Ist die Linke besser als sozialliberal?

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So wenig man die DDR auf die Staatssicherheit reduzieren kann, so wenig ist die PDS oder ‚Die Linke‘ lediglich die Nachfolgepartei der SED. Das ist reine Polemik, die in Wahlkampfzeiten berechtigt ist, aber der aktuellen politischen Sachlage nicht gerecht wird.

Zwanzig Tage vor der richtungweisenden Wahl am 26. September wirbt die Partei ‚Die Linke‘ für ein rot-grün-rotes Bündnis. Aufgrund der aktuellen Stärke der SPD ist es rechnerisch möglich geworden. Schon die Vorsitzende Katja Kipping argumentierte für eine linke Mehrheit (2020), die heute „progressives Bündnis“ heißt. Auch linke Sozialdemokraten unterstützten diesen Vorstoß aus einer parteipolitischen Position der Schwäche heraus. Sie ermunterten Scholz dazu, für eine solche Regierungs-Konstellation in die Offensive zu gehen. Ist dieser Wunsch in Erfüllung gegangen? Heißt die Alternative jetzt: Linke oder Lindner? (FAZ, 7.9.)

Die Linke hält aufgrund der inhaltlich-programmatischen Differenzen mit der FDP eine Ampelkoalition für „abwegig“. Tatsächlich sind hier noch viele Fragen offen. Indessen: es ist immer noch Wahlkampf. Und die vielen Schlagworte und starren Dichotomien wie „Freiheit statt Staat“ (Lindner) dienen mehr der eigenen Profilierung als der Erarbeitung eines anspruchsvollen Regierungsprogramms. Hierfür sind von allen Seiten her noch mühsame und zum Teil weite Wege zu gehen. Nur ein paar wenige Punkte sind für alle Parteien wirklich fix.

‚Die Linke‘ ist ebenfalls im Wahlkampfmodus und muss gegenwärtig (bei 6 oder 7%) bangen, überhaupt noch in den Bundestag einziehen zu können. Sie hat gegenüber den Zeiten, als sie in den 90er Jahren Volks- und Kümmererpartei in den ostdeutschen Bundesländern war, enorm an Zuspruch, Mitgliedern und realem Einfluss verloren. Die jüngsten großen Niederlagen in Brandenburg und Sachsen-Anhalt sind noch nicht aufgearbeitet. Das Verhältnis zwischen den neuen Jungen und den alten Alten in der Partei ist nach Auskunft vieler kalt.

Aus Sicht dieser schwächelnden Partei ist es wahlstrategisch nachvollziehbar, dass sie eine Ampelkoalition für „Wahlbetrug mit Ansage“ hält. Denn mit der FDP können SPD und Grüne zentrale Forderungen wie:

  • höherer Mindestlohn
  • Vermögenssteuer
  • Kindergrundsicherung

und andere sozialpolitische Forderungen nicht durchsetzen.

Für den früheren Verdi-Chef Frank Bsirske, der seit vielen Jahren Mitglied bei den Grünen ist, läuft zum Beispiel der FDP-Vorschlag, auf 88 Milliarden Euro Steuereinnahmen jährlich zu verzichten, auf ein finanzpolitisches Desaster und einen sozialpolitischen Kahlschlag hinaus (Tagesspiegel, 6.9., S.13). Der proklamierte Chancen-Liberalismus gilt mithin vor allem für die Wohlhabenden.

Für die Co-Vorsitzende der Linken Janine Wissler dagegen ist klar, dass die Reichen für die erhöhten Ausgaben des Staates bezahlen sollen: ab einer Million bis zu 75%. Sie setzt wie die Linken überhaupt auf Umverteilung, die sich nur in der Radikalität der Forderung unterscheiden. Scholz meinte dazu einmal richtigerweise, dass sich Deutschland zumindest eine Vermögenssteuer wie in der Schweiz leisten könne.

Mit Worten wird Politik gemacht: wer ein ‚progressives Bündnis‘ will, muss für ein ‚Linksbündnis‘ sein und deshalb ‚Die Linke‘ wählen. So erwartet sich die Partei noch einmal Stimmen, bevor sie möglicherweise nach den Wahlen in der Bedeutungslosigkeit versinkt. Allerdings müssten für einen neuerlichen Bedeutungsschub, so die weitere Bedingung, bei den Regierungsverhandlungen auch Scholz, die SPD und die Grünen mitspielen. 

