Die Sprache der Macht III

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Sie schlägt uns geradezu entgegen, und wir wachen nicht auf, befangen in unseren normativen Vorurteilen, die mehr betreutes Denken, soziologischen und politischen Kitsch als realistische Analyse befördern, geprägt auch durch einen ‚linksgrünen‘ Zeitgeist, für den Macht böse und ihre Grundlagen (im buchstäblichen Sinne) progressiv überwindbar, zumindest aber verbesserungsfähig sein mussten.

Dabei geraten Rechtsrealitäten und politische Wirklichkeiten allzu häufig aus dem Blick. Wir bestreiten nicht, dass es moralische Fortschritte, deliberative Prozesse und Beratungskulturen (beispielsweise in Gerichten) gibt und dass sie verbessert werden können. Wir sind überzeugte Melioristen (Sisyphusarbeit).

Es geht also keineswegs um eine Schule des Machtzynismus, der heute ohnehin ubiquitär geworden ist, und hier nicht weiter bestärkt werden soll, sondern es geht lediglich darum, Macht nicht normativ zu verhüllen durch die ebenso allgegenwärtigen blinden Flecken eines naiven Normativismus.

Eine realistische Theorie der Macht, die an dieser Stelle nur angedeutet werden kann, dient verschiedenen Zwecken. Zum Schluss werden wir darauf zurückkommen.

Anthropologisches Apriori

Macht ist kein soziales ‚Problem‘, sondern ein anthropologisches Apriori. Wir müssen tiefer bohren, denn der Mensch ist ein ‚zoon politikon‘. Das heißt: er ist auf soziale Koordinaten und Dominanzstrukturen angewiesen, um überhaupt überlebensfähig zu sein. Er kommuniziert nicht nur und teilt Normen, das auch. Aber ohne die Fähigkeit, Macht auszuüben und sich ihr zu unterwerfen, gibt es keine Kooperation und ohne Kooperation keinen Fortbestand. Das ist evolutionär grundlegend.

Das hat zur Konsequenz, dass eine Theorie der Macht nicht erst mit Hobbes‘ Staatsphilosophie oder mit Foucaults Diskursanalyse beginnt, sondern beim Homo sapiens als biologisch-soziales Wesen. Siehe auch den Blog ‚Die Sprache der Macht‚ vom 8. April 2025.

Evolution sozialer Macht

In der Evolution sozialer Macht bedeutet ’soziale Macht‘ die grundlegende Fähigkeit, Einfluss auf Gruppenverhalten zu nehmen, Konflikte zu regeln sowie Ressourcen aufzubauen und zu kontrollieren, was sich als zentraler Selektionsvorteil erwiesen hat. Normen, moralisch-soziale Regeln und sogar Sprache selbst haben sich vermutlich nicht gegen Macht, sondern mit Macht durchgesetzt: als Instrumente zur Machterhaltung und deren Distribution.

Das bedeutet: Normativität ist kein Gegensatz zur Macht, sondern deren sublimierte Form.

Recht als Institution der Macht

Recht ist kodifizierte, institutionalisierte und sanktionierte Normativität. Siehe auch den Blog über Montesquieus „Geist der Gesetze“ vom 13. April 2025.
Es bedarf immer einer Instanz, die in der Lage ist, die Durchsetzung des Rechts zu gewährleisten. Diese Instanz ist neuzeitlich der Staat, kann aber auch eine Gemeinschaft sein oder ein globales Hegemonialsystem. Ohne diese Aussicht auf Erzwingung bleibt Recht ein Appell oder ein Bekenntnis.

Auch die moderne Demokratie ist primär ein politischer Kampf ums Recht, der strukturell über den Staat läuft. Völkerrecht ohne Durchsetzungsgewalt wiederum ist kein Recht, sondern symbolischer Konsens.

Normative Diskurse als Funktion der Macht

Moral unterscheidet sich durch die fehlende Erzwingbarkeit, die durch Macht gedeckt ist, vom Recht. Gerade die liberale Aufklärungsmoral bedarf der Zustimmung der Einzelnen. Darin besteht ihre Würde, die unbedingt zu achten ist. Sie ist Fundus der Menschenrechte. Auch die ethische Sprache der Moralität (im Unterschied zur Legalität) ersetzt indes keine soziale Trägerschicht.

Argumente (etwa der Verallgemeinerung) gelten nicht qua Beweiskraft (inhärente argumentative Qualität), sondern qua sozialer Anerkennung. Recht, Moral und Ethik sind nicht jenseits der Macht, sondern im besten Fall Techniken des Machtausgleichs und des Friedens. Legitimität bedeutet nicht Abwesenheit von Macht, sondern ihre anerkannte und symbolische Form. Gewalt ist hier das genaue Gegenteil von Macht (Arendt).

Argumente sind selber eine Funktion der Macht – etwa im Sinne der Definitionsmacht von Diskursregeln, Sprecherpositionen und des Zugangs zur Öffentlichkeit. Bessere Argumente setzen sich durch, wenn sie eine ausreichende Allianz von sozialer und symbolischer Macht hinter sich versammeln können (Zustimmungsbereitschaft).

Und nicht automatisch aufgrund ihrer inhärenten Qualität. Wie in einem wissenschaftlichen Seminar, dem Prototyp eines ‚herrschaftsfreien Diskurses‘, mit Termini (definierten Begriffen) und elementarer Logik, transsubjektiv, enthoben von Zeit- und Handlungsdruck.

