Die vorgezogene Bundestagswahl ll

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Kanzlerkandidat Merz und die Union müssen zulegen, wenn sie den „grundlegenden Politikwechsel“, der mehr ist als ein Regierungswechsel, glaubhaft machen wollen. 

Am 8. Januar spricht Merz an der oberbayrischen Klausurtagung im Kloster Seeon zusammen mit der Schwesterpartei CSU die großen Worte von der „Weltpolitikfähigkeit Europas“ aus, wofür er als Kanzler vor allem arbeiten werde und wofür Deutschland wieder „eine „Führungsrolle“ übernehmen müsse.

Je trister die Lage, desto größer die Worte, die dem eloquenten Merz nicht schwer fallen. Die EU ist außenpolitisch gespalten und in wichtigen Grundfragen gibt es keinen Konsens. Frankreich befindet sich in einer Staatskrise, die mehr ist als eine Regierungskrise, und findet derzeit daraus nicht heraus. 

Gerade jetzt wäre die koordinierte Aktion zwischen Frankreich und Deutschland wichtig. Italien und Österreich werden von Mitte-Rechts-Koalitionen geführt, die, im Unterschied zu Deutschland, in den USA wohlgelitten sind. Meloni ist von Trump schon empfangen worden, ebenso wie Orban, mit dem obligaten Schlussbild ‚Daumen nach oben!‘ 

Deutschland kann derzeit auf die disruptiven Veränderungen, die Trump ab dem 20. Januar umsetzen wird, größtenteils vor allem mit Kopfschütteln und Empörung reagieren, am hörbarsten in der SPD-Fraktion (Wiese, Stegner). Die Verteidigungsfähigkeit wird aber am 23. Februar ohne Zweifel und zurecht ein zentrales Thema für die Wähl- und Führungsfähigkeit, vor allem des Kanzlers, werden, worin sich die CDU ebenso wenig wie die SPD in der jüngsten Vergangenheit ausgezeichnet haben. 

Es braucht immer noch Zeit und politischen Willen, diese Ignoranz und ihre Folgen ohne Hektik und Hysterie zu korrigieren. Die Zeiten haben sich tatsächlich verändert, und die wahre Zeitenwende in ihren verschiedenen Dimensionen benötigt, ebenso eine entsprechende geistig-moralische Wende, was man heute vereinfachend ‚Mentalitätswechsel‘ nennt. 

Dass wir „nachhaltig mehr tun müssen“ (Pistorius), ist keine Frage. Am 9. Januar ist das letzte Treffen im Ramstein-Format anberaumt, das unter großem „Erfüllungsvorbehalt“ (Gressel) steht. Kurachowe ist gefallen, Pokrowsk, das strategisch sehr wichtig ist, steht unter schwerem Beschuss. Russland hat die Lufthoheit und terrorisiert das Land um des Terrors willen. Die russische Lesart ist jedes Mal, dass man keine zivilen Ziele angreife, auch in Saporischja nicht. 

Wir müssen jedoch alle den 20. Januar abwarten, obwohl das Warten schwerfällt, denn schon jetzt ist klar, dass nicht an einem Tag ein Waffenstillstand herbeigeführt werden kann, wie es Trump letztes Jahr großmundig versprochen hatte. Es gibt noch nicht einmal eine realistische Lageeinschätzung, und Selenski setzt inzwischen ausgerechnet auf „die Unberechenbarkeit“ Trumps, was auch Verzweiflung sein kann. 

Merz gibt rhetorisch den großen Staatsmann, während Söder die Wahlkampfpolemik übernimmt, primär gegenüber den Grünen und Habeck, sekundär gegenüber Ministerpräsident Günther von Schleswig-Holstein, der mit den Grünen regiert: „ein schönes, aber hochverschuldetes Land“, wo übrigens die AfD nicht im Landtag ist. Söder sichert Merz hundertprozentige Unterstützung zu. 

Der Polterer ist Kanzlermacher wie Kanzlervernichter (Laschet). Merz will keinen Koalitionswahlkampf führen, er wird aber abhängig bleiben von den Parteigranden in der Partei, und das sind in erster Linie die Ministerpräsidenten. 

