Kann ein Faschist amerikanischer Präsident werden?

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Im Oktober häufen sich Stimmen, die eine Umkehrung des Meinungstrends zugunsten von Trump zu beobachten meinen. Vorher war es umgekehrt und die Euphorie, die Harris zu entfachen vermochte, wurde bewundert. 

Sie euphorisierte zusätzlich und in Deutschland sah schon die überwiegende Mehrheit Harris als sichere Siegerin. Der Wunsch war Vater dieses Gedankens. Auch aus dem Fernsehduell ging sie als klare Siegerin hervor (siehe Blog vom 13.09.24). Da half es nicht viel, sich skeptisch an Hillary Clinton zu erinnern. 

Mit inhaltlicher Kritik hielt man sich zurück, obwohl von Anfang an die Vagheit und Unausgereiftheit ihres Programms offensichtlich war. Inzwischen trauen mehr als die Hälfte der Amerikaner in Wirtschaftsfragen Trump mehr zu. Die Mittelschicht ist in Amerika ökonomisch unter Druck und verunsichert. Beim zweiten Hauptthema der illegalen Migration werden Harris zudem ständig – wie ein Trommelfeuer-Versagen als Vizepräsidentin zugerechnet. 

Bei aller Euphorie und Unterstützung durch die Obamas war ihr realistischer Weg nach vorn bisher jedoch nicht zu vergleichen mit dem politischen Aufbruch von Obama 2008 trotz gleicher Worte und ähnlicher Parolen. Harris vertritt das Vermächtnis Bidens, die Demokratie zu verteidigen, zugleich gelingt es ihr nicht, obwohl sie von einer neuen Führungsgeneration spricht, ihr eigenes inhaltliches Profil deutlicher zu machen. Andererseits ist sie auch durchaus realistisch. 

Harris und ihr Wahlkampfteam orientierten sich zurecht an der Mittelschicht und der patriotischen Mitte, um eine breite Sammlungsbewegung gegen den Trumpismus bilden zu können. Kein Wähleranteil sollte verloren gehen, deshalb auch die Wahl ihres Vize Tim Walz aus Minnesota, der die Durchschnittsamerikaner des Mittleren Westens gewinnen soll. Er verweist stets, auch inhaltlich, zum Beispiel sozialpolitisch, auf sein Land Minnesota. 

Dass Harris auch eine Waffe besitzt und auf einen Einbrecher schießen würde, hat sie inzwischen öffentlich bekannt gemacht. Auch ‚Coach Walz‘ ist für das amerikanische Verfassungsrecht auf eine Waffe. Militärische Sturmgewehre will Harris indes zu Recht verbieten. Gegen ein starkes Militär jedoch, und das ist ein wichtiger Punkt, sind beide, Harris und Walz, nicht eingestellt. 

Das sollte für alle Wähler offensichtlich sein. In einen Wettbewerb für den ersten Platz des Superpatrioten müssen sie deshalb nicht eintreten, obwohl ihnen Trump alles Mögliche unterstellt. Sie sind nicht nur Demokraten, sondern auch republikanische Patrioten im amerikanischen Sinne. Das hat der Wahlkampf, der ansonsten nicht gerade aufklärerisch ist, deutlich gemacht. 

Davon wiederum haben sich indessen die MAGA-Republikaner als ‚Superpatrioten‘ und Isolationisten, verabschiedet, seitdem sie sich der Macht des „unbeugsamen Kämpfers“ Trump, ausgeliefert haben, erst recht seit dem überstandenen Attentat in Butler, bei dem Gott mithalf. Seitdem heißt das Motto „fight“ und das ist buchstäblich gemeint, mitsamt der zugehörigen Ikonographie. 

Die echt Konservativen, wie Mike Pence, sind verstummt, und Liz Cheney hat sich auf die Seite von Harris gestellt, was etwas heißen will. Sie und General Kelly liefern in den letzten Wochen die stärksten Argumente im Wahlkampf der Demokraten, der sich nun einerseits ganz auf die Charaktereigenschaften der Person Trump richtet: er wird „zunehmend instabil“, ja er ist „ein Faschist“ (Harris). Und andererseits Harris nicht nur als bürokratische Staatsanwältin, als die sie schon bei der verfehlten Präsidentschaftskandidatur 2019 auftrat, sondern auch als nahbar, persönlich und mitfühlend erscheinen lassen soll: Sie sammelt Sympathiepunkte gegen den Charismatiker Trump, der anzieht und abstößt. 

