Am Wahlabend liegen bei der ersten Prognose SPD und Union mit 25% gleichauf vorn, die Zahlen bleiben in Fluss. Scholz ging als Erster vor 13 Monaten ins Rennen, der frühe Zeitpunkt überraschte, der Kandidat nicht. Scholz wurde fehlendes Charisma vorgeworfen, nun liegt er knapp vorne bei einer Rekordwahlbeteiligung nach einem intensiven Wahlkampf. Die SPD hat zugelegt, die Union hat deutlich verloren (mehr als 8%).
Scholz wollte immer, schon im August 2020, „deutlich über 20%“ kommen. Dieses Ziel, das ihm niemand zugetraut hatte, hat er für die schwächelnde SPD erreicht, er hat die Partei mitgezogen, die 2017 noch bei 20,5% lag. Die beiden Spitzenkandidaten glaubten immer an ihre Ziele – Scholz mit stoischer Disziplin, Laschet mit rheinischer Gelassenheit und einem Lachen zu viel.
Für Laschet ist der Wahltag tatsächlich in mehrfacher Hinsicht zum Wendepunkt geworden, freilich nicht so wie gewünscht. Indem er nach einem Finale furioso Platz 1 womöglich knapp verfehlt hat, ist die Union nach 16jähriger Regierungszeit abgewählt, und Scholz erhält den Regierungsauftrag. Was man hämisch über die SPD sagte, dass sie sich in der Opposition erneuern müsse, trifft nun auf die Union zu, in der sich viel verändern wird.
Die beiden Volksparteien haben keinen Grund zu überschäumender Freude. Über 40% wie in den 70er Jahren erreichen sie nicht mehr. Wie in anderen Ländern auch verändert sich die Parteienlandschaft in Deutschland, wenngleich nicht so spektakulär und disruptiv wie in Italien oder Frankreich. Deutschland gilt im Ausland noch immer als Land großer Stabilität. Die Volksparteien sind freilich an erkennbare Grenzen ihrer politischen Integrationskraft gekommen, in einigen Bundesländern geradezu krisenhaft, was sich auf die Politik in einem Bundesstaat insgesamt auswirkt. Unter 30% ist nicht viel, für die CDU waren es 2013 noch 34,1%.
Vier Parteien (mit der Linken fünf) liegen gegenwärtig nicht weit auseinander und haben bei der Regierungsbildung potenzielles Gewicht. Sie regieren inzwischen (mit Ausnahme der AfD, „dem Stachel im Fleisch der Altparteien“) in allen Bundesländern in unterschiedlichen Konstellationen mit. Die Extreme sind bundesweit 2021 auch unter Corona-Bedingungen zwar nicht weiter erstarkt, die AfD ist aber vor allem in den ostdeutschen Bundesländern noch immer stark, in Sachsen wird sie möglicherweise sogar die stärkste Partei, in Mecklenburg-Vorpommern ist sie zweitstärkste Partei geworden. Das zentrale Regieren im Bund wird schwieriger werden, auch für die Parteien als ideell motivierte Organisationen, bei denen die internen Diskussionen über den künftigen Kurs wieder aufleben werden.
Rot oder schwarz in grünen Zeiten
Söder hatte eine andere Idee von Wahlkampf als Laschet. Er wollte polarisieren und den starken Mann markieren, „der Krise kann“. Im Frühjahr war er parteiunabhängig überraschend populär in ganz Deutschland. Ein kleiner ‚populistischer Putsch‘ in der Union, mit dem er kokettierte, wäre möglich gewesen, denn ein klares Verfahren gab es nicht. Die gelungene Bewerbungsrede von Laschet für den Unionsvorsitz im Januar, bei der er als Bergmannssohn um Vertrauen warb, reichte für die hoch gehängte Kanzlerkandidatur der ewigen Kanzlerpartei nicht mehr.
Der Integrator Laschet ist mittlerweile ein Polarisierer geworden, der seit August für Söder und Merz den Lagerwahlkampf ‚bürgerlich gegen links‘ führt. Dieser späte, fast verzweifelte Wahlkampf passt nicht zu seinem Habitus, während Scholz erfolgreich und entspannt immer mehr in die moderate Merkel-Rolle gerutscht ist.
Zuerst ging es noch vor allem gegen die steil aufstrebenden Grünen, welche im Sommer 2020 mit dem neuen Grundsatzprogramm den „Führungsanspruch“ der CDU offen und explizit herausforderten ( Baerbock). In der Schlussphase des Wahlkampfs seit August 2021, in der die SPD die Union überraschend überholt hat, geht es nur noch gegen die Sozialdemokratie generell, das mögliche Linksbündnis und zunehmend gegen Scholz persönlich.
Aus dem Triell ist wieder ein scharfes Duell geworden mit anderen Farben: „Olaf Scholz ist das Feigenblatt einer linken SPD“ (so Spahn nach dem Triell am 12.9.). Die Union ist panisch geworden. Mit deutlich unter 30% ist sie auf einem historischen Tiefpunkt angelangt, einschließlich der erfolgsverwöhnten CSU, die in Bayern das schlechteste Resultat seit 1949 erzielt hat.