Die zweite Auffälligkeit in Seeon bestand darin, dass Merz das wirtschaftspolitische Programm von Christian Lindner, der gleichentags den Wahlkampf in Potsdam vor dem Brandenburger Tor mit wenig Publikum eröffnete, übernommen hat, ohne ihn zu erwähnen. Lindner steht wie kein anderer für die FDP, Rechtsanwalt Kubicki ist ein liberaler Zwischenrufer. 

Die Liberalen werben jetzt offensiv für eine Koalition mit der CDU, da sich ihre Wirtschaftswende nur so durchsetzen lasse. Der Bruch der Ampelkoalition haftet Lindner hier nicht mehr negativ an, im Gegenteil: er brüstet sich schon wieder selbstbewusst, der „bestgehasste Mann des linksgrünen Mainstreams zu sein“ (6. Januar). 

Die beiden bürgerlichen Parteien CDU und FDP sprechen einmal mehr dauernd von Steuererleichterungen, Bürokratieabbau und Einsparungen beim Bürgergeld, dem Lieblingsprojekt der Hartz lV-geplagten SPD. Dressler ist dieser Tage gestorben. Merz bekennt zudem, dass sein „innerer Abstand zu Habeck (als Wirtschaftsminister) gewachsen sei“ und zu seiner Politik einer „Mischung von Subvention und Intervention“. 

Für den bürgerlichen Politikwechsel hat klar das Wirtschaftswachstum Priorität, das ist keine Frage. Mit der Agenda 2030 soll 2 % mehr Wachstum erzielt werden. Die Agenda 2010 von Schröder lässt grüßen. Was hat demgegenüber die sozialdemokratische Wirtschafts- (und Sozialpolitik) von Kanzler Scholz anzubieten? Hier haben die großen industriellen Unternehmen, sichere Arbeitsplätze und Zusammenhalt traditionell die erste Priorität. Die Gewerkschaften gehen dabei voran. Das ist der innenpolitische Hauptkampf neben dem außenpolitischen um das transatlantische Verhältnis zu den USA. 

Der grünen Strategie des „Bündniskanzlers“ Habeck, der „Mensch bleiben möchte“, ist dagegen daran gelegen, die inhaltlichen Positionen in der „demokratischen Mitte“ gewissermaßen zu nivellieren, um die nächste ‚Politikwechsel‘- Koalition selbstredend mit den nötigen Grünen nicht zu gefährden – streiten ja, aber nicht zu viel (FAZ, 8. Januar). 

Kampf einer Partei, Kontroversen und Verfeindung sind nicht dasselbe, sondern verschiedene Eskalationsstufen. Der Streit gehört ebenso zur Demokratie wie ‚Politik als Kampf‘ (Weber, Schmitt, Schmidt), die immer auch ein Machtkampf mit verschiedenen Mitteln ist. Auch gegen Polemik, die zur politischen Konkurrenz gehört, einschließlich Beleidigungen, aber ohne Torten und Tomaten, ist nichts zu sagen, außer mündlicher Widerspruch. 

Söder und der CSU wirft Habeck „Maulheldentum“ vor. Sie hätten die Lektion von Österreich nicht begriffen, wo ein grüner Bundespräsident der radikalen FPÖ eben den Auftrag zur Regierungsbildung mit der ÖVP übergeben hat, der allerdings schnell auch wieder scheitern kann. Was kommt dann? 

Das darf in Deutschland nicht passieren, eröffnet Habeck seine erste offizielle Wahlkampfrede in Lübeck. ‚Bündnis‘ lautet stattdessen das Schlagwort und das ist mehr als eine fragile Koalition als Zweckbündnis. Im Unterschied zu den (kulturpessimistisch) Konservativen und Rechten sprechen die optimistischen Grünen jetzt als geschlossene Habeck-Partei trotz widriger Bedingungen bezeichnenderweise nicht von „Niedergang“ und „Abstieg“. 

Von einer Wirtschaftsflaute bzw. Stagnation seit 2018 (a.a.0.), also schon vor der Ampel , ist vielmehr die Rede. Die Antwort darauf sind Investitionen mit Schulden bzw. eine Reform der Schuldenbremse, die nicht mehr in die heutige Zeit passe. Darüber kann man streiten. 

Deutschland muss mehr ausgeben für Bildung, die Bekämpfung des Klimawandels, die marode Infrastruktur und die Verteidigung. Habeck überrascht mit seinem Vorschlag von 3,5 % des BIP, den Scholz „unausgegoren“ findet, der auch, eher überraschend für ihn, richtige starke Worte, abgestimmt mit europäischen Partnern, Richtung Trump findet, der Grönland übernehmen will (8. Januar). Wird er doch noch Kanzler? Seriös ist er. 

