2024 wird ein herausforderndes Jahr für den Brandenburger Weg, der 1989 begonnen hat und 1992 mit der neuen Verfassung durch eine Volksabstimmung gefestigt worden ist.
In deren Präambel heißt es: „Wir, die Bürgerinnen und Bürger des Landes Brandenburg, haben uns in freier Entscheidung diese Verfassung gegeben, im Geiste der Traditionen von Recht, Toleranz und Solidarität in der Mark Brandenburg, gründend auf den friedlichen Veränderungen im Herbst 1989, von dem Willen beseelt, die Würde und Freiheit des Menschen zu sichern, das Gemeinschaftsleben in sozialer Gerechtigkeit zu sichern, das Wohl aller zu fördern, Natur und Umwelt zu bewahren und zu schützen, und entschlossen, das Bundesland Brandenburg als lebendiges Glied der Bundesrepublik Deutschland in einem sich einigenden Europa und in der einen Welt zu gestalten“.
Es war bisher ein konsensualer integrativer Weg trotz heftigster politischer Konflikte (schon bei der Entstehung dieser Verfassung – mit der bekannten Drohung der Klage vor dem Bundesverfassungsgericht!) mit tiefen Gräben aufgrund unterschiedlicher Erfahrungen und deren Verarbeitung bis hin zu persönlichen Verfeindungen und ressentimentgeladenen Rückzügen, die ihre Spuren hinterlassen haben.
Das demokratiepolitische Handlungskonzept ‚Tolerantes Brandenburg‘ hat zudem 1998 – verspätet zwar, aber aus selbstkritischer Einsicht – auf die neuen Herausforderungen des Fremdenhasses, der Gewalt und des Rechtsextremismus der 90er Jahre reagiert. Es wird von allen demokratischen Parteien im Landtag mitgetragen und von der AfD, die seit 2014 im Landtag vertreten ist, inzwischen kritisiert.
Dem sind ebenso Konflikte, etwa um das Aktionsbündnis gegen Rechtsextremismus, auch unter den Engagierten und Aktiven vorangegangen. Demokratie lebt von Streit, aber auch von Gemeinsamkeiten. Beides hat Voraussetzungen, denen wir im Folgenden aus aktuellem Anlass etwas konkreter und präziser auf die Spur kommen wollen.
Das ‚Tolerante Brandenburg‘ mit seinen verschiedenen Akteuren eröffnete staatliche und nicht-staatliche Handlungsmöglichkeiten. Die Repression durch den Rechtsstaat und die Stärkung der Zivilgesellschaft sollten konstruktiv zusammenspielen. Die Zivilgesellschaft war in den 90er Jahren noch schwach entwickelt.
Aus der engagierten Auseinandersetzung mit Fremdenfeindlichkeit, Gewalt und Rechtsextremismus ist daraus eine sichtbare Gegenkraft, zum Beispiel 2002 das anlassbezogene Bündnis Potsdam bekennt Farbe! zustande gekommen, die zugleich ein Beitrag zur politischen Identität des neuen Bundeslandes geleistet hat. In Brandenburg stärker als in Sachsen.
Daran knüpft „Brandenburg zeigt Haltung “ 2024 an, eine Kampagne, die der Verein „Neues Potsdamer Toleranzedikt“, den es seit 2009 gibt, gegründet in der französisch-reformierten Flüchtlingskirche, lanciert hat.
Brandenburg zeigt Haltung
Hintergrund dafür ist der ungebremste Zulauf zur AfD – das ‚blaue Wunder‘ –, die Correctiv- Enthüllungen in der Villa Adlon in Neu-Fahrland über erschreckende Remigrationspläne und die Wahlen in diesem Jahr, die Deutschland politisch verändern werden. Ziel ist es, die schweigende Mehrheit für Demokratie und Zusammenhalt zu mobilisieren.
Dazu dient ein Aufruftext, mit dem bekannte Erstunterzeichner an die Öffentlichkeit treten. Angezielt wird eine breite Mitte der Zivilgesellschaft, einschließlich Unternehmen, und die große Fläche des Landes über Potsdam hinaus – Mitte und Fläche (https://www.brandenburg-zeigt-haltung.de).
