Postliberalismus

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Heißt ein neues Schlagwort der amerikanischen Diskussion aus dem Umkreis des Katholizismus, der wieder vermehrt intellektuell und politisch eine Rolle spielt.

Nach Posthistoire, Postmoderne und Postdemokratie nun also der Postliberalismus, die Vorsilbe ‚Post‘ scheint beliebt zu sein, um sich nicht näher und tiefer mit etwas beschäftigen zu müssen, was schon wieder vorbei ist (siehe Thomä, Nachruf auf eine Vorsilbe, Berlin 2025).

Weiß man dadurch etwas Neues über die Moderne, die Demokratie oder den Liberalismus, das ist die Frage. KAUM. Man hangelt sich vielmehr oberflächlich und schnell von einem Hype zum nächsten, ohne dass Geistesgegenwart und Urteilskraft gestärkt würden, im Gegenteil, sie verflachen, da keine Zusammenhänge mehr hergestellt werden.

Liberalismuskritik

Liberalismuskritik aus den USA ist freilich nichts Neues, sie hat immer wieder eine große auffällige Rolle gespielt, so in den 20er und 30er Jahren, dann wieder in den 60er Jahren, denken wir nur an die Kritik des Soziologen C. W. Mills an der ‚Machtelite‘ (1956/2019), welche die frühen amerikanischen ’68er‘ beeinflusst hat bis zum Port Huron Statement zur partizipatorischen Demokratie (1962).

Oder an die Kritik der ‚repressiven Toleranz‘ von Herbert Marcuse (1965), was ein Hauptschlagwort der europäischen 68er wurde, auch gegen die eigenen liberalen Lehrer und Väter. Robert N. Bellah beleuchtet sodann eindrücklich mit ‚Habits of the Heart‘ (1985), ebenfalls von Tocqueville ausgehend, eine Seite des Elends des Liberalismus.

Diese Beschreibungen und Zeitdiagnosen wie die Therapien waren freilich immer heftig umstritten. Die bürgerlich-Liberalen hielten sie für überzogen. Die scharfe Kritik kam damals wie selbstverständlich von links, heute kommt sie von rechts.

Die Parteien- und Elitenkonkurrenz, die, oft uneingestanden, immer eine treibende Rolle spielte, hat sich inzwischen vergrößert und zunehmend durch politische Polarisierung und deren Mobilisierung verschärft, bis hin zu Putsch-Versuchen, die das Amerika-Bild für uns Europäer für immer verändert haben.

Für uns ist das Stichwort Postliberalismus deshalb lediglich Anlass, noch einmal zu überlegen, welchen Liberalismus wir wie verteidigen wollen und müssen, wenn wir aufseiten der liberalen Demokratie stehen.

In der gegenwärtigen Situation kommt die Liberalismuskritik vor allem vehement und auffällig von rechts, aber auch, durchaus traditionell, von konservativer Seite. Sie wird gerne vergessen, insbesondere in Deutschland, wo ‚konservativ‘ zu einem Schimpfwort geworden ist.

Wir betrachten hier die Liberalismus- Kritik primär als eine Auseinandersetzung innerhalb des Liberalismus und des Konservativismus. Dies ist nicht nur philosophisch aufschlussreich, sondern auch politisch spannend und wichtig, wenn wir an die unterschiedlichen Strömungen denken, die wir innerhalb der aktuellen ‚Revolution von rechts‘ analysiert haben (siehe die Blogs vom 14. und 22. September),

Dort existieren zwischen Libertären, Konservativen und Neuen Rechten zahlreiche offene und sehr widersprüchliche Positionen. Der Machthaber TRUMP hat das Sagbare mächtig verschoben, er versteht etwas von Macht, aber nicht von Ordnung. Das öffnet den Blick für weitere Deutungskämpfe. MAGA ist eine heterogene Bewegung, die durch Trump zusammengehalten wird.

In den USA existiert ein katholisches Milieu, das sich durch intellektuelle Produktivität auszeichnet und in universitären Einrichtungen (Notre Dame, Indiana) sowie Vereinigungen und Zeitschriften seinen Ausdruck findet. Der Neothomismus spielt in der Philosophie eine größere Rolle als in Europa.

