Neues Potsdamer Toleranzedikt 2008-2021

  1. Home
  2. /
  3. Blog
  4. /
  5. Neues Potsdamer Toleranzedikt 2008-2021

Es gibt genug zu tun, einfach aber schwer. Das neue Potsdamer Toleranzedikt von
2008 war das erste richtige moderne Toleranzedikt. Es ist erst nach der historischen Wende von 1989 überhaupt möglich geworden. Zentral ist der Freiheitsbegriff, genauer: der Gedanke der größtmöglichen Freiheit für jeden Einzelnen. Das entspricht auch dem Würdebegriff in Artikel 1 des Grundgesetzes. Erst dieser Gedanke lässt Toleranz in der Moderne immer wichtiger werden: als nötiges ziviles Komplement der Freiheit – der individuellen, bürgerlichen und politischen Freiheit.


Die größtmögliche Freiheit für alle ist wiederum darauf angewiesen, dass wir uns solidarisch
auch um die Voraussetzungen dieser Freiheit kümmern – im Sinne eines sozialen Chancen-Liberalismus und der Chancengerechtigkeit. Dies betrifft die verantwortlichen Bürgerschaften auf den verschiedenen Ebenen (lokal, regional, national, europäisch und global) und ihre demokratische Politik.

Der Slogan für Potsdam ‚Toleranz seit 1685‘ ist missverständlich, denn erstens kommt das Wort ‚Toleranz‘ im bekannten Edikt von Potsdam (1685) gar nicht vor und zweitens vor allem deswegen, weil die Geschichte Potsdams seitdem alles andere als tolerant war. Potsdam war zwar nicht eine Hauptstadt der Bewegung des Nationalsozialismus, wie das weltbekannte Bild des Handschlags zwischen Hitler und Hindenburg suggeriert (am ‚Tag von Potsdam‘, 21. März 1933), aber doch zutiefst antidemokratisch und monarchistisch. Potsdam war zudem
ein Zentrum des preußischen Militarismus, den die DDR unter anderen Vorzeichen weiter pflegte.

Toleranzedikt als Stadtgespräch ist eine konstruktive Idee und zugleich eine städtische Aktualität, die mit dem zivilen Wachstum einer Stadt und ihren Konflikten verbunden ist. Es ist ein bürgerschaftlicher Weg, der die heterogene Stadtgesellschaft mit ihren verschiedenen Teilen, Schichten und Dimensionen (wirtschaftlich, kulturell und politisch) umfasst. Dieser Weg verknüpft die Offenheit des Dialogs mit der Verbindlichkeit von Normen und Werten, einschließlich eines Verständnisses von Toleranz, und zwar als anlassbezogene Aufklärung, immer wieder, einfach, aber schwer. Dieser Prozess ist offen und unabgeschlossen, kennt aber Fixpunkte, an die angeknüpft werden kann im Sinne einer selbstgewählten Tradition, die Handlungsorientierung gibt.

Diese Aufklärung als Prozess mit den Grundwerten von Freiheit, Toleranz und Solidarität hat nach der demokratischen Revolution Eingang gefunden in die neue, vom Volk beschlossenen Verfassung von 1992 in Brandenburg. Sie bildet den verbindend-verbindlichen antitotalitären Grundkonsens über die heutige schnelle Zeit der Ereignisse und Events hinweg, zu dem – bei allem Streit und Dissens – die kämpferische Toleranz als demokratische Minimalethik gehört.

Für diese politische Aufklärung ohne geschichtsphilosophisches Ziel braucht es heute breite parteiübergreifende Bündnisse wie das Handlungskonzept ‚Tolerantes Brandenburg‘, das Bündnis ‚Potsdam bekennt Farbe‘ oder den zivilgesellschaftlichen Verein ‚Neues Potsdamer Toleranzedikt‘. In der gegenwärtigen europaweiten Repräsentations- und Parteienkrise wird es zunehmend wichtiger, dass zusammen mit einer ‚guten Verfassung‘ und ‚zuverlässigen Institutionen‘ eine verfassungsdemokratische Bürgergesellschaft als ‚kritische Masse‘ existiert, die über die sogenannte ‚bürgerliche Mitte‘ hinausgeht.

‚Bürgerfreundschaft‘ darf keine Kleingruppe bleiben, sondern muss zahlreicher werden und verschiedene Individuen einbeziehen. Auch dafür ist eine tolerante Haltung die Voraussetzung. Diese Vielheit („wir sind mehr“) handelt, wenn es nötig wird ( „Potsdam baut eine Synagoge, trägt Kippa, hat Platz für eine Moschee“) und kann Überraschendes zustande bringen (‚HelpTo‘, ‚Städte sichere Häfen“). ‚Pogida‘ konnte 2016 in der Stadtgesellschaft auch nach zehn Abendspaziergängen nicht Fuß fassen.

Publikationen:
Potsdamer Toleranzedikt. Für eine offene und tolerante Stadt der Bürgerschaft, Potsdam 2008
Heinz Kleger, Toleranzedikt als Stadtgespräch, Potsdam 2010
Heinz Kleger, Toleranzedikt als Stadtgespräch ll, 2008-2013, Potsdam 2013
1685/2008, Neues Potsdamer Toleranzedikt, Potsdam 2018


Siehe auch:
www.potsdamer-toleranzedikt.de
www.facebook.com/toleranzedikt

Veröffentlicht in: „Human Rights Go Local“, 3rd volume, ed. G.Oberleitner / K.Starl, Unesco Chair, Universität Graz 2021