Der Union werden nach wie vor Wirtschafts-, Finanz- und Sicherheitskompetenz eingeräumt, sie hat aber desaströse Kompetenzverluste auch auf diesen Politikfeldern zu verzeichnen. Scholz hat als Vizekanzler der Großen Koalition und Finanzminister an diesem Hegemonieanspruch gekratzt. Die SPD ist mit ihrer sozialen Politik für jeden zudem wieder eine Partei der sozialen Gerechtigkeit geworden. Die Grünen wiederum haben als neue Volkspartei ihre hochgesteckten Ziele nicht erreicht, haben aber die Parteiendemokratie bereichert und belebt. Sie werden in einer künftigen Regierung weiterwirken, beim Klima versprechen sie „keine halben Sachen“.
Die Grünen sind die neue dritte Kraft im Land, welche die prioritäre Klimapolitik in den Vordergrund befördert haben und für eine nachhaltige ökologische Transformation einstehen. Sie waren aber nicht nur in ihrer Anmutungsqualität auch schon liberaler, was in der Corona-Krise der FDP zugutekam. Die Liberalen liegen mit 11 % schließlich deutlich hinter den Grünen, haben sich aber wie diese mehr erhofft, nämlich den 3. Platz. Die Grünen wie die FDP (2017: 10,7%; 2013: 4,8%) haben ein gutes Ergebnis erzielt, wobei die Grünen ihr Ergebnis gegenüber 2017 (8,9%) stark verbessern konnten, sie bleiben aber doch mit 15 % unter den erwarteten 20%. Die Grünen wie die FDP werden die Königsmacher der künftigen Regierung sein.
Wo hätten die Grünen in der Breite, die sie erstmals über die ‚ökologische Nische‘ hinausgehend anzielten, noch mehr Stimmen holen können? Warum sind sie in Ostdeutschland immer noch so schwach? Die AfD wird mit 11 % bundesweit nicht aus den Parlamenten verschwinden. ‚Die Linke ‚ ist in der Schlussphase des Wahlkampfs noch einmal ins Gespräch gekommen dank der Rote Socken-Kampagne, die 1994 erfolgreich war, die aber heute niemand mehr versteht. Sie liegt regional, vor allem in Ostdeutschland, wo sie in den 90er Jahren Volkspartei war, wie bundesweit mit 5% im Abwärtstrend (2017: 9,2; 2013: 8,6%), überall mit Kompetenzverlusten.
Die Regierungsbildung wird ohne Zweifel schwierig, und die neue parlamentarische Opposition stark, denn entweder die CDU oder die SPD wird sich in dieser ungeliebten, aber wichtigen Rolle erneuern müssen. Die heftigen außerparlamentarischen Proteste gegen Versäumnisse und die mangelnde Geschwindigkeit in der Klima- und Umweltpolitik werden ebenfalls nicht aufhören und wahrscheinlich kommen sogar neue und erneuerte Proteste aus sozialen und friedenspolitischen Gründen hinzu. Die Interventionen unberechenbarer Ereignisse aus der Welt verschwinden ohnehin nicht.
Trend brechen
Zwei Wochen vor den Wahlen wollen die Schwesterparteien am CSU-Parteitag den Trend zugunsten der SPD noch umkehren. Mehr als 40% der Wähler sind unentschlossen. Sie vor allem, aber auch die Stammwähler und die unterschätzten Merkelwähler sollen gegen einen drohenden Linksrutsch, der Wohlstands- und Sicherheitsverluste bedeuten würde, mobilisiert werden: bürgerliche gegen linke Regierung, Stabilität gegen den politischen Erdrutsch, lautet die Frontenbildung.
Viele öffentliche Bekenntnisse, die sachlich berechtigt sein mögen (‚Zivilreligion‘), werden allenthalben verlangt: Laschet von Scholz, Scholz von der Linken, Söder von Lindner, die aber aus taktischen Gründen im Wahlkampfmodus von den Parteien nicht gegeben werden.
Söder macht mit seiner Rede am CSU-Parteitag die Unterschiede noch einmal deutlich. Er will vor allem der „Belehrungs- und Umerziehungsmoral“ der Grünen die Zähne ziehen: „Wir sind ein Freistaat und kein Umerziehungsstaat“, was er an einer langen Reihe von Beispielen des ‚Gendern‘ erörtert. An dieser Stelle erhält er am meisten Applaus. Ganz still im Saal wird es hingegen beim Verlesen der Hassmails, die der bayrische Ministerpräsident wegen seiner Corona-Politik von ‚Querdenkern‘ bekommt, die diesen Begriff illegitimerweise gekapert haben.