Bei der Kampagne handelt es sich um eine Unterstützungsplattform für verschiedene zivilgesellschaftliche Initiativen. Sie dient deren Sichtbarkeit, Unterstützung und Vernetzung.
Anfang April – nach einem Monat – haben sich schon über 5.100 Menschen und über 350 Organisationen aus dem Land Brandenburg dem Aufruf angeschlossen.
Bereits am Wochenende nach den Correctiv-Enthüllungen versammelten sich am 14. Januar mehr als 10 000 Menschen auf dem Alten Markt in Potsdam zwischen Nikolaikirche und Landtag: „Potsdam wehrt sich! Gegen Rechtsextremismus und Umsturzpläne!“. Es war die größte Kundgebung seit 1989. Der Oberbürgermeister als Vorsitzender des Bündnisses ‚Potsdam bekennt Farbe‘ hatte kurzfristig dazu aufgerufen.
Seitdem finden zahlreiche Demonstrationen im ganzen Land, auch an kleinen Orten statt, oft zum ersten Mal. Am 24. Februar zum Beispiel in: Beelitz, Herzberg, Müncheberg; am 25. Februar in: Ahrensfelde, Eberswalde, Falkensee, Luckau, Wittenberge, Mahlow und vielen anderen Orten. Mitmachen auf der Plattform kann man auf unterschiedliche Weise durch Vernetzung und eigene Beiträge. Auch Materialien werden zur Verfügung gestellt.
So viel aktive Mitte und Vermittlung war selten. Wer von Bürgergesellschaft und Demokratie spricht, will mehr als ‚bürgerliche Mitte‘. Haltung bedeutet hier zahlenmäßig und inhaltlich mehr und anderes. ‚Haltung‘ (Ethos) zeigen heißt, sich für die Demokratie einzusetzen in allen gesellschaftlichen Bereichen und unabhängig von parteiischen Auffassungen und Meinungen, und zwar in einem grundsätzlichen Sinn von Gesprächen als ‚Seele der Demokratie‘ ohne Hass und Diskriminierung. Gespräche ermöglichen neue Begegnungen und überraschende Erkenntnisse, sie müssen aber auch viel aushalten können. Sie sollen Raum geben für Ängste und Bedenken, ohne gleich Personen politisch abzustempeln und zu beschimpfen.
‚Bürgerfreundschaft ‚(Aristoteles) wäre deshalb zu viel gesagt, auch Brüderlichkeit und Geschwisterlichkeit sind dafür zu große schöne Visionen, aber zumindest Freundlichkeit, vielleicht sogar Menschenfreundlichkeit und eine gewisse Neugierde sehen wir als Voraussetzung für diese komplexe und pluralistische Zivilgesellschaft.
Ihr Wachstum richtet sich negativ entschieden gegen verrohende unzivile Tendenzen der Gewalt, nicht nur in der Politik, sondern der Gesellschaft überhaupt, insbesondere fremdenfeindliche, frauen- und kinderfeindliche Gewalt und Gewalt gegen Minderheiten, Obdachlose und Hilflose.
Nicht nur der Oberbürgermeister von Frankfurt/Oder, René Wilke, nimmt beispielsweise eine zunehmende Verrohung im Umgang mit Kommunalpolitikern bis hin zu Morddrohungen wahr (Märkische Allgemeine, 28. März, S.1): „Politik ist heute in einer Spirale der Härte und Auseinandersetzung, auch in einer Spirale der Lautstärke“. Für ein demokratisches Mit- und Gegeneinander-Regieren bräuchten wir heute das Gegenteil: „mehr Differenziertheit und etwas mehr Milde im Umgang miteinander“ (Wilke, Die Linke a.a.O.). Siehe auch: Hetze im Wahljahr, Tagesspiegel 3. April.
Diese Milde zeichnet ursprünglich für den vergleichenden Beobachter und Analytiker die demokratische politische Kultur aus (so Tocqueville, der im 19. Jahrhundert die neue Demokratie in Amerika (1835/40) mit der aristokratischen Gesellschaft vergleicht). Dieser Umstand ist nicht „demokratieweich“(Lenin) im abwertenden Sinne, sondern vielmehr die Stärke der Toleranz, wie wir das aufgreifen und verstärken möchten.
