Das erste Telefonat zwischen Macron und Putin seit 2022 dauerte mehr als zwei Stunden (euronews, 2.7.2025).
Dabei appellierte der französische Staatspräsident an Putin, so bald wie möglich Waffenstillstandsverhandlungen mit der Ukraine aufzunehmen. Putin erklärte, dass die Ursachen des Konflikts in Kiew liegen würden, und der Konflikt als „direkte Folge der Politik der westlichen Staaten“ zu sehen sei.
Die westlichen Staaten hätten jahrelang Sicherheitsinteressen Russlands ignoriert und einen antirussischen Brückenkopf in der Ukraine geschaffen und die Verletzung der Rechte russischsprachiger Einwohner gefördert. Sie würden nun die Fortsetzung der Feindseligkeiten
anführen, indem sie das „Kiewer Regime mit verschiedenen modernen Waffen versorgen“, so Putins Sichtweise auf die Welt (a.a. O.).
Man muss es sich noch einmal anhören, um zu ermessen, wie tief und festgefahren der von Russland begonnene Krieg ist, um dessen schwierige Beendigung es hier (nicht zum ersten Mal) geht.
Wieder steht der Westen vor einer Kraftprobe!
Denn Putin beharrt auf der Anerkennung der „territorialen Gegebenheiten“, die der Krieg geschaffen hat (Krim 2014 und die annektierten Gebiete Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischschja im September 2022, der tiefste Einschnitt des Krieges). Vor kurzem meldete der russische Statthalter „die vollständige Einnahme der Region Luhansk“ im Staatsfernsehen (t-online, 1, 7. 2025), was für Putin ein großer Propagandaerfolg ist. Russland zählt diese Regionen zu „Neurussland“.
Das wissen wir seit Langem, ebenso wie der geforderte Verzicht auf die Nato-Mitgliedschaft feststeht, um die Selenski vergeblich immer wieder gekämpft hat. Neu hingegen ist die Forderung nach einer von Russland kontrollierten Pufferzone.
Der russische Außenminister Lawrow spricht bei seinem dreitägigen Besuch bei Kim in Nordkorea noch immer von „ukrainischen Nazis“, gegen die koreanische Soldaten in Kursk aufopferungsvoll gekämpft hätten. Nordkorea ist nun faktisch Kriegspartei an der Seite Russlands und zu „bedingungsloser Unterstützung bereit“, erklärt Kim auf seiner Yacht. Die beiden Regime gleichen sich immer mehr an.
Das große China, die Schutzmacht Nordkoreas, bekräftigt ebenso seine weitere Unterstützung Russlands, die sich im gesteigerten Drohnenkrieg direkt und konkret auswirkt. Diese schlechten Rahmenbedingungen einer veränderten Weltordnung, die keine Pax Americana mehr ist, aufgrund der strategischen Partnerschaft Putins mit Xi, sind bekannt. Den USA ist es bisher nicht gelungen, diese Allianz auseinanderzubrechen, im Gegenteil. Lawrow wird vielmehr in Peking von Xi empfangen und unterstützt.
Am 14. Juli verliert Präsident Trump offenbar endlich die Geduld mit Putin, den er auf seine persönliche Dealmakerweise, und schon gar nicht mit einem einzigen Telefonat, wie im Wahlkampf vollmundig versprochen, „rumkriegen“ konnte. Allabendlich „bombardiert er weiter“, muss er enttäuscht konstatieren. Die unentbehrlichen Patriots sind das Mindeste, was er liefern kann, spekuliert wird auch über „Offensivwaffen, die Moskau erreichen können“ (Financial Times).
Trump kündigt im Beisein von Nato-Generalsekretär Rutte im Oval-Office weitere Waffenlieferungen und ein 50-tägiges Ultimatum an für harte Sekundärzölle, sollte Putin zu keinen Verhandlungen bereit sein. Kommt er diesmal, in Istanbul warteten wir vergeblich?
Die Waffen will Trump den NATO-Staaten verkaufen – Deutschland, Dänemark und Niederlande vorneweg – da ist er ganz bei sich. „Es ist nicht mein Krieg“, „ein Ozean liegt dazwischen“ und überhaupt ist Biden die „schlechteste Regierung ever“ „schuld daran“ genauso wie an der illegalen Einwanderung und der Inflation – die übliche Suada.
Im Wahlkampf hat er den amerikanischen Abzug aus Afghanistan als den „schändlichsten in der US-Geschichte“ angeprangert. Das soll ihm mit der Ukraine nicht passieren.
Die wirkungsvollen Strafzölle richten sich an China und Indien, aber auch an die Türkei und Brasilien sowie europäische Staaten wie Ungarn und die Slowakei, die noch Rohstoffe aus Russland beziehen und so seine Kriegskasse weiter füllen.
Tonlage und Inhalt gegenüber den Europäern haben sich verändert, sie zahlen jetzt, und die US-Rüstungswirtschaft profitiert. Das ist Trumps innenpolitischer Erfolg. Er lobt ausdrücklich den „europäischen Gemeinschaftsgeist“ und hofft wohl, den Krieg in der Ukraine den Europäern sozusagen übergeben zu können.
Doch das Verhältnis bleibt fragil – auf beiden Seiten, denn: was haben Macron und Starmer wirklich „in der Schublade?“ Beide haben im Juli angesichts des russischen Imperialismus und der Bedrohung Europas ihre Entente Cordiale aufs Herzlichste wiederbelebt. In Westminster hielt Macron vor beiden Parlamentskammern eine Rede.
