Die Eskalationsschraube dreht sich seit Mitte Mai, dem russischen Angriff auf Charkiw mit Gleitbomben von russischem Grenzland aus und mit der Freigabe westlicher Waffen, russisches Territorium angreifen zu können. Völkerrechtlich ist das mit dem Recht auf Selbstverteidigung Artikel 51 gedeckt. Russland droht mit „ernsten Konsequenzen“.
„Biden tut das Richtige erst, wenn es fast zu spät ist“. Mit anderen Worten: seine Vorsicht geht in die Eskalationsfalle Putins“, worin ein bekanntes Muster zu erkennen sei, heißt es in einer klugen Analyse von Christian Weisflog (in NZZ, 3.6.). Wie kritisch ist das gemeint?
Offenbar kennt Putin das Muster auch, der sich eher Biden, denn Trump als nächsten amerikanischen Präsidenten wünscht, weil er „berechenbarer“ sei. Es ist auch besser für mögliche politische Lösungen, wenn wir noch von einer ‚Interaktion’, wie auch immer, ausgehen können als bloss vom militärischen Schlachtfeld. Wir wollen ja nicht ständig nur den Krieg in seiner Eigendynamik denken, sondern endlich auch den Frieden in seinen Möglichkeiten. Viele Gedanken haben wir dazu bisher nicht gefunden, nur Absichtserklärungen und wohlfeile Bekenntnisse.
Die Frage, wer amerikanischer Präsident wird, bleibt bis November offen. Das ist sicherlich ein schwerwiegendes Handicap für einen gegenwärtig anzustoßenden Friedensprozess. Russland wird ebenfalls nicht zum Friedensgipfel am 15./16. Juni auf den Bürgenstock kommen, China hat deswegen schon abgesagt.
Macht dann die Konferenz überhaupt noch Sinn? Ist sie nicht vielmehr „absurd“(Peskow)? Hat sich die Schweiz übernommen? Nicht die Konferenz ist auf dünnem Eis, sondern, viel schlimmer, die Schritte hin zu einer möglichen Friedenslösung. Wie sehen sie aus?
Im Vorfeld zur Konferenz ist im Mai einiges deutlicher geworden für die Welt. Das Problem ist nicht die Selbstüberschätzung der Schweiz (entgegen der These in NZZ, 3.6.), indem sie auf Bitten von Selenski die Organisation übernommen hat, sondern vielmehr hat der Prozess der Organisation dieser Konferenz Dinge an den Tag gebracht, die vorher so sicher noch nicht festgestellt werden konnten, vor allem die Rolle Chinas, auf die man hoffte.
Die Zeit Mai bis anfangs Juni hat unmissverständlich deutlich gemacht, wie es hinter der offiziellen Maskerade aussieht, wie mithin die politisch-strategische Ausrichtung der Supermächte ist und es somit um den fragilen Weltfrieden tatsächlich bestellt ist. Diesen Sachverhalten widmet sich der folgende Blog “ Krieg und Frieden denken III „.
Die Eskalationsschraube dreht sich
Nicht Präsident Biden ist verantwortlich für die prekär gewordene Verteidigungsfront der Ukrainer. Dazu kommt, dass die russische Armeespitze – der alte Verteidigungsminister Schoigu (dem Prigoschin Versagen vorgeworfen hatte), der kein Militär war, ebenso wie der neue Verteidigungsminister Beloussow, der ein Technokrat ist, gerne übertreiben.
Vor allem die Maga-Republikaner – Trump und die Trumpisten – sind verantwortlich für die unverantwortlich lange verzögerten Hilfslieferungen an die Ukraine und damit für den gegenwärtigen Frontverlauf im Abnützungskrieg, bei dem Russland die Oberhand gewonnen hat.
Die USA und GB tragen eine besondere politisch-militärische Verantwortung, da sie im März 2022 Selenski ermuntert hatten, die Verhandlungen mit Russland abzubrechen. Inzwischen konnten die Russen neben der überdehnten Front der eroberten Gebiete im Donbass, Saporischja bis Cherson, die nun offiziell russisches Staatsgebiet geworden sind, eine weitere Front bei Charkiw eröffnen. Sie bindet große Kräfte, was wiederum die Chancen erhöht an der langen Front nadelstichartig durchzubrechen und möglicherweise weiter vorzustoßen.
