Die Sprache der Macht ll

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Gerade in der Politik, wo ständig von Machtkämpfen im Kleinen wie im Großen die Rede ist, muss man unterscheiden können.

Sonst schlagen wir nur noch aufeinander ein – mit Worten, moralischer Überheblichkeit und Schlimmerem. Die Begriffsverwirrung ist ohnehin schon groß und kaum noch zu heilen, ebenso der weltweite brutale mediale Kampf um die Deutungshoheit.

Man wird sich alles sagen lassen müssen und muss trotzdem widersprechen (die Macht der Sprache). Diese Situation scheint bezüglich der Meinungsfreiheit und Wahrheit grundsätzlich nicht mehr überwindbar.

Klarheit allerdings zumindest über die Unterschiede und Zusammenhänge zwischen Macht, Herrschaft, Gewalt und Recht ist Voraussetzung für ein differenziertes politisches Denken. Hannah Arendt hat sie konzis in ihrem ‚Montesquieu-Kristall‘ festgehalten:

Die ursprüngliche Rechtfertigung der Gewalt bei der Entstehung des staatlichen Gewaltmonopols ist Macht: „Recht als Institution der Macht“ (Denktagebuch, 2. Band, 2002, S.676).

Recht als Institution der Macht

„Alle legale und legitime Herrschaft braucht Zwang, um produktive Macht existent zu halten.“ „Gewalt kann Macht zerstören, schafft jedoch keinen Ersatz für sie.“ (Arendt a.a. O.). Macht kann durch Recht geschwächt, aber letztlich nur durch Macht eingegrenzt werden, was sich auf Montesquieus berühmtesten Satz bezieht: 

„Damit die Macht nicht missbraucht werden kann, ist es nötig, durch die Anordnung der Dinge zu bewirken, dass die Macht die Macht bremst.“ (Montesquieu, Vom Geist der Gesetze 1748, Stuttgart 1994, S.215).

Daraus folgt der zentrale Verfassungsgedanke:
„Ein Staat kann so aufgebaut werden, dass niemand gezwungen ist, etwas zu tun, wozu er nach dem Gesetz nicht verpflichtet ist, und niemand gezwungen ist, etwas zu unterlassen, was das Gesetz gestattet.“ Arendt führt dazu weiter aus: „Macht hält Macht in Schranken, aber vermindert sie nicht. Recht vermindert Macht, aber zerstört sie nicht.“ (S.676)

Montesquieu ist kein Machavellist, der keinem Verfassungsbegriff des Politischen huldigt, im Gegenteil. Bei allem Machtrealismus in der Politik, der bitter nötig ist, müssen wir deswegen nicht zynische Macht- und Realpolitiker werden. Das können wir von Montesquieu lernen, so schwierig es heute ist.

Bei Montesquieu hängen Macht und Sicherheit aufs Engste mit der mehrdeutigen Freiheit zusammen. Denn dieses kostbarste Gut gibt es nur, „wenn gemäßigt regiert wird“. Dem steht die „ewige Erfahrung“ entgegen, „dass jeder Mensch, der Macht hat, dazu getrieben wird, sie zu missbrauchen. Er geht immer weiter, bis er an Grenzen stößt.“

Worauf der beachtliche Satz folgt: „Sogar die Tugend hat Grenzen nötig.“ Den Tugendterror der revolutionären Jakobiner hätte der Aristokrat Montesquieu nicht überlebt. Dass man auch mit den besten Tugenden und Vorsätzen nicht übertreiben sollte, diese Einsicht stammt aus der aristotelischen Ethik des Maßes und der Mitte.

Sie ist heute wieder aktuell und gilt auch für die Jakobiner unter den Demokraten, welche die freiheitliche Demokratie verteidigen, indem sie sie zerstören, denn die Freiheit stirbt stückchenweise. Sogar die Besetzung der sogenannten Mitte kann diesen Effekt haben. Schöne Worte allein genügen in dieser parteipolitischen (Macht-)Auseinandersetzung nicht.

Inzwischen haben wir historisch zur Genüge die Begründungen von Totalitarismus, Terrorismus und Extremismus aus einer vermeintlich höheren Moral oder Ideologie, einschließlich politischer Religion, heraus kennengelernt. Über Montesquieu hinaus, bei dem die verfassungsmäßige Gewalten-(besser Befugnisse) und liberale Machtteilung der Sicherung der Freiheit dient, können und müssen wir aus leidvoller historischer Erfahrung lernen. Sie ist sehr gegenwärtig und muss vor allem wahrgenommen werden:

Beim Geist der Machtteilung geht es ebenso um „die vertikale Machtteilung im Bundesstaat, die zeitliche in der personellen Rotation, die soziale zwischen den gesellschaftlichen Kräften, die kollegiale in nichthierarchischen Organen, die mehrstufige des Instanzenzuges in Rechtsprechung und Verwaltung, die wirtschaftliche und mediale in der Marktkonkurrenz, die internationale im Mächtegleichgewicht“ (Riklin, NZZ, 30.4. 1999, S.101).

