Demokratiepolitik

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Bürgerbeteiligung in Potsdam

Demokratiepolitik, die diesen Namen verdient, spielt im Bundestagswahlkampf derzeit keine Rolle. Die Parteiendemokratie ist teils erschöpft, teils überfordert. Die beiden großen (ehemaligen?) Volksparteien streben die Kanzlerschaft an, herausgefordert werden sie dabei erstmals von den neuen Grünen, was den Wahlkampf elektrisieren sollte.

Obwohl der Wahlkampf im Zeichen der Klimakrise und ihrer Bewältigung steht, bleibt die Wechselstimmung auch nach der Flutkatastrophe (oder erst recht nach ihr) nüchtern, da inzwischen – Ende Juli – klar ist, dass die Grünen zwar ein gutes Resultat (um 20%) erreichen werden, aber die Kanzlerschaft mit Annalena Baerbock wohl verfehlen werden. Im Moment sieht es nach Schwarz-Grün aus, und die alte Partei der Kanzlerdemokratie, die darauf fokussiert ist, was auch demokratiepolitisch seine Spuren hinterlassen hat, rettet sich noch einmal trotz offenkundiger inhaltlicher und personeller Schwächen. Niemand ist davon begeistert, nicht einmal in der eigenen Partei.

Das alles hat die Bevölkerung vom bisherigen Wahlkampf durchaus mitbekommen, und sie weiß auch, dass die künftigen Koalitionsverhandlungen das Regierungsprogramm bestimmen werden und nicht sie. Beides, die Regierungskoalitionen und das Regieren, werden schwieriger werden als in den vergangenen Jahren. Dazu kommen die neuartigen Koalitionen in den Ländern, die künftige Regierungskrisen wahrscheinlicher werden lassen. Die staatlich finanzierte Parteiendemokratie (19 sind in Brandenburg zur Bundestagswahl zugelassen) ist also mehr als genug mit sich selbst beschäftigt: das heißt mit den besonderen Systemen der Parteien als Rekrutierungsfeld für Berufspolitiker, ihrem inhaltlichen und personellen Wettbewerb, ihrer Integrations- und Koalitionsfähigkeit sowie und nicht zuletzt mit ihrer staatspolitischen Verantwortung. Denn auch für den Staat gibt es in der heute gesteigerten Krisensituation absehbar so viel zu tun, wie noch nie. Weshalb die Liberalen mitregieren wollen, die ihn zügeln möchten, trotzdem wird er immer grösser. Ist das nur ein Organisationsproblem?

Das allein ist schon Demokratiepolitik und bleibt ein unumgänglich wichtiger Teil jeder demokratiepolitischen Reflexion (1.). Aber hervorgerufen wurde das neue Thema der Demokratiepolitik nicht primär durch die internen Probleme der Parteien. Entstanden ist es vielmehr durch die seit langem gut belegten Defizite der repräsentativen Wähler- und Parteiendemokratie, mithin durch dieses ‚politische System‘ selbst. Lassen sich dessen systematische Schwächen durch die vielfältigen neuen Formen der Bürgerbeteiligung, die nicht in ein System zu bringen sind, kompensieren? Und wie? Das ist die zweite Leitfrage heutiger Demokratiepolitik (2.). Demokratische Legitimität und Effektivität erfordern zusätzliche Instrumente und beziehen sich gleichzeitig auf verschiedene Ebenen, die besser miteinander verbunden werden können (3. kombinatorische Demokratie als demokratiepolitische Reflexion). Dazu gehört heute die intervenierende europäische Ebene, mit der wir beginnen.

Wer definiert eigentlich die Demokratie in EU-Europa? Der Verweis auf ‚Bösewichter‘ wie Ungarn und Polen im Namen einer Wertegemeinschaft/Werteeinheit (davon ist die Rechtsgemeinschaft noch einmal zu unterscheiden) kann von solchen unbequemen Fragen ablenken. Zudem steht der Staatenverbund innen- wie außenpolitisch mächtig unter Druck (Putin, Xi, Erdogan). Demokratische politische Kultur wie auch eine demokratisch rückgebundene Rechtskultur zerfällt nicht in einem Explosionsknall, sondern allmählich und schleichend, indem Positionen partizipatorischer Demokratie aufgegeben werden und die Indifferenz und/oder die Entfremdung (Entfernung?)von der Politik alltäglich Einzug hält.