Biden gibt den Takt für eine mögliche Verhandlungslösung in der Ukraine (so wie in Israel am 31. Mai) nicht vor. Er wünscht sich keine Niederlage der Ukraine. Die „komplette Niederlage bloss zu verhindern“, sei aber ein „trügerisches Ziel“, meint der amerikanische General a.D. Hodges (ZDF heute 30.5.). Ist es Vorsicht oder Angst vor der Eskalation oder beides?
General Milley nannte es das „nukleare Paradoxon“. Sind die Atomdrohungen von Anfang an nur Bluff? Kennt Putin selber die roten Linien nicht? Oder besteht die Gefahr von permanenten Drohungen darin, dass man nicht mehr genau hinhört, wenn sie ernstgenommen werden müssen?
Eine neue Stufe ist für Moskau erreicht mit der Lieferung der niederländischen 24 F-16. Die Regierung hat der Ukraine die Erlaubnis erteilt, sie gegen Ziele in Russland einzusetzen. Belgien hingegen beschränkt deren Einsatz. Russland sieht die „nukleare Sicherheit“ bedroht und bezeichnet die Flugzeuge als „Träger von Atomwaffen“ (Tass).
Lawrow hat deswegen eine eindringliche Warnung an die Nato gerichtet, und Putin droht dem Westen eine „asymmetrische Antwort“ an. Absichten, die Nato anzugreifen, bezeichnet er dagegen als „Bullshit“ (Frankfurter Rundschau 6.6.). Nach Angriffen auf Atomfrühwarn-Systeme verlangt Russland von den USA ein „Machtwort“ (Merkur.de, 7.6.) Die angekündigte Lieferung französischer Mirage-Kampfflugzeuge (7.6.) bezeichnet für russische Kriegsblogger den richtigen Zeitpunkt für eine „asymmetrische Antwort“.
Macron prescht vor, er will offenbar eine „Koalition der Willigen“ bilden ohne Deutschland (welt.de). Dass die Ukraine-Politik in Frankreich sehr umstritten ist, sah man daran, dass fast die Hälfte der Abgeordneten, vor allem auf der rechten und der linken Seite, bei der Rede von Selenski am 7.6 in der Nationalversammlung fehlte. Im Bundestag sind AfD und BSW am 11.Juni abwesend (und vor allem gibt es eine Spaltung zwischen West und Ost: mehr als 40 % im Westen findet Deutschland tut zu wenig für die Ukraine, mehr als 40 % im Osten findet zu viel).
Bei der Europawahl am 9.7. gewann zudem die französische Rechte – das Rassemblement national (32%) und Reconquête (5%) -, so dass der Präsident riskante Neuwahlen für das Parlament Ende Juni ausruft. Die französische Führerschaft in Europa, der „älteste Freund der USA“ (Biden), ist mithin fragil.
Für Frau Strack-Zimmermann hat der „Angriff Putins bereits begonnen“ (Merkur.de, 3.6.). Sie will deswegen die Reservisten aktivieren. Was meint sie mit Angriff genau? Einen militärischen Angriff? In Vorbereitung? Oder Cyberangriffe, die Russland zugeschrieben werden? Es ist jetzt wichtig, genau und realistisch zu sein, das gilt vor allem für Waffen, ihren Gebrauch und die konkreten Ziele. Die einflussreichen Medien spiegeln und verstärken ohnehin ohne Unterlass die Aufregung und Hektik.
Die Kertsch-Brücke, die längste Brücke Europas, das Prestigeprojekt Putins, das er 2018 eröffnet hat, ist materiell und symbolisch von höchstem Wert. Sie soll möglicherweise diesen Sommer noch fallen. Die Ukraine wollte schon letztes Jahr dringlich deutsche Taurus- Marschflugkörper nicht zuletzt deswegen, um die symbolhafte Brücke zerstören zu können.
Das würde auch Putin treffen. Inzwischen haben die Russen vorsorglich eine neue Eisenbahnlinie gebaut, um – im Fall der Fälle – die Versorgung und den Nachschub sicherstellen zu können. Die Krim ist durch westliche Waffen (Himars, Atacms u.a.) unter Beschuss.
