Frieden in weiter Ferne

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Die Preiserhöhungsstrategie gilt weiter, von Tag zu Tag, von beiden Seiten.

Selenskyj bezeichnet den patriotischen Widerstand als „Volkskrieg“. Die Generalmobilmachung ist erfolgt und das Kriegsrecht gilt. Es ist ein Verteidigungskrieg gegen einen flächendeckenden Angriffskrieg, der nun schon mehr als drei Wochen dauert und stündlich zerstörerischer wird. Die UN-Charta sieht ein Recht auf Selbstbestimmung vor.

Auch das deutsche Grundgesetz spricht von Volk. Dieses Volk hat sich, wie man mit republikanischem Stolz sagt, die Verfassung gegeben, welche die Demokratie konstituiert. Der Kanzler schwört, dem Wohle des deutschen Volkes zu dienen, seinen Nutzen zu mehren und Schaden von ihm abzuwenden. Aus dem Volk beziehen die Staatsorgane ihre demokratische Legitimation trotz internationaler und europäischer Verpflichtungen. Das unterscheidet die Staaten voneinander, selbst in Bündnissen wie der Nato.

Die Grenzen der Solidarität sind mithin als Schmerzgrenzen die nationalen Grenzen, eine verantwortliche Regierung kann darüber nicht hinausgehen, eine hilfsbereite Zivilgesellschaft schon. Selenskyj versucht in seinen Reden, die ebenso emotional wie klug sind, die Staaten zu noch mehr militärischer und wirtschaftlicher Unterstützung zu bewegen.

Nach Selenskyjs Rede im Bundestag am 17. März macht Bundeskanzler Scholz noch einmal deutlich, dass “ die Nato nicht militärisch in den Ukraine-Krieg eingreifen wird“. Danach trifft er sich mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, der folgende Punkte hervorhebt: 

  • die Nato trägt Verantwortung dafür, dass der Krieg nicht zum europäischen Großkrieg werde; der amerikanische Präsident spricht vom dritten Weltkrieg;
  • nur Putin kann diesen Krieg beenden;
  • „Putin zahlt dafür einen hohen Preis“;
  • „die Sicherheitslage hat sich dramatisch verändert“;
  • es gibt einen Wendepunkt der deutschen und europäischen Sicherheitspolitik.

Polen fordert mehr Unterstützung von der Nato. Und die USA, die entscheidende Macht für Polen und hinter der Nato, hat die militärische Unterstützung am 16. 3. noch einmal durch Flugabwehrsysteme und Kamikaze-Drohnen erheblich verstärkt. Die ukrainischen Defizite liegen bei der Flug-und Raketenabwehr sowie der Abwehr von Marschflugkörpern und Bombern. Das Schicksal von Mariupol demonstriert dies täglich.

Was heißt historische Verantwortung? Wann kommen zwar riskante, aber notwendige Entscheidungen zu spät? Bei seinen Reden baut Selenskyj Bezüge zur Geschichte ein, um öffentlich zu überzeugen. Historisch beispiellos ist sein Einsatz sozialer Medien und der tägliche Kommentar zum Kriegsgeschehen an der Seite seines kämpfenden Volkes, was an den furchtlosen Churchill erinnert.

Im US-Kongress spricht Selenskyj am 16. 3. davon, dass die Ukraine schon seit drei Wochen einen Schock wie Pearl Harbour oder 9/11 erlebe: „We need you right now“. Im Bundestag spricht er von „Mauern“, hinter die man sehen müsse. Deutschland hätte nicht genug getan, um den Krieg zu verhindern. Es soll und muss jetzt verhindern, dass ein Volk vernichtet wird, und dafür eine „Führungsrolle“ übernehmen. Nicht einmal eine Debatte im Parlament, das dafür der Ort ist, gab es indessen nach Selenskyjs historischer Rede. Und Scholz wird auch nicht nach Kiew reisen.

Selenskyj hält die Drohung Putins mit dem Atomkrieg für einen Bluff, und er erinnert daran, dass Putin schon 2021 erklärt habe, die ganze Nato zurückdrängen zu wollen. Die NATO-Staaten seien folglich schon jetzt betroffen. Viele in den baltischen Staaten und in Polen sehen das genauso. Der polnische Vizepräsident Kaczynski fordert am 15. März in Kiew zumindest eine NATO-Friedensmission. 

Die NATO verstärkt derweil ihre Ostflanke, der amerikanische Verteidigungsminister Austin ist am 17.3. auf Besuch in der Slowakei. Die USA will nicht in aktive Kampfhandlungen mit russischen Soldaten eintreten. Es gibt keine Flugverbotszone light, so der ehemalige General, der weiss, wovon er spricht. Russland wiederum fordert von den USA den Stopp der Waffenlieferungen. 

Die USA versuchen inzwischen China auf die westliche Seite zu ziehen. China könnte das Zünglein an der Waage sein, je länger der Krieg dauert. China verfolgt zielstrebig seine eigenen Interessen und die sind insbesondere gerade am Wachstum der Weltwirtschaft orientiert, welches man benötigt, um die eigenen großen Probleme zu lösen. Es muss lavieren, um neben Russland und dem Westen, seinen eigenen Weg zu finden. Dabei geht es auch schon um die Gestaltung der künftigen Weltordnung. Die USA überdenken inzwischen ihre konfrontative China-Politik.

Die europäische Friedensordnung hat Putins Krieg beendet, soviel steht fest. Eine neue Sicherheitspolitik zusammen mit den USA muss deshalb schnellstens entwickelt werden. Selenskyj spricht Präsident Biden direkt an: Der Leader der Welt muss der Leader des Friedens sein, wie es Wilson und Roosevelt schon einmal waren. Die USA ist für den Westen insgesamt, nach einer atlantischen Krise durch den Irak-Krieg, wieder wichtiger und präsenter geworden. Tatsächlich müssen die europäischen Länder vor allem auf die USA vertrauen, wenngleich sie ebenfalls mehr für ihre Landesverteidigung tun müssen.

Auch Worte können treffen: Biden bezeichnet Putin mittlerweile undiplomatisch als „Kriegsverbrecher“, worauf der Sprecher des Kreml Peskow unmittelbar entgegnete, dass dies „unverzeihlich“ sei (16.3.). Putin hält unvermindert an seinem sogenannten „Plan“ fest und vor allem an seiner gefährlichen Obsession, dass das Ziel des Westens die Zerstörung Russlands sei.

Man sieht sich dadurch immer stärker in einem ‚zivilisatorischen‘ Verteidigungskrieg, obwohl gerade ein brutaler Angriffskrieg geführt wird, der im eigenen Land nicht einmal Krieg heißen darf. Nach innen unterscheidet Putin derweil zwischen „wahren Patrioten“ und einer „5. Kolonne“, was man aus der Geschichte bestens kennt. Ein Selbstreinigungsprozess der Gesellschaft sei deshalb notwendig, was nichts Gutes verheißt.

Das ist eine neuerliche, noch einmal verschärfte Kampfansage nach außen und nach innen. Ein Spitzentreffen zwischen Putin und Selenskyj scheint wieder in die Ferne gerückt, Kompromisse ebenso, obwohl doch nur Kompromisse diesen Krieg realistischerweise beenden können. Das weiß auch Präsident Selenskyj.

Bildnachweis: IMAGO / Political-Moments