Die großen Fragen sind offen.
Auch nach dem Blog über „realistische Diplomatie mit Druckmitteln“ (21.3.) bleiben berechtigte Fragen: Wenn die konventionelle europäische Aufrüstung mangelhaft bleibt, werden dann die USA dennoch atomaren Schutz bieten? Wie gut muss Europa rüsten, damit die USA zufrieden sind?
China, Europa, USA
Derweil unterbreitet die chinesische Friedensdiplomatie der EU ein interessantes Angebot, nämlich, sich an Friedenstruppen in der Ukraine zu beteiligen. Das ist echte Weltmachtpolitik: die USA werden durch China ersetzt und stationieren Truppen in Europa!
Das ist ein großer Tritt in den großartigen Hintern von Trump, dem hauptsächlichen Weltpolitikkonkurrenten, von dem man sich nichts sagen lässt, weder politisch noch militärisch.
Ebenso ist es ein Tritt gegen Putin, wenn Chinas Armee in der Ukraine steht. Groß genug ist sie, um die langen Grenzen und Frontlinien zu sichern.
China ist der eigentliche Sieger im Ukraine-Krieg, zu dem es sich immer „neutral“ verhielt, mit viel Verständnis und diskreter Unterstützung. Die strategische Achse Russland/ China ist in der Weltpolitik keinesfalls zu unterschätzen, zumal man die zusätzlichen expansiven Aktivitäten nicht außer Acht lassen darf (BRICS, SCO).
Peking versammelt außerdem geschickt die große Koalition der Zollgegner, so der chinesische Ministerpräsident Li Qiang mit Vertretern von 86 multinationalen Konzernen, darunter Mercedes, Bosch, Siemens und BMW (FAZ, 25.3., S.17). China verteidigt den freien Handel und warnt vor einer Rückkehr zu den Gesetzen des Dschungels.
China hat genug Autorität und Macht auch in der labilen Freundschaft zwischen Putin und Xi, Russland in die Schranken zu weisen, falls es dies für erforderlich erachtet.
Der Begriff ‚Ordnung‘ ist gegenüber der Welt als ‚Weltordnung‘ überzogen; es gibt lediglich über längere Zeiträume bestehende Machtverhältnisse, im besten Fall: Gleichgewichte.
Die USA sollen ihren Kreuzzug gegen China allein ausfechten. Was bleibt auch anderes übrig?
Das demokratische Taiwan, das über eine starke Verteidigungsarmee verfügt, wird China nicht aufgeben, das ist offensichtlich und für Kenner lediglich eine Frage der Zeit.
Wird es aber die USA unter Trump militärisch noch verteidigen, die auf die Halbleiter-Technologie angewiesen bleibt?
Schon Präsident Biden sprach von „strategischer Ambiguität“. Möglicherweise träumt der Dealmaker Trump von einem ‚Superdeal‘ mit Russland , einschließlich China. Der hätte auch waffentechnologische Voraussetzungen, denn China überrascht mit neuen Kampfflugzeugen und Flugzeugträgern.
Die Kapazitäten für den Luftkrieg der Zukunft und für die Seemachtspolitik werden entscheidend sein. Ende 2024/Anfang 2025 haben Beobachter erstmals chinesische Kampfflugzeuge der sog. 6. Generation (bei der es u.a. um die Tarnkappentechnik geht) gesichtet – zur großen Überraschung der Amerikaner.
Während in europäischen Armeen noch über die Anschaffung der teuren F-35 militärisch und politisch kontrovers diskutiert wird, präsentiert Trump bereits den Super-Stealth F-47 als überlegene Waffe, zunächst nur für die USA mit einem Großauftrag an Boeing.
Riad III
Am 24. März nimmt die USA die Verhandlungen über eine Waffenruhe in der Ukraine wieder auf. In Anlehnung an Kissingers Pendlerdiplomatie handelt es sich diesmal um eine Hotelpendlerdiplomatie in Riad zwischen den beiden Verhandlungsteams, bei denen amerikanische Unterhändler vermitteln. Die ukrainische Delegation wird von Verteidigungsminister Umjerow geleitet.
Primär geht es um eine generelle Waffenruhe. Unter welchen Bedingungen? Und: Was muss dafür jetzt schon festgelegt werden?
Die USA möchten ein Abkommen bis zum 20. April. Der nationale Sicherheitsberater Mike Waltz sprach von „technischen Teams“ für die Umsetzung und Ausweitung der Waffenruhe, die nach dem Telefongespräch zwischen Putin und Trump der erste Schritt war. Neben der Energieinfrastruktur soll es auch um Schienen- und Hafenanlagen gehen sowie den Schutz der Schifffahrt im Schwarzen Meer. Möglicherweise wird auch über die prestigeträchtige Krim-Brücke gesprochen. Konkrete Ergebnisse lassen auf sich warten.
Putin setzt auf Zeit, Trump hat es eilig und will Erfolge vorzeigen.
Am Donnerstag, dem 27. März, hat Macron ein weiteres Mal die Koalition der Willigen von 30 Ländern nach Paris eingeladen. Die Europäer sitzen nicht am Verhandlungstisch in Riad.