Verteidigungsfähigkeit
„Verteidigungsfähig“ kann und muss man werden, national und europäisch. Dafür darf die Bundeswehr nicht „blank“ sein. Die verschiedenen Sicherheitsaspekte werden für alle Länder zentral. Finnland schloss seine Grenzen bereits. Die baltischen Staaten sind alarmiert. Schweden fürchtet einen militärischen Angriff auf Gotland.
Polen schließt gegenwärtig militärisch seine Grenzen wegen des hybriden Krieges von Seiten Russlands und lässt Kampfflugzeuge aufsteigen. Das sind angemessene Reaktionen und keine falsche Panik, die einen schicksalshaften Lauf nehmen kann, obwohl alle Einzelschritte richtig sind.
General Hodges wirft Biden Zögerlichkeit vor, schon im Herbst 2021, dann bei den Kampfjets, den schweren Panzern, Patriots, ATACMS. Auch die Reaktion auf den russischen Einmarsch sei unklar gewesen, so die Beurteilung des Militärs am Spielfeldrand.
Er und viele andere Experten lagen in den letzten Jahren allerdings auch daneben, vor dem Einmarsch, den man nicht für möglich hielt, als auch bezüglich des Optimismus der ukrainischen Sommeroffensive (bis zur Krim!) 2023. Biden dagegen trägt als Team Vorsicht die politische Verantwortung und muss sich mit Bündnispartnern in der Welt abstimmen.
Die einfachen Militärs wiederum, die den Krieg am Boden gewinnen müssen, sind die ukrainischen Soldaten, deren Perspektive wir einnehmen sollten. Sie sind rückgekoppelt mit einem Parlament und dem Präsidialamt Selenskis, das in Kriegszeiten die Führung übernehmen muss.
Wie sieht das innenpolitisch aus in einem „Abnützungskrieg“, für dessen Beobachter die Frage lautet, „wer zuerst ausblutet“? Das betrifft tagtäglich Menschen und nicht Flugzeuge, auf die man von außen gerne als ‚gamechanger‘ setzt. Für Soldaten handelt es sich im Krieg jedoch nicht um ein Game.
„Am Ende ist entscheidend, ob Soldaten gut ausgerüstet sind, ob sie genug zu essen bekommen, ob man für die Familien sorgt. Russische Soldaten werden angeworben, nicht mobilisiert. Sie bekommen Geld für das, was sie tun. Die Soldaten desertieren nicht, weil sie sonst die Versorgung der Familien gefährden würden. Wenn sie fallen, werden die Hinterbliebenen entschädigt“ (so der Russland-Historiker Jörg Baberowski im Spiegel-Interview, 4.6.).
Für Putins Russland ist es, nach eigenem Bekunden, eine Frage auf „Leben und Tod“. Was es am meisten unterschätzte, war die Nationsbildung der Ukraine, die nichts mit ‚Nationalsozialismus‘ zu tun hat. Ernst nehmen muss man allerdings, dass für dieses imperiale ‚gekränkte ‚ Russland, wenn es mit dem Rücken zur Wand steht, alles möglich ist. Es deutet die Annexion der ukrainischen Gebiete seit dem 30. September 2022 erfolgreich als Verteidigung Russlands um, und wendet sie aggressiv gegen den Westen, der Russland angeblich „zerstückeln „wolle.
Baberowskis These ist, dass der Westen die Stimmung in Russland falsch einschätzt, am Schluss werde „Putin bekommen, was er verlangt „(a.a.O.). Neben den annektierten Gebieten, wird/soll (!?, deskriptiv/normativ) die Westukraine als “ Pufferstaat“, der die Nato von Russland trennt, bleiben.
Dagegen ist der polnische Außenpolitikexperte Pawel Kowal davon „überzeugt, dass Russland zerfallen wird“ (Welt.de). Die Einschätzungen Russlands, die Realismus beanspruchen, von denen viel abhängt, sind vielfältig und äußerst kontrovers. Dies überlagert die Diskussion über einen Weg zum Frieden.
Was also ist noch möglich für die Ukraine? Allein schon die Frage beinhaltet eine normativ-politische Perspektive. Gerechter Krieg ist erst recht eine Sache des politischen Willens. Hierfür sind letztlich die personellen Ressourcen entscheidend. „Wir wollen glauben, dass Soldaten nur dann motiviert sind, wenn sie für Vaterland und Demokratie kämpfen. Im Schützengraben spielt das keine Rolle: Die Soldaten sitzen im Schmutz, frieren, haben Angst. Das Letzte, woran sie denken, sind Ideale – das gilt für beide Seiten“ (Baberowski, a.a.O.).
