Die Ideengeschichte des technologischen Heils mit Francis Bacon beginnen zu lassen, ist naheliegend und kaum umstritten. ’Nova Atlantis‘ ist die erste neuzeitliche Utopie eines Gemeinwesens, das die Herrschaft des Sachverstandes, anstelle politischer Herrschaft, walten lässt. Es wird von Technokraten und nicht von Politikern regiert.
Die ‚Technokraten‘, wie es heute oft allgemein und pauschal heißt (in Absetzung zu den Parteien und deren Politik), sind die Sachkenner und Sachverständigen, die Erfinder, Wissenden und Unternehmer. Heute garantieren sie oft, vornehmlich in südeuropäischen Ländern, die Regierbarkeit, wo Parteien keine Regierung mehr bilden können.
Bacon, der Lordkanzler, war selbst ein erfolgreicher Politiker seiner Zeit.
Philosophisch gehört er zu den Wegbereitern der Philosophie des Empirismus.
In historisch-systematischer Konkurrenz zum großen ‚Scholastiker‘ Aristoteles versuchte er ein „neues Organon“ (1620) des Wissens auf dem Wege naturwissenschaftlicher Experimente aufzubauen. Es ist buchstäblich richtungsweisend geworden für den wissenschaftlich-technischen Fortschritt, dem er die richtungslose Richtung wies.
Dass Saint-Simon und Comte für die industrielle Moderne an zweiter und dritter Stelle in unserem Überblick folgen, liegt ebenfalls auf der Hand. Die Reihenfolge danach wird indes schwieriger und kann noch differenziert werden. Wir knüpfen an den letzten Blog vom 8. Oktober an und sagen deshalb: von Bacon bis Thiel, der das letzte Mal aus aktuellen Gründen im Mittelpunkt stand.
1. Francis Bacon (1561–1626): Ursprung der säkularen Erlösungsutopie
„Wissen ist Macht“ ist zum mächtigen Schlagwort geworden – bis heute.
„Tantum possumus quantum scimus“ (Nova Atlantis 1626).
Dabei handelt es sich um das Wissen der Naturwissenschaft (sience nicht humanities). Es wird größer als alle andere Gewalt, auch als technologische Gewalt. Was Bacon in seiner Utopie vorwegnahm, ist Gegenwart geworden, im Atomzeitalter bis zur möglichen Selbstzerstörung der Gattung.
Die Perfektion der technischen Herrschaft über die Natur ist zum Selbstläufer und zur großen Maschine, welche die Kriegstechnik einschließt, angewachsen. Auch deshalb spricht man zurecht von der Erfahrung des Ersten Weltkriegs als “ Urkatastrophe der Moderne“.
Denn der politische Wille ist absorbiert und weitgehend machtlos im primären Sinn von ‚Macht‘ und ‚machen‘ gegenüber den Kräften, die hier wirken. Die Entwicklung der Naturbeherrschung wird auch zur Naturbeherrschung am Menschen und führt zusehends zur Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen.
2. Henri de Saint-Simon (1760–1825): Der Ingenieur als neuer Priester
Das Zeitalter der Industrie im 19. Jahrhundert gibt Bacon recht.
Bei Saint-Simon, dem Frühsozialisten, wird der Gegensatz von produktiver Arbeit und parasitärer politischer Herrschaft zum Thema. Die Produktion entlarvt die Unproduktiven (Adel und Klerus), die funktionslos gewordene Herrschaft korrumpiert nur, was die marxistische Kritik genauso sieht.
Mit dem Produktivitätsgewinn der Arbeit verliert die Politik an Gewicht, und der Staat der herrschenden Klasse kann absterben, worin die ursprüngliche Utopie des Kommunismus bestand, die allerdings ökonomischen Überfluss voraussetzte. Der politische Gegner dieser Technokratie als politischer Theorie wird mithin die parteiische Politik selber.
Fortschritt wird zur moralischen Pflicht, und die Technik zum Vehikel der Erlösung. Dafür stehen die Technokraten, die sich Saint-Simonisten nennen.
3. Auguste Comte (1798–1857): Religion der Menschheit
Comte ist als Begründer der Philosophie des Positivismus und Mitgründer der Soziologie in die Ideengeschichte eingegangen. Er unterschied verschiedene Phasen und Klassen von Wissenschaft. Die nach ihm benannte Soziologie (1838) sah er ambitioniert als größte der Wissenschaften. Sein Denkansatz beschränkte sich jedoch nicht auf die sogenannten „harten Fakten“, wie dem Positivismus immer wieder polemisch unterstellt wird.
„Liebe als Grundsatz, Ordnung als Grundlage, Fortschritt als Ziel“, lautet die Devise der Comtianer, deren Einfluss insbesondere in industriellen und katholischen Nationen groß war (Polen, Brasilien). Vieles wurde von seiner positiven Philosophie beeinflusst (Werkausgabe 12 Bde. ,1971), obwohl die Erkenntnistheorie als Verifikationismus naive Züge trägt.
Comte hat auch einen “ Katechismus der positiven Religion“ (Leipzig 1891) entwickelt. Die okzidentale Republik bedeutet „ordre et progrès“ (Paris 1848). Da stellt sich die FRAGE, ob die Moderne je säkular war.