Mit Montesquieu betreiben wir Aufklärung als Verfassungsphilosophie. Siehe auch „Leitsätze der Verfassung statt Leitkultur: Demokratiearbeit in Brandenburg“ (in: Kleger, Gedankensplitter ll, 2021, S.182ff). Siehe auch als Weiterführung auf verschiedenen Ebenen, die einen langen Atem erfordert: Beharrliche Demokratiearbeit, Blog vom 28. August 2024.

Aufklärung als Verfassungsphilosophie

In manchen Punkten sind wir aktuell hinter die Gedankentiefe und Unterscheidungskraft von Aristoteles und Montesquieu in der dominierenden Mediengesellschaft zurückgefallen. Das betrifft insbesondere die Tradition politischer Theorie als Staatsformenlehre, in die sich zurecht auch Hannah Arendt stellt, mit ihrem Klassiker über die Spezifika totalitärer Herrschaftsformen des 20. Jahrhunderts (amerikanisch 1951, deutsch 1955).

In einem wichtigen Punkt müssen wir jedoch über sie hinausgehen: bei der Demokratie bzw. der Demokratiearbeit. Wobei Montesquieu auch diesbezüglich deutlich ausgesprochen hat, was viele Politologen heute lediglich wiederholen: dass das Volk die gesetzgebende Gewalt nicht haben kann und sich allein durch die Repräsentanten, die Vertreter des Volkes, heute Parteivertreter mit ihren Koalitionen, regieren lassen muss:

„Der große Vorteil der Repräsentanten besteht darin, dass sie fähig sind, die Angelegenheiten zu verhandeln. Das Volk ist dazu keinesfalls geschickt. Das macht einen der großen Nachteile der Demokratie aus“ (a.a. O., S.215).

Das klingt nach moderner ‚Verhandlungsdemokratie‘ (oder Funktionärsdemokratie), von der es zahlreiche Varianten gibt. Das Volk soll nur insoweit regieren, als es Abgeordnete (Vertreter, Funktionäre von Organisationen) wählt, wozu es sehr wohl geschickt ist. Über diesen Absolutismus der Repräsentation geht Montesquieu nicht hinaus. 

Aktuell gesprochen: über die Repräsentationslücken und Defizite der Wähler-, Parteien- und Verbändedemokratie geht Montesquieu nicht hinaus, während der soziale Kreis der Bürgerschaft (demos) sehr eingeschränkt bleibt. 

Bei Aristoteles beruht die privilegierte freie Zeit für die Politik in der Polis auf der Sklavenarbeit der Vielen. Heute geht es um Zeitautonomie, Beteiligung und Qualifikation der Bürger und Bürgerinnnen, nicht nur um die Politik als Beruf, sondern auch Bürger als Beruf, zumindest als Nebenberuf.

Oder müssen wir Bürgerinnen und Bürger uns darauf beschränken, dass die normative repräsentative Demokratie, soziologisch gesprochen: die faktische Oligarchie und Plutokratie, die wahre, alleinige und beste Form der Demokratie ist?

Die Magie der direkten Demokratie

Rousseau kritisiert im ‚Contrat social‘ (1762, 15. Kapitel) den englischen Parlamentarismus, den seine Gegenspieler Locke und Montesquieu (im berühmten 6. Kapitel des 11. Buches) positiv beurteilen. Das Repräsentationsprinzip sieht er historisch korrekt im direkten Gegensatz zur antiken Polisdemokratie, dem ursprünglich griechischen Begriff der Demokratie. ‚Vertreter‘ oder ‚Repräsentanten‘ kannte diese sozial sehr selektive Bürger-Demokratie tatsächlich nicht

Sie bildete infolgedessen auch keine repräsentative Regierung, wie sie für den frühen Liberalismus (Mill, Constant) typisch war. Im Unterschied zur antiken Tradition der Mischverfassung sowie zu Montesquieus Gewaltenteilungslehre hält Rousseau – wie zuvor schon Bodin und Hobbes – an der Idee der unteilbaren Souveränität fest. Er überträgt sie vom Fürsten und der absoluten Monarchie auf das Volk.

