Die Berufung auf die Geschichte zur Rechtfertigung politischen Handelns ist beliebt, ja unverzichtbar. Welche Geschichte ist damit gemeint?
Jedenfalls eine interpretierte Geschichte, sogar von „Lektionen der Geschichte“ ist allenthalben die Rede, wobei es hier darauf ankommt, von wo aus gesprochen wird – von oben, sozusagen regierungsoffiziell, oppositionell von unten oder andere Stimmen bzw. die Stimmen der Anderen.
In Deutschland ist davon penetrant die Rede und bezieht sich vor allem auf die Zeit des Nationalsozialismus. Die Nazi-Keule, die schnell bei der Hand ist, richtet sich inzwischen sogar auf Autos eines amerikanischen Unternehmers, der in Brandenburg investiert. Man hat politisch aus der Geschichte gelernt und braucht dafür von niemandem Nachhilfeunterricht. Ein gewisser Stolz schwingt dabei mit, nicht einmal ganz zu Unrecht.
Begrifflich geht allerdings gerade viel durcheinander in verunsicherten Zeiten: nicht nur Haltung gegen Haltung als ‚Kampfbegriffe‘ des Wokeismus, sondern sogar „Rechtsextreme gegen Rechtsextreme“, so der ehemalige politische Enkel von Willy Brandt, Oskar Lafontaine, und Sahra Wagenknecht (4. Mai). In der Logik lernt man, dass sich Begriffsinhalt und Begriffsumfang umgekehrt proportional verhalten.
Andere Länder haben andere Geschichtsdebatten. In Russland, das den Stalinismus nicht aufgearbeitet hat, ist es kein Zufall, dass ‚Memorial‘ bis ins Letzte unerbittlich verfolgt wird. Die Geschichtspolitik rückt nicht nur in Deutschland, auch international zunehmend – von einem Randthema in den Feuilletons – zu einem bis zur mächtigen Spitzenpolitik zentralen kontroversen Thema auf, selbst zwischen Großmächten und Verbündeten.
Wann hat schon einmal öffentlich ein amerikanischer Außenminister und das Auswärtige Amt einander die Meinung darüber gesagt, was „Demokratie“ ist (jüngst nach der Hochstufung der AfD durch den Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistisch“).
Vielleicht geht es doch mehr um Freiheit als um Demokratie oder besser: um das Verhältnis von Freiheit und Demokratie. Wertediskussionen überdecken diese spezifischeren, inhaltlich wichtigeren und schwierigeren Fragen und führen nur zur rechthaberischen Moralisierung statt zu Analyse und (Selbst-) Kritik, die wir alle benötigen.
Der Rückgriff auf die historische Verantwortung des „Nie wieder“ ermöglicht in Deutschland regierungsoffizielle Maßnahmen, die in anderen Ländern als illiberal gelten.
Im Kalten Krieg jedenfalls hieß die Missionskonkurrenz noch „Freiheit und Demokratie“ versus „Frieden und Sozialismus“ unter amerikanischer Führung. Reagan und Gorbatschow haben diesen Krieg, der bis an die Grenze zum Abgrund ging, auch beendet. Danach ist jedoch nicht die Zeit der „feindlosen Demokratie“ angebrochen, ganz im Gegenteil, wie wir heute sehen – national wie international.
Das Einfachste und Selbstverständliche ist inzwischen doch nicht so klar, wie bequemerweise vermutet, obschon man rhetorisch beschwörend „die Wertegemeinschaft“, die „Verfassung“ und den „antitotalitären Konsens“ teilt. Und weiß man überhaupt, einigermaßen verbindlich, was „liberale Demokratie“ heißt, von der man in letzter Zeit so auffällig häufig spricht, während man vorher auf das kleine Wörtchen ‚liberal‘ gerne verzichtete. Man wollte mehr.
Neben grundlegenden Meinungsverschiedenheiten und politischer Polemik hat das auf einer reflektierteren Ebene auch mit Begriffs- und Ideengeschichte zu tun, die eine Dokumentation des ständigen Kampfes um Deutungshoheit ist und bleibt. In diesem systematischen Zusammenhang steht auch das Thema „Geschichte als Argument“, mit und ohne Fragezeichen.
Man soll (und muss) aus der Geschichte lernen, das ist für den homo sapiens, der sich in der Zeit orientiert, grundlegend. Man bewertet sie aber zwangsläufig auch in der politischen Auseinandersetzung, kontrovers und polemisch. Geschichte ist Erinnerungskultur und Anklage.
