Die CDU hat nach einem breiten und intensiven Diskussionsprozess am 7. Mai in Berlin ein neues 75-seitiges Grundsatzprogramm verabschiedet. Es ist erst das vierte in ihrer Parteigeschichte. Die CDU ist keine Programmpartei, sondern eine Regierungspartei, die ihr Programm am jeweiligen Regieren ausgerichtet hatte.
Nach 16 Jahren Merkel und der Wahlniederlage 2021 hat sie die Zeit in der Opposition genutzt, sich selbst als Christdemokratie klar zu werden , wofür sie steht. Nach der inhaltlichen Entleerung während der langen Merkel-Jahre , die nicht nur erfolglos waren, ist sie wieder explizit konservativer und bürgerlicher geworden und das mit einem neuen Selbstbewusstsein gegen die Moden des Zeitgeistes.
Die alte Kanzlerpartei ist wieder bereit, Regierungsverantwortung mit Substanz zu übernehmen. Vier Jahre Experiment einer neuen Fortschrittsregierung (grün, liberal, rot) mit einem moderierenden Kanzler sind für sie mehr als genug und Zeugnis schlechten Regierens geworden.
In der Quintessenz bedeutet der modernisierte Konservativismus: Traditionen, die Zukunft in sich tragen. Es sind historisch bewährte Traditionen in einer Bundesrepublik, die den 75 Jahrestag des Grundgesetzes, das höchste Zustimmungswerte (!) in der Bevölkerung genießt, feiert, das dem Land ein Leben in Freiheit Frieden und Wohlstand beschert hat.
Davon war die staatstragende CDU 50 Jahre in der Regierungsverantwortung und hat wesentliche Richtungsentscheidungen auch gegen die Demoskopie mitgeprägt. Darauf darf man zurecht stolz sein.
Auch in der Fraktionsgemeinschaft mit der CSU im Bundestag sieht Merz ein europäisches Modell, weshalb sie jetzt gemeinsam in Karlsruhe gegen die Wahlrechtsreform der Ampelregierung klagen. Der Ausgang ist noch offen, beschlossen ist aber schon eine stärkere Vertretung der kommunalen Ebene im Bundesvorstand und eine bessere Abstimmung mit Bayern. Selbst in Städten gewinnt man wieder Wahlen.
Merz beginnt seine kluge Rede am 6. Mai bewusst mit diesen Bezügen, obwohl medial die Fragen sich schon jetzt vor allem um die K-Frage und mögliche Regierungskoalitionen (Ohne die Grünen? Mit Wagenknecht? Oder Groko?) drehen. Söder will nicht wieder den Wahlkampf demoskopisch scheitern lassen wie gegen Laschet, hält sich aber bis zu den Wahlen im Herbst in Ostdeutschland noch eine Hintertüre offen.
Der junge Ministerpräsident Wüst aus NRW, der Nachfolger von Laschet, ist ebenfalls noch im Rennen. Der bald 70jährige Merz, der erst im dritten Anlauf Parteivorsitzender geworden ist, hat immerhin, zusammen mit seinem neuen Generalsekretär Carsten Linnemann, in Berlin ein gutes Zwischenergebnis erzielt, das für die künftige Politik in Deutschland eine Rolle spielen wird.
Was bleibt einer volksparteilich ausgerichteten Partei der Mitte anderes übrig, als „gemeinsam die Zukunft zu gestalten „, so das Leitmotiv? Ob sie damit auch die Wechselwähler weit über eigene Parteigrenzen hinaus, die zahlreicher werden, erreichen kann, steht wieder auf einem anderen Blatt. Merz wollte einmal die Wählerschaft der AfD halbieren.
In seiner programmatischen Rede zum neuen Grundsatzprogramm stellt er die Freiheit ins Zentrum und verknüpft sie mit dem christlichen Menschenbild. Was ist anders als 2007, als das Wort Digitalisierung im Programm noch nicht vorkam ?
Man ging von einem dauerhaften Frieden und einem weiteren Fortschreiten von Demokratie, Marktwirtschaft und Freiheit europäisch und weltweit aus? Das war die Vorstellung von Wandel durch Handel, die Friedensphilosophie des Handelspazifismus, auch des Nuklearpazifismus im Schutz der USA.
Stattdessen leben wir heute in einer Welt militärischer Aggression, des Terrorismus und autoritärer Staatsführungen, so Merz. Friedfertigkeit ist nicht mehr die alleinige Antwort, und die Streitkräfte dürfen nicht länger vernachlässigt werden.
An dieser Stelle äußert Merz die einzige sehr deutliche Selbstkritik an seiner immer staatstragenden Partei mit ihren Verteidigungsministern Guttenberg, von der Leyen, Kramp-Karrenbauer.
Die Wehrpflicht soll demzufolge schrittweise wieder eingeführt werden, und weitaus mehr als ein Sondervermögen soll der Bundeswehr künftig zur Verfügung gestellt werden. Die CDU will die Partei der Zeitenwende werden, wahrscheinlich in einer großen Koalition mit der SPD, die strukturell zu diesem modernen Konservativismus gehört. Oder gegen die „Friedenspartei“?
Ein zweiter selbstkritischer Punkt betrifft die Migrationspolitik. Die Jahre 2o15 und folgende von Merkels allzu offener Willkommenskultur und unkontrollierter Einwanderung dürfen sich nicht wiederholen. Die Integration ist kommunal, regional und national an spürbare Grenzen geraten. Asylverfahren in Drittstaaten außerhalb der EU sollen nun ermöglicht werden.
Die Migrations-und Flüchtlingspolitik wird strenger, und die Leitkultur von verbindlichen Regeln und einer „Kultur des Miteinander“ voller Konflikte erfährt eine Renaissance. Zu dieser Leitkultur gehört auch die Anerkennung des Existenzrechts von Israel.
Aus dem christlichen Menschenbild leitet sich ein anderes Verhältnis von Staat und Bürgern ab, dass in den verschiedenen Politikfeldern neu justiert werden muss. Kriterium dieses Vertrauensverhältnisses ist prinzipiell das “ gute Regieren“, was immer das heute in Koalitionen heißt.
Die Neujustierung einer starken Staatlichkeit in Bezug auf Sicherheit, wobei sich heute innere und äußere Sicherheit stärker verschränken, Wohlstand und Sozialleistungen ist als Hauptschlagwort in der Rede auffällig. Die ‚Fleißigen‘ und ‚Leistungsbereiten‘ sollen zudem wieder mehr belohnt werden.
Hier will man den Liberalen Wind aus den Segeln nehmen. Auch für Merz und sein christliches Menschenbild, der kein Christlichsozialer ist, gilt: die Wirtschaft ist die Basis für alles andere, ‚degrowth‘-Phantasien wird eine Absage erteilt. Das hat mannigfache schwerwiegende Konsequenzen. Nichts fürchtet Deutschland mehr als Konkurrenzschwäche.
Das Bürgergeld, welches als bedingungsloses Grundeinkommen interpretiert wird, soll bei einer Regierungsübernahme abgeschafft werden. Darauf kann man sich verlassen. Eine neue Grundsicherung wird es ersetzen.
Die Spitzen gegen die staatsgläubigen Sozialdemokraten und nunmehr auch zunehmend staatsgläubigen Grünen in der Wirtschaftspolitik sind klar gesetzt. Linnemann spricht sogar davon, dass „die Grünen das Land verunsichern würden.“ Ob allerdings der innere Zusammenhalt durch eine neue Leitkultur zustande kommt, ist fraglich.
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