Mit keinem anderen Grundbegriff wird Politik so häufig in Verbindung gebracht wie mit Macht.
In der Politik geht es um Macht, keine Frage. Macht ist das Steuerungsmedium der Politik, sagt die Systemtheorie (Parsons, Luhmann). Sie spricht auch vom ‚politischen System‘, um gewissermaßen Politik und ihre Macht einzuhegen. Daraus wird dann die ‚politische Macht‘, die weniger eindeutig definiert ist – Regierung, Verwaltung, Publikum – wo ist sie?
Was also heißt Macht? Und was ist Politik?
Den einen Begriff von Macht gibt es ebensowenig wie die eine Machttheorie. Man könnte nun den Weg beschreiten und alle möglichen Machttheorien aufzählen, um dann eine Art Schluss zu ziehen. Für diese akademische Praxis ist hier nicht der Platz, zumal es schon zahlreiche Übersichts-Bücher gibt, die das tun.
Stattdessen beginnen wir mit einer interessanten Feststellung, die vom Osteuropa-Historiker und Russland-Kenner Jürgen Baberowski stammt. Sie lautet:
„Selten ist die Macht so nackt ausgestellt worden wie von Trump“ (im Interview NZZ am Sonntag, 29.3.).
Daraus folgt: moralisch kann man ihm nicht beikommen (a.a.O.). Wir wollen deshalb im Folgenden versuchen, Macht mehr analytisch und weniger moralisch zu betrachten.
Es gibt die Auffassung, dass Macht per se „böse“ ist. Macht ist also keine moralische Kategorie, sondern näher bei der biologischen Selbsterhaltung mit Techniken und Listen. Deswegen ist sie auch ein ewiges eigenes Thema in vielen Variationen, für manche sogar ein „schmutziges“ Thema, so wie die Politik, von der sie sich deshalb tunlichst fernzuhalten versuchen
– Privatismus, Eskapismus. Oder eben die Romantik als „deutsche Affäre“ (Safranski), die Verwechslung von Moral mit Politik.
Das ist indessen ein fataler Kurzschluss, der unterschieden werden muss vom speziellen Thema der „schmutzigen Hände“, an die wir wahrlich vieles delegieren, ohne es wahrhaben zu wollen. Dabei ginge es selbstkritisch um das Prinzip der politischen Verantwortung.
Machiavelli und Hobbes
Bei der Macht geht es um die Selbsterhaltung von Herr-Schaft, letztlich um Überleben und Leben oder Tod. Das gilt für den einzelnen ambitionierten Politiker ebenso wie das Gemeinwesen. Darauf beziehen sich auch die beiden berühmten Bücher von Machiavelli: ‚Principe‘ (1513) und ‚Discorsi‘ (1531).
Das Erste ist berüchtigt und gilt als moralisch skrupellos. Es ist seit je auf dem Index, gerade auch derjenigen, die ‚machavellistisch‘ sind (die Jesuiten etwa). Das Zweite wird aktuell im Zusammenhang einer Verteidigungsfähigkeit, die gerade in Demokratien von den Bürgern und Bürgerinnen angesichts akuter Bedrohungen wieder gefragt wird, der sogenannte Ernstfall.
Machiavelli ist also auf zweierlei Weise auch in Demokratien sehr präsent, obwohl er kein Demokrat ist: nämlich als populistischer Führer, womit wir wieder bei Trump (und anderen) sind, und als wehrfähiger Republikaner auch kleiner politischer Gemeinwesen, was eine große Tradition in den USA und der Schweiz ist.
Machiavelli und Hobbes sind die beiden grundlegenden Machttheoretiker der Neuzeit. Das ist ein wichtiger Traditionsstrang der politischen Theorie, einschließlich der Staatstheorie. Die ‚ragione di stato‘, die unwiderstehliche oberste Gewalt, über der nur noch Gott ist, wurde von Thomas Hobbes in der Souveränität des Staates (Leviathan 1651) konzentriert. Seitdem konkurrieren die Leviathane miteinander.