Genau dieses Bündnis mit der Linken bauscht wiederum die Union als (weiteres) Gespenst des Kommunismus auf. Scholz wird folglich von zwei Seiten her in die Zange genommen: Die Linke wirft ihm vor, Hürden aufzubauen, bevor miteinander gesprochen worden ist. Scholz steht vor der inhaltlich wie taktisch schwierigen Frage: links oder linksliberal? Zu einem grünen Sozialliberalismus, wie er ihn sieht, hat er sich noch nicht geäußert. Dazu wiederum müssten sich dann auch die Liberalen ins Verhältnis setzen. Derweil glaubt Lindner noch an den Sieg von Laschet, in dessen Kabinett er den größten Gestaltungsspielraum als Finanzminister hätte.

Die SPD wiederum hat sich in den letzten zwei Jahren nur mühsam vom Kulturbruch mit den Agenda-2010-Reformen erholt. Sie hat sich wieder als soziale Kraft neben der Union und den Grünen positioniert. Ihr wird inzwischen die größte Kompetenz in sozialer Gerechtigkeit zugetraut, und die sozialdemokratischen Minister in der großen Koalition Heil und Giffey haben, weithin anerkannt, gute Arbeit geleistet. 

Davor, zu Schröders Zeiten, konnte noch die Partei des demokratischen Sozialismus in diese klaffende Lücke springen. Der eloquente Gysi hörte sich oft wie ein sozialdemokratischer Oberlehrer an. Die Partei verstand sich als Partei „neuer sozialer Ideen“ (gegen Hartz4). Derzeit versucht die SPD von Scholz mit Respekt, „soziale Politik für jeden“ zu machen, was bei der heterogenen Bevölkerung ankommt.

Scholz wird in der Endrunde des Wahlkampfs von seinem Kontrahenten Laschet vorgehalten, dass er dem Linksbündnis von vornherein keine klare Absage erteilt. Scholz fordert indessen ein Bekenntnis zur Nato, das die Linke ablehnt: „Bekenntnisse gehören in die Kirche“. Hier verwechselt Dietmar Bartsch die Zivilreligion der Bundesrepublik im transatlantischen Bündnis mit einer Kirche.

Es ist aber eine Bürgerreligion mit und ohne Gott mit einer tiefen historisch-politisch begründeten Bindung („von Herzen“ bei Scholz; „heilig“ bei Biden). Niemand wird dazu gezwungen, man/frau kann sich aber auch „ins Abseits stellen“ (Baerbock), so wie neulich beim verweigerten Mandat für die Rettungsaktion der Bundeswehr in Afghanistan.

Stattdessen, so die rhetorische Kompensation, soll Deutschland friedenspolitisch „Abrüstungsweltmeister“ (Bartsch) werden, was in der Konsequenz nicht nur einen deutlich niedrigeren Verteidigungshaushalt bedeutet, sondern auch das sofortige Ende von Auslandseinsätzen und Waffenexporten. Das 2%-Ziel gegenüber der Nato, das die Amerikaner schon lange fordern, müsste man vergessen, eine europäische Armee, und seien es nur begrenzte Einsatzkräfte, ebenso. Derweil häufen sich die außenpolitischen Probleme gegenüber der EU, den USA, Russland, Ukraine und China. Sie sind objektiv schwierig und müssen auch im geostrategischen Rahmen einer neuen Koexistenz gedacht werden. 

Es ist absehbar, dass sie sich in Deutschland zu immer grösser werdenden, brisanten innenpolitischen Themen auswachsen werden. Im Zentrum des neuen „Sofortprogramms für einen Politikwechsel“ (8 Seiten) ist von ihnen jedoch nicht die Rede, sie werden vielmehr buchstäblich kleingeredet, um sich als zuverlässiger Partner in den „zentralen innenpolitischen Fragen“ (Bartsch) anbieten zu können. 

So wird man aber nicht regierungsfähig werden, wozu inzwischen eine Mehrheit in der Partei und Fraktion offenbar bereit ist. Diese Regierungsfähigkeit, die auch europapolitisch und finanzpolitisch in Frage steht, führt vielmehr zum Verlust der schwer errungenen Bündnisfähigkeit Deutschlands in Europa und gegenüber den USA.

Bildnachweis: Bild von Clker-Free-Vector-Images auf Pixabay