Wer amerikanischer Präsident wird, ‚Commander in Chief‘, ‚Führer der freien Welt‘, ist nicht nur für das Land jenseits des Atlantiks wichtig, sondern noch mehr – so scheint es – für Europa und die Welt, gerade in der heutigen Weltunordnung.
Das Rennen zwischen den beiden alten Herren Biden und Trump, das für viele, vor allem junge Amerikaner zu wenig Alternative ist, war und bleibt knapp. Es spitzt sich von Woche zu Woche mehr zu und beansprucht schon vier Monate vor der Entscheidung im November bereits die größte mediale Aufmerksamkeit.
Insbesondere das Drama um den 81-jährigen Biden, der jetzt auch noch Corona eingefangen hat, raubt nicht nur seinen Mitarbeitern und Unterstützern regelmäßig den Atem, es führt auch zur Panik in der Demokratischen Partei kurz vor ihrem Nominierungsparteitag im August.
Seit dem desaströsen TV-Duell am 27. Juni ist es zu einer regelrechten griechischen Tragödie ausgewachsen, diesmal auf der Weltbühne der internationalen Medien, die alles sehen und kommentieren. Böse Zungen sprechen von den „Erschießungskommandos der Medien“. Und wir? Wir sind Voyeure geworden.
Dabei geht es um nicht weniger als die Demokratie, für die Biden gegen Trump, den Präsidenten über dem Gesetz, noch einmal in den Ring gestiegen ist. Wer setzt ihn fort, wer gewinnt ihn? Es geht tatsächlich um mehr als Policy-Differenzen, etwa in der Gesundheits- oder Einwanderungspolitik oder anderen Politikfeldern.
Die Polarisierung durch Mobilisierung ist in den letzten Jahren so weit gediehen, dass schon von bürgerkriegsähnlichen Zuständen gesprochen worden ist. Erfahrene Altersmediziner geben dem ältesten Präsidenten der amerikanischen Geschichte keine guten Prognosen für die nächsten vier Jahre im wohl härtesten Amt der Welt.
Biden ist zwar ein erfahrener Kämpfer, aber selbst enge Parteifreunde, sogar Obama versuchen ihn zu überzeugen, mit Anstand und Würde zurückzutreten und noch rechtzeitig den Weg freizumachen für eine andere überzeugende Kandidatur, an die er nicht so recht zu glauben scheint.
Nur Biden selbst kann das tun. Die Parteitagsdelegierten sind ihm verpflichtet. Logisch wäre Kamala Harris, die Vizepräsidentin auf seinem Ticket, als Nachfolgerin vorgesehen. Der ehemaligen Staatsanwältin aus Kalifornien ist der erforderliche Kampf für die Demokratie in Bidens Sinne zuzutrauen, aber hat sie auch Chancen im Wahlkampf?
Das wird gegenwärtig umfragentechnisch eruiert. Viel Zeit bleibt nicht mehr, zumal Trump einen guten Lauf hat, was nicht heißt, dass er schon gewonnen hat, trotz der starken ikonischen Bilder auf seiner Seite.
Einen Plan B gab und gibt es bei den Demokraten nicht, während die Republikanische Partei nach dem gescheiterten Attentat auf Trump – “ Glück oder Gott“ – am 13. Juli in Butler/Pennsylvania mit einem Sturmgewehr, die Reihen hinter Trump schließt und kämpferischer denn je mit gereckten Fäusten dasteht.
Der Parteitag in Milwaukee wird zur Krönungsmesse für Trump. Seine ehemals schärfsten innerparteilichen Widersacher Nikki Haley und Ron DeSantis halten Lobreden auf ihn, und die konservativen Kritiker der ‚grand old party‘ Lincolns scheinen bedeutungslos geworden zu sein.
Trump der Polarisierer steht plötzlich als Versöhner der Nation da, eine Rolle, die bisher Biden seit der Corona-Krise glaubwürdig in Anspruch nahm, der nun neben Trump plötzlich noch älter und gebrechlicher in der Öffentlichkeit erscheint. Darüberhinaus hat der Dealmaker und Antiintellektuelle Trump mit der Wahl seines Vize J.D. Vance einen inhaltlichen Glücksgriff getan.
Der 39-jährige Senator aus Ohio gilt als Inbegriff des amerikanischen Traums : aus ärmlichen und schwierigen Verhältnissen in den Appalachen herkommend , Marineinfanterist, Yale- Absolvent, konvertierter Katholik, Unternehmer, Bestsellerautor (Hillbilly Elegy 2016) und Intellektueller. Das ist eine Kombination, die man sich in Deutschland nicht vorstellen kann. Vance versteht sich als Anwalt der Arbeiter. Aus Links ist Rechts geworden.
Das neue Stichwort heißt „Postliberalismus“ (siehe Wall Street Journal 17.7.24). Wirtschaftsnationalismus, Common Man, Common sense sowie die Kritik am Hochmut und der Arroganz der globalen Eliten kommen gut an. Die Frage ist, ob dieser Postliberalismus die Plutokratie stärken wird und die kommunitaristischen Stichworte bloß Feigenblätter sind.
Dass nun Musk, Thiel u.a. sich deutlich für Trump aussprechen und in seinen Wahlkampf investieren, ist ein vielsagendes Zeichen. Vance ist auch ein Zögling von Milliardär Peter Thiel, dem ‚conservative libertarian‘, geschäftlich, weltanschaulich wie politisch. Hinter Thiel wiederum stehen intellektuelle Erweckungserlebnisse in den Seminaren von Leo Strauss und René Girard in Chicago und Stanford.