Diese Eigenschaft hat der neuzeitliche Staat nicht verloren bei seiner historischen Entwicklung in verschiedenen Etappen (mit Rückschlägen) hin zum Verfassungs- und politischen Leistungsstaat, die ihn zu konstitutionalisieren und legitimieren versuchen. Seine Kernaufgaben sind die innere und äußere Sicherheit sowie zunehmend die Infrastruktur einer modernen arbeitsteiligen Gesellschaft, die funktionieren muss, wenn es Wohlstand und Wohlergehen für alle geben soll. Hobbes Staat verspricht nicht nur Sicherheit, sondern auch ein Leben im Komfort. Daraus ist der allzu bequeme Wohlfahrtsstaatsbürger geworden.
Das geht historisch-faktisch weit über die Staatsorganisation des klassischen Leviathan hinaus und kompliziert sein Bild als Rechtsstaat, der eine zivilisatorische Errungenschaft aus der Erfahrung grausamster religiöser Bürgerkriege heraus ist, in der die Todesfurcht allgegenwärtig war. Die Bändigung von Macht (von oben als Willkür wie von unten als Widerstand) bzw. Macht und Recht werden somit die grundlegende Beziehung für die Politik.
Insbesondere gilt dies für die Politik des Staates, dem Inbegriff der Delegation (Blumenberg). Sie setzt sich fort im demokratischen Kampf ums Recht, der die Gewalt ausschließen soll.
Der Staat verliert dabei nicht seine irresistiblen Gewaltmittel, im Gegenteil, zumal das Sicherheitsthema aus verschiedenen Gründen und in verschiedener Hinsicht in der organisatorischen Moderne an die erste Stelle rückt. Es tritt zunehmend in Konkurrenz zur Freiheit.
Macht und Gewalt
Dennoch muss zwischen Macht und Gewalt unterschieden werden (Hannah Arendt). Bei der Macht kommt das Moment der Legitimität hinzu, welches – wie auch immer – mit der Macht der Sprache verbunden bleibt. Zur Legitimität gehört liberal gesehen seit John Locke die Zustimmung, das ist der Unterschied zu Hobbes.
Politik muss also für ihr Handeln im Medium der Rhetorik Zustimmungsbereitschaft erzeugen können, was das Hauptproblem in der pluralistischen Demokratie wird. Der dezisionistische Mehrheitsentscheid weist schließlich den Ausweg.
Trump ist gewählt worden nach einem langen und harten Wahlkampf als Ausscheidungsrennen (das ist mehr als ein Marathon) gegenüber Konkurrenz, innerparteilich bei den ‚Republikanern‘ und in Konkurrenz zu den ‚Demokraten‘. Er hat mobilisiert durch Polarisierung , sein Charisma, das gleichermaßen anzieht wie abstößt, und mächtige Unterstützer, alles abhängig von großen Geldspenden.
Das Geldsammeln ist so grundlegend wie die Kampagne, die wiederum mit Strategieberatern und Medienexperten eine Wissenschaft für sich geworden ist. Sie ist viel mehr als ein Diskurs, und die reale Demokratie heute in der Mediengesellschaft etwas anderes als ideale Vorstellungen davon.
Die nüchterne Gegenthese zu ‚Macht ist böse‘ lautet ‚Macht ist produktiv‘: man braucht sie, um in der funktional differenzierten komplexen Gesellschaft noch etwas ‚machen‘ zu können. Wer in die Politik geht, wie es heißt, der will etwas machen, etwas gestalten. Er ist per se ein Aktivist, meistens in einer Partei.
Wenn er an die Spitze der Regierung will, braucht er – neben Ambition und Geduld – eine neue oder erneuerte Partei (PS) und 200 wichtige Leute aus Wirtschaft, Medien, Wissenschaft und Kultur, so Francois Mitterand, der 1981 der erste sozialistische Präsident Frankreichs wurde, was ein großer Aufbruch war. Auch der französische Staatspräsident vereinigt eine große Machtfülle wie der amerikanische. Beides sind präsidentielle Demokratien.
Kampf um die Macht
Parteien kämpfen um die politische Macht bzw. um Machtanteile für das Regieren (Weber 1919). Parteien sind zwar Organisationen mit Idealen, sie verfolgen bestimmte Ziele und haben Programme, zugleich verhalten sie sich opportunistisch, wenn es um Macht geht. Ihr Machtopportunismus prägt auch den Parteienstaat, der in eine souveräne Diktatur kippen kann. Verfassungs- und Staatskrisen mit bürgerkriegsähnlichen Zuständen sind Vorstufen davon.