Doch ist auch der US-Katholizismus, der durch die neue Einwanderung (traditionell die Arbeiterschicht) zahlenmäßig an Bedeutung gewonnen hat, kein einheitlicher Block. Genauso wie in anderen sozialen Milieus gibt es beispielsweise die Never-Trumper wie die Trump-Anhänger.

Für den katholischen Postliberalismus hat Patrick J. DENEEN (geb. 1964) das Buch der Stunde geschrieben “ Why Liberalism Failed“ (2018). Deneen nennt sich selbst ‚postliberal‘. Er ist mit dem Vizepräsidenten Vance, der zum Katholizismus konvertiert ist, befreundet, was ihm zusätzliche Aufmerksamkeit bescherte.

Mit „Regime Change. Toward a Postliberal Future“ (2023) ist ihm möglicherweise sogar ein Manifest für die Vance-Republikaner in der Nachfolge von Trump gelungen. Es beschreibt geradezu das Programm für einen Elitewechsel, während das erste Buch weithin bekannte Themen und Beobachtungen der Liberalismuskritik seit Tocquvilles berühmtem Buch über die Demokratie in Amerika (1835/1840) wieder aufnimmt. Sie sind inzwischen vielfach variiert worden.

Aristopopulismus

Unter dem Titel des „Aristopopulismus“ wird neuerdings die Idee eines christlich verstandenen Gemeinwohls für die Konservativen und Rechten reklamiert. Aristoteles und aktiver Populismus sollen durch die neue Elite verbunden sein, wobei auch wieder der Staat im Unterschied zu den Neoliberalen, Libertären und Neokonservativen eine stärkere Rolle übernimmt. Der Graben zwischen dem Volk und einer entkoppelten Politik und Regierung soll so geschlossen werden.

Dem geht eine unversöhnlich scharfe Kritik am destruktiven Liberalismus voraus, insbesondere am klassischen Liberalismus, von John Locke herkommend, der die zentrale Figur ist, sowie am progressiven Liberalismus eines John Stuart Mill. Der Marxismus, von dem wir diese Kritik seit Marx ebenfalls kennen, wird überraschend als Liberalismus taxiert und einbegriffen. Das ist ein geschickter Schachzug. DENN:

Aus links ist rechts geworden mit dem Schwenk von Vance und seiner Biographie als Argument. Man sieht sich aufseiten der konservativen Arbeiter und der Mehrheit, die von der Politik Schutz und Sicherheit erwarten und gegen die liberale Wokeness eingestellt sei. Letzteres wird heftig geschürt.

Deneens Bürgerglaube versteht sich als „demokratischer Realismus“ („Democratic Faith“, 2005) mit der Rettung von Werten, die dem Autor persönlich wichtig sind und die viele als ‚christlich‘ assoziieren: „humality, hope, and charity“.

Die genauere ökonomische Analyse indessen bleibt für die Einzelnen wie die Arbeiter als Schicht vage, während umso mehr inflationär von Werten die Rede ist. Was bedeutet dies? Sind Familienwerte beispielsweise, die für die meisten ohne Zweifel lebenswichtig sind, per se konservativ? Oder per se liberal? Oder progressiv? Sie werden gelebt und interpretiert, sie sind keine Theorie.

Überdeutlich wird bei dieser dürftigen soziologischen Analyse lediglich, dass ‚Eliten‘ zur „Natur des Menschen“ gehören und gegen die Destruktivkräfte (wie Markt und Individualisierung) des Liberalismus ausgewechselt werden müssen. Es sind wohl die Macht- und Werteliten gleichermaßen.

Dann stehen wir wieder bei den einfachen Schemata von “ Natur und Herrschaft“ sowie der Demokratie als „Herrschaft des Pöbels“ von Aristoteles. Wer nimmt es heute mit ihr auf? Der schnelle Populismus-Vorwurf dient seit Langem lediglich noch der Delegitimation von Opposition. So werden die Liberalen und Linken den ‚Kampf gegen rechts‘ nicht gewinnen, was schon hinlänglich bewiesen ist.

