Scholz und Biden

  1. Home
  2. /
  3. Blog
  4. /
  5. Scholz und Biden

Am Freitag, den 3. März, flog Bundeskanzler Scholz zu einem Überraschungsbesuch nach Washington, zu einem Vier-Augengespräch mit Präsident Biden im Oval Office. 

Diese Stippvisite ist nicht nur überraschend, sondern auch ungewöhnlich und bezeichnend für die momentane Situation in der Ukraine wie weltpolitisch, die riskant und gefährlich ist. Scholz reist ohne den üblichen Journalisten-Tross. Vorher gab es ebenso keine erklärenden Interviews und eine gemeinsame Pressekonferenz wird es nach dem Treffen auch nicht geben. Sofort wird von den zahlreichen Medien viel gerätselt und alles Mögliche hektisch hineininterpretiert, um das plötzlich entstandene Loch zu füllen.

Von ernstzunehmender Verstimmung ist die Rede wegen des Panzerdeals, bei dem Scholz die Zusage, Leopard-II-Panzer zu liefern, davon abhängig gemacht hätte, dass die Amerikaner im Gegenzug ihre schweren Abrams liefern. Letztere halten die Militärs für „unnütz“. Die Lieferung der 15 deutschen Leopard-Panzer läuft derweil noch immer schleppend, wie die ganze vollmundig angekündigte europäische Panzerkoalition wieder einmal zu spät kommt. 

Seit dem G7-Treffen in Elmau 2022 ist bekannt, dass sich Scholz und Biden persönlich gut verstehen. Sie telefonieren regelmäßig und stimmen sich ab, auch dürfte manch innenpolitische Entscheidung Bidens im Sinne von Scholz sein, etwas Sozialdemokratie auf amerikanisch. Beim jetzigen Treffen stehen jedoch die Abstimmung bei der weiteren Unterstützung der Ukraine und das Verhältnis zu China im Vordergrund. 

Scholz spricht vor der Abreise davon, dass das „transatlantische Verhältnis so gut wie seit Jahren nicht mehr“ sei. Das ist sicher so, vor allem im Vergleich zur Trump-Zeit. Inzwischen gibt es sogar Stimmen, die Biden für den besseren Politiker als Obama halten, den Hoffnungsträger von damals. Obama, dessen Vizepräsident Biden war, hatte etwas voreilig den Friedensnobelpreis für „eine Welt ohne Atomwaffen“, die er schaffen wollte, bekommen. 

Auf die Fehler der amerikanischen Außenpolitik in Syrien und anderswo wollen wir hier nicht eingehen. Man darf jedenfalls festhalten, dass dem erfahrenen Politiker Biden (‚Kaliber Lyndon B. Johnson‘) Europa am Herzen liegt und das transatlantische Bündnis nicht bloß ein Lippenbekenntnis ist, was er mit seiner Unterstützung der Ukraine und dem zweimaligen Besuch von Polen bewiesen hat. 

Offenbar will der 80jährige für das kräftezehrende Präsidentenamt 2024 noch einmal antreten. Für die Europäer wäre das ein Glücksfall, um den man allerdings bangen muss. In den USA versucht Trump in seinem aggressiven Dauerwahlkampf Biden für einen bevorstehenden Dritten Weltkrieg verantwortlich zu machen, gleichzeitig wirft sein Anhänger Richard Grenell, der ehemalige Botschafter in Berlin, Deutschland vor, nicht genug für die Ukraine zu tun! Wie die langfristige Unterstützung der Ukraine der USA aussehen wird, ist offen ebenso wie das, was die Europäer, die viel versprechen, allein stemmen können. 

Die Biden-Regierung sieht seit 2022 dieselbe Philosophie bei Deutschland und den USA, sich der Dynamik des Krieges anzupassen, im täglichen Austausch mit der Ukraine zu bleiben und zu liefern, was militärisch notwendig und politisch verantwortbar ist. Das sind im Moment vor allem Panzer, Artillerie, Munition und Luftabwehr und nicht die Lieferung von Kampfjets F-16, so der Sicherheitsberater John Kirby im Interview (Tagesspiegel, 4. März, S.8). Am Rande des Treffens mit Scholz bewilligen die USA noch einmal 400 Millionen Dollar Militärhilfe vor allem für Munition, darunter für den effektiven Mehrfachraketenwerfer Himars, dessen Reichweite auf 150 Kilometer fast verdoppelt worden ist.