In Bezug auf die verdrängte, erfolgreiche oder leidvolle Vergangenheit wie auf die offene und gestaltbare Zukunft spielt objektiv die nicht objektive Geschichte eine große Rolle. Geschichte ist aber keine strenge Wissenschaft im Sinne von Science und Technik, sie liefert allenfalls plausible Gründe für kluges Handeln, die auch bestritten werden können.
Meist raten sie zur Vorsicht und Wachsamkeit, sie beziehen sich auf Geschichte als Erfahrung.
Was aber heißt ‚Erfahrung‘ ? Das kann Verschiedenes bedeuten, da auch der Erfahrungsbegriff, obwohl für die methodische empirische Wissenschaft und die Menschen in ihrer kurzen Lebenszeit elementar wichtig, nicht einfach ist und selten reflektiert wird. Die Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie bietet dafür seit je viele Debatten.
Individuelle Erfahrung, kollektive und historische Erfahrung sind zu unterscheiden. Die Gegenwärtigkeit von individuellen Erfahrungen im Bewusstsein sind instabil und fluktuierend. Sie können unterdrückt und verdrängt werden. Oft kommen sie eruptiv als Kryptamnesen zum Vorschein. Die Frage ist, ob das auch auf kollektive Erfahrungen zutrifft und was das kulturell und politisch bedeutet.
Bei der sogenannten historischen Erfahrung, die als Argument verwendet wird, kommt mehr zusammen. Geschichte als Erfahrung bezieht sich hier einerseits auf Geschichten als Beispiele (Exempla) und andererseits auf die Geschichte im großen Singular, wenigstens auf einen Ausschnitt davon, zum Beispiel die Geschichte seit dem Zweiten Weltkrieg (in Europa, Asien oder anderswo).
Diese wiederum kann von verschiedenen Standorten aus betrachtet werden. Jeweils zu einer gemeinsamen Geschichte (auch nur in Ausschnitten), etwa deutsch-polnischen Geschichte zu kommen, ist selbst ein historischer und philosophisch-politisch voraussetzungsreicher Prozess der Verständigung und Konsensbildung. Dabei spielen das politische Umfeld, historische Aufklärung und Forschung eine Rolle.
Neuzeitlich-modern wird die große Geschichte im Singular zu einer Autorität der Geschichte, quasi ein Gott über einem Gott, der in Prozessen der Säkularisierung nicht mehr wirkt. Die historische Legitimität und nicht die demokratische Legitimität begründet sodann die welthistorischen Revolutionen (Lenin). Das geht über exemplarische Geschichten hinaus und etabliert neue autoritäre und totalitäre Herrschaftsformen der Politik in vielen Varianten zahlreicher Länder.
Die historische Legitimität wird unwidersprechlich gemacht durch Geschichtsgesetze oder sogenannte historische Gesetzmäßigkeiten, die progressiv-politisch zu exekutieren sind. Dem liegt eine bestimmte Theorie der Geschichte zugrunde: Historizismus (Popper), der nicht zu verwechseln ist mit Historismus (erzählende Ereignisgeschichte).
Historische Bildung und Forschung sowie die politische Kultur einer offenen Gesellschaft kennen dagegen keine Dogmen der Geschichte, obwohl gerade auch sie Konsequenzen aus historischen Erfahrungen ziehen: wir haben das den antitotalitären Konsens der Verfassung genannt, der nach 1989 auch in Brandenburg mit der CDU und der PDS durchaus sehr strittig erarbeitet worden ist.
Die neue Verfassung ist 1992 in einem Volksentscheid angenommen worden, was nach einer demokratischen Revolution in ganz Deutschland hätte geschehen sollen gemäß dem Auftrag des Grundgesetzes, das als Provisorium vorgesehen war. An diesem historischen Schatz ist heute festzuhalten, was begründete, notwendige Revisionen nicht ausschließen. Der vernünftige Konservative reformiert das Bewährte, der Revolutionär von links und rechts zerstört es.
Auch in der offenen Gesellschaft ziehen wir aus reflektierten historischen Erfahrungen Konsequenzen. Dabei können wir aus vielen einzelnen Ereignissen etwas lernen, wenn wir sie genau beschreiben und inspirierend interpretieren. Zum Beispiel kann das Jahr 1925 mit der direkten Wahl des Reichspräsidenten Hindenburg, lehrreich für heute, als „konservative Umgründung der Weimarer Republik“ mit einer Sehnsucht nach Glanz und Gloria beschrieben werden (Winkler, FAZ 26.4.).