Beim christlich begründeten Aristotelismus geht es um die Verbesserung des Volkes durch eine neue Aristokratie (‚aristoi‘: die Wenigen, die Besten, die Führenden). Die Demokratie wird zu einer Wahlaristokratie mit allen Versuchungen zu autoritär entgrenzter Macht, wie sie in einer plebiszitären Führerdemokratie stecken. Schon der liberale Aristokrat Alexis de Tocqueville bezeichnete in seinem Demokratie-Buch die Juristen und die Industriellen kritisch als die „neuen Aristokraten“. Dieses Thema wäre mit aktueller Brisanz wieder aufzunehmen.

In der föderalen Republik kommen die vertikale und horizontale Machtgliederung hinzu, auch die Subsidiarität ist für einen demokratischen Föderalismus von unten und die Demokratie der Bürger wichtig. Der gegenwärtige Kampf um und in den demokratischen Städten, wie er von der Trump-Regierung geführt wird, zeugt vom Gegenteil.

Was mehrheitsfähig ist und was nicht, ist politisch offen und sollte demokratisch entschieden werden. Für diese Fragen finden wir im postliberalen Weltbild keine Antworten, es vertieft weder den Liberalismus der Grundfreiheiten noch die Demokratie der Bürger, sondern zementiert nur die Denkfaulheit.

Stärken und Schwächen des Liberalismus

Natürlich hat der Liberalismus seit je seine Schwachpunkte bei elementaren FRAGEN nach der Nation, der Solidarität und den Grenzen der Freiheit. Und wenn die Linke darauf gar keine Antworten mehr hat oder sie den Rechten überlässt, verliert sie. Das liegt auf der Hand. Wie lässt sich also die Verfassungsdemokratie stärken und der Liberalismus heute verteidigen?

Der Liberalismus hat im 20. JAHRHUNDERT gelernt, seine eigenen Extreme zu zügeln. Das sind: ökonomischer Dogmatismus, Besitzarroganz, Rationalismus ohne Empathie. Er ist heute strukturell anti- totalitär, insofern und weil er sich auf Verfahren, Pluralität und Selbstkorrektur stützt.

Das ist seine Stärke, die rechtsstaatlich geschützt werden muss, und zugleich seine weltanschaulich leicht angreifbare Schwäche. Das war auch der Ausgangspunkt von Sandels Kommunitarismuskritik an Rawls ‚prozeduraler Republik‘. Der Liberalismus ist keine Heilslehre mehr, er wird aber heute durch neue Heilslehren von rechts und von links in die Zange genommen.

John Rawls unterscheidet Liberalismus als Weltanschauung und politischen Liberalismus (1993), bei dessen Begründung er erstaunlicherweise auf die vorangegangene Kommunitarismus-Diskussion nicht eingeht. Der Kommunitarismus, ob aristotelisch, konservativ oder katholisch begründet, ist ein politischer Gegner des politischen Liberalismus, sofern er über kleine Gemeinschaften, die ‚Benedikt Option‘, die ‚ Communio-Bewegung‘ und zivilgesellschaftliche Vereine hinausgeht. Die Unterscheidung zwischen kleinen Gemeinschaften, moderner Gesellschaft und politischem Gemeinwesen/Staat ist hier zu beachten.

Leo Strauss, Mac Intyre (Der Verlust der Tugend,1987) und C. D. Schindler (2017) lehnen die liberale Moderne ab und ignorieren die grundlegende Reflexion von Rawls auf den gesellschaftlichen Pluralismus. Das ist politisch gefährlich.

Wie soll eine Idee des Guten uns einen, wenn Pluralismus/Pluralität eine unhintergehbare Tatsache ist? Glauben die Philosophen mit der wahren Idee des Guten alle überzeugen zu können? Oder wird das Gute mit staatlicher Gewalt durchgesetzt? Autoritär?

Freiheit, Pluralismus, Toleranz sowie der Dissens und der permanente Streit der Demokratie sind zutiefst verbunden, wofür es geschützte Räume durch den Staat braucht, der ebenso als ‚unser Staat‘, ‚Bürgerstaat‘ aus Verantwortung neu zu denken und zu schützen ist.

