Die TV-Debatte am 11. September wurde mit großer Spannung erwartet. Sie hat für den Wahlkampf enorme Bedeutung, da sich die beiden Kandidaten zum ersten Mal direkt begegnen und möglicherweise das letzte Mal vor dem 5. November.
Für Trump ist es bereits die achte Fernsehdebatte, für Harris die Erste, auf die sie sich in fünf Tagen mit ihrem Team akribisch vorbereitet hat. Nun hat sie die Chance, sich und ihr Programm über die eigenen Anhänger hinaus bekannt zu machen und sich den Amerikanern als künftige Präsidentin vorzustellen.
Bereits im Vorfeld gab es deshalb Debatten darüber, wie dieses buchstäblich verbale Duell geführt und von welchem Sender, mit welchen Regeln es moderiert werden sollte. Trump, der sich erst gar nicht darauf einlassen wollte, weil er mit einer gewieften Staatsanwältin einen anderen Gegner bekam als mit Biden, der eben mit genau diesem Wahlkampfformat seine Präsidentschaft in der Öffentlichkeit verlor.
Harris provozierte Trump also zu diesem Duell, das sie unbedingt wollte, indem sie ihm vorwarf, dass nur „Feiglinge“ andere Menschen beschimpfen. Als Staatsanwältin wisse sie, wie man mit solchen Männern wie Trump umzugehen habe: Er solle ihr ins Gesicht sehen. Sie inszenierte gewissermaßen die kommende Redeschlacht als einen Auftritt der ‚Staatsanwältin‘ gegen den zu verurteilenden ‚Verbrecher‘, der vor allem aus charakterlichen Gründen nicht noch einmal Präsident werden darf (womit sie recht hat).
Sie wollte darstellen, dass man diesem Mann als Präsident, der seine Wahlniederlage von 2020 immer noch nicht einbekennt, nicht trauen kann und nicht trauen darf (in viel kleinerem Ausmaß haben wir dieses durchschlagende Argument in Deutschland 1980 erlebt im Duell zwischen Helmut Schmidt und Franz Josef Strauss: „Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil“; Schmidt hat Politik stets auch als eine Art „Kampfsport“ verstanden, völlig zurecht).
Dafür brauchte das demokratische Team von Harris indessen auch gut vorbereitete Argumente als Voraussetzung, die potenziell jedem einigermaßen informierten Zeitgenossen und Fernsehzuschauer einleuchten können: Evidenzen! Neben den Argumenten, auf die wir im Einzelnen (natürlich nicht vollständig) noch zu sprechen kommen, spielte die Mimik, die voll ins Bild kommt, und der Ton eine Rolle. Der souveräne Handschlag, den Harris Trump vor Beginn der Debatte reichte, war nicht zu übersehen.
Nun könnte man sagen, dass Politik und insbesondere Politik im Fernsehzeitalter Theater ist. Das ist insofern zutreffend, als Fernsehduelle immer mehr trainiert werden. Die Rollen und Statements werden zuvor eingeübt wie von professionellen Schauspielern. Nichts geschieht spontan.
Dieser Diskurs ist also alles andere als ein freier Diskurs, der Platz lässt für das weitere Nachdenken und dazu anstiftet. Gleichwohl handelt es sich nicht nur um Theater mit einer stark appellativen Rhetorik, die ans Publikum gerichtet ist, sondern man hat nun auch – vielleicht, gegebenenfalls – gute Gründe, Harris zu wählen, oder Abstand davon zu nehmen, Trump zu wählen. Wie groß dieser Einfluss bei welcher Gruppe ist, darüber wiederum streiten sich die (Mess-)Experten.
Das Kampagnenteam von Trump wollte, um ihren Kandidaten vor seinen eigenen Schwächen zu schützen, stumm geschaltete Mikrofone, während Harris sich für offene aussprach. Die Stummschaltung sollte Trumps unzivilisiertes Verhalten, ständig zu unterbrechen, zähmen. Das rüpelhafte Gebaren, welches er gegenüber der inhaltlich ebenfalls bestens vorbereiteten Hillary Clinton an den Tag legte und in geringerem Masse gegenüber Biden sollte vermieden werden.
Nur zweimal geriet Trump diesmal mit skurrilen Ausfällen in Rage, als er davon sprach, dass „Einwanderer unsere Hunde und Katzen essen“ und „Demokraten Babys töten“. Wie oft er log, das wollen wir hier dahingestellt sein lassen, da dies ohnehin ein ubiquitärer und permanenter wechselseitiger Vorwurf geworden ist.
Auch das fehlende Live-Publikum wirkte zivilisierend auf die vom Fernsehsender ausgestrahlte TV-Debatte, die seit der legendär wahlentscheidenden Runde zwischen Richard Nixon und dem jungen John F. Kennedy 1960, noch schwarz-weiß, was den schwitzenden, schlecht rasierten Nixon, welcher als großer Favorit galt, noch schlechter aussehen ließ als den damaligen strahlenden Politikneuling Kennedy, für Nervosität sorgt.