Angesichts der Arbeitsteilung von Technokratie und „neuem CHRISTENTUM“ (1825) bei Saint- Simon sowie der verbreiteten Arbeitsteilung von Positivismus und Religion bei Comte kann man daran berechtigte Zweifel haben.
4. Ernst Haeckel/Julian Huxley (19./20. Jahrhundert): Evolution als Heilsplan
Hier erreicht der Kult der Naturwissenschaft eine metaphysische Qualität, die kritisch zu sehen ist. Der Fortschritt wird biologisch fundiert und teleologisch überhöht, indem der Evolutionsgedanke die Schöpfung ersetzt. Daraus wird ein Kulturkampf, etwa um Schulpläne, der bis heute leidenschaftlich anhält. Der Zoologe Häckel (1834–1919) wird der „deutsche Darwin“ genannt, er gründete den „Monistenbund“, ab 1906 in Jena.
Der Biologe und Verhaltensforscher Julian Huxley (1887–1975), nicht zu verwechseln mit seinem Bruder Aldous Huxley und dessen dystopischer „Brave new World“, spricht von einem „evolutionary humanism“. Die Technik gilt als Beschleuniger der Evolution.
5. Norbert Wiener (1894–1964): Kybernetik und Kontrolle
Nach dem 2. Weltkrieg wird Technik in verschiedenen Varianten einer kalten Technokratie zum Garanten rationaler Ordnung. Gleichsam findet ein neuer Schub hin zu lernenden Maschinen statt: Allwissen und Allsteuerung werden dabei zu Gottes-Attributen.
Der Übergang von der Religion der Vernunft zur Religion der Systeme: Computer, Systeme, Feedback, findet statt, auch im großen ‚Systemwettbewerb‘. Die Kybernetik steigt zum Hoffnungsträger der Systemsteuerung auf, was wir auch in der DDR beobachten konnten (Georg Klaus).
Die Nachrichtentechnik im Weltkrieg führte den Mathematiker Wiener zur „Cybernetics“ (1948) und darüber hinaus zu dem, was heute Cyber und virtuelle Realität heißt.
6. Ray Kurzweil (geb. 1948): Die „Singularity“
Künstliche Intelligenz (KI) wird zur nächsten Evolutionsstufe, mit unglaublicher Geschwindigkeit. Dies geschieht durch die Verschmelzung von Mensch und Maschine, die immer mehr menschliche Fähigkeiten übernimmt, bis hin zu ihrer Autonomie, auch in Wissenschaft und Kriegsführung. Damit ist ein gefährlich unkontrollierbarer Prozess in Gang gesetzt, etwa im Rüstungswettlauf auch im Weltraum, ohne dass die Menschen dies überhaupt mitbekommen.
Ray Kurzweil ist Erfinder und war Leiter der technischen Entwicklungsabteilung bei Google. Er ist unter anderem ein Pionier der Spracherkennung und kann philosophisch als ein Vorreiter des technischen Posthumanismus gelten. Technische Singularität bedeutet eine neuartige Steigerung menschlicher Intelligenz, in der sich KI selbst verbessern kann. Siehe dazu Kurzweil: Menschheit 2.0: Die Singularität naht (2005).
7. Elon Musk/Peter Thiel: Eschatologie des Marktes
Hier wird der reiche Investor und innovative Unternehmer zum Propheten des Anfangs der Erlösung durch Technik. Sie sind die neuen mächtigsten Macher, die neue junge Macher einsetzen und fördern.
Die Heilsversprechen werden vor dem Hintergrund der Apokalypse des mächtigsten Landes im „Niedergang“, welches die konservative Metapher schlechthin ist, formuliert.
Bei Musk ist es der physische Weltuntergang (KI, Klima, Asteroid), bei Thiel der politische Weltuntergang durch den überregulierten Deep State. Die Rettung ist jeweils die Expansion entweder in den Weltraum oder auf staatenlose schwimmende Städte für die Superreichen.
Fazit
Wir haben oben Geschichtsprozesse benannt, die ein technologisches Heilsversprechen enthalten, in das wir als moderne Menschen verstrickt sind. Mit den Stationen der Ideengeschichte wechseln:
– die HEILSBRINGER von der arbeitsproduktiven Wirtschaft zum mächtigen Unternehmer-Visionär der Plattformen und
– die HEILSFORMEN von der Wiedererreichung des Paradieses bis zum verlängerten ‚ewigen‘ Leben.
Die TRANSZENDENZ, die zu jeder Religion gehört, entwickelt sich von der säkularen Erlösungsutopie zur Eschatologie des Marktes. Wo Bacon noch Heil durch Erkenntnis sah, sehen Musk und Thiel das Heil in der Disruption. RELIGION und TECHNIK haben ihre Plätze getauscht.
Es sind Prozesse der Überwältigung des „antiquierten Menschen“ (Anders) – geistig wie materiell. Je länger, je mehr kommen wir nicht mehr hinterher, was sich auch in unserem kleinen Überblick spiegelt. Das betrifft schon die Informationsverarbeitung, geschweige denn unser Bewusstsein und wirkliches Wissen, dessen „wahre Ursachen wir kennen sollten“ (Bacon).
Wir können nicht mehr standhalten, biegsam, ohne zu zerbrechen.
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