Die kämpferische Toleranz ist die Grundlage einer freiheitlichen Demokratie und ihrer Integrationskraft, die freilich Zeit, Geduld und Beharrlichkeit auf der subjektiven Seite und mannigfache günstige Umstände auf der objektiven Seite wie soziale Mobilität und Frieden benötigt.
Auch die Mehrheit der Linken (Ex-PDS) hat sich in Ostdeutschland in diesem Sinne entwickelt, was heute neue Koalitionen auf Regierungsebene (auch in Thüringen, dem ‚Ernstfall für die deutsche Parteien- Demokratie‘) ermöglicht. Die Parteienlandschaft verändert sich, neue Parteien und Bewegungen (BSW, Freie Wähler, Werteunion) kommen hinzu. Die Herausforderung demokratischer Regierbarkeit bleibt. Sie verlangt ein gereiftes kooperatives Verständnis von Politik und Demokratie bei aller Konkurrenz.
Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Staat
‚Zivilgesellschaft‘ meint dabei einen Handlungszusammenhang verschiedener pluraler Akteure, der weder staatlich noch wirtschaftlich ist, aber in einem kritisch konstruktiven, wenngleich nicht konfliktfreien Verhältnis zu Staat und Wirtschaft agiert.
Zivilgesellschaft ist also nicht gleichzusetzen mit Gesellschaft oder mit Gemeinschaft(en). Auch vor der Vereinnahmung durch politische Parteien muss sie sich hüten, um langfristig glaubwürdig zu bleiben. Formal ist sie am ehesten als ein Zusammenhang von freiwilligen bürgerschaftlichen Assoziationen/Vereinigungen (im Sinne Tocquevilles) zu begreifen.
Das ‚Neue Potsdamer Toleranzedikt‘ e. V. ist ein zivilgesellschaftlicher Verein für alle, die sich dem Aufruf „Brandenburg zeigt Haltung“ anschließen können – für das staatliche Handlungskonzept ‚Tolerantes Brandenburg‘ übernimmt es gleichsam diese Aufgabe.
Es ist ein zivilgesellschaftlicher Verein im Sinn von: parteiübergreifend, gemeinnützig, staatsunabhängig mit verschiedenen Akteuren aus allen gesellschaftlichen Bereichen wie Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur, Sport u.a.
Neues Toleranzedikt
Sprachrohr einer vielfältigen Zivilgesellschaft kann das neue Toleranzedikt als Stadt- und Dorfgespräch gleichwohl nicht sein, bestenfalls Anreger und Forum. Das neue Toleranzedikt versteht sich nicht in Konkurrenz, sondern komplementär zu anderen zivilgesellschaftlichen Initiativen und Bündnissen, die genauso nötig sind, darunter die Gemeinwesensarbeit für die Kommunen, die Opferperspektive, das Aktionsbündnis gegen Rechtsextremismus, die Flüchtlingshilfe, die Integrationsarbeit u.a..
Das neue Toleranzedikt soll ein Beitrag sein zu den geistig-politischen Auseinandersetzungen um Orientierungen in einer Zeit ständiger tiefgreifender Umbrüche nach 1989 in einer zunehmend zersplitterten und verunsicherten Welt der ‚Weltunordnung‘. Es bietet einige Fixpunkte und zahlreiche Anknüpfungspunkte. Zu seinen Fixpunkten – das sind die Grundsätze, die es zu konkretisieren gilt – gehört es:
- die Möglichkeiten der Toleranz auszuschöpfen (sie ist eine Stärke) und das Nicht-Tolerierbare klar zu benennen (Toleranz und Entschiedenheit);
- die Verbindung von Toleranz und Solidarität zu festigen;
- den Konsens der Demokraten gegen Gewalt, Fremdenhass und politischen Extremismus zu stärken, dabei ist der Schatz geteilter Erfahrungen von Bedeutung
- sowie das Erbe von Aufklärung, Einwanderung und Toleranz sicht- und lehrbar zu halten.