Macrons Ziel ist es, die Verpflichtungen einer kurzfristigen Unterstützung der Ukraine zu spezifizieren. Auch Selenski, der wieder fest im Sattel sitzt, den Russland aber weiterhin nicht als legitimen Präsidenten anerkennt, wird teilnehmen. Starmer und Macron sind bereit, im Falle einer Waffenruhe Friedenstruppen in der Ukraine zu stationieren, was Russland vehement ablehnt.
Der Krieg ist noch nicht zu Ende, beide Seiten setzen ihre Angriffe vielmehr massiv fort. Odessa wird mit Drohnen aus der Luft angegriffen wie seit drei Jahren nicht. In der ersten Phase des Krieges ging die Stadt noch von einem Angriff von der See aus und bereitete sich darauf vor.
Die russische Armee verfügt über Marine, Landungsboote und Marineinfanterie. Das ist nur ein gewichtiges Beispiel von vielen dafür, in welch schlechtem Zustand sie ist. Man überschätzt sie oder unterschätzt sie. Putin: „Die Europäer wissen nicht, was Krieg ist.“
Das betrifft auch die legendäre Schwarzmeerflotte mit ihrem Hauptstützpunkt Sewastopol. Am 24. März wird es in einem nächsten Schritt auch um eine Waffenruhe im Schwarzen Meer gehen, nachdem die Ukrainer mit Seedrohnen den Kriegsschiffen schweren Schaden zugefügt haben.
Der Mythos der unbesiegbaren Offensivarmee ist zerstört. Das ist in einem Verteidigungskrieg ebenso ausschlaggebend wie die eigene Opferbereitschaft, die weiterhin groß und ungebrochen ist. Den Preis der Freiheit zahlt neben den Soldaten vor allem die Zivilbevölkerung, entgegen allen Genfer Konventionen, die in ihren Wohnhäusern dem Terror aus der Luft ausgesetzt ist.
Darum ist die Luftverteidigung mit modernen Systemen wie den ‚Patriots‘ so wichtig, was der Ukraine-Krieg und das Beispiel Israel eindrücklich zeigen. Hier müssten die gemeinsamen europäischen Verteidigungsanstrengungen zuerst und sofort ansetzen.
Die schöne Stadt Odessa schützt ihre Kulturgüter. Diese für die Ukraine auch wirtschaftlich zentrale Hafenstadt, von der Medwedew sagt, sie sei eine „russische Stadt“, werden die Ukrainer nicht mehr hergeben. Auch Cherson nicht, dessen Bürger und Bürgerinnen schon einmal zivilen Widerstand gegen die russischen Besatzer geleistet haben.
Die Ukraine greift zunehmend erfolgreich mit Raketen und Drohnen im Eigenbau, Ölraffinerien und Flugplätze im russischen Kernland an. Von einer Position der Schwäche auf dem Gefechtsfeld kann deshalb nicht gesprochen werden. Die Russen jedoch werden in der Ukraine erst aufhören, wenn sie erschöpft sind.
Von einer Position der Stärke, in die sie seine Unterstützer für Verhandlungen bringen wollten, kann allerdings auch nicht gesprochen werden. Diese Entscheidungen bzw. vor allem: Nicht-Entscheidungen auf dem Gefechtsfeld sind früher gefallen, spätestens mit dem Bau der Surowikin-Verteidigungslinie und der gescheiterten Gegenoffensive, die nach optimistischen Annahmen damals, etwa von General Hodges, bis zur Krim hätte reichen können (siehe ausführlich Kleger, Gedankensplitter IV, 2025).
Russland bekräftigt deshalb weiterhin den Anspruch auf vollumfängliche Räumung seiner vier annektierten ukrainischen Gebiete (Luhansk, Donezk, Saporischschja, Cherson) seit Ende September 2022. Wer die fanatischen Gesichter bei der Feier in Moskau gesehen hat, der weiß, dass es davon (einschließlich der Krim) keine Abstriche machen wird. Es ist jetzt russisches Staatsgebiet per Verfassung!
Im Gegenteil wird Putin auf vollständige Räumung und Russifizierung mit Pässen bestehen: „Ansonsten müssen sie das Land verlassen.“ Diese Kriegsziele hat Putin nicht verändert, also stoßen an dieser Stelle zwei Tabus aufeinander, ein Patt im riesengroßen Schlachtfeld für die weiteren Verhandlungen, pessimistisch gesagt: ein systematischer Grund für künftigen Nicht-Frieden.
Ein zweiter Zusammenstoßpunkt sind die Sicherheitsgarantien: für die Ukraine ist es die Nato, die der strategische Hauptgegner Russlands ist. Auch die EU ist ein Gegner. Europäische Friedenstruppen wird Russland deshalb nicht akzeptieren.
Wer verteidigt Europa?
In Europa diskutiert man die eigene Verteidigungsfähigkeit gegen die russische Bedrohung. Wer verteidigt Europa? Kann man sich auf die Bündnisverpflichtung der USA noch verlassen? Wo testet Putin diese? In der Arktis? Oder eher in Narwa in Estland?
