Neutralität als Kompromiss?

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Die Ukraine wird nicht kapitulieren, soviel ist gewiss. Warum sollte sie auch, der Widerstand ist erfolgreicher, als es sich die Militärköpfe vorstellen konnten. Die Waffenlieferungen haben ihren Teil dazu beigetragen. Die Offensive der russischen Armee ist ins Stocken geraten.

Wie weit Putin gehen wird, weiß im Moment niemand. Die letzte Wutrede am 16.3. war erschreckend, und der Krieg geht unbarmherzig weiter. Die Regierung von Selenskyj konnte sich eine Neutralität vorstellen, wenn dadurch Putins Krieg sofort beendet wird. Dafür müsste die Ukraine allerdings Schutz- und Sicherheitsgarantien vom Westen erhalten. Von wem und wie?

Es gab schon einmal ein Memorandum und internationale Verträge, die 2014 gebrochen worden sind. Darin wurde der Ukraine, auch von Russland, versprochen, ihre Unabhängigkeit und Souveränität zu respektieren. Die USA und Grossbritannien haben sich in Budapest im Dezember 1994 verpflichtet, der Ukraine „Assistenz zu leisten bei einer Aggression“, was noch keine Beistandspflicht bedeutete wie unter Nato-Staaten. Deshalb wollte die demokratische Ukraine Nato-Mitglied werden, das dafür seine Atomwaffen an Russland übergeben hatte.

Ein neuer Vertrag müsste deshalb über das Budapester Memorandum hinausgehen. Auch Russland müsste darin, das Recht zum militärischen Eingreifen von Garantiemächten konzedieren. So weit muss es kommen, wenn Neutralität als Kompromissformel ins Spiel gebracht werden kann. Danach sieht es im Moment jedoch nicht aus.

Putins Krieg hat in wenigen Tagen eine Umkehr in der Neutralitäts-, Verteidigungs- und Sicherheitspolitik bewirkt. Alte Tabus geraten ins Wanken. In Schweden und Finnland gibt es inzwischen Mehrheiten für einen Nato-Beitritt, und Russland droht schon. Dänemark war zwar 1949 Gründungsmitglied der Nato, aber immer sehr zurückhaltend gegenüber europäischer Sicherheits-und Verteidigungspolitik. 

Das hat sich nun um 180-Grad gedreht wie in Deutschland am 27. Februar. In Dänemark bereitet man zu diesem Thema ein Referendum vor. Alle europäischen Länder wollen sich inzwischen an einer neuen EU-Sicherheitspolitik beteiligen. Auch Kosovo beantragt eine Nato-Mitgliedschaft, während sich Serbien von Sanktionen gegen Russland fernhält. In Belgrad haben auch Pro-Putin-Demonstrationen stattgefunden.

Selbst die schweizerische Neutralitätspolitik des Bundesrates hat am 28. Februar mit der Zustimmung zu den EU-Sanktionen einen neuen Präzedenzfall geschaffen. Nur im Rahmen einer konstanten Neutralitätspolitik als staatspolitische Maxime konnte das kleine Land seine diplomatisch „guten Dienste“ im Krisenfall anbieten. 

Die Neutralität war freilich als ‚heilige Kuh‘ politisch immer, teils sogar sehr heftig umstritten. Die starke Landesverteidigung war nie wertneutral, sondern übte stets gegen die Einsatzdoktrin des Warschauer Pakts. Russland reiht sie nun ein in die „feindseligen Staaten“: USA, EU-Staaten, Schweiz, Kanada und Australien.

Doch gerade in Zeiten des Krieges hat Neutralität einen spezifischen Sinn, auch für die Ukraine. Darüber müssen die Ukrainer selbst entscheiden, und sie brauchen dafür zuerst und vor allem verlässliche Sicherheitsgarantien, so wie es sie dank des atomaren Schirms der USA für Finnland, Schweden, Österreich, Irland und die Schweiz während des kalten Krieges im Stillen immer gab.

Putin führt nun einen Krieg gegen die Welt, und, laut Außenminister Lawrow, sollen die Sanktionen ihn sogar stärken. Dabei ziehen die Herren ihre Bevölkerung mit in den Abgrund. Die Herrscher und ihre Eliten isolieren sie mit ‚ihrer russischen Welt‘ in der Welt, indem die zahlreichen fruchtbaren zivilgesellschaftlichen Beziehungen, selbst in den Bereichen der Kultur, der Wissenschaft und des Sports gekappt werden, was lange Nachwirkungen haben wird und schon jetzt zu einer äußeren und inneren Auswanderungswelle führt.

Nachdem Präsident Biden Putin offen und undiplomatisch einen „Kriegsverbrecher“ und „Diktator“ bezeichnet hat, was er sich freilich schon lange verdient hatte, wird es voraussichtlich keinen Gipfel auf dieser Ebene mehr geben wie noch in Genf. 

Putin nahm stets nur diese Ebene für die globale Neuverteilung der Macht ernst. Mit China verbindet ihn zudem eine Komplizenschaft, während die USA seit den Beratungen in Rom China auch politisch und militärisch auf die westliche Seite zu ziehen versuchen.

Davon wird für die künftige Weltordnung ohnehin viel abhängen. Möglicherweise kann nur noch China Druck auf Putin ausüben, den Krieg gegen die Ukraine schnell zu beenden. In ‚the long run‘ der heutigen weltwirtschaftlichen und technologischen Zusammenhänge braucht die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt mit geradezu riesenhaften inneren Problemen die USA, Europa und Japan. 

Der Westen muss deshalb die „Freundschaft“ zwischen Xi und Putin, den beiden mächtigsten Autokraten der Welt, nicht fürchten. Die USA drohen am 18. März China sogar mit Konsequenzen bei Militärhilfen an Russland. Es ist nur zu hoffen, dass Präsident Biden nicht an innenpolitischer Unterstützung verliert. Viel können wir von unseren Ländern aus nicht beeinflussen.

Ob tatsächlich Verhandlungen zwischen den Kriegsparteien parallel zum Krieg stattfinden, die zu positiven Ergebnissen führen, weiß sodann niemand genau. Von einem 15 Punkte – Papier ist die Rede. Ob allerdings Putin noch mit Selenskyj reden kann, die einen solchen Friedensvertrag beschließen könnten, ist zweifelhaft.

Bildnachweis: IMAGO / ZUMA Press