Dabei geht es um grundsätzliche Fragen mit großen Auswirkungen: nicht nur um die bekannten nationalen und europäischen Machtverschiebungen im Verhältnis von Exekutiven/Verwaltungen auf der einen Seite und demokratischen Gesetzgebern/Parlamenten auf der anderen Seite, sondern ebenso um das Verhältnis von Judikative/Gerichten/Richterstaat und Legislative. Beides spielt sich eher im Rücken der Bürgerschaften ab. Wo bleibt dann aber deren Selbst-Regierung? „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volk in Wahlen und Abstimmungen (…) ausgeübt.“ (GG Art. 20,2)

Dominieren nicht mittlerweile die europäischen Gerichte über die nationalen Parlamente? Und welche Rolle spielt noch die demokratische Subsidiarität, die im Maastrichter Vertrag (1992) von Delors, Mitterrand und Kohl als großes Zugeständnis vereinbart worden ist? Gilt sie nur noch für Nichtigkeiten? Wird nicht vielmehr ein zentralisierender Kompetenzsog vorherrschend? Mit anderen Worten: was machen also Recht und Demokratie aus? Darüber gibt es von der Tradition her unterschiedliche Auffassungen (Großbritannien und Schweiz weisen diesbezüglich Ähnlichkeiten auf), über die man streiten kann. Mit dem formalen Hinweis auf eine europäische Verfassungsgerichtsbarkeit, die es nicht gibt (ebenso wenig wie eine transnationale europäische Verfassung, die 2005 an Frankreich und der Niederlande gescheitert ist) , sind sie jedenfalls nicht ausgeräumt, im Gegenteil.

Der für viele unerwartete und unverstandene Brexit-Schock, veranlasste sogar die deutschen Grünen dazu, die direkte Demokratie auf Bundesebene zugunsten von losbasierten Bürgerräten gegen erhebliche Widerstände 2020 aus dem Grundsatzprogramm zu streichen. Befürchtet wurde wohl die ‚populistische‘ Abwicklung ihrer letzten politischen Utopie einer föderalen Republik Europa. Zur Zeit des europäischen Verfassungskonvents 2003 hieß die Zielvorstellung noch: Föderation der Nationalstaaten.

Ohne diese schwierigen europapolitischen Fragen hier weiter klären zu können, sei an dieser Stelle zunächst nur einmal auf die symptomatische demokratiepolitische Weichenstellung im ambitionierten (Regierungs-) Programm der Grünen hingewiesen, die doch in die Breite gehen wollten. Die Verabschiedung der direkten Demokratie mündet 2021 schon in den Aufruf von Aktivisten auf Plätzen und Plakaten, BürgerInnenräte zu bilden, um der akuten Klimakrise zu begegnen! Es ist allerdings naiv und unrealistisch, Bürgerräte gegen direkte Demokratie ausspielen zu wollen, so wie ehedem Rätedemokratie alias direkte Demokratie gegen parlamentarische Demokratie (Karl Liebknecht vs. Ebert). Auch die außerparlamentarische Opposition missverstand sich in der BRD als direkte Demokratie. Schon damals waren die Gegner nicht nur das Establishment, sondern ebenso der sogenannte Populismus des Volkes, dem man unwissend und ohnmächtig gegenüberstand.

Aus einem neuen Instrument der Bürgerbeteiligung , das es in Irland seit 2016 gibt, wo man auch lernen kann, wie die Verknüpfung mit dem Volksentscheid selbst bei heiklen Themen ( in einem katholischen Land) wie Abtreibungsverbot und gleichgeschlechtliche Ehe aussieht, wird dagegen bei den deutschen Grünen im Nu eine neue politische Utopie, wie sie die Rätedemokratie und die direkte Demokratie einst auch waren. Historisch kommt es sogar zu Verwechslungen zwischen beiden, so in der vierwöchigen Münchner Räterepublik 1919 durch die Dichter an der Macht (siehe Weidermann, Träumer, 2017). Anders als die sozialistische Rätedemokratie, die in der Studentenbewegung 1968 ein kurzes unreflektiertes Revival erlebte, und anders als die meist allzu vereinfacht verstandene direkte Demokratie, sind die vielen Räte und Beiräte – so viele wie heute gab es noch nie! – wieder ein Thema der Demokratiepolitik genauso wie die verschiedenen Instrumente und Verfahren direkter Demokratie mit ihren Fristen und Quoren. Heute gibt es auch in Frankreich und Deutschland nationale Bürgerräte, deren realer Einfluss auf die repräsentative Politik weiterzuverfolgen ist. Oder sind sie lediglich Alibiveranstaltungen der Regierung?