Steuersenkungen seien zudem an Investitionen zu binden, so die grüne Vorstellung. Große Antworten sind notwendig für die großen Herausforderungen, zumindest für einen wirtschaftspolitischen Aufbruch. ‚Erneute Groko‘ wäre dagegen nur Schlafwagenwahlkampf und verwalteter Stillstand. 

Dass die Standortqualität gehoben werden muss, darin sind sich alle einig. Ein leichtes Plus mit Überraschungen statt Schrumpfung darf wirtschaftlich für 2025 realistisch durchaus erwartet werden. 

Darin besteht noch immer der grüne Handlungsoptimismus, mithin die neu entdeckte Leidenschaft für Politik, die anstecken kann, ohne dass das Scheitern der Fortschrittskoalition, die zu Anfang gerade für die Grünen ein besonderes experimentelles Bündnis mit liberalen und sozialdemokratischen Positionen war, gründlich analysiert worden wäre. 

Fortschritt gilt noch immer, aber wie und ohne Rückschritte der erzielten Freiheits- und Toleranzgewinne? 

Lindner und Habeck konkurrierten inhaltlich-konzeptuell um den Posten des Finanzministers. Scholz war die dritte Position, die diese Konstellation nicht führen konnte. Es ist aber auch ein Scheitern der sogenannten Klimaregierung und eines anfangs gemeinsam beanspruchten Politikstils , der verschiedene Positionen verbinden, aus Widersprüchen lernen und trotzdem konsensorientierte Lösungen finden sollte – kognitives Lernen auch in der kompetitiven Parteienpolitik, was allen nützt. 

Dieses grünsozialliberale politische Aufklärungsbündnis ist krachend gescheitert, damit sich die Wirtschaftskrise nicht zu einer Demokratiekrise ausweiten kann, worin sich die besondere wechselseitige Gegnerschaft zur AfD erklärt bis hin zu einer Feindschaft, die ein Parteienverbot der ‚wehrfähigen Demokratie‘ begründen soll. 

Das wiederum ist ein riskantes Spiel bei der Verteidigung liberaler Demokratie gegen Antidemokraten ebenso wie der Versuch, den „Tiger zu reiten“, denn mit dem Rechtspopulismus steht nicht schon der Nationalsozialismus vor der Tür. Siehe dazu die lehrreiche Entdämonisierung der AfD, vor allem ihrer Wähler, durch den Theologen und erfahrenen SPD-Politiker Richard Schröder, der schon vor und mit der großen historischen Wende in Deutschland ein politischer Kopf und Demokrat war (FAZ, 6. Januar 2025, S.6). 

Merz wollte die AfD halbieren. Sebastian Kurz, der zweimalige Bundeskanzler in Österreich hatte die FPÖ, die an der Regierung beteiligt war, für die konservative ÖVP schon einmal halbiert. Auch das ist gescheitert und sollte nicht noch einmal scheitern. Dann bleibt nur noch die Expertenregierung, die für Demokraten eine narzisstische Kränkung sein muss, aber kein Unglück, da sie in der realen politischen Gesellschaft in Gestalt von Beiräten faktisch auf allen Ebenen eine große Rolle spielt und mindestens so viel zum Zusammenhalt der modernen Gesellschaft beiträgt wie die Parteien. 

Wie also rettet man die Exportnation Deutschland und ihre Wettbewerbsfähigkeit, und wie verteidigt man die liberale Demokratie unter widrigen innen- und außenpolitischen Bedingungen (AfD und Trump)? Das scheint die entscheidende Frage vor und nach dem 23. Februar zu sein. 

Manche sagen schon jetzt aus triftigen wirtschafts- wie demokratietheoretischen Gründen, dass erst die übernächsten Wahlen wirklich die Weichen stellen werden. Unter welchen Vorzeichen? 

Die Rechte kämpft für Freiheit, die Linke für staatliche Kontrolle, Repression und Zensur – das ist eine verkehrte Welt voller Irritationen. Man kann aber nicht den nächsten Schritt vor dem ersten tun.

Bildnachweis: IMAGO / Panama Pictures