Die Perspektiven der Beobachter und Akteure konvergieren nicht. Diesen Zerstörungskrieg, der noch weiter eskalieren kann, muss man beenden, aber wie? Selenski strengt neben der Mobilisierung neuer Soldaten gleichzeitig einen internationalen Friedensprozess an. Das ist für ihn als innenpolitischen Akteur riskant. Von außen müssen wir das konstruktiv unterstützen und weitertreiben.
Als Beobachter hingegen lediglich zu sagen, dass jeder Krieg irgendwann mit einer Verhandlungslösung endet, ist zu wenig. Wenn Frieden nicht Kapitulation heißt, was dann? Das ist die Frage! Es wird lediglich nur ständig wiederholt, dass man mit Putin nicht verhandeln könne. Die Nato unterstützt “ bis zum Sieg“. Was aber heißt ‚Sieg‘, und welchen Preis wird man dafür zahlen?
Die Rolle Chinas
Das Machtgleichgewicht in der Welt verschiebt sich, merklich und unmerklich. Vieles wird von Europa und USA aus gar nicht gesehen. Der weltfremde Hochmut verhindert das. Das jährliche Sicherheitsforum Shangri-La-Dialog (nach dem Namen des Hotels) in Singapur rückt es ins Blickfeld. Es ist das Wichtigste in der Asien-Pazifik Region.
Nicht nur der chinesische und amerikanische Verteidigungsminister, welche die „Krisenkommunikation auf höchster Ebene“ militärisch fortführen, siehe den Blog vom 15. November 2023, sondern auch der ukrainische Präsident Selenski, der für die Friedenskonferenz in der Schweiz warb, waren anwesend (31.5.).
Die USA wie China versuchen, möglichst viele Staaten für ihre weltpolitische Sache zu gewinnen. Dabei war der Ton in Singapur nach außen überraschend undiplomatisch-rau, so wenn es um Taiwan ging. Da ist China empfindlich wie früher bei der Tibetfrage. Andererseits ist es Klartext, der uns die Augen öffnet.
Der chinesische Verteidigungsminister Dong Jun, der in Militäruniform auftrat, sprach davon, die Gegner von Chinas Politik “ zerschmettern “ zu wollen. Der amerikanische Verteidigungsminister Austin, ein ehemaliger General, betonte seinerseits, „dass das US-Militär die fähigste Kampftruppe der Erde bleibt“ (T-online).
Der ehemalige Außenminister Mike Pompeo (2018-2021), zuvor CIA-Direktor, wirft Bidens Regierung vor, “ in der Abschreckung völlig versagt zu haben“ (im NZZ- Interview vom 7.6.) Obama habe sich nur schon geweigert, „der Ukraine defensive Waffensysteme zu liefern“. Ansonsten sähe die Front heute anders aus. Die Trump-Regierung lobt er dagegen für ihr hartes Auftreten gegenüber Russland und in der Nato: “ In den vier Jahren hatten wir null Kriege.“ Er würde wieder in sein Kabinett eintreten. Am Bürgenstock-Gipfel will er teilnehmen, denn er ist als ‚Krieger‘ für den Frieden.
Die Frage stellt sich, welche Rolle das Thema des (Welt-)Krieges im amerikanischen Wahlkampf noch spielen wird. Die Wiederherstellung der globalen Abschreckung lautet Pompeos Lösung für die derzeitigen Konflikte. Damit sind wir in einer anderen Dimension der „Widerstandsfähigkeit“ für die internationale Politik. Dafür ist es erforderlich, neue Koalitionen, eine ‚Nato in Asien‘ (QUAD zum Beispiel), zu bilden, um dem aggressiven China begegnen zu können und nicht nur „ständig von roten Linien zu sprechen, die man dann aus Angst vor Eskalation ignoriert“ (a.a.O.).
Daraus folgt: „Wir brauchen immer mehr Waffensysteme“. Die Fähigkeiten müssen im Wettbewerb mit China, das technologisch schneller aufholt als erwartet (man sieht es bei den Flugzeugträgern), vor allem im Weltraum, im Cyberkrieg und der biologischen Kriegsführung ausgebaut werden. Zwei weitere Kritikpunkte bringt der überzeugte Republikaner Pompeo an den Demokraten noch zusätzlich an (a.a.O.).
