Die neue Weltunordnung

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Am 1.4. gibt China die Schuld am Ukraine-Krieg den USA und ihrer Politik der NATO-Erweiterung. Für die Souveränität und territoriale Integrität des Landes Ukraine will China allerdings eine Verantwortung übernehmen, was sich in Friedensverhandlungen auswirken könnte. Nutzt China den Krieg, um weiter antiwestliche Ressentiments gegen die USA zu schüren? Zeichnet sich eine neue Allianz mit Russland ab? Und wo bleibt Europa? Wie sieht die neue Weltunordnung aus?

Die EU investiert in China sechsmal mehr als Russland. Unverhohlen droht die Kommissionspräsidentin von der Leyen dem mächtigen Partei- und Staatschef Xi in einer Videokonferenz anfangs April, dass Verwerfungen in der Weltwirtschaft nicht im Interesse Chinas seien, das eigene große Probleme mit Wachstum zu lösen hat. Allerdings investiert es auch in starkem Masse seit Jahren gezielt in die eigene Aufrüstung, um Kriege führen zu können. Die gedrillte Armee ist die Hauptstütze der Macht der Kommunistischen Partei.

Das Verhalten gegenüber Russland könnte für China wirtschaftlich rufschädigend werden. Dieselbe Argumentationsstrategie hatte zuvor schon Biden angewandt bis hin zur Drohung, die westliche Sanktionsstrategie nicht zu umgehen. Dasselbe wurde auch gegenüber dem demokratischen Indien geäußert, das sich bisher neutral verhalten hat. Iran ist ebenfalls eine wichtige Regionalmacht, die sich neutral verhält. Von Teheran aus sieht die Welt wieder anders aus.

China spricht von normalem Handel. Normal wird zum Glück von allen drei Großmächten – China, USA und EU – weiterhin auch über globale Probleme wie Klima und Covid gesprochen. Die wichtigste Frage dabei ist: geht China den Weg antiwestlicher Affekte weiter oder geht es einen pragmatischen Weg, auf den es die USA und die EU zu bringen versuchen. Davon hängt in Zukunft viel ab.

Bekannt ist, dass China sich nicht gerne belehren lässt und darauf empfindlich reagiert – wie früher schon auf jede Tibet-Fahne am Rande von Staatsbesuchen. Die Versuchung zur Größe im Größenwahn aus eigener Machtzentriertheit heraus ist groß. Wie lässt sie sich bändigen? Nur Macht kann Macht begrenzen (Montesquieu).

Die EU droht wirtschaftlich, während Biden am Beginn seiner Präsidentschaft den politischen Gegensatz zwischen Demokratie und Autokratie herausstellte und damit in erster Linie China meinte und nicht Russland. Inzwischen ist er, provoziert durch Putins Angriffskrieg, wieder nach Europa zurückgekehrt. Polen fordert als Frontstaat nachdrücklich noch mehr militärische Präsenz der USA.

Gegenwärtig lässt sich nur in Szenarien über die künftige Weltordnung räsonieren. Eines wäre, dass sich zwei Blöcke bilden: der demokratische Block des Westens unter Führung der USA und ein autokratischer Block unter Führung Chinas. Die USA haben die Weltherrschaft strategisch im Blick: wirtschaftlich, militärisch und politisch. Ihr Ansehen als Demokratie in der Welt ist mit Trump nicht gewachsen. Sowohl der Irakkrieg und seine Folgen als auch das Afghanistan-Debakel sind noch nicht aufgearbeitet.

Das China von Xi, der moderne Mao, lässt an Weltherrschafts-Ambitionen in Auseinandersetzung mit dem großen Konkurrenten USA ebenfalls keinen Zweifel, was zum Beispiel seine Afrikapolitik demonstriert. Es denkt politisch seit jeher strategischer und in großen Zeiträumen, auch was das konkrete Problem Taiwan betrifft. Die USA versuchen sich darauf einzustellen, nicht nur im Indopazifik. 

Demgegenüber wird Russland, das als Atommacht gerne auf Augenhöhe mit den USA sein würde, wohl geschwächt aus dem Ukrainekrieg hervorgehen und China gestärkt. Beide Großmächte werden deswegen nicht ungefährlicher oder verlässlicher, im Gegenteil.