Litauen und Polen planen die Verlegung von Minen an den Grenzen zu Russland und Belarus. Die Länder der baltischen Verteidigungslinie und der Nordostflanke der Nato – Polen, Lettland, Estland und Finnland – diskutieren, wie sie ihre Grenzen gegen einen russischen Angriff verteidigen können (t-online, 23.3.).
Polen mit seinen Grenzbefestigungen ist das Vorbild. Dabei geht es um Panzerabwehrminen und die geächteten Personenminen mit weniger Funktionsdruck, die in der Ukraine zahlreich eingesetzt werden.
Die sogenannte Suwalki-Lücke gilt als Achillesferse der Nato. Von Belarus aus greift Russland bereits die Ukraine an. Südwestlich von Litauen liegt Kaliningrad, ehemals Königsberg, wo auch Atomraketen stationiert sind. Die Suwalki-Lücke verbindet Litauen und Polen, was durch russische Truppen schnell unterbunden werden könnte.
Für Polen war und ist die USA der Anker von Sicherheit und Souveränität, die das Land nicht im Stich gelassen haben. Eine antiamerikanische Friedensbewegung gab es hier nicht. Noch immer trainieren amerikanische Truppen im Land. Polen gibt mehr für die Nato aus (4,7 %)als die USA (3,4 %). Frankreich und Deutschland liegen bei 2 %. Auf das Weimarer Dreieck kann man nicht setzen, Scholz und Merz tun dies lediglich rhetorisch.
Staatspräsident Duda setzt weiterhin auf die USA, während Ministerpräsident Tusk mehr Selbstbewusstsein von den Europäern fordert und gleichzeitig die Wehrfähigkeit im eigenen Land stärkt. Polen hat „keinen Komplex vor Russland“ (Tusk).
In Europa gibt es Risse in der Verteidigungsfähigkeit: die Südländer, Spanien zum Beispiel, sehen sich weniger bedroht als die Nordländer; und Ungarn und Slowakei gehen wieder eigene Wege. In Rumänien haben die Amerikaner zwar einen eigenen wichtigen Stützpunkt.
Der Einfluss der EU in der Region indes nimmt ab. In Rumänien wählt jeder Dritte die rechtsextreme Allianz. In Serbien ist der Machtkampf zwischen Präsident Vucic und der breiten Bürgerbewegung, die aus der Studentenbewegung hervorgegangen ist, offen entbrannt und noch nicht entschieden.
Eine europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG), die in weiter Ferne ist, und die Koalition der Willigen, die Starmer und Macron zu organisieren versuchen, zusammen mit Nicht-EU-Ländern wie Norwegen und Australien, sind zwei verschiedene Dinge.
Renversement des alliances
Der ehemalige Sicherheitsberater John Bolton (2018/19) ist der Auffassung, dass die neuen europäischen Anstrengungen dazu führen, dass Trump aus der Nato austritt, was allerdings nicht so leicht am Kongress vorbei möglich ist. Auch der neue Verteidigungsminister Hegseth ist nicht Alleinherrscher gegen die amerikanischen Generäle.
Der deutsche Diplomat Christoph Heusgen bemerkt richtigerweise, dass die Argumentation von Bolton, mit der er die deutschen Talkshows aufscheucht, genau die umgekehrte ist wie vor 8 Jahren. Die Europäer sollen sich jetzt besser auf ihre nationalen Hausaufgaben konzentrieren (an der sicherheitspolitischen Tagung in Königsbronn, 22. März).
Derweil sorgen die ‚Militärköpfe‘ Vance und Hegseth (sie sind nicht einmal das) für neue Aufregung in ihrer Verachtung gegenüber dem „Schmarotzer“ Europa in ihrer Chat-Blamage zu den Angriffen im Jemen (siehe Goldberg in ‚The Atlantic‘, March 24, 8 Seiten).
Auch der Wechsel im Nato-Oberkommando soll im Pentagon erwogen werden (NBC), was republikanische Senatoren und hohe Militärs aufschreckt (NZZ 22.3., S.5). Der spätere Präsident Eisenhower (1953-61), der Oberkommandierende der alliierten Truppen in Europa, hatte diesen Posten als Erster inne, gegenwärtig ist es General Cavoli. Die Amerikaner würden enorm viel Einfluss in der Nato verlieren, gäben sie diesen Posten auf. Hegseth sagte bei seinem Antrittsbesuch in Brüssel im Februar noch, dass die USA der Nato und Europa verbunden bleiben.
Wie gegenüber der Justiz hat die Regierungsmannschaft von Trump auch gegenüber dem Militär nicht die unumschränkte Macht (siehe schon General Kelly im Wahlkampf!). Allerdings ist das geographische und politische Wissen von Witkoff und Trump, der beiden Golffreunde, auf einem bedenklich schwachen Niveau. Ein polnischer Freund schrieb mir: „Die Besetzung im Donbass ist nichts im Vergleich zur Besetzung des Weißen Hauses“.
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