Der neue Präsident Tschechiens Pavel erklärt wiederum anfangs März, warum die Ukraine Kampfjets braucht. Der ehemalige Nato-General muss es wissen. Selenski und sein Verteidigungsminister Reznikow, die den Krieg bis Ende Jahr entscheiden wollen, dringen mit Vehemenz darauf und sind sich gewiss, dass sie kommen werden. Auch EU -Parlamentspräsidentin Metsola drängt bei ihrem Besuch in Kiew am 4. März auf baldige Kampfjetlieferungen. Für Scholz ist das kein Thema, während Medwedew droht, dass die Lieferung von Kampfflugzeugen den Kriegseintritt bedeuten würden. 

Scholz und Biden haben also auch weiterhin, nach ihrem kurzen einstündigen Gespräch, genügend zu besprechen. Vertrauen zwischen entscheidenden Personen ist eine Voraussetzung für das politische Vertrauen, zumal angesichts einer Situation, in der sich nach einem Jahr zermürbender Krieg der Druck nach einem Ausweg immer mehr aufbaut. Schnelle Lösungen sind indessen nicht in Sichtweite. Scholz hat zuletzt an sein Wahlvolk, das in diesen Kriegsfragen zutiefst gespalten ist (diesmal wirklich in zwei Hälften neben den vielen ‚kleine Spaltungen‘ einer modernen differenzierten Gesellschaft), appelliert: 

„Vertrauen Sie mir!“ Dazu gehört für ihn, der Verantwortung für das ganze Volk trägt, „im Gleichschritt mit unserem stärksten Verbündeten zu gehen“, bei aller Kritik am Zögerer und Zauderer, die man nachvollziehen kann, wenn man aus der Dringlichkeits- Perspektive der kämpfenden ukrainischen Armee denkt. 

Munition in einem Verteidigungskrieg zu sparen, ist sicherlich kein guter Rat. Aber Scholz vorzuwerfen, dass er am „Händchen von Biden geht“, ist bösartig (Gujer, NZZ). Die vertrauensvolle Biden-Scholz-Linie ist bisher militärisch und politisch unter den bekannten und unbekannten riskanten Bedingungen wohlerwogen. 

Biden dankt Scholz für seine „starke und beständige Führung“ (4. März), umgekehrt wäre das Lob richtiger gewesen, denn ohne die USA ist Europa gegen Russland nicht verteidigungsfähig. Das festzustellen ist nicht unterwürfig, sondern angemessen und realistisch. Etwas anderes wiederum ist die berechtigte Kritik an der „Zeitlupenwende“ (Masala), die jedoch mehr dem Trägheitszustand der Bundeswehr und einer überregulierten Administration der letzten Jahrzehnte geschuldet ist als Scholz. 

Die parteipolitische Auseinandersetzung ist zu großen Teilen unweigerlich immer auch eine um Zurechnungen von Fehlern und Verdiensten. Was muss der Kanzler heute nicht alles gleichzeitig zur Chefsache machen: Klimapolitik, Energiewende, Verkehrswende, Flüchtlingspolitik und – : die vielgestaltigen neuen Aufgaben, die heute zur Außenpolitik gehören: Konferenzen und Besuche am laufenden Band. 

Trotz Richtlinienkompetenz kann ein Kanzler in einer Dreier- Koalition ideenpolitisch unterschiedlicher Parteien (sozialdemokratisch-liberal-grün) nicht mit Machtworten regieren (wie dies Scholz ausnahmsweise bei der Verlängerung der Atomkraft tat). Kritik hieran ist wohlfeil. Eine Kombination von Stoizismus, der sich nicht zu schnell beeindrucken lässt, und dem heutigen Hyperaktivismus der Politik ist hingegen notwendig und nicht jedermanns Sache. Scholz kann es. 

Die experimentelle Fortschrittsregierung muss 2022 und 2023 unter Bedingungen der Knappheit und des Krieges funktionieren. Ein besonders akuter und prioritärer Ausschnitt davon ist die verteidigungspolitische Zeitenwende. Wie sie geht, zeigen Polen, Tschechien, Finnland und die baltischen Staaten. Sie erledigen schnell die nötigen Hausaufgaben und stärken mit der Nato die europäische Verteidigung insgesamt, vor allem an der Nordostflanke. 