Hier verschlägt es einem die Sprache, und Söder verlangt von der AfD ein Bekenntnis, sich davon öffentlich zu distanzieren. Söder wie Laschet wollen ausdrücklich die AfD aus den Parlamenten herausdrängen. Stimmen sollen außerdem weder an die „Freien Wähler“, die in Berlin nichts für Bayern ausrichten können, noch an die FDP, die möglicherweise eine Ampelkoalition eingeht, verschenkt werden. Dieses Bündnis wird genauso als Linksrutsch abgelehnt, wie das mit „den Kommunisten“ (Dobrindt).
Als einzige Koalitionsbedingung nennt Söder die Mütterrente. Die CSU versteht sich als “ einzige echte Bauernpartei“. In Sachen Umweltschutz, Landwirtschaft, ländlicher Raum, aber auch neue Technologien für erneuerbare Energien braucht sie keine Belehrung von den Grünen, die in 11 Länderregierungen mitregieren und puncto Klima- und Umweltschutz nichts besser machen. Die CSU will den Umweltschutz nicht den Grünen überlassen, so Söder selbstbewusst und offensiv.
Laschets ‚Zukunftsteam‘ vergleicht er genüsslich mit Scholzs „Gruselkabinett“ (Esken, Kühnert, Hofreiter u.a.). Dieser Kontrast fällt deshalb so überzeichnet aus, weil Scholz der ‚Merkelianer‘, der die Regierung bilden wird, die vereinfachte Dichotomie zwischen ‚bürgerlicher‘ und ‚linker‘ Regierung stört. Denn er will ausdrücklich eine „gute Regierung“ bilden, so die klare Aussage im Triell am 12. September.
Zum strategischen Leidwesen der Union ist Scholz für viele Wähler der Nachfolger für Merkel geworden, der „nur Einiges, nicht alles besser machen wird“ – so schon Gerhard Schröder gegenüber 16 Jahren Kohl. Ist das politische „Erbschleicherei“? Von den Genannten im Schattenkabinett wird höchstens Anton Hofreiter möglicherweise ein Ministerium in Scholzs Regierung übernehmen, und zwar das Verkehrsministerium, was aus sachlichen Gründen nachvollziehbar wäre.
So wie Söder positive Beispiele aus Bayern auf allen Politikfeldern hervorhebt, tut dies auch Laschet für NRW, wo man weiß, was Strukturwandel heißt. Das Bundesland hatte einmal mehr Bergleute als Studenten, heute ist es umgekehrt. Laschet erinnert daran, dass Kurt Biedenkopf der erste Rektor der Universität Bochum war. Heinz Kühn und seinen Staatssekretär Hermann Lübbe erwähnt er freilich nicht. Das wäre ja die falsche Partei.
Laschet erläutert die grundsätzliche Richtungsentscheidung mit zahlreichen Spitzen gegen Scholz (als Bremser bei der Bundeswehr, Razzia in seinem Ministerium, G7 Gipfel in Hamburg), was dem nun zugespitzten Wahlkampf in seiner heißen Phase geschuldet ist. Laschet ist in Bedrängnis, er muss angreifen. Söder sprach vom „Schuldenkanzler“, Laschet spricht vom „ordentlichen Finanzminister“ unter Merkel.
Am meisten Lacher im Saal erzielt er mit dem Zitat von Franz Josef Strauss: „Irren sei menschlich, aber immer irren sozialdemokratisch“. Der ‚Sozi‘ ist hier noch ein wirklicher Gegner. Laschet nutzt das in Nürnberg geschickt für seine Pointen als neuer CDU-Vorsitzende, der zum ersten Mal bei einem CSU-Parteitag spricht. In NRW bekäme er dafür keinen Applaus.
Nach seiner Rede, die den Nerv der Delegierten trifft, brechen Jubelstürme aus. Es ist einmal mehr eine gelungene Rede zur richtigen Zeit, die sowohl Bayern und seine Politiker von Waigel bis Stoiber mehrmals positiv einbezieht, wie sie die Entscheidung vom 26. September auf das hohe Podest von Kohls Entscheidung für die deutsche Einheit hebt. Statt dem ‚Lafontaine-Modell‘ sei dies eine Entscheidung aus einer Grundüberzeugung heraus gewesen, der keine ausführlichen Beratungen und Abstimmungen vorausgegangen seien.
Um solche Grundüberzeugungen als Orientierung (soziale Marktwirtschaft, Wiederbewaffnung, Westbindung) gehe es auch jetzt wieder: in Bezug auf außenpolitische und innere Sicherheit ebenso wie wirtschaftlichen Aufschwung und Europa. Demgegenüber habe ‚Die Linke‘ keinem europäischen Vertrag von Maastricht, Amsterdam, Nizza bis Lissabon je zugestimmt, womit alles gesagt sei über deren außenpolitische Zuverlässigkeit. Laschet unterstützt ausdrücklich den europäischen Wiederaufbaufonds, spricht sich aber gegen eine Schuldenunion aus. Dem französischen Staatspräsidenten Macron, den er bewundert, hat er im Élysée schon einen Besuch abgestattet ebenso wie Scholz.