In der Schweiz der direkten Demokratie, die kein Parteienstaat ist, spricht man deshalb ‚rousseauistisch‘ vom Volk als Souverän. Der Souverän hat gesprochen, heißt es jeweils nach den Abstimmungen, was die Regierung umzusetzen hat. 

Schon Rousseau differenziert indessen realistischerweise zwischen dem Volk als Souverän in letzter Instanz und den pragmatischen Maximen des Regierens, bei denen nicht immer das Volk regiert, auch nicht mit der Magie der direkten Demokratie (siehe dazu das 2. und 3. Buch des Contrat).

„Ein Volk, das stets gut regierte, braucht gar nicht regiert zu werden (Gesellschaftsvertrag, Stuttgart 1977, S.72). Umso dringlicher und schwieriger sind heute Überlegungen zum demokratischen Regieren und einer kohärenten (Mehrebenen-) Demokratiepolitik. 

Sie müssen Montesquieus Philosophie der mehrdeutigen Freiheit, der Verfassung als oberstes Gesetz und die Maxime des gemäßigten Regierens aufnehmen. Er ist ein Philosoph der liberalen Fortschrittsskepsis, stärker als Condorcet und Kant, mit einer realistischen Anthropologie, die mit den Schwächen der Menschen rechnet.

Und darüber hinaus sind die Erfahrungen seit der amerikanischen und Französischen Revolution und insbesondere des Totalitarismus der ‚Volksdemokratien‘ – weit über Montesquieus ‚despotische Herrschaft‘ hinaus – zu reflektieren. Die verschiedenen Typen von (Militär-) Diktaturen und Autokratien heute bilden zudem eine Wissenschaft für sich. Wichtiger und wirksamer als Bekenntnisse sind Kenntnisse und die Erforschung des Gegners.

Auch Trumps Kapitulation angesichts der steigenden Zinsen für amerikanische Staatsanleihen, wie erwartet, zeigt, dass heute die Märkte das wirksamste Disziplinierungsmittel gegen die „grands coups d’autorité“ sind – auch das hat Montesquieu schon erkannt!

Neu ist hingegen das drängende Problem der intertemporalen Freiheit (die Rechte künftiger Generationen) angesichts der ökologischen Krise und der immensen Staatsverschuldung.

Krisentheorien

Heute ist inflationär ständig von vielen Krisen die Rede, von einer Mehrfachkrise, zusätzlich noch und immer stärker im Banne von Kriegen, was die Mentalitäten affiziert. Im 20. Jahrhundert gibt es einen Zusammenhang von Krise und sozialem Wandel sowie (marxistisch) von Krise und Kritik. 

Von Krisen kann man lernen, verschiedene Krisenausgänge und ihre Kämpfe um Deutungshoheit lassen sich studieren (siehe Imhof/Kleger/Romano Hg., Krise und sozialer Wandel, 3 Bde., Zürich 1993, 1996, 1999; Kontinuität und Krise: sozialer Wandel als Lernprozess, Zürich 1994).

Die gegenwärtige Krise im Zusammenhang mit Trumps Zollpolitik ist eine typische „Siegenthaler-Krise“ (siehe Regelvertrauen, Prosperität und Krisen, Tübingen 1993). Das heißt: die Investoren können aufgrund der herrschenden Unsicherheit keine Investitionsentscheidungen treffen. 

Und alles wird in diesem Falle (von Trumps Zollpolitik) geradezu eine globale Krise auslösen, die so lange dauert, bis die Investoren das Gefühl haben zu wissen, in welche Richtung sich die Wirtschaft bewegen wird.

Mit der Theorie des Zürcher Wirtschaftshistorikers Hans Jörg Siegenthaler (zahlreiche Fallstudien hat er angeregt) lassen sich gewisse Formen von Wirtschaftskrisen gut erklären, aber nicht unsere Situation, befürchte ich. 

Falls der Plan von Trump aufgeht, wird die momentane Großkrise so lange dauern, bis die Investoren wissen, wie sie sich in der neuen Zoll-Welt zurechtfinden können. Dabei werden die Karten ganz neu gemischt.

Vermutlich werden sich Wirtschaftsblöcke formieren, die es vorher nicht gab, und vielleicht können sich auch neue Freihandelszonen bilden, etwa zwischen den USA und Europa, wie es schon seit längerem (TTIP seit 2013) von verschiedener Seite gewünscht und verhandelt wird.