Wie war das möglich? Welche Faktoren spielten zusammen? Wie könnte eine solche Umgründung heute vonstattengehen? Sicher nicht mit preußischem Militarismus und Hilfen der Kirche. Siehe hierzu den Lernort Garnisonkirche in Potsdam mit der Ausstellung „Glaube, Macht, Militär“. Anschauliche Vergleiche sind nachvollziehbar.
Wenn wir den Kontext der Ereignisse vergleichend vertiefen, sehen wir die Unterschiede deutlicher. Diese sind besonders lehrreich für ein gegenwärtiges wirkungsvolles Handeln, das nicht bloß Bekenntnissen folgt. Die größte Gefahr für Kurzschlüsse bilden pauschale Etikettierungen wie Faschismus, die politisch-polemisch überbeansprucht werden. Sie werden zu oft gebraucht, aus Bequemlichkeit und Unkenntnis.
Auch größere Kapitel, etwa die Weimarer Republik als Ganze „ohne Republikaner“, die Einsicht und emotionale Bindung mischen, können lehrreich werden. Das Scheitern der ersten deutschen Demokratie ist für die Ausarbeitung des Grundgesetzes wie die politische Bildung bis heute der wichtigste Bezugspunkt geworden.
Das ist selbst schon wieder ein historisches Thema, über das viel geschrieben und geredet worden ist. Und es ist nicht abgeschlossen in Bezug auf das politische Denken von Demokratie, Volk, Republik, Nation und Patriotismus.
Schnell wird heute an „Weimarer Verhältnisse“ erinnert, wenn die Stabilität der Demokratie gefährdet scheint. So am 6. Mai 2025 wieder als der erste Wahlgang von Kanzler Merz scheiterte, historisch zum ersten Mal in der Bundesrepublik. Bei allem Durcheinander (‚Staatskrise‘ wurde sofort gesagt) baute sich die stärkste Oppositionspartei AfD hämisch triumphierend als Alternative auf.
1930 verlieren die Mitte-Parteien die Mehrheit, weil sie sich inhaltlich nicht mehr einigen können. „1933“ steht beim „Kampf gegen Rechts“ 2025 ständig überdramatisierend vor der Tür, seitdem Kanzler Merz in der Sache einer verschärften Migrationspolitik Stimmen der AfD im Bundestag in Kauf nahm.
Die demokratische Mehrheit im Bundestag 2025 muss und kann jedoch eine stabile Regierung zustande bringen, die sich die Bürger, die Wirtschaft und das internationale Umfeld wünschen – nach sechs Monaten Abstinenz. Ansonsten gibt es Neuwahlen, was sich die regierenden Parteien nicht wünschen.
Staatspolitische Verantwortung wird vor diesem Hintergrund zum großen Wort, gekoppelt mit dem ebenso großen Wort der Verantwortung vor der Geschichte.
Oder hat das ‚Verhängnis‘ (wie man vom Ende her zu sagen pflegt) schon mit den vorgezogenen Wahlen und ihren Resultaten begonnen: die CDU mit deutlich unter 30 % und die SPD mit dem historisch schlechtesten Resultat ihrer Geschichte deutlich unter 20 %. Und so lässt sich weiter bohrend fragen – in Bezug auf gebrochene Wahlversprechen und Klientelpolitik.
Widerfahrnisse der Geschichte – Ereignisse, die von außen intervenieren – gibt es, aber kein Verhängnis der Geschichte.
Carsten Linnemann, der Generalsekretär der CDU, spricht deshalb schon jetzt von 2029 als der wichtigeren Wahl. Man müsse deshalb „ins Machen kommen“, wenn man die rechte Opposition politisch stellen will. Eine schwache und dumme Regierung wird die AfD nicht „kleinregieren“ (Söder) können, im Gegenteil.
Bei Nachfragen wird man nicht nur auf einen „historischen Tag“, zum Beispiel den 6. Mai, sondern auf eine veritable Krise der Parteiendemokratie stoßen: Es gibt objektive Schwierigkeiten des politischen Systems, trotzdem wird – jedoch nicht bei allen – schnell vergessen.
Die Glaubwürdigkeitskrise dieser Politik geht tiefer. Daraus sollte man Konsequenzen ziehen und nicht schon wieder, unmittelbar nach den Tiefschlägen, im üblichen ‚Politiker-Sprech‘ von „Führungsrolle “ und „neuen Siegen“ sprechen.
Denn irgendwann geht diese Betriebsamkeit ohne Reflexion, Analyse und Kritik schief.
