Technokratie ist auch eine politische Theorie. Das wurde lange verkannt und gering geschätzt, gerade von der politischen Theorie und Ideengeschichte. Das ist ein Fehler, der von großer Weltfremdheit zeugt.
Und das, obwohl die Technikfaszination sowohl im Faschismus wie im Kommunismus geradezu überwältigend war und sich bis zum Gottesersatz in einer säkularen Welt steigerte. Auch die Politikvorstellungen von Marx und Lenin ließen sich davon anstecken, und die Kunstrichtung des Futurismus wurde davon beflügelt.
Inzwischen wird klarer, dass es sogar verschiedene Facetten der politischen Theorie der Technokratie gibt, so wie des Liberalismus, Konservativismus und Sozialismus. Und natürlich existieren verschiedene wirksame Kombinationen mit ihnen in der realen Welt.
Uns geht es im Folgenden nicht um eine überblicksartige Enzyklopädie, sondern um die Vertiefung eines Aspekts der Revolution von rechts ll (siehe dazu den Blog vom 22. September), nämlich den Zusammenhang von Technokratie und Religion bei Peter Thiel. Das wollen wir besser verstehen.
Die Technik und ihre neuen Technologien rennen uns davon, und sie beflügeln die Phantasie. Sie bestimmen nicht nur die Waffen, sondern auch die Diskussionen darüber, was wir Zukunft nennen. Sie nehmen uns in Beschlag. Aber wie? Einen inhaltlichen Aspekt vor allem wollen wir hier vertiefen: das Verhältnis zur Religion am Beispiel des Unternehmers Peter Thiel (geb. 1967).
Thiel ist bekannt geworden als Paypal- und Palantir-Gründer, geistiger Inspirator und finanzieller Unterstützer des Vizepräsidenten J. D. Vance, der wiederum nomineller Nachfolger von Trump und seiner MAGA-Bewegung ist.
Thiel ist kein säkularer Technokrat im Stil der 50er Jahre. Er steht vielmehr in der Tradition der sakralen Technikutopie von Saint-Simon (1760 -1825) und Auguste Comte (1798-1857).
Noch immer dreht sich alles um den ‚alten‘ Fortschritt im Singular, der die Neuzeit definierte, auch und gerade wenn von Wachstum, Wohlstand und Arbeitsplätzen die Rede ist. Er bestimmt das gute Leben der meisten. Das ist Common Sense.
Fortschritt braucht Sinn, und Sinn kommt nicht aus dem Diskurs, sondern aus Religion, Transzendenz und metaphysischer Ordnung.
Thiels Technokratie ist deshalb nicht kalt, sondern durchdrungen von einem metaphysischen Ernst, der ihr Gewicht verleiht.
Thiel ist erklärter Christ in kalifornisch-libertärer Ausprägung. René Girard habe ihn gelehrt, „die Vernunft des Christentums neu zu denken“. Thiel verortet die Moral der Innovation nicht im Humanismus und nicht in der Aufklärung, sondern in Erlösungsnarrativen. Er war lange potenter Förderer christlich-konservativer Thinktanks, wie zum Beispiel The Witherspoon Institute, und er tritt auf in Debatten zur Verteidigung der jüdisch-christlichen Grundlagen der westlichen Ordnung und Zivilisation.
Einige Missverständnisse, Kurzschlüsse und irreführende Etikettierungen sind zu vermeiden, um zu verstehen.
Die Philosophien von Thiel und Musk (dem reichsten Menschen der Welt) – soweit kann man sie gleichsetzen – stehen der fortschrittsreligiösen Utopie Sain-Simons und Comtes (Philosophie des Positivismus) näher als irgendeinem gedanklichen Konservativismus. Mit Vance’ Konversion zum Katholizismus, der immer fortschritts- und kapitalismuskritisch war, werden sie einander womöglich ins Gehege kommen.