Sie betreffen die ideologiepolitische Ebene: Erstens, dass sie unterschätzt werde in der China-Politik von Xi (und man muss hinzufügen: in der Menschenrechts- und Entwicklungspolitik) und zweitens, dass nicht jede realistische Maßnahme eskalierend sei, wie aus ideologischer Verblendung schnell gesagt wird. Realismus in der Politik verhindere vielmehr Eskalation und sorgt im Ausgleich der Mächte für Frieden. Besonnenheit schließt Handlungsmut nicht aus.
Einen zweiten Schlagabtausch gab es am Sicherheitsforum in Singapur von Seiten Selenskis, der China vorwarf, die Friedenskonferenz in der Schweiz zu sabotieren, genauso wie Russland: „China sei ein Werkzeug Putins“, so lauteten schließlich seine Worte , enttäuscht und verärgert, nach langem vergeblichen Werben.
China, das sich weltweit als Friedensvermittler versteht, ist die enttäuschte Hoffnung von Europas Friedensbemühungen in Bezug auf die Ukraine. Lawrow wollte deshalb eine alternative Friedenskonferenz in China veranstalten über die „neuen Realitäten“. Denn China verstehe die Ursachen der gegenwärtigen Konflikte, die Russland außerhalb des europäischen Rahmens verortet.
Damit meint er den Konflikt mit den USA, der ein Handelskrieg und mehr ist (siehe das Interview mit Pompeo). Fürwahr, aus seiner Sicht hat er recht: Es geht um Weltmacht und Weltpolitik und primär gegen die amerikanische Hegemonie.
China, das auf „der Seite von Frieden und Dialog steht“ (Dong Jun), ist mitnichten neutral, aber mächtig. Es liefert Russland sogenannte Dual-Use -Güter und kauft mehr Öl und Gas als vor dem Krieg. Außerdem schickt nicht nur der Iran, sondern auch Nordkorea Waffen an Russland, was ohne chinesische Rückendeckung nicht ginge.
Zudem haben mehrere südostasiatische Staaten Grenzkonflikte mit China: die Philippinen, Malaysia, Indonesien, Vietnam, Japan, Indien und Australien (T-online). Manila warnt Peking, im südchinesischen Meer das internationale (See-) Recht zu verletzen; insbesondere das Atoll Ajungi-Shoal ist zum Zankapfel geworden (NZZ, 3.6., S.4).
Es gibt inzwischen mehr militärische Krisenkommunikation und neue Allianzen, aber auch massive Aufrüstung. Siehe auch den Blog „Krisenkommunikation auf höchster Ebene“ vom 15. November 2023. Dem korrespondiert jedoch nicht mehr Krisenlösung. Signifikant ist vielmehr die Zunahme von potentiell militärischen Konflikten und Drohungen, auch wieder zwischen Nord- und Südkorea, wo es an der Grenze zu Warnschüssen kommt und es bis heute keinen Friedensvertrag gibt.
Wir beruhigen uns in einer falschen Gewissheit. Dazu kommt die räumliche Distanz, die Indifferenz schafft. Auch der Ukraine-Konflikt ist für viele weit weg, während er für Europa großen Schaden anrichtet.
Friedensgipfel in der Schweiz
Die amerikanische Vizepräsidentin Kamala Harris kommt zur Bürgenstock-Konferenz. Seit dem 3. Juni wissen wir es, begleitet wird sie vom nationalen Sicherheitsberater Sullivan. Damit unterstreichen die USA, dass sie Selenskis diplomatische Aktivitäten unterstützen.
Biden, auf den man als Überraschung gehofft hatte, reist früher vom fast gleichzeitig stattfindenden G7 Gipfel in Italien wieder ab, um einen wichtigen Wahlkampftermin in Kalifornien zusammen mit Julia Roberts und George Clooney wahrnehmen zu können.
Das zeigt einmal mehr den engen Zusammenhang von Inn- und Außenpolitik, auch und gerade, wenn es um Weltpolitik geht. Wo der Primat normalerweise ist, liegt auf der Hand. Der amerikanische Wahlkampf, von dem viel abhängt, kommt allerdings zu einem extrem ungünstigen Zeitpunkt. Zudem ist er heiß umstritten und wird knapp. Es ist noch nicht einmal sicher, ob Trump, falls er verlieren sollte, das Ergebnis akzeptiert. “ Wir leben in einem faschistischen Staat“ (so Trump in New York am 31.5. ).