Der „zwanglose Zwang des besseren Arguments“ ist ein Mythos, der unter Bedingungen sozialer Homogenität und disziplinierter Machtinstitutionen funktioniert: „Weltmacht Habermas“ titelte die liberale ‚Zeit‘ überschwänglich zum 80. Geburtstag des Philosophen der postnationalen Bundesrepublik. Das heißt nicht, dass Dialoge und ‚herrschaftsfreie Diskurse‘ keinerlei Bedeutung hätten, aber sie sind lediglich spezifische Elemente bzw. Inseln im Meer der Praxis.

Auch und gerade die demokratische Auseinandersetzung, liberal geführt, ist indessen weder ein platonischer Dialog noch ein Habermasscher Diskurs. Auch Habermas hat Demokratietheorie nicht mit Diskurstheorie verwechselt. Ständig von ‚demokratischen Diskursen‘ zu sprechen, ist im Deutschen inflationär und missverständlich geworden.

Sophistische Antithetik

Unter Bedingungen einer unermesslich erweiterten exoterischen, enthemmten, fragmentierten und vermachteten Öffentlichkeit muss man heute in einer liberalen Demokratie, die nicht mit Verboten arbeitet, politisch bestehen können. Was ist aus dem „Auge der Öffentlichkeit“ (Marat) geworden?

Man kann sich die ersten Aufklärer, die gegen die Sklaverei waren, die Sophisten, zum
Vorbild nehmen.

Sie vertraten insofern eine hartnäckige demokratische Philosophie, als für sie auch die Wahrheit der Philosophen, Großgelehrten und Experten anfechtbar war. Ihre philosophisch-politische Naivität bestand darin, dass sie lediglich auf das argumentative Rededuell setzten, was wir heute inhaltlichen Meinungskampf nennen, der insgesamt kein ‚demokratischer Diskurs‘ ist.

Den verstanden die Sophisten sportlich gemäß dem zutiefst agonalen Grundzug der griechischen Kultur, in der nicht zufällig die Demokratie erfunden worden ist . Ein produktiver Vergleich zwischen der antiken Polisdemokratie und der modernen Parteien – und Funktionärsdemokratie lohnt sich. Gerade, wenn man an Bürgerbeteiligung wirklich interessiert ist!

Natürlich bleiben zwei Probleme, die zu beachten sind: der Unterschied zwischen Überzeugen und Überreden ist fließend, was wir aus der alltäglichen Begegnung mit Menschen kennen und praktisch-situativ auflösen müssen.

Mediale Macht und letzte Worte

Und zweitens, der schwerwiegendere Umstand: das Überreden in der omnipräsenten aufdringlichen Mediengesellschaft von heute ist nahe bei der Überwältigung, was kritisch zu sehen ist. Öffentlichkeitsforschung und Medienkritik sowie Medienkompetenz gehören deshalb zur heutigen Aufklärung hinzu.

Öffentliches Überzeugen, das anstrengend ist und scheitern kann, bleibt gleichwohl der innerste Kern der Demokratie, was eine Sisyphusarbeit ist.

Dabei sind emotional heftige Debatten unumgänglich, und die Politik ist nicht nur agonal, sondern auch polemogen. Bei aller Unterstützung der Wissenschaft und ihrer Heerscharen von Experten heute, die sich oft bis zur moralischen Erbitterung uneins sind (Verfeindung gibt es auch hier), regiert in einer Demokratie nicht die Wissenschaft.

Selbst in einer Pandemie nicht. In der Schweiz gab es während der tiefgehenden Corona-Krise drei Volksabstimmungen über die Regierungsmaßnahmen, sodass der Vorwurf der „Corona-Diktatur“ (Gauland) gar nicht aufkommen konnte.

Der Begriff der Bürgersouveränität verinnerlicht die Volkssouveränität in der halbdirekten Demokratie der Schweiz, die anders verstanden wird als in Deutschlands verabsolutierter repräsentativer Demokratie, die mit der Zeit eine nur schwer reformierbare Parteiendemokratie der Großen Koalitionen geworden ist, was auch Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit hat.

Eine realistische Theorie der Macht – klug angewandt

Eine Theorie der Macht, die sowohl Recht als auch normative Diskurse umfasst, muss sich mindestens auf folgende Ebenen beziehen und diese integrieren:

  • biologische Ebene: Kampf um Ressourcen, Revierverhalten, Dominanzstrukturen
  • sychologische Ebene: Statusbedürfnis, Angst vor Kontrollverlust, Bedürfnis nach Anerkennung
  • soziologische Ebene: Institutionen, Rollen, symbolische Ordnung, soziale Differenzierung
  • diskursive Ebene: Sprachregime, Narrativmacht, Deutungshoheit, Definitionsmacht
  • politische Ebene: Sanktionsapparate, Gewaltmonopol, Legitimationsnarrative

Für die politische Aufklärung ist zunächst die Unterscheidungskunst als Kultivierung der politischen Sprache und Begriffe ebenso wie der historischen Bezüge wichtig: zwischen ‚Gegnern‘ und ‚Feinden‘ (die den Krieg erklären), zwischen ‚Populisten‘ und ‚Extremisten‘ (verschiedenster Sorten), ‚Konservativen‘ und ‚Rechten‘, ‚Nationalisten‘ und ‚Nazis‘.

Zweitens sind für die politische Aufklärung die richtigen, das heißt: angemessenen Auseinandersetzungsformen undmittel entscheidend. Je nach den politischen Differenzen sind das unterschiedliche Mittel der Rede- und Kampfkunst – für eine kluge Demokratie.

Bildnachweis: Agentur Medienlabor