophag von Tschernobyl (1986, 2016) ein. Radioaktivität ist nicht ausgetreten. Selenski spricht von einer „terroristischen Bedrohung für die Welt“, die Russen von „Diskreditierung“ im Hinblick auf die Münchner Konferenz. Es sind die üblichen wechselseitigen Vorwürfe. 

Wie reagiert Russland auf die neue Lage mit Trump? Genau wissen wir es noch nicht. Putin gibt keine Zeichen. Bisher kennen wir nur die bekannten Maximalforderungen. Eine temporäre Waffenruhe, die im Interesse Selenskis und Putins sein könnte, ist noch kein Waffenstillstand und schon gar kein nachhaltiger und gerechter Frieden.

Auf Vance’s Rede am Freitagnachmittag bei der Münchner Sicherheitskonferenz am 14. Februar war man gespannt. Er soll die künftige Sicherheitspolitik Trumps ausführlich vorstellen. Er beginnt – nach den üblichen Höflichkeitsadressen – seine Rede allerdings damit, dass er „die freie Rede in Europa auf dem Rückzug sieht“.

Schon im amerikanischen Wahlkampf konterte er die Vorwürfe der Demokraten, er und Trump würden die Demokratie zerstören, mit der Verteidigung der Meinungsfreiheit gegen die Demokraten und ihre „Hexenjagd“. Gegenwärtig findet nach den Wahlen ein politischer Verfassungs(Macht)kampf zwischen der Politik des Präsidenten und der Justiz statt. Aber das ist nicht das Thema dieses Blogs.

Auch die amerikanische Demokratie, bzw. genauer: die Gewaltenteilung, bietet Anlass zur Besorgnis. Aber das ist nicht das Thema einer Sicherheitskonferenz angesichts des Ukrainekrieges, der Kriege im Nahen Osten, des Kampfes um die Arktis, der Bedrohung von Taiwan usw. Außenminister Rubio reist gleichzeitig in den Nahen Osten.

Vance sagte wenig Konkretes zur Ukraine, was man erwartet hatte. Nicht Russland oder China sei der Feind von außen, sondern der innere Zustand Europas, die Schwäche seiner Demokratien. In einer Demokratie sei kein Platz für Brandmauern. Merz wird sich nicht beeindrucken lassen. Benötigen die Deutschen eine zweite Reeducation? Diese Rede war die falsche zum falschen Zeitpunkt, denn sie irritierte nur.

Auch Steinmeiers Begrüßungsrede war überraschend undiplomatisch. Der ehemalige SPD-Aussenminister wirft den USA „Rücksichtslosigkeit“ vor, sie habe ein „anderes Weltbild“, das „Regeln und Partnerschaften ignoriere“. Er tritt als Schulmeister auf, auch davon haben wir in Deutschland genug.

Beides ist ein Paukenschlag gleich zu Beginn einer hochspannenden Konferenz: der Westen spricht offenbar grundsätzlich mit zwei Stimmen bei der Verteidigung seiner Werte, selbst an dieser Stelle. Aber was bringt die Rede von Werten noch, wenn man sie so führt? Der Bezug auf Werte (Freiheit, Demokratie, Rechtsstaat) überbrückt und verdeckt brisante politische Differenzen, die offen und ehrlich ausgetragen werden müssen. Die „Freie Welt“ wurde stets von den Amerikanern definiert.

Interessanter und gewichtiger ist die Differenz im Kern des atlantischen Bündnisses (Churchill/ Roosevelt) zwischen dem britischen Premierminister Keir Starmer und Trump: „die Ukraine ist auf einem unumkehrbaren Weg zur Nato“, behauptet Starmer. Vielleicht hätte sich Trump von Boris Johnson, dem ‚kleinen Churchill‘, stärker beeindrucken lassen. Stoff zur selbstkritischen Reflexion gibt es jedenfalls mehr als genug. Das Münchner Forum wäre der Ort, wo man ausnahmsweise auch einmal Zeit dafür hätte.

Stattdessen spricht man über die AfD! Auch der Noch-Kanzler Scholz hält eine empörte Wahlkampfrede. Vance empfängt sogar Alice Weidel zu einem Gespräch. Mehr Aufmerksamkeit kann eine inhaltlich schlechte Partei gar nicht bekommen. Wie steht es denn um ein selbstbewusstes Demokratieverständnis? Ein Demokratieseminar wäre notwendig.

Das Gespräch von Selenski mit Vance am Freitagabend hinter verschlossenen Türen ist wirklich wichtig. Es dauert 40 Minuten. Erst seit wenigen Tagen ist dieser von Trump angestoßene schwierige Prozess im Gange, viele Vorschläge und Gerüchte sind im Raum, aber alles ist noch offen.

Schnell wird es nicht gehen. Selenski, der in München einen diplomatischen Marathon absolviert, macht klar, dass er die Europäer bei Verhandlungen dabei haben wolle, zumal sich die Ukraine als europäisches Land in der EU sieht, es mithin um den Frieden in Europa gegen den Aggressor Putin gehe. Hauptpunkt eines möglichen Friedensvertrages werden mit Sicherheit die Sicherheitsgarantien sein.

Bildnachweis: xdtsxNachrichtenagenturx dts_58881