Unternehmerischer Erfolg, Geist und publizistische Macht schließen sich nicht aus. Sie gehen hier eine Synthese ein, die man nicht unterschätzen sollte. (Siehe auch Ian Ward, The Seven Thinkers and Groups That Have Shaped JD Vance ’s Unusual Worldview, in : Politico, 18. Juli 24).
Der Trumpismus als Bewegung wird Trump überleben. Mit der überraschenden und klugen Wahl von Vance als Running mate hat Trump für einen Nachfolger gesorgt im Unterschied zu den Democrats. Der Kurs des Mega-MAGA-Duos wird klarer, wenn sie gewinnen sollten: Abwanderung und Abstieg der Arbeiterklasse stoppen, die Ausbeutung der amerikanischen Steuerzahler durch die Alliierten verhindern.
Daraus werden die wirtschafts- und außenpolitischen Strategien für America first abgeleitet. Der wirtschaftspolitische Protektionismus wird ein Markenzeichen werden. Die Außenpolitik sodann steht in der Tradition des Isolationismus.
Vance Rede am 17. Juli, der zuvor auch unbeachteter Teilnehmer der Münchner Sicherheitskonferenz war, wurde frenetisch bejubelt. Er gehörte maßgeblich zu jenen Republikanern, die das so dringlich benötigte 60-Milliarden Hilfspaket an die Ukraine blockiert hatten. Biden entschuldigte sich bei Selenski dafür.
Die große ‚moderate‘ Rede von Trump wird am 18. Juli mit besonderer Spannung erwartet. Spricht er, nach dem Attentat geläutert, als Versöhner? Er hatte angekündigt, eine harte Rede gegen Biden getauscht zu haben für eine Rede, welche „das Land vereint“, was schon andere große Präsidenten geschafft haben – angefangen bei Lincoln.
Die 90-minütige Rede war im Ton tatsächlich ruhiger und strotzte nicht so von persönlichen Angriffen wie seine lauten Wahlkampfreden. Nur einmal wurde Biden erwähnt als Biden-Regierung, natürlich die schlechteste Regierung ever, die großen Schaden angerichtet habe. Neben der persönlichen Reflexion auf den Tag des Attentats, in der er minutiös sein Verhalten und das der tollen Menschenmenge schilderte, erfuhr man inhaltlich nichts Neues. Häufig waren die Wiederholungen seiner Erfolge in den vier Jahren, als er Präsident war.
Es waren die besten Jahre für die Wirtschaft und das Militär. Noch großartiger werden die nächsten vier Jahre werden als 47. Präsident, in denen er das Land noch großartiger ever machen will mit Frieden und Wohlstand für die Welt. „Gemeinsam“, wie er betont: „Er wolle nicht nur Präsident für die Hälfte der Amerikaner sein“. Das gegenwärtige Land sieht er „im Niedergang“, vor allem durch die illegale Migration, die „Invasion von Kriminellen“, die andere Länder in die USA auslagern. Er kündigt eine große Abschiebeaktion an und will die Mauer zu Ende bauen. Grenzen, Sicherheit und Souveränität gehören zusammen.
Hunderttausende Arbeitsplätze will er zurückholen, die Automobilindustrie retten, Fabriken im eigenen Land bauen, die Inflation bekämpfen, die Steuern und Energiekosten drastisch senken, aber kein Geld für „grüne Ideen“ ausgeben. Die Rede wie die gesamte durchchoreographierte Inszenierung der Convention, die nicht vergleichbar ist mit europäischen Parteitagen, bietet allen Wählerschichten etwas an.
Es ist die Woche der Republikaner und eine Riesenparty, aber auch die Familie Trump und die Religion spielen eine zentrale Rolle – Trump als „Gottesgeschenk“. Es wird gebetet, mit dem Baptistenprediger Billy Graham, und Trump unterbricht seine Rede für ein Gedenken an den tapferen Feuerwehrmann, der sich in Butler schützend vor seine Familie stellte. Seine Uniform steht auf der Bühne neben dem Rednerpult.
Vom Brückenschlag zu den Demokraten war nicht viel zu hören. Trump wirft ihnen vor , „die Justiz zu bewaffnen“ und fordert sie auf, „die Hexenjagd“ gegen ihn einzustellen. Er sieht sich sogar als „Retter der Demokratie“. Trump hat sich nach der Erfahrung des Attentats persönlich durchaus verändert, er wirkt freundlicher und demütiger . Politisch ist er der Dealmaker mit großem Ego geblieben, mit wenig Analyse und ohne Selbstkritik.
Trump und Vance sind nicht einmal Minimaldemokraten, die Wahlergebnisse akzeptieren. Nach dem historisch beispiellosen Sturm auf das Capitol am 6. Januar 2021 unter der Losung „Hängt Pence!“ hätte Vance als Vize die Wahl nicht ratifiziert, wie er selbst sagt. Für Staatsstreiche gut, verbreitet er weiterhin die Mär von der gestohlenen Wahl, obwohl es mehrere Gerichtsurteile dagegen gibt.
Es ist noch nicht einmal explizit sicher, dass das undemokratische Duo, das nun in Schwung geraten ist, eine Wahlniederlage im November akzeptieren würde. Bei Krisendiagnosen der Demokratie ist immer die Frage: wiegelt man ab, indem man auf die bewährten Institutionen vertraut, oder dramatisiert man aufgrund dessen, was man selbst gesehen und gehört hat.
Einige Fakten und weltanschauliche Hintergründe, die zu denken geben, sollte man jedenfalls zur Kenntnis nehmen.
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