Das Treffen der Koalition der Willigen mit Selenski in Kiew am 10. Mai gibt wieder Hoffnung, dass Schritte auf dem schwierigen Weg (nur schon) zu einem Waffenstillstand in der Ukraine gegangen werden können.
9. Mai
Am Tag zuvor, dem 9. Mai, mit der großen Militärparade aus der Zeit der Sowjetunion auf dem Roten Platz, den Sieg im Großen Vaterländischen Krieg über Nazi-Deutschland, das einen rassistischen Vernichtungskrieg führte. Die Sowjetsoldaten und die Zivilisten haben dafür mehr als einen hohen Preis bezahlt, darunter auch sehr viele Ukrainer.
In der Ukraine ist dieser Tag nicht in populärer Feststimmung begangen worden, zumal Putin den historischen Tag auch dazu nutzte, die „Spezialoperation“ gegen die Ukraine als Fortsetzung des Kampfes gegen den Nationalsozialismus zu rechtfertigen.
Es ist eine Machtdemonstration, die Raketen werden immer größer. Diesmal sind viele internationale Staatsgäste mit sichtlich erstaunten Gesichtern anwesend. Immer wieder wird gezielt der chinesische Staats- und Parteichef Xi Jinping gezeigt, der neben Putin sitzt, mit dem Sankt-Georgs-Band am Revers.
Er wird vier Tage in Moskau bleiben, was ungewöhnlich ist. Diese strategische Achse steht, was die Bilder der beiden im ungezwungenen Gespräch suggerieren. Putins Rede, in der er auch China lobt, wird für Xi unmittelbar übersetzt.
Auch der brasilianische Staatspräsident Lula, ein ehemaliger linker Hoffnungsträger, ist dabei, ebenso der alt gewordene Palästinenserpräsident Abbas. Als einziger europäischer Regierungschef ist der slowakische Regierungschef Fico nach Moskau gekommen, Orban fehlt.
Diktatoren verschiedener Art aus Belarus, Venezuela, Ägypten und Kuba hingegen dürfen nicht fehlen.
Russland will zeigen, dass es international nicht isoliert dasteht und ihm die Sanktionen nichts anhaben können. Die Staatsgäste werden von Putin einzeln begrüßt, so wie später viele wichtige Generäle verschiedener Waffengattungen und Truppenteile auf dem Roten Platz, alle mit zahlreichen Orden behängt.
Das orthodoxe Kirchenoberhaupt Kyrill sticht wie immer aus der Menge hervor. Viele heldenhafte Veteranen sitzen auf der ViP-Tribüne, einzelne werden von Putin geherzt. Eine ‚postheroische Gesellschaft‘ ist dies nicht, die schwere Tradition des Krieges und seine Opfer verbinden Vergangenheit und Zukunft und durchdringen die ganze Gesellschaft.
Macht, Militär und ausgefeilte Propaganda, die vor allem über das Staatsfernsehen in die entlegensten Regionen, mithin über Bilder läuft, bilden die politische Klammer dieses riesigen und vielfältigen Landes.
10. Mai
Der 10. Mai in Kiew sollte ein Zeichen dagegen sein – in Richtung Moskau.
Ein Solidaritätszeichen an der Seite der Ukraine von Starmer, Macron, Tusk mit Selenski, erstmals ist auch der neue Kanzler Friedrich Merz dabei. Die Europäer haben sich mit Trump verständigt:
Man fordert ultimativ eine dreißigtägige Waffenruhe, die Trump schon im Februar in Dschidda vorschlug, ultimativ ab Montag, dem 12. Mai. Das ist ein Fortschritt in den bisherigen zähen Verhandlungen. Die Tonalität von Trump gegenüber den Europäern hat sich verändert. Seine Charmeoffensive gegenüber Putin ist an Grenzen gestoßen, was ihm zunehmend aufstößt.
Das persönliche Treffen mit Selenski im Petersdom, tète-á-tête, war ein Wendepunkt – ein „großartiges Treffen“, ein „großartiges Gespräch“ (Jermak).
Was Charmeoffensive angeht, kann man vom französischen Staatspräsidenten Macron lernen. Offensichtlich wurde das schon bei seinem Besuch im Weißen Haus, beim lieben Donald, schenkelklopfend. Macron war es auch, der mit seinem Handy aus der Kiewer Runde heraus mit Trump telefoniert hat. Auf solche vermeintlichen Details kommt es in der Diplomatie an, gerade im Umgang mit einer Person wie Trump, der nun auch Selenski zu direkten Verhandlungen ermuntert.
Bisher sind es lediglich Konsultationen und noch keine Verhandlungen. Sobald es zu einem Waffenstillstand kommt, „müssen wir uns auf ein Format für die Verhandlungen einigen und die Delegationen ernennen“ (Jermak, in: Die Zeit, Mai, S.2). Schon der vollständige Waffenstillstand sei ein erster Schritt in diese Richtung.
Auch das gemeinsame Abkommen zur Förderung ukrainischer Rohstoffe, das Jermak als „einen wichtigen Teil zukünftiger Sicherheitsgarantien“ sieht, hatte einen langen Weg des Hin und Her hinter sich.