Kohl, Merkel, Scholz und Laschet liegen bei der ambitionierten Europapolitik auf einer Linie, die in den nächsten Jahren absehbar große Probleme aufgeben wird. Die FDP sieht eine europäische Staatsverschuldungskrise kommen, die den Euro wieder gefährden könnte. Wir erinnern uns an den Satz: „Scheitert der Euro, scheitert Europa“ (Merkel). Union und SPD werden aufeinander angewiesen bleiben mit Unterstützung der lernfähigen Grünen. Wer bleibt die zuverlässige Europa-Partei mit welcher Vorstellung von Europa? Von der Leyen will die EU zu einer Verteidigungsunion weiterentwickeln in Zusammenarbeit mit der Nato (15.9.). Wer bleibt dem transatlantischen Bündnis wie treu?
Triell
Laschet verlangt von Scholz einen Satz der Abgrenzung von der Linkspartei mit dem belehrenden Unterton, das kann doch nicht so schwer sein. Darauf bestand er schon im ersten Triell Ende August. Er wird die Forderung im zweiten und dritten Triell, die immer stärker zu Duellen mit Scholz werden, wiederholen.
Kann Laschet im Triell am 12.September und in den Tagen danach, die Richtungsentscheidung, um die es ihm geht, in Verbindung mit konkreten Beispielen aus dem Alltagsleben der Bürger noch einmal deutlich machen? Kann er Scholz noch schaden? Das erste ist ihm auf dem Feld der inneren Sicherheit mit Beispielen aus NRW und Innenminister Reul gelungen: Ausweisung von 35 Gefährdern, Bekämpfung der Clankriminalität und des Kindesmissbrauchs, wofür die Polizei auch die nötigen Mittel der Fahndung und Überwachung brauche: „Kindeswohl geht vor Datenschutz“.
Der meist gemobbte Politiker auf allen Kanälen, insbesondere im Netz, muss im zweiten Triell am 12. September seine Kanten als Kanzler zeigen und in den Angriffsmodus übergehen, wenigstens für seine Anhänger. Sein Nachteil war immer, dass er nicht der Wunschkandidat der eigenen Partei war, die mehrheitlich von Söder – im Bild: Riese und Zwerg – als aussichtsreichem Kanzlerkandidat überzeugt war. Das hängt Laschet wie ein Mühlstein um den Hals. Der scharfe Lagerwahlkampf wie er am 21. August ausgerufen wurde und vom CSU-Parteitag am 11. September gemeinsam bekräftigt worden ist, wird nun zur Strategie.
Diese Idee des Wahlkampfs entspricht eher Söder, dem sich Laschet in den letzten fünf Wochen angeglichen hat. Der zögerlich-nachdenkliche, nicht humorlose Zuhörer und Vermittler ist zum medial am meisten lächerlich gemachten Politiker geworden. Dies mit einer Portion kluger und selbstbewusster Ignoranz überspielen zu können. wird immer mehr zu einem Qualitätsmerkmal führender Politiker/innen. Hemmungslose Spaßgesellschaft und ernsthafte Zivilreligion koexistieren in der Bundesrepublik. Indifferenz wird zu einer Überlebenstechnik des gesunden Menschenverstandes. Was aber kriegt dieser noch als eigenständiges Urteil auf die Reihe?
Laschet versucht mit klaren Worten zum Afghanistan-Desaster, zur inneren Sicherheit und zur Polizei zu überzeugen. Die Bezüge zu den internationalen Konferenzen in München und anderswo kommen an. Der bayrische Innenminister Herrmann lobt derweil den heftigen Polizeieinsatz bei der IAA (mit 25 000 Demonstranten für eine wirkliche Mobilitätswende und 4500 Polizisten), die Grünen fordern eine Untersuchung , und Laschet versteht die Welt nicht mehr, wenn eine neue nachhaltige Automobilindustrie und die „grünste Messe je“ derart heftige Proteste auf sich zieht.
Sie sind ein Vorgeschmack auf das, was kommen wird mit ebenso viel Rationalität wie Irrationalität von Bewegungen: „Ende Gelände“ wird absehbar grösser und militanter werden, nicht nur in der Lausitz, Hungerstreiks von jungen Klimaaktivisten gab es schon. Die politischen Parteikämpfe allein werden es nicht bringen, die notwendigen Auseinandersetzungen müssen respektvoll geführt werden.
Während immer mehr Wähler mitbekommen, dass viele wichtige Politiker in der SPD lieber mit der Linkspartei als mit den Liberalen von der FDP ein Bündnis eingehen wollen, werden die vermeintlichen Skandale von Scholz, die vorher keiner verstand (Wirecard, Cum ex-Geschäfte), zum Medienereignis. Kommt der souverän wirkende Scholz auf den letzten Metern doch noch ins Straucheln wegen der jüngsten Razzia im Finanzministerium?