Selbst die heikle nukleare Abschreckung, die beide verschieden organisiert haben, soll für Europa, perspektivisch auch unter Einbezug Deutschlands, neu koordiniert werden. Bei den Marschflugkörpern, die man schon in die Ukraine geliefert hat, will man künftig enger kooperieren, ebenso bei den Migrationsfragen. Das sind konkrete Fortschritte.
Frankreich und Großbritannien wollen die neuen Schutzmächte Europas sein. Die ‚Koalition der Willigen‘ mit 30 Ländern, die von den beiden angeführt wird, will sodann einen dauerhaften Waffenstillstand in der Ukraine glaubwürdig absichern, so Macron. Werden aber die beiden Mächte im Ernstfall entschlossen und ohne amerikanische Rückendeckung handeln, daran muss man seine berechtigten Zweifel haben.
Beide Regierungen sind nicht fest im Sattel. Frankreich unter Macron will vieles, besonders am 14. Juli, wo die ‚Grande Nation‘ im Kampfanzug auftritt – es will auch mehr in die Verteidigung investieren. Ministerpräsident Bayrou aber muss sparen, neue Kredite wie in Deutschland sollen nicht aufgenommen werden. Die Verwaltung funktioniert, die Regierung nicht. Es wird schon wieder auf Neuwahlen spekuliert.
Auch um das teuerste europäische Rüstungsprojekt, um das Luftkampfsystem FCAS, gibt es Streit zwischen Paris und Berlin (FAZ, 15.7., S.17). Verzögerungen darf es hier, wo es um neue Kampfflugzeuge geht, keine mehr geben. Die zahlreichen Absichtserklärungen sind schön und gut, aber wie funktioniert die Praxis unter Zeitdruck und zu viel Bürokratie. Darauf kommt es jetzt an.
In 50 Tagen kann sich auch die Einstellung des notorisch sprunghaften Trump wieder ändern.
Trump erhält zwar viel Lob von Selenski und den europäischen Regierungschefs für seine Initiative, es ist aber auch Kritik angebracht. Warum 50 Tage? Mehr als sieben Wochen sind viel Zeit, zu viel Zeit in einem Erschöpfungskrieg mit so langen Fronten! In dieser Zeit kann Putin seine Sommeroffensive durchziehen, die offenbar schon begonnen hat.
Er geht jetzt militärisch und politisch aufs Ganze: „Wo der Fuss eines russischen Soldaten hintritt, gehört der Boden uns“ (Juni in St. Petersburg). „In 50 Tagen kann sich auf dem Schlachtfeld viel ändern“ (so Kossatschow, Vizechef des russischen Föderationsrates, Telegram, ntv, 15.7.). Das ist wahr. Medwedew spricht hämisch von einem „theatralischen Ultimatum“ (auf X).
Putin setzt inzwischen die Angriffe auf die Ukraine trotz Ultimatum unvermindert fort, bis er bekommt, was er will. Erst vor Kurzem verkündete Moskaus Statthalter „die vollständige Einnahme der Region Luhansk“. Russland zählt diese Regionen zum Territorium „Neurussland“.
Putins Sommeroffensive
Die russische Sommeroffensive versucht gezielt einen Durchbruch in der sehr langen Front von Norden bis Süden zu erzielen, mit überlegenen personellen Kräften und immensen Verlusten (siehe Häsler, NZZ 15.7., S. 15). Der Schwerpunkt liegt im Donbass bei der ukrainischen Festung Pokrowsk. Sie bekommt eine ähnliche Bedeutung wie früher Bachmut (wo die Wagner-Söldner den Ausschlag gaben) oder Mariupol am Assowschen Meer.
Offensiven sind auch in Sumi und Charkiv erkennbar, was insgesamt ein riesiges Gebiet ist. Die beiden militärischen Oberbefehlshaber Gerassimow und Sirski stehen sich gegenüber. Ersterer hat noch immer die Rückendeckung von Putin. Der ukrainische Generalstab diagnostiziert eine einheitlich geführte Operation: die russische Armee will die ukrainischen Verteidiger, die viel zu wenig Personal haben, „auseinanderreissen“, um dann an geeigneter Stelle den Durchbruch zu schaffen. Kursk wird als Fehlschlag gewertet .
Die generalstabsmäßige Analyse von Oberst Häsler (a.a,.O., S.15) sieht noch zwei Möglichkeiten, um dies zu verhindern: Verzögerung und operativer Rückzug. Verzögerung durchaus in der starken Hoffnung, dass die Vereinigten Staaten die Militärhilfe noch aufstocken werden. Und operativer Rückzug würde bedeuten, hinter der Front im Südwesten eine Befestigungslinie zu errichten. Für Nadelstiche in die Tiefe indes braucht es Kampfflugzeuge (F-35) und Munition für die Himars-Raketenartillerie.
Das Risiko eines russischen Durchbruchs wächst zusehend. Sobald sich eine Lücke öffnet, können die Brückenköpfe bei Sumi oder Charkiv genutzt werden für „raumgreifende Aktionen“. Sirski gingen dann die Optionen aus, so der kollegiale Spezialisten-Befund.
Doch der Entscheid, von der verlustreichen Verzögerung in den defensiven Rückzug überzugehen, liegt beim Präsidenten und nicht beim militärischen Oberbefehlshaber. So nahe liegen Krieg und Politik, die miteinander zusammenhängen. In beiden Fällen sind schwierigste Entscheidungen zu treffen.
Bildnachweis: IMAGO / SNA