Die neue Regierungskoalition ist offen

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Mitte Juli, mitten in den Sommerferien, entwickelten Politikberater (Strauss) plausible Argumente, wie die Grünen doch noch das Kanzleramt erobern könnten. Sie sollten Baerbock Anfang August gegen Habeck auswechseln und Baerbock sollte dies selbst verkünden. Sie war auch die Erste, die 2020 mutig den „Führungsanspruch“ der Grünen anmeldete.

Eine solche Strategie würde den müden Wahlkampf noch einmal elektrisieren, und Habeck könnte den schwächelnden Laschet knapp überholen. Das klang nach einer sinnvollen Alternative, aber auch ein gut begründeter, mit Zahlen belegter Rat von außen, ist nicht immer gut. Seine Realisierung hätte wohl die Grünen in eine Zerreißprobe geführt und den Erfolg von 20% Stimmenanteil und mehr im September möglicherweise wieder gefährdet (2017 waren es noch 8,9% ).

Am 3. August, nach der Flutkatastrophe in NRW und Rheinland-Pfalz, heftigen Waldbränden und Hitzerekorden in Europa, gehen Baerbock und Habeck gemeinsam mit einem fordernden Klimapaket in die Offensive. Es setzt sie selbst als Regierungspartei ebenso wie eine künftige Koalition unter Druck. Die Grünen werden als Klassenprimus der Klimapolitik unbequem bleiben, indem sie der Beliebigkeit von Laschet Grenzen setzen. Kann die CDU ohne Grüne regieren, wird sie es zweifellos tun, und Lindners FDP liebäugelt schon mit dem Finanzministerposten anstelle von Habeck. Beim Klimapaket handelt es sich um ein Sofortprogramm, das die Grünen bei Regierungsbeteiligung in den ersten Monaten umsetzen wollen, um das Pariser Klimaziel, den 1,5 Grad Pfad, noch erreichen zu können.

In ihren 10 Punkten fordern sie nicht weniger als ein Klimaministerium mit Veto-Recht gegenüber den anderen Ressorts. Dies kann Autobahnen genauso betreffen wie Förderprogramme für „klassische“ Industrien und militärische Vorhaben. Alle Subventionen kommen auf den Prüfstand, und die Solar- und Windenergie sollen endlich rasant ausgebaut werden. Für öffentliche Gebäude gibt es sogar eine Solarpflicht, und die Off-Shore-Anlagen an der Nord- und Ostsee werden massiv ausgebaut. Dafür müssen auch die Genehmigungsverfahren beschleunigt werden. Der Kohleausstieg wird entgegen Verabredungen auf 2030 vorgezogen, und der CO2-Preis wird erhöht. Autofahrerpartei werden die Grünen nicht werden, indem sie beispielsweise für Parkgebühren und Tempolimit eintreten.

15 Milliarden sind für eine Investitionsoffensive in den Klimaschutz vorgesehen. Der Bundeshaushalt wird zu einem Klimahaushalt. Einen ähnlichen „Wahlkampfkracher“ haben die anderen Parteien nicht zu bieten. Ob der heiße Wahlkampf noch zu einem Klimawahlkampf werden wird, wie anfangs prognostiziert, ist jedoch offen – ebenso wie die künftige Regierungskoalition. Im Moment, vor der 4. Welle, bei Schulbeginn und heiklen Impfproblemen, sieht es eher wieder nach einem Corona-Wahlkampf aus. Welche Konsequenzen dieser haben wird, weiß niemand. 

Laschet schwächelt als Krisenmanager in NRW. Seine kleinen großen Fehler haben ihm als Kanzlerkandidaten ebenso geschadet wie Baerbock zuvor. Alle drei Kandidaten erreichen insgesamt niedrige Zustimmungswerte, und kaum einer ahnt, was der große „Antreiber“(Söder) noch im Schilde führt. Die deutsche Kanzlerdemokratie schwächelt offenbar, obwohl Scholz, der Marathon-Mann, langsam, aber sicher, Punkt für Punkt, auch für die SPD, gut macht. Die Kampagne der SPD ist ganz auf ihn zugeschnitten: „Scholz packt das an!“ 

Ob es am Ende deutlich mehr als 20% Punkte werden, wie erwünscht und notwendig, wird sich zeigen. Es ist jedenfalls nicht ausgeschlossen, wenn man sieht, wie oft Kleinigkeiten einen großen Ausschlag geben können. Aber auch Seriosität kann punkten. Dass Scholz am ehesten der kanzlertaugliche Nachfolger von Merkel ist, wusste man von Anfang an. Mit dem historischen Steuerabkommen, das er kürzlich ausgehandelt hat, kann er inzwischen auch international Erfolge vorweisen.

Eine Ampelkoalition ist möglich, scheint aber mit den programmatischen Vorstellungen der FDP nicht vereinbar. Scholz selber, weniger seine Partei, könnte sich wohl auch eine sogenannte Deutschland-Koalition vorstellen (CDU, SPD, FDP), die zurzeit bei der Bevölkerung am beliebtesten ist, sollte ihn Bundespräsident Steinmeier (wie ehedem Schulz) dazu überreden. Es wird voraussichtlich ohnehin knapper und schwieriger werden als angenommen. Steinmeier jedenfalls strebt erklärtermaßen 2022 eine zweite Amtszeit an. Die milliardenschweren Versprechen des Staates als ‚großer Person‘ in Gestalt des Schuldners und assoziiert mit den generationenübergreifenden Interessen der ganzen Bevölkerung, ausbuchstabiert: die Versprechen von Stolberg, die Corona-Hilfen und die europäische Solidarität, müssen jedenfalls eingelöst werden.

Ohne Elemente sozialdemokratischer Staatsfreundschaft wird das nicht gehen. Ob die verfassungsmäßige Schuldenbremse zu halten ist, was auch europäische Auswirkungen hat, bleibt die Frage. Inzwischen wird wieder die unheilvolle Inflationsgefahr beschworen. Einen Wettlauf wird es um die Konzepte für den wirtschaftlichen Aufschwung geben, denn auch für die Grünen ist klar, dass das Ziel klimagerechter Wohlstand für künftige Generationen heißt. Das klingt gut und richtig, bloß die Wege dahin werden heftig umstritten bleiben, selbst in künftigen Regierungen.

Schon die Ankündigung des Klimapakets der Grünen, das den Wahlkampf richtigerweise noch einmal beleben soll, löste starke Reaktionen aus. Von einem “ großen Verordnen und Verhindern“ war die Rede: „Teilweise klingt es wie die Verlautbarung der Planungskommission eines sozialistischen Staates“ (Die Zeit, 4. August). Das ist starker Tobak: grüne Klimapolitik und Linksbündnis als sozialistische Alternative, die bürgerliche Mitte für Deutschland als Monstranz der ewigen Kanzlerpartei, die Alternative für Deutschland gegen Corona- und Klimadiktatur, die mit einem „Volksbus“ unterwegs ist. 

Die Worte sind oft größer als das, was dahintersteht. Und nichts wird bekanntlich so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Auf jeden Fall wird Deutschland mit seinen 16 Ländern in den nächsten Jahren ein Flickenteppich neuartiger Koalitionen werden. Das wird Auswirkungen haben auf die Parteien, das politische System, die politische Kultur und Deutschland in seinem politischen Auftreten insgesamt. Richtig spannend wird es erst nach dem Wahlkampf werden.

Foto: Bild von TeeFarm auf Pixabay