Letzteres ist keine Selbstverständlichkeit, vielmehr ist hier vieles buchstäblich näherzubringen, nicht nur als aktive Erinnerungskultur, sondern auch als aktuelle politische Theorie.
Im neuen Toleranzedikt (2008) haben wir Toleranz definiert 1. als Geduld, 2. Offenheit und 3. als friedlich-demokratischen Umgang mit Differenzen. Die Fähigkeit zur Toleranz, die immer wieder aufs Neue herausgefordert wird, vereinigt diese drei Bedeutungen.
In der schnelllebigen modernen Gesellschaft, die Traditionen entwertet, ist es umso wichtiger, Brücken zwischen Herkunft und Zukunft aufrechtzuerhalten. Das neue Toleranzedikt steht in einer selbstgewählten Tradition mit eigenen (Quartier-)Festen und Feiern, die von Bürgerschaften getragen und fortentwickelt wird.
Eine geistige Orientierung aus der Geschichte der demokratischen Verfassung (1849, 1919, 1949, 1992) lässt sich derart verbinden mit einem problemlösungsorientierten kreativen Pragmatismus in Krisenzeiten, der belastbar ist.
Orte der Demokratie
Im Zentrum demokratischer Politik steht die Bildung von Bürgerschaft(en) (demos, demoi, Demoikratie: multiple, mehrstufige und vielfältige Demokratie), die nicht vom Wertehimmel fällt, sondern Resultat konfliktiver Praxis ist. Sie hat einen jeweils konkreten Ort (genius loci) in einer spezifischen Zeit.
Nicht zufällig hat die Demokratie der Bürger historisch, ideell und systematisch einen lokalen Schwerpunkt, der sich auf andere Ebenen verlagern kann (die Demokratie der gewählten Vertreter), zu denen eine Beziehung besteht.
Dieser Schwerpunkt der Demokratie ist in der heutigen Welt mit ihrer Unübersichtlichkeit und Unsicherheit bei aller Bedeutung internationaler Politik wieder zu stärken und keinesfalls zu vernachlässigen, etwa durch die dramatische Unterfinanzierung der Kommunen. Sie sind auch im Föderalismus nicht bloßes Anhängsel der Bundes- und Regionalpolitik, sondern eine Herzkammer der Demokratie.
Die Demokratie der Bürger und Bürgerinnen ist heute vielfältig an Beteiligungsmöglichkeiten, vor allem auf kommunaler Ebene. Für Potsdam seien hier nur das Stadtforum, der Bürgerhaushalt und die Bürgerbudgets, die Werkstadt für Beteiligung intern (zur Verwaltung hin) und extern (zur Zivilgesellschaft hin) und der Beteiligungsrat genannt.
Davon ist die Makroebene der modernen Parteiendemokratie zu unterscheiden. In der Bundesrepublik Deutschland ist sie eine parlamentarische, föderale und soziale Grundrechtedemokratie. Die Grundrechte regieren das Grundgesetz (Carlo Schmid), deren Hüter das Verfassungsgericht ist.
Diese Demokratie ist komplex und voraussetzungsreich. Sie darf nicht simplifiziert und polarisiert werden. Dafür tragen verschiedene Akteure eine Verantwortung, die eine geteilte demokratische Verantwortung ist, die auf Machtteilung (Montesquieu, Der Geist der Gesetze) beruht.
Die Parteienkonkurrenz von Parteien, die dauernd in bestimmten Koalitionen regieren, birgt in einem Parteienstaat die Tendenz, von Kooperation in Kollusion umzuschlagen. Die Machtteilung in der Demokratie funktioniert dann nicht mehr. In der halbdirekten Demokratie wie in der Schweiz bilden Volksabstimmungen, die auch nicht immer klug entscheiden, ein Gegengewicht dazu.
Demonstrationen und Proteste sind zudem wichtig und Ausdruck unmittelbarer Demokratie der grundrechtlich verbürgten Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Gleichwohl sind Demonstrationen und Demokratie nicht auf einer Ebene zu verorten.