Laschet will Scholz die „Schönrednerei“ nicht mehr durchgehen lassen und greift ihn persönlich an: Als Finanzminister bei mir “ hätten wir ein ernsthaftes Problem“ (12.9.). Er vernachlässige seine Aufsichtspflicht nun zum dritten Mal. Am 20. September wird Scholz im Finanzausschuss dazu aussagen. Auch Baerbock findet im 3. Triell, dass Scholz zu wenig gegen Geldwäsche tut.
Vermutlich wiegt aber das Profil der Spitzenkandidaten immer noch mehr als mögliche Bündnisse und unterstellte Versäumnisse in Bezug auf Steuerhinterziehung und Finanzkriminalität. In allen Triellen kommt Scholz bei den Blitz- Umfragen am überzeugendsten, glaubwürdigsten, sympathischsten und kompetentesten an. Nun sind Wahrnehmungen noch keine Wählerpräferenzen, es handelt sich auch nicht um repräsentative Umfragen.
Schon am Nachmittag des 13. September stellt Laschet sein Sofortprogramm für die ersten 100 Tage vor. Es konkretisiert Punkte für Familien (Geld, Zeit und Raum), Sicherheit, Beschleunigungsmaßnahmen, Belastungsmoratorium, zinsloses Darlehen für Solardächer, Planungssicherheit für Landwirte. Die Familie, seit je ein konservatives Kernthema, wird von Laschet zusammen mit Silvia Breher aus dem ‚Zukunftsteam‘ mit besonderen sozialen Maßnahmen, zum Beispiel für Eigentumsbildung, ins Zentrum gerückt.
Bei den Unentschiedenen liegen die Werte der drei Kanzlerkandidaten am 12. September schon näher beieinander. Die U18- Wahlen gewinnen die Grünen, sie verheißen empathisch eine Zukunft als lebenswerte Utopie der Freiheit. Nicht für alle Jungen indessen ist die Bundestagswahl eine Klimawahl: in den ostdeutschen Bundesländern erzielt die AfD gute und sehr gute Resultate, in Sachsen und Thüringen ist sie an der Spitze, in Brandenburg auf Platz 3.
Der Wahlkampf ist noch nicht entschieden, denn um die Mobilisierung der eigenen Anhänger und die Unentschiedenen geht es, für die jeder Tag ein Wahltag ist. Am 15. September scheint der Abwärtstrend der Union gestoppt (25% zu 21%), umgekehrt ist er nicht, was freilich schwieriger zu bewerkstelligen ist, als ihn zuzuspitzen. In der letzten Woche kann immer noch viel bewegt werden. In den Umfragen, die Momentaufnahmen und keine Prognosen sind, holt die Union leicht auf. Laschet und Merkel schalten bei einem gemeinsamen Auftritt in Stralsund am 21. September ganz auf Angstwahlkampf um.
Wird Laschet im finalen TV-Triell am 19. September noch einmal ein schlagkräftiges Thema für die letzte Woche setzen können? Das Fernsehen bleibt vor allem für die Produktion von Bildern das stärkste Medium, während die neuen sozialen Medien große Bedeutung insbesondere für die Verstärkung von Trends in den verschiedenen ‚communities‘ erhalten haben. Vielen genügt ein Eindruck, wofür sie ihre Quellen haben. Das dritte Triell mit rot-grünem Schulterschluss geht alle Themen durch, außer Außenpolitik und Migration.
Auch nach dem diesem Triell präsentiert Laschet, zusammen mit den Schwergewichten Kretschmer und Haseloff, den beiden Ministerpräsidenten aus den neuen Bundesländern, eine weiteres Papier mit 15 Punkten (20.9.): diesmal eine „Agenda für gleichwertige Lebensverhältnisse“ in Ost und West, Stadt und Land. Es geht darum, die Regionen spezifischer zu fördern. Noch nicht lange hat die Politik die neuartigen Probleme der Metropol- und Agglomerationsregionen erkannt und darauf reagiert (mit neuen ‚policies‘ wie ‚Agglomerationspolitik‘, ‚Stadtregion‘, ‚Metropole‘).
Die ländlichen Räume, in denen 50% der BRD-Bevölkerung lebt, sind dagegen wieder etwas ins Hintertreffen der Aufmerksamkeit geraten. Von ihnen ist im Wahlkampf jedoch auffällig häufig die Rede. Die Union will nun gegen die SPD und die Grünen verlässlicher Anwalt dieser Regionen und ihres neuen Strukturwandels sein: “ Der Osten ist am meisten von dieser Wahl abhängig“ (Kretschmer). Was NRW gezeigt hat , braucht es genauso in den östlichen Bundesländern. Nur so können hier der AfD, Stimmen wieder abspenstig gemacht werden, wie Haseloff im Süden Sachsen-Anhalts im Frühsommer gezeigt hat, als er entgegen allen Prognosen haushoher Wahlsieger wurde.
