Ende März wird die Verzahnung zwischen dem Kriegsgeschehen und der Verhandlungsebene wieder enger, was indes kein schneller ‚ewiger‘ Frieden bedeutet. Ein Waffenstillstand ist noch kein Frieden. Die Einschätzungen beider Seiten liegen noch immer weit auseinander.
Die ukrainische Seite traut den Worten der anderen Seite nicht mehr, nachdem so oft gelogen worden ist, und die russische Seite scheint mit Verhandlungen Zeit gewinnen zu wollen für einen ’symbolischen Sieg‘. Man wolle sich jetzt auf „die Befreiung des Donbass konzentrieren“, heißt es aus dem Generalstab.
Die ukrainische Seite macht seit längerem Vorschläge für einen neutralen Status des Landes, und Selenskyi bietet sogar an, für den Donbass eine konstruktive Verhandlungslösung zu finden, denn er wisse genau, wenn dies „nicht möglich sei, drohe der 3. Weltkrieg“. Früher sagte er schon: „Wir sind Realisten“. Das muss eine demokratisch gewählte Regierung, die ihrem Volk gegenüber verantwortlich ist, auch sein.
Demgegenüber ist Putin jeglicher Realismus abhanden gekommen aufgrund seiner fixen Ideen und paranoiden Vorstellungen, in denen er gefangen bleibt. Es fehlen schlicht die Realitätskontakte, wenn er seine eigenen Begriffe von Faschisten und Nazis verwendet. Die Begriffe als Instrumente, die Welt, wie sie ist, zu begreifen, gehen wild durcheinander. Die Ukrainer sind Patrioten oder demokratische Nationalisten. In der Realität werden sie, auch vom Geheimdienst FSB xenophob abgewertet und systematisch unterschätzt, während die russische Armee mit ihren starren Hierarchien und jungen unerfahrenen Soldaten überschätzt wird.
Selenskyj spricht derweil fast täglich vor den Parlamenten der Welt und bittet sie angesichts der täglichen Vernichtung von Mariupol flehend immer noch um mehr Hilfe und Unterstützung. Klitschko ist in Berlin, um bessere Waffen zu fordern. Es zählt nur noch das Jetzt, aber nicht einmal humanitäre Fluchtkorridore aus der bedrängten Stadt konnten trotz dringlichster Appelle bisher eingerichtet werden. Am 31. März sollte es eine Feuerpause geben. 45 Busse werden zur Evakuierung entsendet, die zum wiederholten Mal scheitert.
Amerikanische und britische Geheimdienste melden, dass Putin kein realistisches Bild vom Krieg in der Ukraine vermittelt werde – „aus Angst, die Wahrheit zu sagen!“ Mehrere Generäle sind schon ihrer Posten enthoben worden, Kriegsmaterial wird sichtbar zurückgelassen, junge Soldaten sterben, von Befehlsverweigerungen ist die Rede.
Tatsächlich sitzt die russische Armee fest (Georg Häsler in: NZZ, 31.3. , S.2). Derweil wird der Tschetschenen-Chef Kadyrow in den Rang des Generalleutnants erhoben und in Mariupol gesehen: Putin „plant für die nächsten hundert Jahren, er wird keine Zugeständnisse machen“ (Kadyrow, 31.3.).
Außenminister Lawrow ist in China und Indien diplomatisch unterwegs, um der Welt zu zeigen, dass Russland nicht isoliert ist. Die Welt droht wirtschaftlich und politisch wieder in Blöcke zu zerfallen, was schon 2008 mit der Finanzkrise und mit Trump begonnen hatte. Gegenüber China spricht man in den USA schon länger von einem neuen kalten Krieg. Was nun kommt, ist wieder etwas Neues und Anderes. Man wird sehen.
Putin sieht die „Bedingungen für einen Frieden“ noch nicht erfüllt. Was heißt das? Der türkische Außenminister bringt ein Gespräch zwischen den Außenministern erst in zwei Wochen wieder ins Spiel, während die ukrainische Seite bereits von einer neuen Sicherheitsstruktur spricht (so Igor Zhovkva, der außenpolitische Berater des Präsidenten am 31.3. in: Welt TV). Deutschland ist zusammen mit anderen westlichen Staaten offenbar bereit, Sicherheitsgarantien zu übernehmen. Das alte Konzept der Neutralität wird in einer neuen Situation wieder aktuell.
Im neuzeitlichen Völkerrecht gehören zu den Präliminarien eines Friedens, der stabil ist, vor allem die Nichtintervention in die inneren Angelegenheiten eines Staates, keine Friedensschlüsse mit Vorbehalt, Abschaffung der stehenden Heere, keine Staatsschulden zum Zweck der Rüstung (!) sowie und vor allem die Unentbehrlichkeit einer rechtlichen Ordnung (so Kant 1795).
Ein Rückzug der russischen Truppen ist nicht zu sehen, was die Ukrainer zurecht als Erfolg ihrer eigenen Verteidigung feiern, was sie ermuntert. Sie wollen und können den Krieg gewinnen und werden deshalb nur schwerlich Gebiete, einschließlich der Krim, in Friedensverhandlungen wieder abtreten wollen, die ein Präjudiz für weitere Kriege werden könnten. Derweil versucht Russland Städte, z.B. Cherson, und Gebiete wie Luhansk und Donezk durch Referenden an sich zu binden.
Die Nato hat sich schnell mit viel amerikanischem Geld den neuen Realitäten angepasst (Agenda 2030). Für sie war der russische Einmarsch „entsetzlich, aber nicht überraschend“ gewesen (Stoltenberg). Das überrascht. Auch Deutschland ist endlich im 2%- Klub der Nato und diskutiert über den Kauf eines Raketenschirms à la Iron Dome in Israel. Laut Stoltenberg steht eine überwältigende Mehrheit in den nationalen Umfragen hinter den Plänen der verstärkten Nato (31.3.).
Das größte Verteidigungsbündnis der Geschichte konnte seine Grundwerte und Zwecke untermauern in einer gefährlicher gewordenen Welt, so die Bilanz des Generalsekretärs, nachdem es kurz zuvor noch als obsolet und Hirntod betrachtet worden ist. In Krisenzeiten zeigt sich die Stärke der transatlantischen Zivilreligion als Einheitsfaktor bei allen Unterschieden. Die USA sind mit Präsident Biden nach Polen und Europa zurückgekehrt und haben die „heilige Bündnispflicht“ erneuert.
Die Ukraine ist jetzt merklich besser gerüstet und spürt von außen keinen Druck auf die Verhandlungen. Von Russland erwartet sie kein Ultimatum, sondern eine konstruktive Antwort auf Lösungsvorschläge. Der Krieg kann nach einem Monat und mehr zu Beginn eines neuen Monats noch lange dauern.
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