Währenddessen gibt „mehr Demokratie“ nicht auf, denn für viele Bürger bedeutet reelle und solide Demokratie tatsächlich direkte Demokratie. Was also ist „unsere Demokratie“? Gewiss ist sie ein selbstbestimmter historischer Lernprozess mit einer bestimmten Örtlichkeit, die Weltoffenheit ein- und nicht ausschließt. Eine überparteiliche breite zivilgesellschaftliche Bewegung von mehr als 30 Initiativen, Vereinen und Organisationen versucht deshalb neben den Wahlen zum Bundestag im September gleichwohl die direkte Demokratie auf Bundesebene einzuführen (siehe https://abstimmung21.de/). Über 4 gesellschaftsweit relevante Themen soll abgestimmt werden: Widerspruchsregelung bei der Organspende, keine Profite mit Krankenhäusern, Volksabstimmung auf Bundesebene, Klimawende 1,5 Grad.

„Abstimmung21“ ist die erste selbstorganisierte Volksabstimmung zu vier Sachfragen. Sie besteht hauptsächlich aus drei Elementen:
– einem 104 seitigen, gut lesbaren Abstimmungsheft mit den Pro und Contra-Argumenten, ähnlich dem roten eidgenössischen Heft jeweils zu den Vorlagen von Bundesgesetzen und Volksinitiativen (das Wichtigste in Kürze, Abstimmungsfrage, Pro und Contra, Positionen der Parteien);
– dem breiten Gespräch vor Ort und digital, den sogenannten ‚Hausparlamenten‘ von Mai bis August;
– sowie der Abstimmung von Mitte August bis Mitte September per Brief.

Ziel ist es, bundesweite Volksentscheide zu bestimmten Themen gesetzlich einzuführen. Abstimmung21 ist ein erster Schritt dahin, weitere werden 2022 folgen. Zunächst sollen bis September eine Million wohlinformierte Stimmen gewonnen werden, um öffentlich Druck machen zu können. Für 16- und 17-jährige gibt es eine Extra-Abstimmung. Der ganze Prozess wird sukzessive evaluiert und verbessert, so dass man von einer Einübung in direkte Demokratie sprechen kann.

Auf kommunaler Ebene versteht sich Bürgerbeteiligung eigentlich von selbst, ansonsten sollte man nicht mehr von Kommunen oder Gemeinden sprechen. Dazu kommt die Identifikation mit dem lebensweltlichen Ort. Eine Bürgerkommune ist per se eine Beteiligungskommune, freilich können die Wege dahin unterschiedlich sein. In den letzten zehn Jahren sind die Beteiligungsangebote zahlreicher, vielfältiger und transparenter geworden (in Potsdam ablesbar auf der stets aktualisierten Internetseite ‚Bürgerbeteiligung‘, überdies gibt es einen ‚Newsletter‘). Besondere Interessengruppen versuchen sodann sich in Beiräten ehrenamtlich zu organisieren: Senioren, Behinderte, Migranten u.a..

Das alles hat direkte und indirekte demokratiepolitische Konsequenzen: die Demokratie wird inklusiver und vielfältiger. Für die Bürgerinnen und Bürger ist es wichtig, sämtliche Kanäle zu kennen, um ihren Anliegen Gehör verschaffen zu können, was oft nicht der Fall ist; deshalb ist die verständliche Broschüre des Beteiligungsrates 2020 erschienen. Bisweilen ist es auch schwierig, das ehrenamtliche Personal für die effektive Arbeit in den neuen Gremien zu finden. Ein „Partizipationsbeauftragter“ ist dafür zu wenig. Das ist eine von 5 Empfehlungen, welche die Stiftung Mitarbeit (Informationen 2/2021) für eine „starke partizipative Demokratie“ gibt.