Am D-Day-Jubiläum in der Normandie sprach Biden den wahren Satz, dass jede Generation die Demokratie wieder neu erkämpfen muss. Das war auch der Hauptgrund, weshalb der 81-Jährige noch einmal in den Ring gestiegen ist.
Das Innen- und Außenverhältnis des Politischen, der Worte, Bezüge wie der gesamten Rhetorik nach innen und nach außen, ist bei der Analyse stets zu beachten. Das gilt auch für Russland und China, in die wir als große ferne Länder weniger Einblick haben. Die Überraschungen in negativer wie positiver Hinsicht können deshalb umso überraschender sein.
Die chinesischen Medien reagieren empfindlich auf jedes Wort, ob ‚Diktator‘ oder nicht. Die Kontrolle der Medien ist eine erste Voraussetzung der totalitären Diktatur, das war auch für den Aufstieg von Putin so. Kein Wunder, dass nun das russische Staatsfernsehen auch die schweizerische Bundespräsidentin für ein Jahr (primus inter pares) Viola Amherd dreist angreift (SRF News App, 3. 6.).
Die russische Propaganda gegen die Friedenskonferenz sagt viel darüber aus, was sie unter einer „Präsidentin“ versteht. Hinzukommt ein Subtext, der bewusst unter die Gürtellinie zielt und damit viele erreicht. Er entspricht leider dem Denken und der Tonalität zahlreicher mächtiger Medienleute, Heerscharen von Akademikern sowie hohen Militärs und Politikern. Sie sind oft schrill und beleidigend. Und vor allem: sie wissen, was sie tun um der Karriere willen. Es sind nicht nur die großen ‚Bösen‘ Putin, Medwedew und Lawrow.
In der kleinen Schweiz wiederum ließen es sich die nationalkonservativen Superpatrioten von der Schweizerischen Volkspartei ( SVP) nicht nehmen, Russland offiziell zur Konferenz einzuladen, um ihrem Verständnis von “ immerwährender, bewaffneter und umfassender Neutralität“ Genüge zu tun, das Russland anzweifelte.
Die Konferenz darf „keine einseitige Propagandaveranstaltung werden“, meinten sie gegen die bürgerlichen Bundesräte sagen zu müssen. Es sind dieselben, die am 15.6. 2023 den Nationalratssaal aus Protest verließen, als Selenski seine Rede hielt. Die Ausrichtung der Neutralitätspolitik ist umstritten.
Außenminister Cassis und Bundespräsidentin Amherd waren von Anfang an offen für die Einladung Russlands. Es ist klar, dass für den Frieden beide Kriegsparteien zumindest bei einer Nachfolgekonferenz an einen Tisch geholt werden müssen.
Auf der Bürgenstockkonferenz am 15. und 16. Juni, die nun offiziell nicht mehr „Friedenskonferenz“, sondern „Konferenz zum Frieden in der Ukraine“ heißt, soll über den Weg zum Frieden diskutiert werden. Klarheit und Vertrauen müssen dafür erst einmal geschaffen werden. Man kann auf die Vorschläge der Delegationen gespannt sein. Die Diplomatie, die verstehen will, darf nicht verkümmern.
Zunächst heißen die konkreten Themen, die für die ukrainische Zivilbevölkerung wichtig sind:
1. Humanitäres
2. Nukleare Sicherheit (AKW Saporischja)
3. Ernährungssicherheit/Ukraine Exporte
4. Freie Schifffahrt
Viola Amherd aus dem zweisprachigen Kanton Wallis, gehört der Partei mit dem neuen Namen ‚Die Mitte‘, ehemals CVP, an. Das war und ist die klassische Konkordanzpartei. Als Verteidigungsministerin will sie nicht „Trittbrettfahrerin der Nato“ sein (FAZ, 7. Juni, S.6).
Die Schweiz als Spezialistin für militärische und zivile Verteidigung muss den neuen geopolitischen Gegebenheiten Rechnung tragen. Ihre Patrioten sollten eigentlich das Recht auf Selbstverteidigung verstehen und politisch laut in die Welt hinaustragen, an der Seite kleiner Staaten, auch Israel.
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