Die eigentlichen Friedensverhandlungen werden erst recht Geduld und Geschick erfordern. Die Ukraine zeigt im Diplomatischen wie im Militärischen die nötige Ernsthaftigkeit dafür und verdient starke Verbündete, die nicht aufgeben.
Trump hatte gleichzeitig im indisch-pakistanischen Konflikt um Kaschmir, der bis zum Einsatz von Mittelstreckenraketen eskalierte, erfolgreich vermittelt. Ebenso scheinen die Gespräche in Genf, den Handelskrieg zwischen China und den USA überraschend schnell, wenn nicht zu beenden, so doch zu deeskalieren, mit weitreichenden Folgen.
Sie senken jedenfalls die gegenseitigen Zölle drastisch. Großbritannien und die Schweiz schließen als Erste neue Zollabkommen. Freihandel ist auch ein Friedensprojekt. Von „Entspannung“ im „Handelskrieg“ wird auf den Wirtschaftsseiten der großen Zeitungen gesprochen. Und bei Trump ist bezeichnenderweise keine Rede mehr davon, den FED-Chef zu „feuern“.
Auch für die Beilegung des Ukraine-Krieges muss man weiterhin auf den erratischen amerikanischen Präsidenten setzen. Trump-Bashing, das billig ist, hilft nicht weiter. Erinnern wir uns an das Reagan-Bashing in Deutschland der 80er Jahre! Antiamerikanismus go home.
Trump könnte mittlerweile belehrt und gestärkt sein, selbst gegenüber Putin, den er bewundert. In diesem Fall könnten auch mögliche Sanktionen und weitere Waffenlieferungen dem Aggressor mehr weh tun als alles andere und der Ukraine wirklich helfen, die den Krieg noch nicht verloren hat.
Woche der Wahrheit
Der Kreml will das europäisch-amerikanische Angebot zunächst prüfen. Bereits am 11. Mai erfahren wir, dass Putin der Waffenruhe zustimmt unter der Bedingung, dass der Westen keine Waffen mehr liefert.
Schließlich schlägt Russland direkte Verhandlungen mit der Ukraine in Istanbul vor am Donnerstag, den 15. Mai, unter Vermittlung des türkischen Staatspräsidenten Erdogan, der sich früher schon einmal als Vermittler angeboten hatte, bis hin zu eigenen Friedensvorschlägen.
Es wird eine ‚historische Woche‘ der Wahrheit werden.
Putin will an die Gespräche nach 2022 anknüpfen. Er wirft der Ukraine vor, dass sie ebenso wie das Minsker Abkommen gescheitert sind. Damals wollte Russland, die Ukraine auf „dauerhafte Neutralität“ verpflichten. Siehe auch Kleger, Gedankensplitter III 2023.
Die russischen Kriegsziele haben sich seitdem nicht verändert, man besteht weiterhin auf einer Erörterung der „Konfliktursachen“ aus russischer Sicht und auf der Anerkennung der „neuen Realitäten auf dem Boden“, um den täglich meterweise gekämpft wird. Trotz der zunehmenden Dominanz der Drohnentechnik werden Kriege immer noch am Boden entschieden, dort, wo Menschen wohnen, arbeiten und im Dreck kämpfen.
Am 11. Mai ist zu lesen, dass Selenski Putin am Donnerstag in Istanbul erwartet: Er werde persönlich dort sein. Schon einmal ist man sich persönlich begegnet im sogenannten ‚Normandie-Format‘ 2019 mit Macron und Merkel.
Trump, mit dem sich Selenski sofort abgesprochen hatte, ist dafür. Er untergräbt damit das europäische Ultimatum und stützt Putins Gegenvorschlag. Er erwägt eine persönliche Teilnahme in Istanbul.
Was passiert jetzt mit dem Ultimatum aus Kiew für den 12. Mai, das die Amerikaner überwachen wollten. Wer hat das Heft des (Ver-)Handelns noch in der Hand?
Der Konter von Putin liegt zeitlich klug. Wir müssen jetzt den Donnerstag abwarten, aber länger wird Putin diese taktischen Spiele auf Zeitgewinn, während der Krieg vor allem im Donezk-Gebiet unaufhörlich voranschreitet, langsam mit großen Verlusten, nicht fortführen können.
Welcher ‚Sprache von Ultimaten‘ (Peskow)wird er sich beugen? Mobilisiert er noch einmal?
Auch im amerikanischen Kongress gibt es inzwischen wieder Bewegung gegenüber der Ukraine. So referiert der oberste Nato-Kommandeur, der amerikanische General Christopher Cavoli, vor dem Verteidigungsausschuss eine nüchterne Einschätzung von Russlands militärischen Kapazitäten.
Demnach ist nicht nur China der Hauptfeind, sondern ebenso Russland, das in gewissen Bereichen (Panzer, Munition) schneller rüstet als Europa und die USA zusammen. Es nutzt den Ukraine-Krieg, um die militärischen Möglichkeiten mit geopolitischer Strategie auszubauen.
Unklarer ist, was sich hinter Putin in welche Richtung bewegt? Will Medwedew, der zweite Mann und radikale Flügel von Putin, ihm Rückzugsmöglichkeiten mit seiner derben Rhetorik abschneiden (10.5., englisch auf X)? Wer weiß es? Wir kennen die Leute hinter und nach Putin, der sterblich ist, nicht.
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