Der erfolgreichste Populist Europas 

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Der viermalige Ministerpräsident Silvio Berlusconi ist am 12. Juni mit 86 Jahren gestorben. Er hat Italien wie kein anderer in den letzten 50 Jahren geprägt. Der reichste Mann des Landes, der zunächst als Bauunternehmer in Mailand reich wurde, dann erfolgreich in den neuen kommerziellen TV-Medienmarkt einstieg und zum Medienmogul aufstieg, was ihm 1993 beim Einstieg in die Politik in den Sattel verhalf.

Die drei nationalen privaten Fernsehanstalten gehören heute zu seinem Imperium. Seine Symbiose von Medien und Politik ist ein Signum unserer Zeit. Italien ist damit seiner Zeit wieder einmal vorangegangen, ohne dass man dies progressiv nennen kann.

„Forza Italia“ mobilisierte mit einer Medienkampagne als Medienpartei erfolgreich auf neue Weise. Die einst mächtigen traditionellen (Weltanschauungs-) Parteien, die in den 90er Jahren in ihrem Korruptionssumpf versanken, sahen buchstäblich alt aus. Seit 1994 wurde Berlusconi viermal Ministerpräsident, neun Jahre insgesamt, wobei er erstmals auch Neofaschisten (1995 -2009 noch die Alleanza Nazionale) und die rechtspopulistische sezessionistische Lega Nord von Salvini an der Regierung beteiligte. 

Er formte historisch einen rechten Block, bei der er jüngst nur noch Juniorpartner unter der Führung der postfaschistischen ‚Fratelli d’Italia‘ (gegründet 2012) von Ministerpräsidentin Georgia Meloni war, die im Oktober 2022 mit 26% der Stimmen mit Abstand gewann. Der kranke Berlusconi war nicht einmal mehr Minister, sondern nur noch Senator, obwohl er einst die trotzige und stolze Meloni als Ministerin für Jugend und Sport in sein viertes Kabinett 2008-2011 geholt hatte. 

Während dieser Zeit war Berlusconi nicht nur erfolgreicher Unternehmer, sondern auch Eigentümer und Präsident des populären AC Milan. Mit seinen Medien und dem Sport erreichte er die Massen: Masse und Macht, „Forza Italia“! Das war sein Erfolgskonzept. Erfolgreiche Populisten brauchen populäre Anknüpfungspunkte und Verbreitungsorte. Wo die Linke früher erfolgreich war, da war sie populär und betrieb eine kluge Politik für möglichst viele. 

Inhaltlich wollte Berlusconi, meist gutgelaunt bis ungestüm, Optimismus verbreiten und nicht Angst wie die vielen kleinen hässlichen Populisten von beute. Berlusconi verhieß neue Arbeitsplätze und weniger Steuern, leichteres Leben und viel Spaß. Er kam aus den „Schützengräben der Arbeit“, wie er selbst sagte, und nicht aus der Klasse der Berufspolitiker. Der Begriff ‚politische Klasse’/’classe politique‘, marxistisch nicht korrekt, stammt vom italienischen Elitentheoretiker Gaetano Mosca (1896). 

Zugleich beerbte der selbstbewusste, unternehmerische, mächtige Berlusconi die bisherigen traditionellen Parteien, vor allem die DC, die katholische Christdemokratie, in der Andreotti lange Zeit die Fäden zog, und die Sozialisten von Craxi, der 1983-87 noch Ministerpräsident war, sein direkter Mailänder Konkurrent, den Ton angab bis er ins Exil musste. 

Auch die italienischen Kommunisten boten lange ein hoffnungsvolles nationales Band bis zum ‚compromesso storico‘ 1973-78 (Berlinguer, Moro). Die Auflösung des PCI 1991 markierte eine neue Ära, überhaupt der Linken in Europa. Daraus entstand schließlich nach dem Wahlbündnis ‚Ulivo‘ 2007 der Partito Democratico ( PD). 

Berlusconis immenser und kontinuierliche Erfolg lässt sich nicht nur mit der Person Berlusconi und seiner neuartigen politischen Bewegung erklären, sondern muss ebenso den Niedergang der traditionellen Parteien, der Christdemokraten, der Sozialisten und Kommunisten berücksichtigen. 