Die katholische Soziallehre als Impulsgeber auch für die Wirtschafts- und Sozialpolitik hingegen ist nach Vaticanum II mit dem politischen Liberalismus kompatibel. Der neue erstmalig amerikanische Papst Leo XIV. kennt sie gut. Die Enzyklika De rerum novarum von 1891 ist starker Tabak für die Postliberalen. In den lehramtlichen Dokumenten wurde der Hyperindividualismus immer wieder kritisiert.

Papst Franziskus, der als Lateinamerikaner in den USA weniger gut ankam, beispielsweise bezeichnete ihn als „autoritären Anthropozentrismus“. Die katholische Formel lautet: gegen den Individualismus (ein Begriff, der damals von Tocqueville auf Amerika bezogen wurde), aber für das Individuum bzw. die Person. Die katholische Soziallehre ist universalistisch, und muss die Würde des Einzelnen in den Vordergrund stellen.

Das lässt sich auch mit einem christlichen Aristotelismus begründen. Was Vance, die katholischen Postliberalen und konservativen Kommunitaristen jedoch damit machen, ist wieder etwas anderes.

Ob freilich die obige (Rawlssche Differenzierung) zur Weltanschauung gemacht werden soll, ist in der Philosophie umstritten. Wir machen sie aus politischen Gründen für die politische Theorie. Der katholische Philosoph D. C. Schindler (geb. 1970), der über Deneen hinausgeht und einen ontologisch fundierten Freiheitsbegriff in der Orientierung auf das Gute (im Singular) vertritt, würde dies verneinen. Die schwierige Freiheit steht zweifellos im Zentrum der Philosophie des Liberalismus.

Größtmögliche Freiheit?

Das philosophisch-politische Prinzip des Liberalismus kann man mit Fug und Recht als größtmögliche Freiheit bezeichnen.

Bei Schindler steht das moderne Freiheitsverständnis im Zentrum, das er als „diabolisch“ bezeichnet, da es sich an die Stelle des Guten setzen will. Dies sei ein „SUBSTITUT DES GUTEN“ (siehe S. 3 in „Freedom from Reality. The Diabolical Character of Modern Liberty“, 2017).

In der Moderne wird der interne Zusammenhang zwischen Freiheit und Moderne zerbrochen, wenn sich der Mensch als „maítre et possedeur de la nature“ versteht (Descartes, Discours de la Methode, 1637). Dieses Selbstverhältnis der Freiheit als Naturbeherrschung führt schließlich zu einer „Leere der Freiheit“, so Schindlers These.

Auch die philosophische Anthropologie kritisiert dieses Selbstverhältnis des Menschen und spricht von „Körper haben“ und „Körper sein“ (Plessner). Die grenzenlose Selbstbestimmung ist nicht das Ziel. Auch der liberale Staat kennt Grenzen, schon im einfachen Strafrecht. Die vernünftige Freiheit ist nicht absolut.

Freiheit ist für den Liberalen Kant avant la lettre nicht gleich Willkür. Sie bedeutet nicht, dass ich machen kann, was ich will. Die heutige Hypertrophie der Selbstbestimmung stößt an Grenzen – gesundheitlich, ökologisch und sozial. Überforderung und Erschöpfung des Selbst lautet der diagnostische Befund, den wir ernstnehmen sollten.

Was also bedeuten die Grundfreiheiten des Liberalismus, die heute als großer Fortschritt verfassungsmäßig verbürgte Grundrechte einer Grundrechtedemokratie geworden sind? Sie stehen nicht zur Disposition der Mehrheit. Mit Kants vernünftiger Freiheit sind die Institutionen des liberalen Staates mitzudenken. Die verantwortete Freiheit hat mithin eine individuelle und eine kollektive Dimension.

Im Selbstverhältnis geht es um die antike Selbstvorsorge (souci de soi), kollektiv um das zivile Miteinanderleben in einer konfliktiven Demokratie. Die Optionen haben sich in der liberalen Moderne für viele enorm erweitert, die Wahlmöglichkeiten und Angebote sind größer und vielfältiger geworden. Das nehmen wir als liberal wahr, was immer auch eine ökonomische, soziale und staatliche Basis hat. KEINE Freiheit ohne Sicherheit, von protoliberal bis bürgerlich-liberal als wohlgeordnete Freiheit: Hobbes, Montesquieu, Kant.

