Am 2. Oktober fand eine besondere Aktion vor der Leinwand der Stadt
Potsdam „Toleranz und Solidarität“ beim Filmmuseum statt. Der EKD-Ratsvorsitzende Bedford-Strohm und Oberbürgermeister Mike Schubert führten eine gemeinsame Veranstaltung zur Seenotrettung und zur Situation in Moria durch. Auf Bannern stehen die Namen der 194 Städte und Landkreise , die bereit sind, mehr Geflüchtete aufzunehmen,
aber bisher daran gehindert werden.
2019 bildete sich das Bündnis „Städte sicherer Häfen“ auf Initiative von „Seebrücke“ für die Seenotrettung. Es ging darum, sich auszutauschen und gemeinsam stark zu werden, um mit einer Stimme gegenüber der Bundesregierung sprechen zu können. Eine eigenständige Politik der Städte ist weder im föderalen System noch in Europa vorgesehen, obwohl die Städte seit je die zivilen Netzwerke eines Europa von unten bilden. Heute sind sie auch die Stiefkinder des Föderalismus geworden, was der gesellschaftlichen Wirklichkeit in keiner Weise mehr entspricht. Dabei gibt es Städtenetzwerke, die transregional und transnational sehr produktiv auf verschiedenen Politikfeldern sind: Klimaschutz, neue Mobilität, gegen Rassismus, für neue Integrationskonzepte usw.
Jahrelang war das Koordinationsbüro der „Europäischen Städtekoalition gegen Rassismus“ in Potsdam angesiedelt. Seit 2019 übernimmt Potsdam die Koordinierung des Städtebündnisses „Sichere Häfen“. Zu den Erstunterzeichnern der „Potsdamer Erklärung“ gehören unter anderen: Berlin, Greifswald und Rostock. Sie treten mit der klaren Forderung an die Regierung heran, dass der Bund die freiwilligen Hilfsangebote ermöglichen soll, was auch ein Akt demokratischer Subsidiarität wäre, die man auf Europa ausweiten könnte. Die Notsituation gebietet es, und die praktische Solidarität ist vorhanden.
„Wir Städte sichere Häfen“ ist auch ein bürgerschaftliches Wir im Sinne einer tatkräftigen politischen Einheit. Oberbürgermeister Mike Schubert hat treffend von moralischem Pragmatismus gesprochen (PNN, 22.9.2020). Solidarität ist auch eine Ethik des Könnens. Eine eigenständige Politik der Städte ist möglich aufgrund initiativer Bürgermeister, politischer Mehrheiten, lebendiger Zivilgesellschaft, Ressourcen und Traditionen. Die Tradition des Potsdamer Toleranzedikts bedeutet: Flüchtlingen in der Not auch auf eigenen Wegen rechtzeitig zu helfen.
Ich bewundere das Edikt von Potsdam 1685, das kein Toleranzedikt war, weil es rechtzeitig kam und subversiv war im damaligen Europa. Seine 14 Punkte waren von A bis Z durchdacht und boten Perspektiven, die grösstenteils eingelöst wurden. So etwas schaffen wir heute nicht mehr, dennoch haben wir seit 2015 viel geschafft. Und wir können es weiterhin, tolerant und solidarisch, schaffen auf einer konfliktiven demokratischen Grundlage mit einem neuen verbindenden Toleranzedikt.
Heinz Kleger lehrte von 1993 bis 2o18 Politische Theorie an der Universität Potsdam, er ist Initiator des Neuen Potsdamer Toleranzedikts 2008.
Foto: Daniel Wetzel, Agentur Medienlabor