Gespannt, aber ratlos
Nach einer repräsentativen Allensbach-Umfrage (FAZ ,15.9.) sind diesmal mehr Wähler drei bis vier Wochen vor der Wahl unentschlossen als 2013 (76 % wußten, wie sie wählen werden) und 2017( 65% wußten es). Die Befragung fand in der ersten Septemberwoche statt. Als Hauptgrund für ihre Ratlosigkeit nannten die Befragten die nicht überzeugenden Spitzenkandidaten. Die Wahlbeteiligung wird indessen hoch ausfallen, auch wegen der rege genutzten Briefwahl. Das Rennen ist schwer vorauszusagen, es kann überraschend und knapp enden. Nach Allensbach liegt die SPD am 24. September nur noch einen Prozentpunkt vor der Union.
Über die nächste Regierung trauen sich die wenigsten ein Urteil zu. Aufschlussreich ist jedoch, dass von allen denkbaren Koalitionen das rot-grün-rote Linksbündnis am unbeliebtesten ist, am beliebtesten wäre eine sogenannte ‚Deutschland-Koalition‘ aus Union, SPD und FDP, was viel aussagt auch über den Erfolg der ungeliebten Großen Koalition 2017-2021. Waren es nun schlechte, gute oder doch nicht so schlechte Jahre? Wahrscheinlich das Letztere.
Die Medialisierung der Politik schreitet auch in Deutschland rasant voran; die ‚Amerikanisierung‘ ist nachgeholt, zum sogar Teil eingeholt. Kaum noch ein Detail entgeht dem totalitär gewordenen ‚Auge der Öffentlichkeit‘ (Marat), so dass bezeichnende oder aufschlussreiche Nebensächlichkeiten wie ein Lachen an der falschen Stelle, Selbstgefälligkeiten oder rote Ohren auf einmal große (herbeigeredete) Bedeutung erhalten. Vielleicht spricht man deshalb so häufig von Inhalten, weil sie faktisch nicht die Hauptrolle spielen. Die große (bürgerliche) Öffentlichkeit im Singular ist nicht mehr das Subjekt der Aufklärung. Eine neue Aufklärung über die heutige schier übermächtige Medienrealität ist vielmehr nötig.
Medialisierung und Personalisierung der Politik bedingen sich. Die Kandidaten wiederum geraten in einen permanenten Diskussionsstress, bei dem sie auf alle Fragen eine Antwort geben müssen. Sie lernen dabei auch, was ein Ersatz für die fehlende Bürgerbeteiligung in der Parteiendemokratie sein mag. Die Erwartungen an sie als Berufspolitiker und die ‚Kanzlerdemokratie‘ werden überhöht, während die sachliche Arbeit von zahlreichen Beamten, Mitarbeitern und Beratern im Hintergrund verschwindet.
Ist Laschet mit seinen Attacken die Kehrtwende gelungen, die seine Anhänger feiern? Hat Scholz Pflichten verletzt? Kann er wirklich anpacken? Mit welcher Regierung? Viele wichtige Fragen sind kurz vor der Wahl noch immer offen. Beide Lager sind angespannt, von einem regelrechten „Thriller“ ist vielerorts die Rede. Die Zuschauer-Konsumenten, denen vorher der deutsche Wahlkampf zu langweilig war, kommen nun auf ihre Kosten: über Laschet als „Mini-Trump“ wird getwittert (Klingbeil) und von der Sozialdemokratie, die historisch immer auf der falschen Seite stand, gesprochen (Laschet).
Beides ist völlig daneben und fördert nicht gerade die politische Bildung wie Vieles in der Politik. Stattdessen ist der Twitterkrieg in vollem Gang. Der Wahlkampf wird zu einem wirklichen Kampf, bei dem fast jedes Mittel recht ist (Tagesspiegel 13.9.). Dieses Feld ist phänomenologisch etwas anderes und in seinen Facetten viel mehr als ‚zivilisierter Streit‘ und etwas weniger als ‚Verrohung durch Entzivilisierung‘. Man muss sich gegenseitig aushalten bei allen Vorwürfen und Unterstellungen mit der Aussicht, später wieder zu Gesprächen zurückkehren zu können.
Der Zuspruch bei den Kommunalwahlen in Niedersachsen (11./12.9.) soll Laschet noch einmal recht geben, wo die CDU entgegen den Prognosen mit 31,7% stärkste Partei geworden ist. Das gibt Rückenwind ebenso wie die Rückkehr von Kanzlerin Merkel in den Wahlkampf. Gemeinsame Veranstaltungen in Stralsund, München und zuletzt in Aachen, Laschets Heimatstadt, sind geplant. Großes Interesse findet eine gemeinsame Pressekonferenz mit Friedrich Merz zu den wirtschafts- und finanzpolitischen Themen in Stuttgart am 15. September.