Inzwischen will die Bundesregierung Leopard-2-Panzer aus den Beständen der Schweiz zurückkaufen, um Lücken, die durch Lieferungen an die Ukraine entstanden sind, wieder aufzufüllen. Was man in Bezug auf beide Länder zunächst gar nicht glauben mag: Die Schweiz hatte mehr Panzer als die Bundeswehr. Die Schweizer Armee hat 134 Leopard-II-Panzer im Einsatz sowie 96 ‚eingemottet‘. 

Wenn diese verkauft würden, so würde dies die eidgenössische Verteidigungsfähigkeit nicht schwächen. Gebirgsgrenadierkompanien sind wichtiger. Medwedew und Co. würden die Schweiz auch nicht zerstören, wie es der verrückte Gaddafi dem Land nach der Minarettverbotsinitiative angedroht hatte. 

Die letzte Phase des Krieges? 

Die harten Kämpfe im Donbass gehen unvermindert weiter. Insbesondere die erbitterte und verlustreiche Schlacht um Bachmut, die seit Monaten dauert, ist – wie vor kurzem Mariupol – zum Symbol für weitere ‚Fortschritte‘ im Zermürbungskrieg geworden. Keine Seite will deshalb zurückweichen. Der Nachbarort Wuhledar wäre strategisch bedeutsamer. Für die ukrainische Gegenoffensive ist ohne Zweifel ein Durchbruch nur mit schweren westlichen Panzern möglich. 

Die Feier der Ankunft der ersten fünf Leopard-Panzer aus Polen sprach für sich. Selenski und sein Verteidigungsminister Reznikow setzen optimistisch auf einen Sieg bis Ende Jahr. Im Theorieseminar in Wiesbaden werden dafür Szenarien geübt, die Praxis im militärischen Ernstfall ist jedoch noch einmal etwas ganz anderes, zu viele überraschende Ereignisse sind im Spiel. 

Auch Putin gibt in der Heimat die Parole aus: „Alles für den Sieg!“ Der härteste Satz in seiner Rede zur Lage der Nation lautete: „Auf dem Schlachtfeld ist Russland nicht zu besiegen!“ Diese Parolen zur letzten Entschlossenheit sind ernstzunehmen. Alle Beobachter rechnen mit Offensiven in den nächsten Monaten, wenn die Schlammperiode zu Ende ist. Niemand weiß indessen genau, wie sie aussehen werden und was sie vermögen. 

Auch der Besuch von Scholz bei Biden war wohl eher ein weiteres Zeichen entschlossener Gemeinsamkeit gegenüber Russland und der eigenen Bevölkerung sowie vor allem eine wechselseitige persönliche Versicherung. Inhaltlich brachte er nichts, was bezeichnend ist für den gegenwärtigen Zustand des Krieges, der feststeckt.

Dazu gehört der Kriegsunternehmer Prigoschin in dickem Kampfanzug vor Bachmut, Außenminister Lawrow, der in Indien für die Rede, in der er Russland als Opfer stilisiert, ausgelacht wird, und der Verteidigungsminister Schoigu, der weit entfernt von der Front seine Truppen inspiziert. 

Wer einmal ein Bild von Schoigus Wohnhaus gesehen hat, der ahnt, wohin ein Teil der Gelder für die Modernisierung der Armee geflossen sein könnte. Sein Chef Putin war im Unterschied zu Selenski nie an der Front eines Krieges, den er verschuldet hat. Dafür schwört er seine Leute vom Inlandsgeheimdienst (FSB) auf den verstärkten Kampf gegen Saboteure ein. Vorwände für Schlimmeres, bzw. „ukrainische Faschisten, die Russland angreifen“, werden sie immer finden, was seit dem Tschetschenienkrieg ein bekanntes Muster ist. 

Putin wird zweifellos in die Geschichtsbücher eingehen, was schon immer ein krankhafter Ehrgeiz war, aber anders als es sich der Eroberungszar imaginiert hatte. Erleiden in der Realität müssen diese Phantasie andere: die Soldaten, die verheizt werden, die Zivilbevölkerung und das Land, das in Zukunft einen besseren Patriotismus braucht.

Bildnachweis: IMAGO / Sammy Minkoff