Die inhaltlichen Argumente kennt heute niemand mehr. Bilder wirken oft stärker als Texte, und sie bleiben auch eher im Gedächtnis haften. Die damaligen Radiozuhörer fanden bezeichnenderweise Nixon besser, die Zuschauer hingegen Kennedy überzeugender. Was also überzeugt im heute gesteigerten Medienzeitalter, was ist und bleibt noch ein überzeugendes Argument in der Zuschauerdemokratie?
Weitere Bedingungen dieses mächtigen Diskurses im Korsett, waren durch die Zeit und die Reihenfolge vorgegeben: zwei Minuten waren vorgesehen, um eine Frage zu beantworten, zwei Minuten für die Erwiderung sowie eine Zusatzminute für Klärungen.
Eröffnungsreden gab es keine, dafür ein zweiminütiges abschließendes Statement für beide.
Durch Münzwurf gewann Trump das berühmte letzte Wort, das immer von Vorteil ist, aber natürlich in diesem Fall kein Ende der Debatte bedeutet.
Inwiefern dient eine solche Debatte auch der Wahrheit. Viele Wähler wollten vor allem über Kamala Harris mehr wissen. Bisher hatten sie nur vage Vorstellungen von ihrem Programm. In dieser für sie entscheidenden Debatte direkt gegen Trump muss sie sich positionieren und bestimmte Wählergruppen ansprechen, womit sie wiederum andere enttäuschen wird. Dies birgt für Harris größere Risiken als für Trump, den man, bei aller Unberechenbarkeit, mehr oder weniger schon kennt. Er überzeugt viele auch als Entertainer.
Harris brauchte also dieses Duell, um strategisch in die Offensive gehen zu können in einer Situation, in welcher der Wahlkampf, das ‚race‘, als Kopf-an-Kopf-Rennen stagniert, nach dem euphorischen Aufbruch im August. Über den Jubelparteitag der Demokraten hinaus: „Yes, she can“, muss sie sich nun für das breite Publikum selbst definieren. Von Trump hingegen hat die große Öffentlichkeit ein klares Bild: man liebt oder man hasst ihn. Daran wird auch Harris nicht mehr viel ändern.
Wahltaktisch gesehen geht es um die Wechselwähler, wobei Trump auch darauf achten wird, seine Stammwähler nicht zu enttäuschen. Das ist ein Balanceakt für ihn wie für beide im Kampf um die sogenannte Mitte bzw. die ‚Mittelklasse‘, die Viele und Vielerlei umfasst. Die gezielten Kampagnen laufen auf Hochtouren. In Philadelphia herrscht deswegen eine riesige Spannung, die ganze Stadt im möglicherweise wichtigsten Swing State Pennsylvania ist im Duellfieber.
Für die noch unentschlossenen Wähler gilt es also, zumindest eine Message kohärent herüberzubringen, weshalb in diesem dreiteiligen, 90-minütigen Rededuell zu den Fragen der beiden Journalisten gleichwohl eine rote Linie von Anfang an bis zum Schlussstatement durchzuhalten ist trotz sehr unterschiedlicher Themen. Sie werden nicht ausdiskutiert, sondern lediglich andiskutiert. Um welche Themen ging es an diesem Abend, der zweimal durch Werbepausen unterbrochen wurde?
‚Economy first‘, inhaltlich beginnt das Duell nicht zufällig mit der Wirtschaft. Harris erhält Gelegenheit, ihren „Plan“ für eine „Wirtschaft der Chancen“ zu erläutern. Konkret meint sie damit (1.) mehr Wohnraum und bessere Chancen für ein eigenes Haus, (2.) Steuererleichterungen für die Mittelklasse und (3.) Förderung mittelständischer Unternehmen (darunter Start-ups), die sie „persönlich liebt“. „Warum haben sie das nicht schon in den letzten drei Jahren getan“ (Trump).
Trump setzt dagegen stärker auf Zölle und den Kampf gegen China. Sofort – und immer wieder – kommt er jedoch auf die Folgen der Einwanderung zu sprechen, insbesondere die Einwanderung von Kriminellen, die „unsere Städte übernehmen“. Biden und Harris hätten sie „ins Land geholt“ und die Grenzen nicht sichern können, was das Land und die Nation zerstören würden. Das ist sein schwerster Vorwurf, den er ganz im Stil von Oswald Spengler („Der Untergang des Abendlandes“, 1922) erhebt.
Harris kontert mit ihrem schwersten Geschütz, dass Trump „uns“ einen „Angriff auf die Demokratie“ hinterlassen hat, wie „seit dem civil war nicht mehr“. Sie thematisiert den 6. Januar 2021, während Trump hier ausweicht und die Schuld auf Nancy Pelosi schiebt. Das ist sein schwächster Punkt.
Trump greift Harris und Walz als „radikale Linke“ an, vor allem in der Abtreibungsfrage. Darüber hinaus sei Harris eine „Marxistin“, deren Vater schon als „Professor für Ökonomie Marxist gewesen sei“. Will er damit gegen ihre Kompetenz auf dem Feld der Wirtschaft punkten?