Erstere können nicht alle Rollen der Demokratie erfüllen. Moderne Demokratie ist heute über die antike Polis-Demokratie als Versammlungsdemokratie systematisch weit hinaus eine Mehrebenen-Demokratie (lokal, kommunal, regional, national, europäisch) mit verschiedenen Repräsentationsformen.
Nicht alle Wahlen mögen deshalb in diesem Jahr von gleicher Bedeutung für die meisten Bürger sein, die sich mit ihren Orten als Heimat und vorwiegend regional identifizieren. Die EU ist ein verfassungs- und demokratiepolitisches Thema für sich. Bei der Europawahl kann Deutschland 96 Abgeordnete für das Europäische Parlament (EP) wählen, es gilt das Prinzip der degressiven Proportionalität. Das Wahlalter ist in Deutschland auf 16 Jahre gesenkt worden, in anderen Ländern ist es bei 18 geblieben. 35 Parteien sind zugelassen, eine 5%-Hürde gibt es nicht.
Überdies spielen glaubwürdige Personen als Politiker und Parteien vor Ort, die man kennt, eine ausschlaggebende Rolle. Begriffene und gelebte Demokratie sind gleichermaßen wichtig, aber analytisch zu unterscheiden. Dennoch haben viele, mehr als sonst, für dieses Jahr 2024 voller Überzeugung wieder gesagt: Wählen ist die wichtigste Beteiligung, und die Nicht-Wähler dürfen nicht die größte Partei bleiben.
Parteien erfahren wieder eine Aufwertung. Ohne das buchstäblich ‚blaue Wunder‘ des Aufstiegs der AfD als stärkster Oppositionskraft und Anti-Altparteien-Partei, zu denen als Hauptfeind auch die Grünen gehören, in den neuen Bundesländern hätten wohl die meisten, diese einfache Wahrheit der Demokratie nicht derart hervorgehoben: dass nämlich die Wahrheit der verschiedenen Meinungen letztlich in der Wahlurne liegt (die Meinung regiert schließlich in der Politik und nicht die Wahrheit im Singular!). Die zahlreichen großen Demonstrationen im ganzen Land partei- und generationenübergreifend gegen Rechts waren vor allem Demonstrationen gegen die AfD bis hin für deren Verbot.
Insofern erwarten wir uns von diesem Jahr, obwohl oder gerade weil der Ausgang der Wahlen ungewiss und spannend mit Folgen ist, nicht weniger als eine Belebung und Auffrischung von Demokratie zur Mitte hin und in der großen Fläche. Eine Verbreiterung, Vertiefung und Verstetigung des Austauschs kann und sollte daraus – translokal und transregional – folgen.
Politik als problemlösendes Handeln
Anlass und Ausgangspunkt für ‚Brandenburg zeigt Haltung‘ sind drängende gesellschaftliche Probleme, die uns alle fordern, von der Migrations- über die Demokratie – bis zur Energiekrise, die wir aber demokratisch tolerant und entschieden (durch verbindliche Beschlüsse) lösen müssen ohne Gewalt und Diskursvergiftung durch Einschüchterung und Niederbrüllen.
Haltung zeigen heißt deshalb – einfach, aber schwer – für eine streitbare Toleranz einzustehen, das Gespräch und die Auseinandersetzung zu suchen über die eigenen Gesinnungs- und Parteifreunde hinaus. Auch gewählte AfD-Politiker sind keine „Aussätzige“ (Deniz Yücel). Parteien, nachdem sie keine Volksparteien mehr sind, müssen sich der Zivilgesellschaft wieder stärker öffnen. Die Demokratie ist gleichermaßen defensiv wie offensiv-kreativ durch Stärkung der Bürgerbeteiligung, neue Formate und Kombinationen zu verteidigen.
Die Parteiverhältnisse sind in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich. In Sachsen beispielsweise ist die SPD auf einem historischen Tiefststand angekommen; AfD und CDU zusammen bringen es demgegenüber derzeit auf mehr als 60%. In Brandenburg dagegen konnte die SPD bei den letzten Landtagswahlen 2019 als ‚Brandenburg-Partei‘ noch einmal den ersten Platz erreichen und stellt – nach Stolpe und Platzeck – weiterhin den Ministerpräsidenten, aber auch nur, weil im Schlussspurt des Wahlkampfes für viele die Sorge groß war, die AfD könnte stärkste Partei werden.