Selbstverständlich gibt es auch Schlüsseljahre außerhalb der Weimarer Republik, zum Beispiel 1917. Warum nennt man es ein „Epochenjahr“ oder gar ein „Jahr der Entscheidung“. Welcher Entscheidung? Inwiefern ist diese Zuspitzung lehrreich für heute, wo wir wieder auf große Entscheidungen (von wem?) warten.
Die große Geschichte im Singular ist wieder ein anderes Thema. Sie hat jedoch in einer offenen liberalen Gesellschaft kein Groß-Subjekt mehr, etwa in Gestalt einer Klasse, Rasse oder Führern, die ein Geschichtsziel vorgeben.
Die Stelle des „Weltgeistes“ (Hegel) bleibt liberal unbesetzt. Das heißt nicht, dass (gestaltbare) Geschichte keinen Sinn mehr hat, es sei denn, man sei im Ernst Nihilist geworden (Beckett). Auch dazu geben historische Erfahrungen freilich Anlass genug.
Appeasement-Politik?
Ein schwieriges Fallbeispiel für Geschichte als (mögliches) Argument wollen wir aus aktuellen Gründen herausgreifen: die möglichen Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine unter amerikanischer Vermittlung.
Die Appeasement-Politik ist dabei das grundlegende, brisante Problem. Die Entscheidung gegen sie erfordert entschlossenes Handeln mit Konfliktfähigkeit und buchstäblich gewaltigem Durchsetzungsvermögen.
An dieser Stelle wird dann gerne Churchill zitiert. Der Erfolg ist ungewiss, und die persönlichen und kollektiven Kosten sind hoch. Man muss sich diesem Wagnis deshalb auch historisch versichern können, so gut es geht. Churchill war auch Historiker.
Wenn Appeasement-Politik funktioniert, dann immer nur auf kurze Frist, das ist logisch. Die Frage ist, was geschieht mittel- und langfristig. Diese Frist ist schwerer zu überblicken und vorauszusagen.
Auch wenn Appeasement (Beschwichtigung, Befriedung) für den historischen Moment funktioniert (bilaterale Verhandlungen zwischen den USA und Russland, vor allem auf wirtschaftlicher Basis, aber nicht nur), braucht man gleichwohl eine Strategie für die mittlere und längere Frist. Das impliziert strategische Weitsicht.
Die Russland-Strategie von Schröder, Steinmeier, Merkel, Mützenich u.a. kann man als ‚Wandel durch Handel‘ und ‚Modernisierungspartnerschaft‘ bezeichnen. Genauer betrachtet ist dies jedoch eher ein deklarierter Wunschzustand (von beiden Seiten) als eine politische Strategie im Sinne internationaler Politik.
Der Wunsch war normativ aufgeladen, durchaus mit kräftigen historischen Argumenten. Eine moralische Haltung genügt jedoch im Dschungel der realen internationalen Beziehungen ebenfalls nicht. Vielmehr sind realistische politische Einstellungen gefragt, welche nüchtern Erfahrungen der Zeitgeschichte einbeziehen.
Eine politische Strategie, die diesen Namen verdient, orientiert sich an den Interessen Europas und Russlands. Dabei wird deutlich, dass eine grundsätzlich revanchistische Einstellung der Russischen Föderation eine fortwährende Bedrohung für Europa darstellt. An dieser Stelle spielt auch ‚die Lehre aus der Geschichte‘ eine Rolle, dass Verlierer der Geschichte keine Reue, sondern eher Rache zeigen: nach dem Ersten Weltkrieg, nach dem Kalten Krieg 1991.
Dieser Aspekt müsste freilich noch viel genauer in Etappen einer Interaktion verschiedener Akteure betrachtet werden, was wir hier nicht können.
Solange Russland als Zentralmacht der Russischen Föderation nicht bereit ist, sich zu einem ’normalen‘ Nationalstaat weiterzuentwickeln, wie dies Boris Jelzin versuchte, geht eine sicherheitspolitische Gefährdung von deren neoimperialer Politik aus.
Putin begründete seine Invasion der Ukraine aus der Geschichte heraus mit einer ‚konstruktiven‘ Geschichtsklitterung, sicherlich nicht ohne akademische Unterstützung. Er bestreitet ihr eine historische Existenzberechtigung als Nation und Staat. Das ist der Anfang des Verbrechens. Putin selbst spricht immer noch von einer „Tragödie“.
Der Krieg ist nicht zu Ende
Die Ukraine will verhandeln, aber nicht kapitulieren. Wir stehen an einem historischen Wendepunkt des brutalen Krieges, der täglich unvermindert weitergeführt wird.