Der Slogan „Amerika wieder groß machen“ stammt von Ronald Reagan und seiner konservativen Revolution von Kalifornien aus gegen den Geist der Studentenbewegung der 60er und 70er Jahre in Berkeley und anderswo. Reagan war ein Konservativer und Kalter Krieger, der diesen auch gewinnen wollte und gewonnen hat. 

Reagan war zudem ein Optimist und beschrieb sein Land nicht in düster-apokalyptischen Kategorien wie Trump heute, am schwärzesten bei der republikanischen Convention im Juli in Milwaukee. Reagan spielt heute bei den Trumpisten, die ein „Land im Niedergang“ beschreiben, keine Rolle mehr, Harris spricht dagegen vom „Land der Chancen“. 

Die Reagan-Anhänger waren alle Freihändler durch und durch, die Trumpisten sind das pure Gegenteil. Die Einstellungen zum Freihandel und zur wirtschaftspolitischen Globalisierung haben sich gewandelt. Trump predigt heute einen Protektionismus, ohne die Folgen für die Weltwirtschaftsordnung zu bedenken. Zölle sind sein Lieblingswort geworden, Wirtschaftskrieg ist die Folge. Die deutsche Wirtschaft, klar, wünscht sich keinen Sieg von Trump. 

Schutz geht vor Freiheit. Aus Links ist Rechts geworden, wenn es um Arbeiterinteressen, ‚manufacturing‘ und Arbeitsplätze geht. Der Milliardär Vance, der mit seiner Herkunft argumentiert, vertritt dies ganz offensiv und intellektuell. Die Tech-Milliardäre in seinem Umkreis, vor allem ihr Vordenker Peter Thiel, geboren 1967 in Frankfurt am Main, haben andere Vorstellungen von Demokratie, wenn es anarcho-libertär um ihre Freiheit geht. Sie sind die eigentlichen Staatsfeinde von heute. 

Der Kontext, auch innerhalb der ‚grand old party ‚, die 1854 von Abraham Lincoln gegründet worden ist, hat sich gegenüber den 80er Jahren (’neokonservativ-neoliberal‘) verändert. Die Zeiten haben sich geändert, und die intellektuellen Diskurse haben sich erheblich verschoben. Trump hat die große Partei, anfangs noch als Clown belächelt, etwa in der innerparteilichen Konkurrenz mit Jeff Bush, transformiert. 

Er hat sie gewandelt durch Polarisierung als Mobilisierung, durch einen aggressiven Politikstil und Parteienpolarisierung über das übliche Maß in einer Parteiendemokratie hinaus. Solange dieser Weg Erfolge bringt (in Form von Mandaten), werden die Republikaner mitgehen. Der Trumpismus kann aber auch eine langlebige Eintagsfliege bleiben. Geholfen haben Trumps charismatischer Herrschaft maßgeblich die Tea-Party-Bewegung, konservative Juristen und bestimmte Medien wie Fox News; er war der erste twitternde Präsident. 

Dieser Erfolg ist heute das zentrale Problem für die Stabilität der amerikanischen Demokratie geworden, an dem freilich auch die Demokraten ihren Anteil haben. Vor dem 5. November wird man daraus keinen Ausweg mehr finden. Wie der Wahlausgang auch verläuft, das Land wird gespalten bleiben, und die Lage nach der Wahl bürgerkriegsgefährdet. Eine interessante ausführliche empirische Studie, die kürzlich bei ‚Science‘ publiziert worden ist (siehe FAZ, 23. Oktober 2024, S.2), ist hier kurz zu referieren.

Getestet wurden 32 000 Personen zu folgenden Fragen: 
– parteigebundene Gegnerschaft; 
– Unterstützung undemokratischen Verhaltens; 
– Bejahung politischer Gewalt gegen Anhänger des anderen politischen Lagers. 

Ein klarer Befund ist, dass bei dieser unzivilen Entwicklung keine der beiden Parteien völlig unschuldig ist. Republikaner drücken eine höhere Unterstützung bei undemokratischen Praktiken aus; Demokraten äußern dafür mehr Zustimmung zu Gewalt, sollten die Republikaner die nächsten Wahlen gewinnen. Wird der wechselseitige Faschismus- bzw. Kommunismus- oder Linksradikalismusvorwurf diese Konstellation noch verstärken? Demokratische Legitimität durch Wahlen und friedlicher Machtwechsel sind fraglos Mindestbedingungen gelungener Demokratie, gleichviel wie sie institutionell ausgestaltet wird. 