In Potsdam wird seit 2013 mit der externen WerkStadt (hin zur Zivilgesellschaft), der internen Werkstadt (hin zur Verwaltung) und dem Beteiligungsrat experimentiert, um stärkere Verbindungen zur Bürgerschaft, Politik und Verwaltung sowie zwischen ihnen – trialogisch – zu schaffen (siehe den Blog: Was heißt ’strukturierte Bürgerbeteiligung’?). Die Brücke zwischen Beratung und Mitwirkung an Beschlüssen auszubauen, ist das eigentliche Anliegen der Partizipation. Im neuen Kooperationsvertrag der regierenden Mehrheit in der Stadtverordnetenversammlung in Potsdam werden die neuen Instrumente der Bürgerbeteiligung explizit erwähnt. Dieser verbindliche Rückhalt ist allerorten ein wichtiger Punkt für informelle Beteiligungsverfahren und ein Fortschritt, an den man für die kontinuierliche Weiterarbeit anknüpfen kann. Eine neue Struktur der Bürgerbeteiligung, aus der eine verbesserte Beteiligungskultur folgen soll, lässt sich nicht kurzfristig, einen Tag auf den anderen, und nur zusammen mit verschiedenen Akteuren aufbauen.

Es ist sinnvoll, die strukturierte Bürgerbeteiligung in die Verwaltungsausbildung und die Politikerbildung zu integrieren, während die externe WerkStadt für Beteiligung (mitMachen e.V.) vor allem die eher schwachen Akteure und Bewegungen der Zivilgesellschaft (Mieter, Kultur, Schüler u.a.) berät. Siehe dazu den ausführlichen Bericht 2015-2020 (2021). Auf der anderen Seite gibt es gut organisierte Bürgerinitiativen (in Potsdam zum Beispiel ‚Mitteschön‘), die von finanziell starker Seite unterstützt werden. Letztlich bleibt auch das Bürgerbegehren ein gewichtiges Mittel, so waren 2020 zum Beispiel die 17 000 Unterschriften für bessere Arbeitsbedingungen und Rückkehr zum Tariflohn am Bergmann-Klinikum erfolgreich. Das ist besser als Klatschen, erfordert jedoch von vielen zumindest eine minimale Anstrengung.

Der Bürgerhaushalt, der 2005 eingeführt worden ist, verfügt derweil über spezielle Bürgerbudgets für Projekte aus verschiedenen Sozialräumen, nachdem er viele Jahre brauchte, um in der Stadtgesellschaft Fuß zu fassen. Inzwischen beteiligen sich mehr als 17 000 Einwohner der Stadt, er hat Interesse geweckt und ist ausbaufähig. Gleichzeitig läuft ein innovatives Forschungsprojekt über Jugendbeteiligung und Bürgerbudgets (Herzberg u.a., Bürgerbudgets in Brandenburg, 2021), das selbst polnische Partnerstädte erreicht. Auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendbeteiligung sind in den letzten Jahren rechtlich wie praktisch große Fortschritte erzielt worden, was mehr als erfreulich ist (siehe Handbuch Kinderfreundliche Kommunen 2021). Sie gehört ebenso wie der Bürgerhaushalt zu den kontinuierlichen Themen und Aspekten des Beteiligungsrates als Ort des konstruktiven Dialogs.

Diese Bestrebungen benötigen alle Zeit und Geduld, die beharrlich auch gegen Enttäuschungen fortgesetzt werden müssen. Sie atmen den Geist der inklusiven und partizipativen Demokratie, der Sinn und Freude macht. Mündigkeit und Selbstwirksamkeit wirken Schritt für Schritt und nicht in großen Sprüngen. Insofern sind sie in ihrer Grundsätzlichkeit noch einmal zu unterscheiden von den zahlreichen konsultativ-beratenden Gremien, die sich die Politik inzwischen eingerichtet hat, bis hin zur wissenschaftlichen Politikberatung, die an der deliberativ-sachlichen Qualität ihrer Ergebnisse gemessen werden. Politiker haben Angst vor Fehlentscheidungen. Die Politik kann und muss heutzutage, wo immer möglich, evidenzbasiert sein. Die Legitimation durch Beteiligung sorgt zudem dafür, dass die Entscheidungen besser vorbereitet sind. Noch einmal etwas anderes ist die Mitwirkung der Bürgerschaft an Entscheidungen. Wir unterscheiden:

– zwischen verschiedenen Stufen der Beteiligung von Information über Konsultation bis hin zu Mitwirkung und Entscheidungen sowie

– zwischen verschiedenen Arten der Beteiligung (bürgerschaftlich, semiprofessionell gemischt und professionell). Die Bürgerbeteiligung selbst wurde in den letzten Jahren zunehmend professionalisiert und akademisiert, was auch zwiespältige Auswirkungen hat, die selbstkritisch zu diskutieren sind.