Ideal sprechen wir von der verfassungsdemokratischen Bürgergesellschaft als komplexer Orientierungsfigur und normativem Maßstab mit seinen Elementen: Verfassung, Demokratie und Bürger- oder Zivilgesellschaft. Sie ist keine politische Utopie, sondern immanenter Teil der Realität in Demokratien, aber nicht die ganze Realität. Demokratien können kippen, und die sogenannte Mitte kann unheimlich werden. Sie ist jedenfalls in Bewegung.
Die Verfassung gilt dabei als oberstes Gesetz gerade in der amerikanischen Demokratie, die nach dem Zweiten Weltkrieg als Mission und Reducation Freiheit und Demokratie in die Welt gebracht hat. Die USA verstand sich als eine besondere Nation. Die Zivilreligion der Gewinner hat den Faschismus und Kommunismus besiegt, so Trump in seiner Antrittsrede am 20. Januar.
Heute will Trump Grönland einfach kaufen und noch nie hat er die Verfassung explizit als oberstes Gesetz in den USA anerkannt. Er testet vielmehr die Grenzen der exekutiven Macht des Präsidenten aus. Sogar von einer möglichen dritten Amtszeit, die durch das 22. Amendement unmissverständlich ausgeschlossen wird, spricht er.
Das ist keine Interpretationsfrage wie so viele andere, die einen relevanten Rechtsstreit hervorrufen, der immer auch ein Machtkampf ist, der die Realität ein Stück weit verschiebt. Schon der Jurist und Aristokrat Alexis de Tocqueville sprach im 19. Jahrhundert von den Juristen als „Aristokraten der Demokratie“.
Am 2. April, dem „Tag der Befreiung“, eröffnet Trump einen internationalen Handelskrieg mit seinen reziproken Zöllen. Da ist er unbelehrbarer Überzeugungstäter seit dem Japan-Schock 1978 (Autos und Elektronik), während er auf anderen Politikfelder sprunghaft und unberechenbar bleibt. Was er im Wahlkampf versprochen hat, setzt er schnell um, was seine Anhänger der MAGA-Bewegung begeistert.
Für sie ist er vertrauenswürdig, weil berechenbar, was die anderen Politiker/Eliten in ihren Augen gerade nicht sind. Das Establishment ist vielmehr abgehoben und korrupt. Auch hier übernimmt die Rechte eine Kritik der Linken. Der bewusste Disruptor von heute ist das Gegenbild mit dem Stinkefinger, der sich öffentlich ‚unmöglich‘ macht.
Am Tag der Befreiung spricht er für die Arbeiter, Handwerker und Farmer (so wie früher die Linken). Die Industrie will er wieder zurückholen. Der offene Hass richtet sich gegen Freund und Feind, welche die USA „ausgebeutet und ausgeplündert“ haben. Die Drastik der Sprache ist nicht mehr zu überbieten. Es soll der Beginn des goldenen Zeitalters werden und eine Wette auf die Zukunft gegen die große Mehrheit der Experten.
Zur gleichen Zeit findet in Brüssel die Nato-Tagung der Außenminister statt. Außenminister Rubio bekräftigt das amerikanische Bekenntnis zur Nato. Sie ist die USA und soll stärker und nicht schwächer werden, gleichzeitig hält man am 5-%-Ziel für die reichen Länder fest, das nicht einmal die USA erfüllt. Seit 11 Jahren wird das 2-%-Ziel gefordert. Noch immer hängen Länder hinterher. Die Drohungen von Trump haben gewirkt und wirken noch immer bis zur Schmerzgrenze.
Vor kurzem wiederholte Verteidigungsminister Hegseth das Versprechen, Taiwan militärisch zu verteidigen, das von China bedroht wird. Das ist die härteste Münze der Sprache der Macht, bei der es buchstäblich um Weltmacht und Weltkrieg geht, was die europäischen Dimensionen sprengt. Im Juni will man bei der Nato-Tagung verbindlich über die neue Lastenteilung in Verteidigungsfragen sprechen.
