Es gibt keinen Tag ohne Eilmeldung von Trump.
Er hält die Welt wirtschaftlich und politisch in Atem. Wie sagte Steve
Bannon: „Bang, bang, bang“. Und ein chinesischer Regierungssprecher replizierte bereits: „Wir nehmen jede Art von Krieg an.“
China hat seinen Verteidigungsetat wieder um mehr als 7 % erhöht. Was in diesem Teil der Welt passiert, sollte man nicht außer Acht lassen, obwohl Europa und insbesondere Deutschland gerade in besonders intensiver Weise mit sich selbst beschäftigt sind.
Siehe: Sorgen im Pazifik von den ehemaligen Diplomaten Woker/Welti, in faz.net/pro/weltwirtschaft/, 6.3. 2025.‘
Das demokratische Taiwan hofft, dass der US-Präsident sie nicht so fallen lässt wie die Ukraine, der er martialisch die Daumenschrauben angezogen hat. Der Chef des führenden Chipherstellers war kürzlich am 3. März im Weißen Haus zugegen.
Der Verteidigungsminister von Singapur, wo die USA über einen Stützpunkt verfügen, hat die Lage nach der Wahl von Trump wie folgt beschrieben: „The US has changed from liberator to disruptor to landlord seeking rent“.
In der großen Politik bedeutet ‚Links‘ im weitesten Sinne Verteilungskämpfe, die Wohlstand voraussetzen. Während ‚Rechts‘ im weitesten Sinne Ordnung bedeutet (das muss sich in der Politik nicht wechselseitig ausschließen wie in der Logik). Ordnung bezieht sich aber im politischen Denken immer auf eine (rechtliche) Einheit, neuzeitlich auf den Staat.
Diese Ordnung ist heute aufgrund beschleunigter, gesellschaftlicher und wissenschaftlich-technischer Entwicklungen nicht mehr so einfach zu definieren, denken wir nur an die vernetzte ICT- Wirtschaft. Der Cyberraum, das Virtuelle, Social Media und die rasante KI-Entwicklung haben unsere individuellen Lebenswelten als Informationsräume verändert. Der elementare Raumbezug im Politischen hat sich damit verändert und erheblich verkompliziert.
Das hat Auswirkungen auf unser aktuelles Thema der Verteidigungsfähigkeit. Hier genügen die Kategorien von Carl Schmitts legendärer Geopolitik „Land und Meer“ (1942) nicht mehr, wobei die Seemachtspolitik nicht obsolet geworden ist (China!). Die Airforce hat sie schon längst durchbrochen, die für kampffähige Armeen entscheidend geworden ist (USA, GB, Israel). Und zwar mit großer unmittelbarer Bedeutung für die ganze Welt und die fragilen Lieferketten der Weltwirtschaft.
Wir haben es wieder demonstriert bekommen bei den Einsätzen gegen die Huthi-Rebellen in Jemen. Um eine äußerst komplexe Geschichte an dieser Stelle kurz zu halten: die wehrfähige Republik der Patrioten muss heute zwangsläufig auch eine anspruchsvolle und teure ‚technologische Republik‘ (Karp) sein. Der Bezug auf die zivile Nation ist nach wie vor richtig und wichtig, aber zu simpel.
Die Politik des Rückzugs aus internationalen Verpflichtungen, innenpolitisch durch America first motiviert, trifft nicht nur die Ärmsten und Schwächsten in Afrika, sondern hinterlässt geo- und militärpolitisch gefährliche Machtvakua in der ganzen Welt.
Dies führt bekanntlich (und vorhersehbar) zu neuen schwersten Konflikten, wie man an vergleichbaren Rückzügen aus einem ‚Imperial Overstretch‘ studieren kann (zum Beispiel des britischen Empire: Kashmir 1947, Palästina-Frage 1948).
Der konservative Ronald Reagan hätte das nicht zugelassen, dessen Außenhandelspolitik zudem freihändlerisch war. Gegenüber dem Neokonservativismus der 80er Jahre sind wir heute wieder in einer ganz anderen weltpolitischen Situation, schon deshalb, weil das heutige Russland mit der damaligen Sowjetunion nicht vergleichbar ist.
Deshalb hilft dieser oberflächliche Vergleich, wie so viele, nicht weiter, sondern verfehlt die Einzigartigkeit der heutigen historisch-politischen Lage, die neu zu analysieren und schwierig zu bewerten ist.
Währenddessen greifen die Russen im März 2025 weiterhin unvermindert an, mit allem, was sie haben, nachdem die Amerikaner mit wichtigen Informationen, Satellitenbildern und Waffen für das Gefechtsfeld zurückhalten, was dort sofort spürbar wird.
Am 7. März spricht Trump erstmals von Sanktionen und Zöllen gegen Russland. Anderntags sagt er wieder das Gegenteil. Er hat offenbar keinen Plan, aber ein großes ehrgeiziges Vorhaben, das weiter zu verfolgen ist.