Auf dem Schlachtfeld ist der Erschöpfungskrieg in einen Stellungskrieg übergegangen, der lange dauern kann. Die ukrainische Front ist noch nicht zusammengebrochen, und auf russischer Seite gibt es bislang keine ernsthaften Anzeichen, die Zerstörung der Ukraine zu beenden. Trump will verhindern, dass die „ganze Ukraine“ verloren geht.
Dabei will er die Verhandlungen mit Putin und Selenski zu einem schnellen Erfolg führen. Trotz des Rohstoffabkommens, das beide Seiten als „historisch“ bezeichnen, liegt dieser Erfolg vor dem 9. Mai noch nicht vor. An diesem Tag feiert Russland den 80. Jahrestag des Sieges über Nazi-Deutschland, das einen rassistischen Vernichtungskrieg führte.
Was ist, wenn sich die Amerikaner aus den Verhandlungen zurückziehen? Was ist dann den Europäern zuzutrauen?
Auf den ‚Friedensplan‘ von Trump reagieren sie bisher kritisch, mit der spontanen Analogie zum Münchner Abkommen 1938, wo die Europäer die Tschechoslowakei an Hitler verrieten. Übt Trump in gleicher Weise Verrat an den Ukrainern aus, die zu Europa und nicht zu Russland gehören wollen?
Was also ist der Fall oder vielmehr, was soll der Fall sein: München 1938 oder ein europäisches Wunder der Koalition der Willigen? Realität und Wunschrealität sollten wir auseinanderhalten.
Und natürlich müssen die Ukrainer zustimmen oder nicht, denn es geht um ihre Zukunft, für die auch der Deal von Trump nicht gering geschätzt werden darf. Er ist eine Investition in die Zukunft und gleichzeitig ein gewisser Schutz für das Land, der über die Wirtschaft läuft.
Von Putin erwarten wir international noch immer eine Antwort, nur schon auf das ukrainische Angebot einer 30-tägigen Waffenruhe. Kommt sie endlich am 9. Mai? Oder wird auch Trump, der Putin bisher vertraute, eines Besseren belehrt? Wie wird er darauf reagieren?
Die jüngste Zeitgeschichte seit dem Scheitern der Minsker Abkommen begründet kein Vertrauen in die russische Seite, dass sie sich an einen Waffenstillstand halten würde. Darum sind robuste Sicherheitsgarantien diesmal eine absolute Voraussetzung für den weiteren Fortgang des Friedensprozesses.
Schluss:
Vertrauensbildung als Berechenbarkeit ist ebenfalls ein historischer Prozess, der durch Macht abgesichert werden muss. Kein Recht ohne Macht. Das begründete Misstrauen ist aus historischer Erfahrung von Enttäuschungen heraus gewachsen.
Es ist ein großes Hindernis für gegenwärtige politische Prozesse, nur schon für einen Waffenstillstand. Ein nachhaltiger Frieden ist das noch lange nicht. Ebenso wissen wir inzwischen aus Erfahrung, dass ein feindlicher Aggressor die Schwäche ausnutzt und nur durch Stärke abgeschreckt werden kann. Einer Demilitarisierung der Ukraine kann man deshalb nicht zustimmen, das werden auch die ukrainische Armee und ihre kämpfenden Soldaten nicht tun.
Es gilt mithin die uralte Erfahrung: si vis pacem, para bellum für die heutige unsichere moderne Welt. Das bedeutet nicht neuer Bellizismus und Militarismus, sondern republikanische Verteidigungsfähigkeit, die mit den neuen Bedrohungen verdeckter Kriege zu rechnen hat.
Die Mythen aus dem Zweiten Weltkrieg verdecken den Blick auf die heutigen militärischen Realitäten, die sich aus technologischen Gründen sehr schnell verändern. Es bedeutet auch nicht, dass Russland nun für immer der alte und neue Feind sein muss.
Geschichte ist keine Schablone, sondern soll die Urteilskraft für die Gegenwart schärfen. Analogien sind zu klären (Putin ist nicht Hitler, und Trump nicht Putin), aber nicht zu totalisieren. Geschichte bietet nicht das Maß, sie erfordert viel mehr Maß, Urteilsvermögen und Vergleichsfähigkeit. Vergleichen heißt nicht gleichsetzen.
Geschichtskenntnisse geben (erste) Orientierungen, die weiter zu präzisieren sind, aber verbürgen nicht moralische Gewissheit und politische Eindeutigkeit. Mit ihnen ist prophylaktisches Denken verbunden, aufmerksam, aber nicht alarmistisch.
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