Merz warnt davor, die Steuern noch einmal zu erhöhen. Das würde den Bogen überspannen, den wirtschaftlichen Aufschwung stoppen und den Wohlstand gefährden: Entfesselung vs. Staatsgläubigkeit, lautet die Parole. Beide Seiten glauben viel, sie glauben ehrlicherweise, den Tiger der globalen Zivilisationsdynamik reiten zu können, bei dem es letztlich um „Weltmarktführerschaft“ (Merkel) geht. Sind sie Treiber oder Getriebene?
Die letzten drei Wochen
Die Klimapolitik ist nicht mehr das Hauptthema, sondern die möglichen und unmöglichen Koalitionen sowie die ’staatliche Autorität‘ als solche (was etwas anderes ist als ’starker Sozialstaat‘ oder ‚big government‘). Die Sorge um die zarte Pflanze wirtschaftlicher Aufschwung kommt hinzu. Wird er durch eine linke Regierung mit zusätzlichen Steuern und Schulden abgewürgt oder durch eine bürgerliche Regierung forciert? Die Union redet in den letzten Wochen andauernd von Entfesselung der Wirtschaft, einem Entfesselungsjahrzehnt, von Bürokratieabbau, Digitalisierung und Beschleunigung von Planungsverfahren.
Die sozialpolitischen Themen der Linken und Grünen geraten demgegenüber in den Hintergrund. Die Schulden- und Steuerproblematik wiederum bleibt für alle Seiten schwierig vor allem bei einer Koalition mit der FDP, ob Jamaika oder Ampel. Eine neue Regierung wird wohl zuerst einen ‚Kassensturz‘ machen müssen. Der künftige Finanzminister wird in Deutschland und in Europa keine leichte Aufgabe haben. Auch für EU-Europa wird die deutsche Wahl eine Richtungswahl werden.
Obwohl alle vom Klima reden, ist die klimapolitische Ausbeute des Wahlkampfs eher dürftig. Und die außenpolitischen Fragen kommen kaum vor ebenso wenig wie die schwierigen migrationspolitische Fragen, bei denen es grundsätzlich und im konkreten Einzelfall große Unterschiede zwischen und in den Parteien gibt.
Klingbeil rühmt an Scholz, dass er „einen Plan“ hat. Deshalb haben sich die Schwerpunkte des Wahlkampfs von Schwarz gegen Grün bzw. umgekehrt zu einem neuerlichen Lagerwahlkampf zwischen Schwarz und Rot in grünen Zeiten verschoben. Von Laschet kommen plötzlich, geradezu aktionistisch, mehrere Initiativen (Kompetenzteam für Klimaschutz, Zukunftsteam, Sofortprogramm), jedoch: „viele Vorschläge sind noch kein Plan“ (FAZ ,14.9.).
Scholz dagegen hat den großen industriepolitischen Umbau im Visier und gibt die konkrete Zusage für einen Mindestlohn von 10 Millionen Arbeitnehmer als Sofortprogramm. Für die Kernfrage der klimaneutralen Stromversorgung der Industrie hat er einen Plan. Die ‚Zukunftsmissionen‘ sind für die SPD wichtiger als die schwarze Null.
Laschet lässt demgegenüber zu viel offen: Er will „nicht gängeln und vieles machen lassen“. Das klingt liberal und sympathisch. Aber bei der Regierungspolitik in der Krise geht es auch und nicht zuletzt um den aktiv gestaltenden Staat und Investitionen in die Zukunft (Infrastrukturstaat). Marktwirtschaftliche Anreize gibt es selbstverständlich auch bei Rot-Grün. Indem nun Laschet ständig von einer Richtungsentscheidung spricht, drängt er die SPD und Grüne in eine linke Ecke. Wird das ein „planwirtschaftlicher Umbau der Bundesrepublik Deutschland“? (NZZ, 20.9., S.3).
Richtungsentscheidung klingt abstrakt, Linksrutsch ist konkreter, weil er sich mit Parteien und Personen verbinden lässt. Fassen wir noch einmal zusammen , worum es aus Sicht der hegemonialen CDU für Deutschland dabei geht:
- Wohlstand und Arbeitsplätze
- Steuern und Schulden
- innere Sicherheit und aussenpolitische Orientierung
- stabiles Deutschland und souveränes Europa.
In diesem Sinne wirft Merkel am Münchner Nockerberg am 24. September noch einmal ihre ganze Erfahrung der Krisenbewältigung in die Waagschale: „Es ist nicht egal, wer regiert,“ zieht sich durch ihre Rede, was sie historisch und aktuell belegt: am Beispiel der sozialen Marktwirtschaft, des Euro, der Europa zusammenhält, Stabilitätspakt, Sicherheit und Verteidigung. Am Samstag vor der Wahl sollen alle noch einmal rausgehen!
Verbotspartei?