Es kann aber auch sein, dass Trump, der eine Re-Industrialisierungspolitik für sein Land will (wie damals schon 1978 gegen die Autos aus Japan), bald scheitert – er geht eine große riskante Wette ein – und seine Zoll-Welt wieder abgeräumt wird. Ob dies eine Rückkehr zum Status quo ante bedeutet, ist ungewiss.

Die Vorstellung von Siegenthalers Krisentheorie nun, dass die herrschende Unsicherheit so groß wird, dass die Akteure aufgrund des eingetretenen Orientierungsverlustes gezwungen sind, sich argumentativ unter- und miteinander zu verständigen (siehe dazu Morandi, Krise und Verständigung, Zürich 1995), um wieder zu klaren Vorstellungen bezüglich Regel- und Zukunftsvertrauen zu kommen, ist nicht ganz falsch, aber doch zu idealistisch.

Solche Formen der Verständigung, um aus Krisen herauszukommen und totalitäre Lösungen zu verhindern, gibt es (Richtlinienbewegung, Konkordanz, New Deal, Arbeitsfrieden, demokratischer Klassenkampf). Sie haben historisch-politisch eine Rolle gespielt.

Sie blieben aber punktuell und in ihrer Reichweite begrenzt. Interessendefinitionen sind kontingent und können sich durch Verständigung verändern. Siegenthaler rezipiert an dieser Stelle die Theorie des kommunikativen Handelns (1981) von Jürgen Habermas.

Aber Siegenthalers Theorie geht vom homo oeconomcus aus, der ein Konstrukt der Ökonomen ist. Dieser ist ein strikter Utilitarist und letztlich radikal rational. Habermas ist mit seiner Sprechakttheorie (Austin, Searle), der für Siegenthaler eine Brücke bildet, in anthropologisch noch dünnerer Luft als die Ökonomen mit ihren Modellen. Denn was heisst „kommunikative Macht“, die in der Verständigung steckt?

Die großen Kooperationsleistungen des homo sapiens sind lediglich die Vorderseite der ebenso großen Konfliktbereitschaft. Beides gehört zusammen. Heute im Banne von Krisen und Kriegen wird dies wieder deutlicher und intensiv erfahrbar. Zu dieser ungeselligen Geselligkeit gehört die Fähigkeit, Allianzen gegen Feinde zu bilden.

Im 19. Jahrhundert, als die modernen Wirtschaftswissenschaften entstanden, hat man ganz auf die utilitaristische Rationalität gesetzt in der Erwartung/Hoffnung, dass damit kostspielige Konflikte wie Kriege verhindert werden können durch rationale Nutzenkalküle, denn Kriege sind teuer!

Hinter Trumps Zollpolitik, die er als Überzeugungstäter verfolgt, verbirgt sich die romantische Idee der Wiedergeburt Amerikas der 50er Jahre als Werkstatt der Welt für die heimische Arbeiterklasse. Nationalismus als Ideologie in verschiedenen Varianten begleitet den Nationalstaat seit seinem Entstehen. Die USA sind ein starker und besonderer Nationalstaat.

Politisches Selbstbehauptungshandeln wird immer über utilitaristische Kalkulationen hinausgehen. Siegenthalers Re-Definitionen von Interessen gibt es zwar, gerade im wirtschaftlichen Alltag, deren Reichweite indessen ist begrenzt.

So funktionieren nur idealtypische ökonomische Akteure, die konsequent utilitaristisch handeln und innerhalb der Grenzen dieser Kalküle ihre Interessendefinitionen ändern, wenn sie in Gesprächen davon überzeugt werden können, dass dies zu ihrem Vorteil geschieht. 

Statt Illusionen zu pflegen, sollten wir uns gerade in der politischen Theorie um einen analytischen Realismus bemühen, der prinzipiell empirische Kenntnisse aus allen wissenschaftlichen Disziplinen berücksichtigt.

Illusionen von Ordnung?

Die  „regelbasierte Weltordnung“ ist ebenso eine Illusion. Gerade in Europa ist man einer „Täuschung über die Natur der Außenpolitik aufgesessen“, so der Historiker Hans-Christof Kraus (in NZZ, 5.3., S. 16). Muss man deshalb von einer neuen machtbasierten Ordnung sprechen?

Die Weltordnung nach dem 2. Weltkrieg war eine politische Abmachung der fünf ‚Weltpolizisten‘, die heute den UN-Sicherheitsrat bilden mit Vetomacht. Sie waren die Wächter der neuen Ordnung, denn völkerrechtliche Normen und Regeln sind nur so lange gültig, wie sie die „politisch-militärisch starken Mächte“ anerkennen und durchsetzen.