Seine ‚Friedensverhandlungen‘ werden nach gegenwärtigem Stand auf Kapitulationsverhandlungen mit Selenski hinauslaufen. Natürlich ist es „schwieriger“ mit der Ukraine zu verhandeln, die „Russland zum Frieden zwingen will“ (muss), als mit Russland, das bisher keine Kompromissangebote gemacht hat.
Putin wollte schon immer ein neues Jalta, ohne Frage. Neu ist lediglich, dass auch die USA auf diesen Weg einschwenken. Bisher galten das Selbstbestimmungsrecht der Völker und Art. 5 der Beistandsverpflichtung der Nato unverbrüchlich, auch durch jede neue Lage hindurch, die in der aktuellen Politik jederzeit und überall ein (durchschlagendes?) Argument ist.
Sie galt buchstäblich als „heilige Verpflichtung“, wie Biden in Polen sagte (sie den Blog vom 27. März 2022), auf die man sich verlassen konnte. Auch die Religion (re-ligio, letzte Rückbindung) hat im Tiefsten mit Vertrauen zu tun, ohne das wir Menschen nicht leben können.
Das war in diesem Fall die historisch gewachsene und begründete amerikanisch-transatlantische Zivilreligion durch und nach den leidvollen Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges, des ersten globalen Kriegs in der Geschichte (dazu ausführlich Kleger, Vom Bund zum Bündnis, von der amerikanischen zur atlantischen Zivilreligion? In: Religion und Zivilreligion im Atlantischen Bündnis., Trier 2001, S. 91-111).
Lawrow lehnt einen Waffenstillstand weiterhin ab und will offenbar direkt die definitive ‚Friedenslösung‘, deren russische Bedingungen wir seit 2022, seit der Annexion der ukrainischen Gebiete, fanatisch kennengelernt haben, die politisch definitiv eine offensichtliche Wende im Krieg bedeutete.
Seit drei Jahren haben wir immer wieder Blogs über Krieg und Frieden geschrieben (vgl. Kleger, Gedankensplitter IV: Welt ohne Kompass, Krieg und Frieden, Verteidigungsfähigkeit, Norderstedt 2025). Manche Muster haben sich wiederholt.
Es stimmt deswegen nicht, dass kein Weg an einem Waffenstillstand vorbeiführt. Mit der richtigen Unterstützung kann (und muss?) die Ukraine, wenn sie es beschließt, weiterkämpfen, so hart das klingt. Das russische Imperium ist zum Frieden nicht bereit, und der Krieg in der Ukraine nicht definitiv verloren. Das sind auch Fakten.
Der Aktivismus des souveränen Dezisionismus macht seinen Anhängern, die Trump gewählt haben, Eindruck – „America is back“, und das soll erst der Anfang sein! Bei allem Höhenflug und erneuter außerordentlicher Beschimpfung der Regierung Biden als schlechtester Regierung ever, gibt es auch Anzeichen von Schwäche.
Sie sind hier nicht unser Thema. Sie resultieren insbesondere aus den Folgen der falschen merkantilistischen Wirtschaftspolitik. Die Inkonsistenz von Trumps Schaufenster-Politik ist groß, auch auf global wirtschaftlichem Gebiet, was sich schon jetzt innenpolitisch auswirkt (Preise, Dollarschwäche, die Zustimmungswerte sinken).
Nicht nur starke Institutionen der vertikalen (Gerichte, Richter) und horizontalen Gewaltenteilung (Bundesstaaten, Gouverneure), auch die Märkte, insbesondere die Finanzmärkte, strafen ohne Ansehen der Person und Institution.
Hier stößt die exekutive Macht des amerikanischen Präsidenten an Grenzen, abgesehen davon, dass seine innenpolitischen Maßnahmen zunehmend auf Widerstand stoßen: „Skalpell statt Kettensäge“, auch Trump braucht im Unterschied zu Musk einen funktionierenden (Minimal-)Staat.
Bleibt noch die brutal gewordene Auseinandersetzung um die Medienmacht: „Trumps Staatsinfluencer sollen alle übertönen“ (FAZ, 8. März, S.14). Das ist das Verhältnis von ‚Führung und Masse‘ bzw. ‚Masse und Macht‘ in der heutigen modernen Mediengesellschaft, welche die Demokratie im Griff hat.
In seiner ersten langen Rede zur Lage der Nation nach der Inauguration – ein emotionaler Höhenflug für seine Fans – spielte die Außenpolitik nur eine Nebenrolle. Und doch haben die Europäer vor allem diesen Abschnitt aufmerksam verfolgt, nämlich dass Selenski nach dem Eklat im Weißen Haus wieder verhandeln will unter Führung des „starken“ Präsidenten.
Der Gang nach Canossa ist somit erledigt ohne Entschuldigung, was immerhin den eigenen Stolz, hinter dem kein Nichts ist, bewahrt. Die Ukraine ist in der Tat politisch und militärisch in einer sehr schwierigen Situation, aber der Krieg ist noch nicht verloren. Oder soll man ihn verloren geben beim derzeitigen Stand und auf die Waffenstillstandsverhandlungen zwischen Trump und Putin setzen, mit ukrainischer Beteiligung?