Zugleich ist die Selbstverantwortung größer, und die verantwortete individuelle und politische Entscheidung schwieriger geworden – bis zur Überforderung und Erschöpfung des Selbst. Kann und soll man sich noch am automatischen Fortschritt orientieren? Oder woran sonst? Bietet die größtmögliche Freiheit genug Orientierung oder wird sie leer und sinnlos? Hieran knüpfen sich immer wieder neu die Fragen des guten Lebens und einer nachhaltigen Zukunft an.

Thiel und Vance

Thiel erkennt, dass der radikale libertäre Liberalismus (siehe auch Milei, Musk u. a.) keine dauerhafte gesellschaftliche Ordnung hervorbringen wird. Eine rein libertäre Gesellschaft, also der Glaube an totale Selbstverantwortung, Technologien als Befreiungsinstrument und den Minimalstaat, zerfällt in atomisierte Individuen.

Es ist dies das Genmodell zu dem, was wir oben die verantwortete Freiheit genannt haben, die zugegeben anspruchsvoller und schwieriger geworden ist. Es wird heute individuell und kollektiv an der Grenze zur Überforderung erlebt, mehr passiv im Unterschied zum aktiven Handeln. Das neue Konzept der Selbstwirksamkeit weist kompensatorisch darauf hin.

An dieser Stelle kommt beim Unternehmer Thiel, worauf wir in den letzten Blogs hingewiesen haben, die Philosophie von Leo Strauss ins Spiel, der an die klassische Philosophie der Antike als wirkungsvoller Lehrer in Chicago angeknüpft hat. Strauss diagnostizierte beim modernen Liberalismus eine Erschöpfung des Sinns und die Auflösung gemeinsam verbindlicher Maßstäbe, weil alles individuell, relativ und beliebig wird.

Die Stabilität sucht er – anders als Rawls im politischen Liberalismus – in der Berufung auf eine bindende Idee im moralischen und/oder transzendenten Sinn. Religion ist bei ihm (neben vielen, die heute wieder von Religion sprechen) kein Glaube im theologischen Sinn, er ist auch kein politischer Theologe, sondern ein soziales Bindemittel, eine Gegenkraft zum Nihilismus.

Thiel findet bei Strauss eine moralische Zähmung des freiheitlichen Impulses, aber anders als in Europa, wo die Einhegung der Freiheit nach 1945 durch starke Institutionen, Verfassungen, Sozialstaat, Verrechtlichung und Bildung erfolgte – kurz: durch ‚Strukturen‘, alltagssprachlich heute: ‚Leitplanken‘.

Der Sinn, der das Ganze trägt, bleibt indessen säkular. Die Säkularisierung hat stattgefunden, wenngleich unvollendet. Wir glauben als Orientierungswaisen an mehr, als wir wirklich wissen, und wissen das auch.

Man vertraut der Vernunft und dem Recht. Der Bürgerglaube mit und ohne Gott bleibt dennoch wichtig.

Es existieren zwei Wege:

Der eine will die Menschen moralisch disziplinieren, der andere will sie intellektuell zivilisieren. Beide, das muss man konzedieren, ringen um dieselbe Frage, die im Zentrum der Liberalismus-Debatte steht:

WIE kann man Freiheit (individuell wie kollektiv) stabilisieren, ohne sie zu ersticken?

Für Thiel ist Vance’s Konversion zum Katholizismus kein Ziel, aber womöglich ein gedankliches Experiment, den libertären Westen zu „re-grounden“.

Ob er das System damit heilt oder schließlich vollends vergiftet, entscheidet sich daran, ob der Glauben (wir sagen Bürgerglaube mit oder ohne Gott) im Dienst der Freiheit bleibt oder zum autoritären Zwang auf Kosten von Freiheit und Pluralität wird.

Schluss

Wir haben weder eine libertäre noch eine kommunitaristische Liberalismus-Kritik vertreten. Das ist zu einfach. Wir sollten vielmehr mit der zivilen Komplexität, die der moderne Liberalismus individuell und institutionell geschaffen hat, arbeiten und sie unter den heutigen feindseligen Bedingungen zugleich verteidigen, so schwierig und anstrengend dies geworden ist.

Bildnachweis: Agentur Medienlabor, KI-Generierung.