Grenzverletzungen zwischen dem östlichen und westlichen Machtbereich konnten zu einem Weltkrieg führen, weshalb beiderseits nicht angegriffen wurde (1953, 1956, 1968, Kubakrise, Korea, Vietnam).

Seit den 90er Jahren, dem Ende der Sowjetunion 1991, gelten diese starren Grenzen nicht mehr. Die drei verbliebenen Supermächte USA, Russland und China ringen um Einflusszonen. „Statt einer auf festen Regeln basierenden Weltordnung gilt das fluide System der Macht des Stärkeren“, so die These (a.a.O.).

Die Europäer fürchten deswegen, dass die verlässliche transatlantische Allianz beschädigt ist. Außenminister Rubio spricht von „Hysterie“ (am 3.4. In Brüssel). Daraus folgt für Kraus und viele Politiker der großen Worte: Europa muss nun „möglichst schnell einen militärisch hochgerüsteten Machtkern bilden, der auf jeden potenziellen Angreifer abschreckend wirkt“ (a.a.O.).

Darauf antwortet der Jurist und Völkerrechtler Thomas Cottier mit der These: „Die regelbasierte Ordnung wird unterschätzt (in: NZZ, 26.3., S.15). Er reagiert damit auf die „Apologeten der Macht“, für die nur die Macht zählt. Für Trump, unser Hauptbeispiel, geht es nicht nur um die Verachtung der internationalen Ordnung und das Völkerrecht (Grönland, Panama-Kanal, Gaza), sondern um das Recht und den Stellenwert der Verfassungsordnung schlechthin.

Der Völkerrechtler sieht Trumps Neubeginn als Niedergang der Macht der USA. Schon lange spricht man vom überdehnten Imperium.

Die heutige Zollpolitik sei ein Verstoß gegen die „regelbasierte Welthandelsordnung“ (a.a.O.). „Es sind die Methoden der Mafia: Druck und Erpressung. „Trumps Reichweite ist noch weit größer: Er erpresst die Welt! Der deutsche Ökonom Hüther spricht gar von einer“ Atombombe auf die Welthandelsordnung“ – die Sprache der Macht und die Macht der Sprache bilden einen beeindruckenden Zusammenhang.

Zumindest im Duell mit China, das „bis zum Ende“ kämpfen will, kann der Handelskrieg die militärische Eskalationsstufe erreichen. Eine blockierte Taiwanstraße möchten wir uns nicht vorstellen. China lässt sich das ‚Recht auf Entwicklung‘, das gilt auch für die fortlaufende (Atom-) Rüstung, jedoch von niemandem, auch von den USA nicht vorschreiben. 

Russland und China bilden eine starke strategische Achse. Die Waffenstillstandsverhandlungen für die Ukraine zwischen Trump und Putin stagnieren dagegen. Trump nimmt Russland wegen dieser Verhandlungen von den Strafzöllen aus, währenddessen Russland verheerende Angriffe gegen die Ukraine führt, die Trump „verrückt und schrecklich“ findet. Wie wird er reagieren?

Das Wort Legitimität kommt in Trumps Wortschatz nicht mehr vor.
Die Vorstellung der (Macht-)Realisten, „dass die Welt unter den Großmächten aufgeteilt werde, … unterschätzt die Kraft legitimen Verhaltens“ (a.a.O.). Nicht nur Europa, auch Asien, arabische Länder, Afrika und die beiden Amerikas „haben ein starkes Interesse an einer regelbasierten, vorhersehbaren Ordnung“ (a.a.O.).

Cottiers grundlegende These lautet somit: „Die globale Ordnung ist nicht binär, sondern setzt sich aus unterschiedlichen Interessen und Koalitionen zusammen. Die regelbasierte Ordnung repräsentiert damit „eine multipolare Welt, in der kein einzelner Hegemon das Sagen hat“ (a.a.O.). „Wer glaubt, die Abkehr Trumps bedeute das Ende der regelbasierten Ordnung, überschätzt den globalen Einfluss der USA“ (a.a.O.).

Schluss

Auch der Jurist muss hoffen, „dass die Mehrheit der amerikanischen Demokratie bald aus Schaden klug wird und den Weg zur Vernunft und zur multilateralen Ordnung findet“ (Cottier). Bei allen normativen Theorien und Ordnungsvorstellungen, Politik kann freilich in alle Richtungen gehen, denn Macht ist das Entscheidende, und wir sind ihre Komplizen.

Bildnachweis: Kleger / Canva / Agentur Medienlabor