Thiel, Musk und andere Tech-Milliardäre können als Grenzüberschreiter und Gewinner, bestens in Trumps amerikanische „Zivilreligion der Gewinner“ integriert werden. Siehe dazu den Blog vom 27. Januar 2025, ja, sie sind deren neue Paradigmen.
Diese sind allerdings nicht kohärent mit dem ‚alten‘ rückwärtsgewandten Römischen Katholizismus, der auch eine Quelle des Kommunitarismus ist, zumal der neue amerikanische Papst Leo XlV die katholische Soziallehre gut kennt.
Der Katholizismus gehört zum Konservativismus, während Comte und Thiel eine Sakralität ohne Offenbarung, eine Ordnung ohne Volk und ein Fortschritt ohne Demokratie vorschweben.
Comte formuliert sogar eine „Religion der Menschheit“, die exportfähig war (Brasilien), mit Liturgien, Priestern und Feiertagen. Das ist die sakrale Gestalt der positiven Wissenschaft – Ordnung und Fortschritt, aber ohne Demokratie, die überflüssig wird, oder eine Scheinetikette.
Saint-Simons letztes Buch handelt vom „neuen Christentum“ (1825) und begründet einen Kreis von Saint-Simonisten, der in der französischen Politik bis heute Einfluss nimmt. Technokraten werden neue Religionsstifter (Neokatholizismus? Neosozialismus?). Das gehört auch zur Moderne. Vor diesem Hintergrund kann man Sozialist, Katholik und Technokrat sein (Delors).
Thiel und Musk, der als Tesla-Pionier auch in Brandenburg bei Berlin wie ein Ufo gelandet ist, sind in diesem Punkt nicht weit voneinander entfernt. Der katholische Sozialkonservativismus passt jedoch nicht dazu. Aus Sicht von Saint-Simon, den Marx bewunderte, wäre er ein Rückfall in den Feudalismus.
Die politische Bewegung wie MAGA kann freilich ein ideologischer Flickenteppich bleiben, solange sie erfolgreich ist und durch einen charismatischen Führer zusammengehalten wird. Trump kann die ideellen Widersprüche opportunistisch unter einen Hut bringen. Für ihn zählt letztlich ohnehin nur sein riesiges Ego, ansonsten ist er Christ, wenn es ihm nützt. Manchmal hält er dafür auch die Bibel in die Höhe.
Seine Gegner hasst und verfolgt er indessen. Die Rache ist ihm nicht fremd. Auch als amerikanischer Präsident ist für ihn das Verfassungsrecht nicht das höchste Recht, was historisch ungewöhnlich ist. Die permanenten Auseinandersetzungen mit den Gerichten füllen Bände und beschäftigen Heerscharen von Anwälten. Der Kampf ums Recht wird mit allen Mitteln geführt in diesem gnadenlosen Wettrennen, das man Fortschritt nennt. Man will „zukunftsfest“ werden, wie das neue Wort lautet.
Alle anderen, auch Thiel und Vance, können hier nur wichtige Fragmente der Wählerschaft bedienen, obwohl sie Trumps politisches Comeback entscheidend und mit Überzeugung unterstützten. Ohne Trump wird es für die Republikaner schwieriger werden, erfolgreich zu bleiben, obwohl die Demokraten als Partei derzeit schwach sind.
Träger des Fortschritts und Hintergrundphilosophie
Der Glaube an den Fortschritt, der die Neuzeit und Moderne trägt und vorantreibt (ständig modernisiert!) hat den institutionellen Träger gewechselt. Wir sehen heute, amerikanisch geprägt, eine privatisierte Religion des Fortschritts. Die Metaphysik wurde ausgelagert in die Märkte und Börsen, welche die Tagesnachrichten begleiten.
Erlösung erwarten wir nicht mehr vom Staat oder den Kirchen, sondern von Start-ups. Der neue Priester ist der Unternehmer, der gleichzeitig Prophet, Investor und Heilsverkünder ist, sei es von KI, sei es von biomedizinischer Forschung. Die neuen Technokraten werden neue Religionsgründer.