Die Studie stellt auch fest, dass der Appell an ein überparteiliches Wir-Gefühl, der republikanische Grundkonsens, den Abbau von Feindseligkeiten zugunsten verständigungsorientierter Kommunikation bewirken kann. In einer Parteiendemokratie sind dafür Kompromiss, Koalition und Konsens erforderlich. 

Es gibt verschiedene Möglichkeiten demokratischen Regierens (auch Minderheitsregierungen), die heute alle verbessert und politisch-kulturell gepflegt werden müssen, denn das Regieren, die Politik wie die Parteien und der handlungsfähige Staat, gewissermaßen die operative Politik, stehen objektiv vor schwierigen Herausforderungen. Kritik ist nötig und wohlfeil zugleich; das politische Denken, das sich seit Aristoteles auf Praxis bezieht, ist jedoch komplexer, widersprüchlicher und schwieriger geworden. Darum sollten wir uns, sowohl mit einer differenzierten Staatstheorie als auch seriösen Demokratietheorie bemühen.

Der schwierigste Befund der erwähnten Studie (a.a.O.) war: dass die Gefahr für die Demokratie immer nur vom Gegner ausgeht, und Gewalt gerechtfertigt wird, um Gewalt zu verhindern. Soweit allerdings dürfen wir es nicht kommen lassen bei allen politischen Kontroversen, die heftiger werden. 

Charismatische Herrschaft

Um eine lange Geschichte kurz zu machen: 14 Tage vor der entscheidenden Wahl, die offen ist, stehen wir vor der Frage: Kann tatsächlich in der führenden Nation der freien Welt ein Faschist Präsident werden? 

Harris hat vor Kurzem bei CNN zum ersten Mal Trump öffentlich einen Faschisten genannt. Sie reagierte dabei auf Äußerungen des ehemaligen Stabschefs im Weißen Haus (2017-19) und vier Sterne Generals bei den Marines John F. Kelly, der davon erzählte, dass Trump Generäle Hitlers gelobt hätte, was dieser natürlich sofort bestritt, wie er immer alles bestreitet. 

Kellys besorgter Anlass, an die Öffentlichkeit zu treten gegen seinen ehemaligen Chef war allerdings Trumps Erwägung, Militär gegen politische Gegner im Innern, „inclusive Democratic foes“, einzusetzen. Das ist der ernste Hintergrund unseres Themas, das wir noch näher beleuchten wollen. 

In diesem Zusammenhang steht Kellys Einschätzung „he fits ‚fascist‘ „,und er liefert gleich eine Definition von Faschismus dazu: „It’s a far-right, authoritarian, ultranationalist political ideologie and movement, charactericed by dictatorial leader, centraliced autocracy, militarism, forcible suppression of opposition, belief in a national social hierarchy “ ( The New York Times in: ABC News, 24. Oktober 2024). 

Diese Diskussion hat zwei Ebenen: 
a) eine grundsätzlich-demokratiepolitische Ebene über den 5. November hinaus und 
b) eine tagespolitisch-wahltaktische bis zum 5. November. 


Zu a)
Die Demokratie ist nicht in Amerika erfunden worden. Das wussten die Gründerväter ganz genau, indem sie zwischen Republik und Demokratie unterschieden. Erfunden haben sie konzeptuell die föderative Republik auf einem großen und vielfältigen Territorium, das heute 50 ’states‘ umfasst. ‚Repräsentative (Parteien-) Demokratie‘, von der heute gesprochen wird, wäre für sie ein hölzernes Eisen gewesen.

Die Neue Linke in den 60er Jahren, der amerikanische SDS, bezeichnenderweise „students for a democratic society“, kritisierte die realexistierende amerikanische Republik und insbesondere die Südstaaten in der Bürgerrechtsbewegung als undemokratisch und stellte dagegen die ‚participatory democracy‘ (Port Huron Statement 1962). Diese Diskussion bleibt theoretisch unabgeschlossen, ist hier aber nicht unser Thema.