Berlusconi wuchs nicht nur wegen seiner Medien, mit denen er auch einen Teil der Eliten auf seine Seite ziehen konnte, was man gar nicht genug gewichten kann (vielmehr empirisch genauer analysieren muss), sondern auch wegen der Schwäche und Zerstrittenheit seiner Gegner und Konkurrenten, denen es nicht mehr gelingt, einen starken Block gegen die neoliberale-rechte-nationale Hegemonie aufzubauen und vernünftig zu regieren. 

Der von seinem medialen Imperium mit herbeigeführte Strukturwandel der Öffentlichkeit durch Personalisierung und Skandalisierung der Politik nützte Berlusconi und seiner Inszenierung einer simulierten Demokratie. Skandale konnten ihm nichts anhaben, im Gegenteil. Die One-Man-Show des Selfmade-Man hatte viele Helfer und Profiteure sowie kreative Köpfe der Werbung und des Marketings. War es eine Blaupause für Donald Trump, der aus dem Reality-TV kam? 

Zwischen Trump und Berlusconi gibt es signifikante Unterschiede. Berlusconi war kein Souveränist. Im Unterschied zu Salvinis Padanien hat er die EU nie abgelehnt. Er hasste die Flüchtlinge, die Einwanderer und Süditaliener nicht, war jedoch im Unterschied zu Meloni ein Putin-Freund (und umgekehrt). Der Macho hat sich sogar bewusst Mussolini-Allüren wie Putin geleistet, und er hat ihn wieder salonfähig gemacht. 

Eigentlich war Berlusconi ein Wirtschaftsliberaler mit einigen Leichen im Keller. 2013 wurde er wegen Steuerbetrug rechtskräftig verurteilt. Anders als Trump ist er ein Unternehmer und kein vollmundiger Spekulant, der vor allem geerbt hat. Berlusconis Vater war Bankangestellter, seine Mutter Hausfrau. Seine Rhetorik von unten war nicht nur aufgesetzt. 

Beide haben jedoch die Grundsätze des demokratischen Rechtsstaates nie verinnerlicht, vor allem die Unabhängigkeit der Justiz ist den selbstverliebten Machos ein Dorn im Auge. Trump hat auch wirtschaftlich nur überlebt mit einem Heer von Juristen. Nicht verwunderlich, dass er heute, wo er die demokratische Wahl immer noch nicht anerkennt, von einem „politischen Auftragsmord“ durch die Justiz spricht. 

Demokratische und legale Regeln können beide nicht ertragen, was vielen Möchtegern-Anarchisten bis hin zu den Libertären imponiert. Trump und seine fanatischen Anhänger sind dabei kaum einzuhegen, während EU-Europa jahrzehntelang mit Berlusconi gut gelebt hat, wenn auch naserümpfend. In dieser Zeit ist weder Europa noch Italien demokratischer geworden. Vielmehr leben wir in einer veritablen Demokratiekrise. 

Berlusconi hat Italien 2010/2011 beinahe in den Abgrund getrieben mit seiner Weigerung, den Ernst der Lage zu erkennen. Die Wirtschafts- und Finanzkrise hatte Italien verspätet, dafür umso heftiger erfasst. Berlusconi war wie alle erfolgreichen Populisten ein besserer Wahlkämpfer denn ein guter Regierender, der auch moderieren und Kompromisse schließen kann, um drängende Probleme zu lösen. 

Der nicht unbedeutende Staatspräsident Napolitano hat wohl mit Rückendeckung Brüssels seine Ersetzung durch das Technokraten-Kabinett des Wirtschaftsprofessors und ehemaligen EU-Kommissars Mario Monti 2011 bis 2013 betrieben. Was für ein Versagen der demokratischen Parteien! Einmal mehr, nun einschließlich Forza Italia. 

Die Märkte beruhigten sich daraufhin, und Italien schlitterte in die schlimmste Rezession der Nachkriegszeit. Die Frustrationen und Abstiegsängste der Mittelschicht sind heute das Rohmaterial der Politik. Populisten wecken große Erwartungen und erzeugen herbe Enttäuschungen. Sie bieten viel Show, aber Politshows laufen sich tot.

Bildnachweis: IMAGO / agefotostock