Thiel schätzt den Philosophen Leo Strauss (1899-1973), weil dieser die Spannung zwischen Wissen und Macht, Philosophie und Öffentlichkeit produktiv hält. Sein systematisches Werk „Naturrecht und Geschichte“ ist zugleich sein bekanntestes Buch (1956).
Für Thiel ist der politische Philosoph, heute der Unternehmer-Visionär, der Träger des Wissens, das die Massen weder erreichen noch verstehen können.
Ab 1949 lehrte Strauss politische Philosophie an der Universität Chicago. Seine esoterische Philosophie der Klassiker (Schriften 6 Bde., Metzler) war im Hintergrund schon einmal auffällig, zur Zeit von George W. Bush für die Neokonservativen 2001-2009. Die bekannten Namen waren damals andere: Wolfowitz, Perle, Kristol u.a..
2002 publizierte Thiel den großen Essay „The Straussian Moment“ (30 Seiten), in dem er eine neue Weltordnung nach 9/11 skizzierte. Zwei Denker spielen eine maßgebliche Rolle: Strauss und der französische Kulturanthropologe Rene Girard (1923-2025), der an der Stanford Universität seine Theorie des ‚mimetischen Begehrens‘ lehrte.
„Das Nachahmen führt zu einem zerstörerischen Wettbewerb“, wogegen Thiel die Singularity und den Nonkonformismus setzt.
Thiel sieht den Liberalismus wieder in einer ähnlichen Lage wie in den 20er Jahren in Deutschland und empfiehlt das Freund-Feind-Denken Carl Schmitts als Abwehr. Dies muss ihn selbst zu einem widersprüchlichen Gedankengebäude für einen libertären Technokraten, der sich eigentlich seinen eigenen Staat schaffen möchte, führen, was politische Massenbewegungen weniger stört.
Nach Leo Strauss ist der Philosoph der „Seher hinter dem Mythos“. Er weiß, dass jede Ordnung letztlich auf Fiktionen, das heißt auf „edlen Lügen“, beruht. Politik ist für Leo Strauss, den Esoteriker, der Heidegger für den größten Philosophen, der politisch groß irrte, hielt, und sich auch mit Carl Schmitts politischer Theologie auseinandergesetzt hat, nie rein rational.
Sie braucht Mythen, Religion, mythische Erzählungen, um das Gemeinwesen (das weder Gemeinschaft noch Gesellschaft ist) zu binden. Das ist platonisch gedacht und nicht aristotelisch. Die politische Philosophie – Hannah Arendt sagte mit Bedacht: die politische Theorie – ist entsprechend. Politische Theorie ist auf Praxis bezogen. Die Philosophien von Heidegger und Strauss sind dagegen politisch ängstlich und weltfremd im Sinne der griechischen Praxis.
Wie der platonische Herrscher soll der Unternehmer, so sieht es Thiel, die „Idee des Guten“ postliberal, erkennen. Bei ihm ist das Gute: die schöpferische Freiheit, die Innovation und die Überwindung des Niedergangs (und in diesem sieht er das Land und den dekadenten Westen, was sein politisches Engagement begründet).
Die „edle Lüge“ wird zum Narrativ, das den Fortschritt der Grenzüberschreiter und Gewinner legitimiert: als Kolonisierung des Mars, Singularity, Longevity, staatenlose schwimmende Städte im Meer und Antichrist-Warnung.
Die USA hat so, aus Sicht der politischen Philosophie, keine aristotelische Tiefenschicht als Phronesis gelebter Demokratie der Bürger, sondern dieser faktische Liberalismus beruht vornehmlich auf protestantischer Innerlichkeit und puritanischem Sendungsbewusstsein.
Das schafft Raum für platonische, mythische Höhenflüge – VISION statt Maß, wie sie Trumps Version amerikanischer Zivilreligion verkörpert, für die das Verfassungsrecht nicht das höchste Recht ist.
Bildnachweis: Agentur Medienlabor, KI-generiert.