Die Frontlage in der Ukraine ist schwierig, vor allem im Donbass, aber besser als oft behauptet. Eine stärkere Verhandlungsposition der Ukraine ist möglich, wenn gerade jetzt (einmal mehr) die Unterstützung der USA nicht nachlässt und die britisch-europäische Koalition der Willigen wirksam wird. Akzeptiert die Trump-Administration, dass die Ukraine eine Einfluss-Sphäre Russlands wird, dann ist die Jalta-These bestätigt.
Drei historische Umbrüche auf verschiedenen Ebenen
Drei Umbrüche spielen sich gerade gleichzeitig ab und alle drei werden „historisch“ genannt, weil sie nicht nur politisch erhebliche Einschnitte bedeuten:
– auf der Ebene der Weltpolitik, der Rückzug der Amerikaner ;
– europäisch: der Ausbau der eigenen Verteidigungsfähigkeit, und drittens
– die Wiedergeburt der nationalen Wehrfähigkeit, für die man zu sterben bereit ist.
Das ist viel auf einmal.
„Neue Ära der Aufrüstung“ heißt für Europa:
„Die EU wird ihre allgemeine Verteidigungsbereitschaft erhöhen, ihr strategischen Abhängigkeiten verringern, ihre kritischen Fähigkeitslücken schließen und die europäische verteidigungstechnologische und industrielle Basis stärken“, so lauteten die Schlüsselworte nach dem Krisentreffen in Brüssel am 6. März.
150 Milliarden Euro an Krediten werden aufgenommen und bei der gemeinsamen Schuldenregel soll es Ausnahmen für die Rüstung geben. In Deutschland werden die Verteidigungsausgaben sogar ganz von der Schuldenbremse ausgenommen.
Das geht in die richtige Richtung, wofür es den Schock aus Washington brauchte – vom „neuen Pharao“ (Spiegel). 30 Jahre lang musste man sich damit nicht beschäftigen.
Bei der weiteren Unterstützung der Ukraine ist man sich jedoch uneinig. Diesbezüglich formiert sich eine Koalition der Willigen (20 Länder, auch Australien will sich beteiligen), mit dem weltpolitikfähigen Großbritannien an der Spitze, das auch über die nötigen militärischen Kompetenzen und Fähigkeiten verfügt.
König Charles III. ruft die ehemaligen Kolonien von Kanada bis Australien zum Zusammenhalt auf – eine westlich-britisch geführte Internationale, die interessant und aufschlussreich ist.
Der französische Staatspräsident Macron seinerseits ist bereit, über einen gemeinsamen Atomschirm zu diskutieren, was ein schwieriges Feld für sich ist, aus verschiedenen Gründen, insbesondere auch aus Sicht Deutschlands. Putin hat prompt auf diese Ankündigung aus Paris polemisch reagiert und den kleinen Napoleon mit dem großen verglichen, der an Russland gescheitert ist.
Der Verbund mit der Nato, die Russland militärisch überlegen ist, darf bei aller Hektik nicht verloren gehen und muss über die bekannten Fragen der Interoperationalität und der Standardisierung der Waffensysteme hinausgehen.
Die Nato jedoch ist vor allem USA, und die Frage ist gegenwärtig, was können die willigen Europäer allein. Die Devise muss sein, auf das Beste zu hoffen und mit dem Schlimmsten zu rechnen.
Was Trump unfreundlich mit seiner neuen Rücksichtslosigkeit und vor allem einer neuen außenpolitischen Unberechenbarkeit demonstriert, haben vor ihm schon Obama und Biden viel freundlicher gesagt – als „Freunde“!
Verbündete sind aber keine persönlichen Freunde, wie Merkel gegenüber Obama annahm, deren Handy vom amerikanischen Nachrichtendienst gleichwohl abgehört wurde. „Freunde bespitzelt man nicht“. Ein allgemeines renversement des alliances findet statt.
Weit vor der Europäischen Verteidigungsarmee (EVG), die als gute Idee in Europa schon einmal gescheitert ist (1954 am Gaullismus in Frankreich), kommt die nationale Verteidigungsfähigkeit (optimal im Verbund mit der Nato).
Sie benötigt mehr als Geld und Ausrüstung und betrifft das Selbstverständnis von demokratischen zivilen Nationen und damit das Selbstverständnis von jedem Bürger und jeder Bürgerin.
Die beiden europäischen Atommächte, Frankreich mit der Force de Frappe und Großbritannien in enger Verflechtung mit den USA, gingen nach dem 2. Weltkrieg eigene Wege.
Auf die Beistandspflicht nach Art. 5 haben nicht nur die Deutschen, sondern auch die Polen, die Musterschüler der europäisch-amerikanischen Allianz gesetzt. Jetzt will Premier Tusk die stärkste Armee in Europa aufbauen, nachdem schon lange ernsthaft an der nationalen Wehrfähigkeit in Frontnähe gearbeitet worden ist.
Was in Polen, den baltischen Staaten, Tschechien, Dänemark, Schweden und Finnland Realität wird, ist in Deutschland Wunschdenken.
Geld allein verteidigt nicht.
Bildnachweis: IMAGO / Pacific Press Agency