Auch für die Grünen ist die Wahl eine Richtungswahl, nämlich eine Klimawahl. „Abwarten wird unbezahlbar“, „wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern ein Handlungsproblem“, so Baerbock in ihrer Abschlussrede in Düsseldorf am 24.9. bei 4500 Zuhörern. Baerbock schaut in die Zukunft und argumentiert mit der Zeitdramatisierung, dass die nächste Regierung die letzte sein wird, die den Klimawandel noch stoppen kann. Die Grünen sind in Aufbruchstimmung am Tag des globalen Klimastreiks von ‚Fridays for Future‘. Schon 2030 soll Deutschland ohne Kohle und Verbrenner sein. „Deutschland ist einer der größten Klima-Schurken“ (Thunberg am 24.9. in Berlin).
Baerbocks These von „Verboten als Innovationstreiber“ sorgt Mitte September noch einmal für Aufregung, nachdem die Grünen ständig seit den Veggie-Day-Zeiten dem Vorwurf ausgesetzt waren, eine „Verbotspartei“ zu sein. Neben Belehrungen bei Ernährungs- und Verkehrsfragen nervt viele Menschen besonders das Hineinregieren in die Sprache. Baerbocks Aussage bezog sich am 12. 9. im Triell allerdings nur auf den fossilen Verbrennungsmotor.
Lindner twitterte prompt: „Freiheit ist der Innovationstreiber.“ Genauer müsste man sagen: Freiheit , Neugierde ( curiositas), Offenheit (historische Aufklärung als Öffnung der Welt), Risiko und Toleranz heißt die neuzeitliche Konstellation, in der auch das Individuum als Sonderling gedeihen kann, aber eben auch problemlösende Technologien wie die Gentechnologie oder Quantencomputing – „German Engineering statt Bullerbü“ (Lindner), Marx hätte seine Freude gehabt.
Heißt das auch: ‚Freedom Day‘ statt ‚German Angst‘ ? Und wie wirkt sich das aus auf das Verständnis von ‚Staat‘, ‚Regieren‘, ‚Politik‘ und ‚Demokratie‘? Das Spektrum der Bedeutungen ist überraschend groß, die theoretische Diskussion hat hier unmittelbar praktische Konsequenzen, wobei ‚Staat‘, ‚Regieren‘ und ‚Politik‘ auf der einen Seite und ‚Freiheit‘ auf der anderen Seite prinzipiell keine Gegensätze sind.
Für den Sinn von Verboten spricht das FCKW-Verbot vor 30 Jahren zur Rettung der Ozonschicht. Das Verhältnis von politischen Regulierungen und Innovationen muss differenzierter gesehen werden (FAZ,14.9., S.17): Als Beispiel wird die Katalysatortechnik im Auto genannt. Technologieoffenheit ist wichtig, es gibt aber auch Technologiefolgenprobleme. Zentral für Innovationen bleiben Freiräume für die Menschen und nicht Verbote, die zu früh Optionen ausschließen. In Bezug auf Unternehmen geht es um „Regulierung, die stimuliert, aber nicht drangsaliert“ (Kretschmann). Sie brauchen einen verlässlichen Rahmen, zum Beispiel einen CO2-Preis.
Der Vierte
Lindner äußert am 13. 9., dass das Sofortprogramm der CDU von der FDP inspiriert sei, die noch zulegen will, um eine „Regierung aus der Mitte“ heraus bilden zu können. Die Ambitionen sind klar und deutlich ebenso wie die Bedingungen. Die minimale Bewegung, die bisher zu erkennen ist, besteht darin, dass man auf Anfrage Gespräche mit der SPD führen würde. Ist darüber diskutiert worden, was in heutigen Zeiten ’sozialliberal‘ heißen könnte?
Eine relevante Frage bleibt deshalb: Wie stark wird die FDP? Wie groß ist ihr Abstand zu den Grünen? Lindner wirbt um Stimmen von Unionsanhängern und sieht sich in Konkurrenz zu den Grünen, die er noch überholen will und als „grün lackierte Sozialisten“ angreift. Wie die Linke: „Wie es ist, darf es nicht bleiben“, plakatiert auch die FDP.
Sie hat freilich fast doppelt so viele Stimmen wie die Linke in der Urne, die zusammen mit der SPD und den Grünen einen „echten Politikwechsel“ beansprucht und dafür Avancen macht (Bartsch). Lindner präferiert am 19. 9. immer noch die Jamaika-Koalition, selbst bei einem Wahlsieg der SPD, während sich Baerbock am selben Tag für Scholz als Koalitionspartner ausspricht und sich die Union in die Opposition wünscht. Scholz wiederum nennt erstmals Koalitionsbedingungen, unter anderem den Mindestlohn: „Ein großer Aufbruch ist möglich“ (Scholz, 20.9.). Die SPD ist hoffnungsfroher Stimmung, nachdem sie anfangs des Jahres abgeschrieben war.
Auf die Kompromissfähigkeit und Flexibilität der Liberalen. darf man gespannt sein. Werden sie einmal mehr das Zünglein an der Waage sein? Wahlkampf und Regierungsbildung sind zweierlei. Fünf Koalitionen sind möglich, nachdem wir unsere Stimmen buchstäblich ‚abgegeben‘ haben. Wie wird die Zukunftskoalition aussehen?
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