Die verdrängte Apokalypse

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„Exterminismus ist der äußerste Extremismus.“ Anfangs der 80er Jahre prägte der britische Historiker Edward P. Thompson den Begriff ‚Exterminismus‘ (to exterminate: auslöschen).

Sein Aufsatz trug in Anspielung an eine berühmte Schrift Lenins, die er 1916 in Zürich verfasst hatte, den Titel „Exterminismus als letztes Stadium der Zivilisation“. Der Aufsatz löste eine heftige innermarxistische Diskussion aus und eine noch größere in der damaligen Friedensbewegung. Ich will sie hier nicht referieren.

Sie ist mir in diesen Tagen wieder in den Sinn gekommen, als gleichzeitig plötzlich wieder
von der atomaren Abschreckung – bedingt durch Putins Krieg in der Ukraine – und vom sich schließenden Zeitfenster für die Bewältigung der Klimakrise durch den Weltklimabericht (28.2.) die Rede war. Letzterer wurde von mehr als 200 nüchternen Fachleuten erstellt, die sich nur an Daten und Fakten halten. Ernster und bedrohlicher können aber die Warnungen gar nicht mehr ausgesprochen werden. Die Gegner sprechen deswegen mit einem Unwort von „Klimahysterie“.

Es ist nicht lange her, da hörten wir in Brandenburg zum ersten Mal das Argument von „Ende Gelände“: Wir sind die letzte Generation, die den Klimawandel noch stoppen kann. Mit dieser Zeitdramatisierung (Zeit als Frist) sollte der zivile Ungehorsam für den schnellen Ausstieg aus der Kohle in der Lausitz-Region begründet werden. Es ist ein besonders aufrüttelndes moralisch-politisches Argument mit naturwissenschaftlicher Beglaubigung. Wie geht man in einer liberalen Demokratie damit um?

Inzwischen differenziert sich der weltweite, vorwiegend jugendliche Klimaprotest, der mit Greta Thunbergs „Schulstreik für das Klima“ begonnen hatte, weiter aus. Neben „Fridays for Future“ (FFF) ist „Extinction Rebellion“ und der „Aufstand der letzten Generation“ getreten, die der Ansicht sind, dass das konventionell-unkonventionelle Protestrepertoire durchgespielt sei und man nicht genügend erreicht habe. Was folgt daraus als nächstes? Revolutionäre Bürgerräte für das Klima, wie auf Plakaten gefordert?

Auf jeden Fall sind es nicht mehr nur symbolische Proteste, die sich an eine breite liberale Öffentlichkeit wenden und für eine Sache zu überzeugen versuchen, wofür immer auch die ansprechende originelle Form eine Rolle spielt. Ihre Widerstände greifen nun direkter in das alltägliche Leben ein, um es – etwa den Verkehr oder den Betrieb – zu unterbrechen, was bei Vielen Unmut und Ärger erzeugt. Das wird auch Sabotage genannt, was seit je etwas anderes ist als ziviler Ungehorsam, der von Hause aus einer pazifistischen Hintergrund-Philosophie folgt (Gandhi, King).

Damit sind wir wieder am Anfang unserer Überlegungen, nämlich beim Nuklearpazifismus der neuen Friedensbewegung in den 80er Jahren. Auch da gab es zivilen Ungehorsam, denken wir nur an die berühmte Blockade von Mutlangen mit Heinrich Böll, der nicht zufällig Namensgeber der grünen Stiftung geworden ist. In diesen Tagen müssen wir uns fragen, was eigentlich aus dem Nuklearpazifismus geworden ist, was aus dem Versprechen von Präsident Obama, der dafür 2009 den Friedensnobelpreis bekommen hat, die Atomwaffen zu ächten und zum Verschwinden zu bringen.

Auch hier gibt es ein böses Erwachen in der Realität, das einen an die Exterminismus-These denken lässt: die Rede von der „Abschreckung durch wechselseitige Vernichtung“, die nie verschwunden ist, taucht plötzlich wieder auf. Sie hat ein Exterminismus-Potential wie der Klimawandel. Und Psychologen und Pädagogen fragen sich, ob und wie man darüber heute mit Kindern sprechen sollte.

Der Philosoph Hermann Lübbe hat als Fortschrittsnebenfolgen-Theoretiker von „empirischer Apokalyptik“ gesprochen. Die existiert heute zweifellos und hat nichts mit Hysterie zu tun, weder mit Klimahysterie noch mit irrationaler Angst vor einem Atomkrieg. Ängste müssen auch nicht arational sein, sie können sogar sehr berechtigt sein, lösen aber keine Probleme. 

Die Philosophie der Aufklärung, die Ängste zulässt, ist keine der Angst, sie setzt auch nicht darauf, sondern auf die Vernunft und den Verstand der Vielen. Deshalb ist es gut und beruhigend, dass am 27. Februar im Bundestag ein zivilreligiöser Grundkonsens über die regierende Ampelkoalition hinaus in Bezug auf Frieden, Freiheit und Demokratie zustande gekommen ist.

Bild von Kevin Snyman auf Pixabay