Seitdem die USA nach dem Zweiten Weltkrieg, dem ersten globalen Krieg, den Staffelstab von Großbritannien als Führungsnation der Freien Welt übernehmen, bestimmt der amerikanische Way of Life stets mit, was man als „demokratisch“ verstehen darf und was nicht. Wichtiger neben der föderativen Republik und der zugehörigen ‚Constitution‘, die aufgrund ihrer historischen Pfadabhängigkeit nur schwer reformierbar ist, wird das Rule of Law, die Rechtsstaatlichkeit insgesamt. Schon der Aristokrat Tocqueville bezeichnete (1835/40) die Juristen als die „neuen Aristokraten“ Amerikas. Umso wichtiger wird der Kampf ums Recht.

Hier finden sich Kriterien, die auch an die USA angelegt werden können. Es ist deshalb kein Zufall, dass Biden in seine Verteidigung der Demokratie eine Reform des höchsten Gerichts einschließt, die freilich nur schwer und über längere Zeit durchzuführen sein wird. Die Schwächen des amerikanischen Wahlsystems hingegen sind schon lange bekannt und werden in der Politikwissenschaft diskutiert, zum Beispiel der Ausschluss von vier Millionen Bürgern, weil sie vorbestraft sind, darunter hauptsächlich Schwarze. 

Zu b) 
Eine andere Frage neben diesem ernsten Hintergrund ist, ob es in der jetzigen Phase der demokratischen Auseinandersetzung politisch klug und sinnvoll ist, Trump als Faschisten zu bezeichnen, worauf dieser prompt mit dem Kommunismusvorwurf kontert. Welcher Vorwurf wiegt in der amerikanischen Wählerschaft in einem so knappen Rennen stärker?!

Dass Mussolini der erste Faschist war, ist unumstritten; die Anwendung des Faschismusbegriffs heute ist freilich, wie jeder historisch-politische Begriff umstritten. Bei der Linken ist er „overused“ (Paxton), was ihn analytisch nicht brauchbarer und präziser macht. Auch Mussolini hat sich für viele lächerlich gemacht bei seinen Auftritten. 

Für sie war übrigens Gabriele D’Annunzio das Vorbild (1863-1938), dessen Herrschaft von Fiume Elemente des Faschismus vorwegnahm. Sogar Lenin sah in ihm einen Revolutionär, weil er den Kontrast zur bürgerlichen Gesellschaft meisterhaft zu inszenieren wusste. Abgesehen davon, dass Trump keine solchen Vorbilder hat, fehlt auch die kohärente politische Ideologie, die Mussolini und mehr noch sein späterer Bildungsminister, der Philosoph Giovanni Gentile, sehr wohl hatte.

Mussolini war ein Bewunderer von Platons ‚Staat‘, ein Leser von Nietzsche und beeinflusst von Georges Sorel und Vilfredo Pareto. Trump ist zwar kein Leser und langfristig denkender Politiker, sondern eher ein Geschäftsmann, der in kurzfristigen Deals denkt und handelt. Er ist aber bereit, mit einer „Politik des Stinkefingers“ (NZZ, 21. Oktober, S.5), sein Land, das sich im Niedergang befindet, gegen seine Feinde im Inneren und von Außen, wieder „zurückzuholen“, indem er sich „unmöglich macht“. Dies im wahrnehmbaren Unterschied zu den etablierten Politikern, was vielen imponiert. Sie interpretieren es als Führungsstärke, was einer stark präsidentiellen Demokratie der großen Nation entgegenkommt.

Trump ist ein Charismatiker der Bühnenrede als Live-Event wie D’Annunzio und Mussolini und wirkt zuweilen ebenfalls komisch und pathetisch wie diese, was seine Anhänger jedoch nicht stört, im Gegenteil. Der Faschismus hat die Politik der Gewalt erfunden, er setzt seine Gegner seit je herab, kommunikativ und öffentlich auf der Straße. Diese Wirkung wird heute medial um ein Vielfaches noch verstärkt.

Solche Wirkungen zu entfalten, müssen wir Trumps moderner charismatischer Herrschaft seit dem 6. Januar 2021 zutrauen. Der Satz von Obama, dass Trump nicht ernstzunehmen sei, aber eine ernsthafte Gefahr für die Demokratie darstelle, ist deshalb nur halbrichtig.

Bildnachweis: IMAGO / Pacific Press Agency