Sie ist es knapp nicht geworden! Die Probleme mit der AfD sind also keineswegs neu und überraschend, lediglich die Rechtsradikalisierung und die Konsolidierung eines bestimmten, nur noch schwer erreichbaren Milieus wütender Bürger, die keine Verantwortung übernehmen wollen, hat sich verstärkt. Dabei spielte auch die Corona-Krise ( „Corona-Diktatur „) eine prägende Rolle. Die Korrelation zwischen Impfgegnern und AfD-Anhängern war auffällig.
Derzeit liegt die AfD in Brandenburg laut Umfragen mit 32% weit vor der regierenden SPD (20%), die CDU von Jan Redmann ist durch Wahlkampf gegenwärtig damit gleichauf, während die AfD Prozentpunkte zu verlieren scheint (Tagesspiegel, 4. April). Umfragen sind indes noch keine Wahlen, obwohl sie zu beachten sind.
Selbstverständlich spielen auch Bundestrends (die ungeliebte Ampelregierung, Missvergnügen der Steuerzahler und Verbraucher) sowie durchaus bedrohliche europäische Entwicklungen (Krieg und Frieden, innere und äußere Sicherheit) eine große intervenierende Rolle, die nur schwerlich vorausgesagt werden können.
Ministerpräsident Woidke geht deshalb frühzeitig den Wahlkampf offensiv an: er will die erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung des Landes nicht in die Hände einer Partei geben, die ‚objektiv schlecht‘ ist insofern, als sie gar nichts in ihrer politischen Arbeit liefert und außerdem intern zerstritten ist. Die Wirtschaftsverbände unterstützen ihn darin schon seit letztem Jahr, deutlich wie nie zuvor. Sie teilen die Angst um den Standort und suchen händeringend nach ausländischen Fachkräften.
Auch in der Kommunalpolitik wirkt die AfD keinesfalls konstruktiv, obwohl sie Schulungen durchführt, und europapolitisch schon gar nicht, wo sie vielmehr einen für Deutschland unvorteilhaften Dexit ansteuert. Sie tritt mit dem Spitzenkandidaten Maximilian Krah an, der sich unmissverständlich klar rechts geäußert hat; man kann es nachlesen: „Politik von rechts“. Ein Manifest, Antaios Verlag 2023, 228 Seiten. Inhaltliche Argumente gegen das Programm wie vor allem gegen das, was sie tut bzw. nicht tut, gibt es mithin genug. Diese Partei in Brandenburg im September unter 20% zu halten, wäre ein Erfolg.
Das entbindet indes nicht von der Selbstkritik der Parteien und Regierung. Im Gegenteil, sie ist eine Voraussetzung der Bürgerdialoge, die im Wahlkampf mit den Wählern geführt werden müssen. Die Fehler, die beispielsweise beim Heizungsgesetz gemacht worden sind, haben alle mitbekommen. Warum ist das versprochene Klimageld der Klimaregierung noch immer nicht ausbezahlt? Und viele andere Fragen sind an die regierenden Parteien und ihre staatspolitische Verantwortung zu stellen.
Ministerpräsident Haseloff, der in Sachsen-Anhalt 2021 den prognostizierten Vormarsch der AfD stoppen konnte, hat es auf den Punkt gebracht: die Stärke der AfD liegt daran, dass die Parteien ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben. Diese umfassen verschiedene Punkte, auf die wir hier nicht eingehen können. Das zu tun, ist Aufgabe der bevorstehenden Wahlkämpfe, die gut vorbereitet werden müssen.
Arroganz ist dabei völlig falsch am Platze, auch schnelle Etikettierungen als rechts, rechtsextrem, Nazis, verfassungsfeindlich usw. genügen nicht. Für viele Bürger als Wähler sind das noch keine Argumente, die überzeugen. Zudem sollte man sich nicht allein auf die AfD fokussieren, was sie erhöht und gleichzeitig die inhaltlichen Auseinandersetzungen im Sinne problemlösender Politik verengt.
Bildnachweis: Agentur Medienlabor