– Eine professionelle Moderation ist für viele Verfahren unumgänglich. Dies wiederum bedingt ein bestimmtes Setting mit Sprech- und Verhaltensregeln, die sozial selektiv sind. Der Verbalisierungsgrad dieser Art von Beteiligung ist hoch, während die Niedrigschwelligkeit ein Beteiligungsgrundsatz ist. Solche und andere, teils strukturelle Widersprüche und Schwierigkeiten müssen Thema der Bürgerbeteiligung bleiben.

– Eine dritte Ebene von Fragen richtet sich auf die Verbindlichkeit, Reichweite und Verknüpfung der verschiedenen Verfahren. Diesbezüglich ist noch am meisten zu tun, gedanklich wie praktisch.

Die demokratische Frage ist immer primär verfahrensorientiert. Im Kern gilt es, mit legitimen Verfahren zu verbindlichen Beschlüssen zu kommen (ausführlich Kleger, Demokratisches Regieren, 2018). Das ist in einer modernen, differenzierten und liberalen Gesellschaft generell schwieriger geworden, weshalb systematische Legitimation durch Beteiligung und in ihrem Gefolge Demokratiepolitik zu einem vordringlich-aufdringlichen Thema wird, das politisch natürlich nicht unumstritten ist.

Inhaltlich beziehen sich die Empfehlungen der Stiftung Mitarbeit (2021) auf die Digitalisierung, die Klimapolitik und die Beziehungen zum Land. Die Pandemie hat dazu gezwungen, Bürgerbeteiligung mit digitalen Techniken zu lernen, worauf der Beteiligungsrat vielfältig aufmerksam gemacht hat. Im April 2020 hatte er schon digital beraten, während die Verwaltung durch Krisenmanagement und Hackerangriffe absorbiert war. Hierbei geht es vor allem um neue Hybridformate, die digitale Demokratie steht erst am Anfang.

Es ist wichtig, gerade in Krisensituationen zu zeigen, dass die Demokratie der Bürger und Bürgerinnen systemrelevant bleibt. Auch neue Protestformen wurden trotzig ausprobiert (die leeren Stühle der Gastronomen am 1. Mai, die Menschenketten mit Abstand von Seebrücke). Das nachgerade schon traditionelle (Berliner)Stadtforum mit seiner originellen institutionellen Struktur hat zudem erfolgreich eine 67. (!), diesmal digitale Sitzung mit verschiedenen Akteuren zur Stadtentwicklung unter Coronabedingungen abgehalten (Kleger u.a., Vom Stadtforum zum Forum der Stadt, 1996). Außerdem hat die Stadtverordnetenversammlung einen zusätzlichen Ausschuss ‚Partizipation, Transparenz und Digitalisierung‘ (PTD) eingerichtet, um vor allem die längst überfälligen Probleme der Digitalisierung zu erörtern. An dieser Stelle ergibt sich eine weitere Verzahnung mit der Arbeit des Beteiligungsrates.

Während es in Brandenburg einen Digitalrat nur auf Landesebene gibt, existiert ein Klimarat auch in Potsdam, das zu den Städten gehört, die den Klimanotstand ausgerufen haben. Klimaneutralität muss ein vorrangiger Gesichtspunkt bei der Planung neuer Stadtquartiere werden (Krampnitz, Pirschheide), wofür wiederum neue Beteiligungsverfahren, als eine Art ‚Maschenprobe‘, notwendig werden, damit nicht erst hinterher die Probleme des öffentlichen Verkehrs, der unerschwinglichen Mieten und des nachhaltigen Bauens offensichtlich werden.

Die Beziehungen zum (Flächen-) Land Brandenburg wiederum sind demokratiepolitisch noch erheblich zu verbessern. Man weiß zu wenig voneinder. Austausch- und Kooperationspartner sollte hier das ‚Tolerante Brandenburg‘ mit seinem Beratungsnetzwerk (RAA, demos, Opferperspektive u.a.) werden, das es seit 1998 gibt. Oft existieren regional zahlreiche Aktivitäten unwissend und unverbunden nebeneinander. Primär ist das eigene Projekt. Projektemacherei allein ist aber noch keine Demokratiepolitik. Auch und gerade Engagementpolitik kann an Wirklichkeitssinn einbüßen und dabei die wirklichen Notwendigkeiten politischer Auseinandersetzung verfehlen. Die Mikro- und Makrostrukturen sind gleichermaßen im Auge zu behalten: global denken, lokal handeln, regional planen.