Die künftige Rolle der EU wiederum ist fraglich. Hält ihre Einigkeit an? Vermag sie militärisch-politisch Verantwortung zu übernehmen? Ist sie strategiefähig? Frankreich wird seine Nuklearwaffen nicht teilen, und Deutschland ist weit entfernt davon, eine Führungsrolle übernehmen zu können. Das Weimarer Dreieck mit Polen ist, anders als die NATO, wirklich Hirntod. Alles hängt in Wirklichkeit von den USA ab.

Die jüngsten Vorwürfe von Kaczynski an die Adresse Deutschlands und Frankreichs am 3. April wegen Waffenlieferungen und Energie- Embargo waren heftig. Neue Verwerfungen aufgrund der politischen Nähe zu oder Abkoppelung von Russland werden sichtbar, während die alten Konflikte über Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und Souveränität lediglich verborgen bleiben aufgrund der mehr als großzügigen Flüchtlingsaufnahme Polens zum Beispiel.

Deutschland hätte zu viele Eigeninteressen gegenüber Russland heißt es noch immer (Melnyk) und müsse diese Geschichte krasser politischer Fehleinschätzungen, vor der die osteuropäischen Staaten stets gewarnt haben, aber arrogant übergangen worden seien, kritisch aufarbeiten. Selenskyj lädt Angela Merkel nach Butscha ein.

Die EU hat genügend eigene Konflikte zu bearbeiten, nicht nur wegen einer wirksamen europäischen Verteidigung, die gestärkt und besser mit der Nato abzustimmen ist. Auch Polen, Ungarn und Serbien werden mehr Eigenständigkeit fordern. Die europäische Souveränität, von der Macron seit 2017 in großen Worten spricht, und der Scholz rhetorisch folgt, ist kritisch zu sehen, wenn sie einer Überdehnung der ‚Integration durch Recht‘ folgt (Höpner, in: Merkur April 2022). Statt Integration bewirkt sie dann eher Desintegration, weshalb ein Europa verschiedener Geschwindigkeiten grundsätzlicher bedacht werden sollte.

Wie es in Russland mit oder ohne Putin weitergehen wird, weiß niemand. Hierüber gibt es die meisten Spekulationen. Sie hängen unmittelbar auch mit dem aktuellen Kriegsgeschehen in der Ukraine zusammen, denn der Krieg ist noch nicht entschieden. Die tapfer kämpfenden Ukrainer haben mit den nötigen Waffen das Unmögliche möglich gemacht. 

Die Entscheidung findet nicht in Kiew statt, wie es der Blitzkrieg ursprünglich vorsah. Diese Strategie ist gescheitert. Einen Angriff in dieser Breite durchführen zu wollen, war von Anfang an militärisch absurd, schon wegen der riesigen Nachschubprobleme.

Die Regierung Selenskyj ist nicht gestürzt, sondern gestärkt worden. Sie hat ihre demokratische Legitimität ausgebaut und gestärkt, was ihr konstruktiven Verhandlungsspielraum gibt. Die russischen Truppen ziehen anfangs April ab und hinterlassen in der Region Kiew eine Spur der Verwüstung. Sie verlassen die aufgegebenen Gebiete wie einst die Nazis im 2. Weltkrieg (Butscha!). Was ist aus dieser Armee geworden !?

Ein Strategiewechsel in den Osten und Süden findet statt, und die Entscheidungskämpfe ums Territorium im Donbass stehen noch bevor. Odessa wird seit dem 3. April vom Land und der Luft aus stärker beschossen. Die strategisch zentrale Hafenstadt hat sich auf ihre Verteidigung vorbereitet. Der britische Geheimdienst bezweifelt, dass Russland fähig ist, obwohl oft geübt, von der See aus eine komplexe Landeoperation mit Marineinfanterie durchzuführen.

Die Militärs werden versuchen, die Ukraine vom Asowschen und dem Schwarzen Meer abzuschneiden. Um das zu verhindern, braucht die Ukraine allerdings noch immer mehr schwere Waffen. Selenskyj bedankte sich beim britischen Premier ausdrücklich dafür. Am 4. April und die folgenden Tage stellt sich die bange Frage, ob die Ukrainer Odessa halten können.

Das wäre von größter Wichtigkeit für das ganze Land, und es zeigt zugleich für alle Länder, dass bei der Landesverteidigung das Entscheidende der Verteidigungswille und die Kampfmoral sind, sofern man über die nötigen Waffen verfügt. Mit dieser Einsicht müsste der neue politische Realismus beginnen.

Bildnachweis: IMAGO / ZUMA Wire