Krieg und kein Ende
Außen- und sicherheitspolitisch ist Trump als Commander in Chief aufgrund der amerikanischen militärischen Macht, die sie waffentechnologisch (F-40!) zur ‚Superpower‘ macht, fähig, anderen die „Hölle zu bereiten“, den Huthis, der Hamas, dem Iran. Laut neuen Pentagon-Papieren gilt China als militärischer Hauptgegner. Europa indessen fühlt sich vor allem von Russland bedroht.
Wie im Wahlkampf versprochen, hat Trump auch den Anfang eines Verhandlungsprozesses mit Putins Russland über einen Frieden in der Ukraine angestoßen, der zurzeit – anfangs April – stockt. Er droht, ins Leere zu laufen. Welche Druckmittel kann Trump hier einsetzen? Indirekte Zölle auf Erdölexporte? Verstärkte militärische Unterstützung der Ukraine?
Es gibt mehrere Optionen. Für Putin jedoch ist es interessanter, auf der Augenhöhe mit der Weltmacht USA zu sein und gemeinsam Weltpolitik zu betreiben, zum Beispiel gegenüber der Arktis und dem Iran. Trump „braucht Grönland für die internationale Sicherheit“, das hatte er schon im Wahlkampf gesagt.
Es ist ihm tatsächlich immer noch ernst, sein Vizepräsident Vance wiederholte es kürzlich bei einem Besuch der Insel. Die dänische Ministerpräsidentin widerspricht ihm vehement: Grönland gehört den Grönländern. Außenminister Rubio: Grönland gehört nicht Dänemark.
Ausgestellte nackte Macht
Das alles ist vor der Welt brutal ausgestellte nackte Macht, fürwahr. Mit drastischen Worten wird gedroht, und die Drohungen können jederzeit kampffähig umgesetzt werden. Trump redet zwar viel und gerne übertrieben in Superlativen, nicht auf alles muss man sogleich reagieren.
Aber Trump ist der Größte und zeigt es ungeniert, so wie ehemals Muhammed Ali, nur in einem viel größeren Boxring: Auch die Märkte werden boomen und das Land wird boomen, so der erfolgreiche Geschäftsmann als Politiker, der deswegen noch kein guter Ökonom sein muss.
Da könnte er sich täuschen, denn wer wird die Zeche zahlen? Reagiert Europa mit einer Digitalsteuer, welche die amerikanischen Tech-Konzerne und ihre Oligarchen hart treffen würde? Hier gibt es eine umgekehrte Bilanz zu derjenigen, die Trump vor aller Welt aufmacht. Vor allem wird es gemäß seiner eigenen Philosophie auf die Wirtschaftsentwicklung im eigenen Land ankommen: die Preise, Arbeitsplätze, Rezession u.a..
Auf diese Macht sind nur kräftige Antworten wirksam. China schlägt im Zollkrieg mit gleicher Härte zurück: 34 % auf alle US-Importe, Deutschland verhandelt. Die Amerikaner werden in der Sicherheitspolitik weiterhin weltweit gebraucht.
Im Duell zwischen China und den USA sind die Europäer lediglich Zuschauer, sie haben zwar Wirtschaftsmacht, aber keine buchstäblich beeindruckende politische und militärische Macht (FAZ, 5.3., S.17), die Druck erzeugen könnte.
Auch dem mächtigen amerikanischen Präsidenten sind indes Grenzen gesetzt: durch die Verfassung, die Gewalten- und Machtteilung, die Justiz, die Richter und Gouverneure, durch Protest und den Widerstand der Bürger (Hands Off) und nicht zuletzt – durch die Märkte. Hier ist Trump zu Deals bereit, die Drohungen sollen besseren Deals dienen. Daran kann er aber auch scheitern.
Wie in der globalen Handelspolitik so in der globalen Sicherheitspolitik: Trump hält die Welt in Atem. Wir beschäftigen uns nur noch mit ihm, soviel Macht hat er zur Zeit über unsere Zeit: medial, wirtschaftlich, politisch und militärisch.
Die Weltgeschichte beginnt neu. Die Gründerväter hätten keine Freude an diesem Liberation Day gehabt. Es ist nicht nur eine ökonomische, sondern auch eine demokratische Krise.
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