Das Erinnerungsgebot gehört zur Zivilreligion. Am Sonntag lud Bundespräsident Steinmeier zum nationalen Gedenken an die Corona-Toten in den Konzertsaal am Gendarmenmarkt. Zuvor fand ein ökumenischer Gottesdienst in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche statt.
Aufgrund der aktuellen Fallzahl konnten lediglich 17 Personen an der Veranstaltung am Sonntagnachmittag teilnehmen. Die Spitzen des Staates, die 5 Verfassungsorgane waren vertreten: die Kanzlerin Angela Merkel, Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, Bundesratspräsident Reiner Haseloff und der Karlsruher Verfassungsgerichtspräsident Stephan Harbarth. Bundespräsident Steinmeier hielt eine mitfühlende Trauerrede. Die Gedenkstunde wurde im Fernsehen übertragen. Das ist ein Akt offizieller Zivilreligion.
Fünf Hinterbliebene kamen stellvertretend für die Opfer zu Wort: 80 000 Tote in Deutschland, 3 Millionen weltweit. Viele mussten einsam und qualvoll sterben ohne Beistand und Hilfe. Sie konnten nicht so bestattet werden, wie es sich die Angehörigen gewünscht haben. Selbstlos Helfende wurden angesteckt. Steinmeier bekundet seine Anteilnahme: „Es gibt keine Worte für Ihren Schmerz. Aber wir hören Ihre Klage.“ Der Bundespräsident hat im Jahr seit dem Corona-Ausbruch die Politik der Regierung nicht nur immer wieder mit Worten und kurzen Ansprachen zum richtigen Zeitpunkt unterstützt, sondern immer auch den Kontakt zu Erkrankten, Helfenden und Hinterbliebenen gesucht. Die Initiative für das Gedenken geht von ihm aus.
Das drückt sich in seiner würdevollen Rede aus, die an Leiden und Sterben erinnert, das unsichtbar geblieben ist. Es geht primär um Innehalten, Gedenken und Trauer. Man will einander gemeinsam Trost spenden durch einen gemeinsamen Blick auf die Tragödie: „Die Politik musste schwierige, manchmal tragische Entscheidungen treffen, um eine noch größere Katastrophe zu verhindern.“ Selbstverständlich wird man auch über die Fehler sprechen müssen, aber nicht an diesem Tag, dem 18. April, der von der Übereinstimmung von Vielen in großer Trauer getragen ist.
Der Gedenktag zeugt von der Fähigkeit zu trauern, er gibt zu denken über Leben und Tod. Er verdeutlicht auch, dass Menschen füreinander da sind – und es bleiben. Er erinnert an den gemeinsamen Sinn, den Gemeinsinn über das Trennende hinaus. Für die Politik heißt das Zusammenhalt. Die Symbole und Rituale der Zivilreligion stiften Einheit, wo keine ist – über alle sozialen, konfessionellen und politischen Grenzen hinweg. Die Pandemie hat erschöpft, und viele sind gereizt. Wir wissen inzwischen, dass nicht alle gleich betroffen sind, trotzdem oder gerade deswegen ist Solidarität möglich und nötig. In solchen Situationen tritt die Bedeutung des Gemeinsinns hervor. Niemanden alleinlassen heißt der große Anspruch.
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