Harris verteidigt das „Recht der Frauen auf ihren eigenen Körper“. Sie wird damit bei den Frauen und jungen Familien auf Sympathien stoßen. Trump markiert demgegenüber den starken Mann (Unternehmer), der unfähige Mitarbeiter sofort „feuert“, was die Biden-Regierung nicht tue, die eine schlechte Regierung sei. Den Rückzug aus Afghanistan bezeichnet er als den „schlimmsten in der amerikanischen Geschichte“. Damit hat er recht.
Die Außenpolitik spielt zwar nicht die Hauptrolle im amerikanischen Wahlkampf, aber wenn es um Kriege geht, kann sich das schnell ändern. Trump behauptet, nicht nur den Ukraine-Krieg schnell beenden zu können, er ist auch davon überzeugt, dass Putin ihn während seiner Amtszeit gar nicht begonnen hätte. Als Kronzeugen zitiert er den ungarischen Ministerpräsidenten Orban, der wisse, dass Russland, China und Nordkorea sich vor ihm fürchten würden.
Harris bezeichnet er in diesem Zusammenhang nicht nur als schlechte „Verhandlerin“, sondern zugleich explizit, besonders infam als „Israel-Hasserin“. Zudem wirft er Biden Versagen im Verhältnis zum Iran vor, welcher die ganze Nahost-Region bedrohe. Harris wiederum knüpft an ihre Rede auf dem Bürgenstock an, wo sie im Beisein Selenskis Präsident Biden vertrat (15./16. Juni).
Sie setzt sich für eine konsequente Unterstützung der Ukraine ein, die Putin in die Schranken weist, damit er nicht auch noch Polen und andere europäische Staaten überfällt.
Mit dieser Linie, die sie glaubwürdig vertritt, zieht sie natürlich die polnisch-stämmige Minderheit in Pennsylvania auf ihre Seite.
Trump schürt demgegenüber Ängste, vor allem bei der Einwanderung und der fehlenden Grenzmauer: „Wir werden eine Bananenrepublik“, aber auch in Bezug auf die Wirtschaft (Inflation, Jobs, Automobilindustrie, Öl, Wohlstandsverluste) und den Krieg mit Russland: „Biden und Harris werden uns in den 3. Weltkrieg führen“. Ausdrücklich weist er darauf hin, dass Russland über „Atomwaffen“ verfüge. Wie weit diese Politik der Angst, der wichtigsten politischen Emotion, bei den Wählern verfängt, ist schwer zu sagen.
Niedergang, Great again oder Mitte-orientiert?
Harris will das gespaltene Land wieder versöhnen Sie bietet eine „neue Art der Führung“ an und hat einen „Plan für junge Familien“. Wie ihre konkreten ‚Pläne‘ ankommen, wird sich allerdings noch zeigen müssen in der kommenden Wahlkampfphase. Die grundsätzliche Ausrichtung indessen ist klar: Harris argumentiert insgesamt zur Mitte hin orientiert. Sie glaubt an Amerika, auch daran, dass es das „beste Militär der Welt hat“. Sie will Amerika als Führungsnation im Bündnis der freien Welt stärken.
Damit macht sie den Republikanern den Alleinvertretungsanspruch auf die patriotische Republik streitig. Zugleich verteidigt sie damit die Demokratie gegen den Trumpismus. Mit dieser Vision von Amerika kann das Land wieder einen „neuen Weg nach vorn“ finden, der nicht überschwänglich utopisch ist, sondern pragmatisch, indem er den Gegebenheiten innen- wie außenpolitisch Rechnung trägt. Obamas Hope ist noch einmal nüchterner geworden.
Trump hingegen zeichnet ein „Land im Niedergang“ im Kontrast zur Größe seines eigenen grandiosen Selbst, das als Präsident das Land wieder groß machen würde. Trump argumentiert, wie man ihn kennt. Für seine Anhänger ist er zu einem Mythos geworden, der mit gefährlichen Andeutungen bei einer Machtübernahme spielt. Der Wahlkampf ist noch nicht entschieden und böse Überraschungen sind bis zum 20. Januar 2025 nicht auszuschließen.
Harris hat beim TV-Duell einen überraschend guten Auftritt hingelegt, aber sie hat damit noch nicht gewonnen. Ob sie bei der Wirtschaft punkten kann, bleibt offen. Wie sich der Krieg der Nato gegen Russland weiterentwickeln wird, ebenso. Die USA ist ein Gemeinwesen geworden, welches dem Parteienstreit verfallen ist. Die Mitte gibt es nicht mehr, wenn dieser alles verschlingt.
Der Twitter-Präsident spricht von „übergriffiger Justiz“ und einer „Hexenjagd“ gegen ihn. Ausgerechnet er, der noch nicht einmal ein Minimaldemokrat ist, der zuverlässig Wahlergebnisse akzeptiert, sieht sich als „Retter der Demokratie“, der für sie beinahe umgebracht worden ist, angestiftet durch die scharfe politische Rhetorik der Demokraten. Ob er mit dieser fatalen Umkehrung bei den amerikanischen Wählern durchkommt, das ist die Frage. Nur sie können durch ein deutliches Ergebnis ihre Demokratie verteidigen.
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