Der amerikanische Präsident nahm sich zwei Tage Zeit für seinen Besuch in Polen. Es ist weit mehr als ein Symbolbesuch geworden. Zunächst landete die Air Force One in Rzesow, einer Stadt nahe an der ukrainischen Grenze. Polen ist das Tor zu diesem Land im Krieg: für die Flüchtlinge ebenso wie für die Waffenlieferungen. Polen hat bisher mehr als 2,2 Millionen Flüchtlinge aufgenommen, fast zehn Mal so viele wie Deutschland.
Polen verlangte von Anfang an entschieden mehr militärische Unterstützung für die Ukraine, auch von der Nato, zum Beispiel Kampfjets. Natürlich wusste man um die Riskanz solcher Entscheidungen, man weiß aber auch, dass man Putins Russland mutig und entschlossen entgegentreten muss. Polen ist seit jeher ein Frontstaat, der um seine Freiheit zu kämpfen weiß.
Das Land befürchtet, das nächste Opfer des russischen Imperialismus zu werden, den man aus bitterer historischer Erfahrung von Stalin (‚Katyn‘) bis zu Breschnews beschränkter Souveränität bestens kennt. Polen setzt deshalb auf die Amerikaner und fordert, neben der starken eigenen Landesverteidigung, mehr Truppen und besseres Gerät gerade auch von den USA. Das wiederum ist Russland ein Dorn im Auge, das darüber diskutiert, dass man in 30 Sekunden Warschau auslöschen könnte. Für Putin ist die Nato schon lange der Kriegsgegner. Ist aber die Nato bereit, diese Rolle anzunehmen? Das fragt sich auch Polen.
Biden ist nach Warschau gekommen, um die „heilige Verpflichtung“ des Nato-Beistands nach Artikel 5 glaubwürdig zu erneuern. Vor dem polnischen Volk und der Welt hat er geschworen, dass jeder Zentimeter des Nato-Gebiets verteidigt werde. Er hat dabei noch einmal deutlich gemacht, wo die roten Linien verlaufen.
Nach dem obligatorischen Truppenbesuch bei der 82. Luftlandedivision mit Pizza und Selfies wird er anderntags mit allen militärischen Ehren offiziell von Präsident Duda in Warschau empfangen. Die Nato hat inzwischen ihre Ostflanke von den baltischen Staaten bis Rumänien erheblich verstärkt, auch in Polen. Ein „Mourir pour Danzig?“ wird es nicht geben.
In einem Gespräch mit einer Flüchtlingsfamilie aus Mariupol nennt der amerikanische Präsident Putin einen „Schlächter“(butcher), zuvor hatte er ihn schon zweimal als „Kriegsverbrecher“ und einmal als „Gauner“ bezeichnet. Prompt kam die Reaktion aus dem Kreml, dass dies nicht zur Diplomatie beitrage.
Putin sollte den bald 80jährigen Präsidenten, der als Anti-Trump im dritten Anlauf die Wahl gewonnen hatte, nicht unterschätzen. Biden ist ein erfahrener Außenpolitiker und war früher selbst als Außenminister im Gespräch, das darf man nicht vergessen. Er ist weder naiv noch unwissend.
Früh nannte er den großserbischen Nationalisten Milosevic einen Kriegsverbrecher. Nach dem Zerfall Jugoslawiens setzte er sich für eine aktive amerikanische Außenpolitik ein und plädierte für die militärische Ausbildung bosnischer Muslime. Er überzeugte Clinton, Nato-Lufteinsätze durchzuführen. Er stimmte 2003 auch dem Irakkrieg gegen Diktator Saddam Hussein (Iraqui freedom) zu, eine Entscheidung, die er und andere Demokraten später bereuten.
Biden ist kein schwacher alter Mann, wie es die Trumpisten gerne verbreiten, nur weil er zum Glück besonnen auf Putins unverhohlene Atomkriegsdrohungen und nicht auftrumpfend reagierte. Biden ist zurecht vorsichtig und gleichzeitig entschieden in der hochemotionalen Debatte um den Krieg in der Ukraine, der auch ein Informationskrieg ist. Er hat bisher allen gut gemeinten Ratschlägen, welche die Nato in aktive Kampfhandlungen mit russischen Soldaten verwickeln könnten (Flugverbotszonen), eine Absage erteilt bei maximaler Unterstützung, was Waffenlieferungen, Hilfeleistungen, Wirtschaftssanktionen und Geld betrifft.
Er hat ausdrücklich deutlich gemacht, dass diese Grenze zu überschreiten den dritten Weltkrieg bedeuten würde. Er hat dieses Wort, zum Erschrecken vieler, nicht nur ausgesprochen, er würde ihn auch führen können. Davon ist auszugehen. Das wiederum ist eine Lebensversicherung für alle europäischen Staaten und darüber hinaus, die sich nicht zu sehr aufspielen sollten, sondern ihren Pflichten der Landesverteidigung nachkommen müssen.
Die Rede am 26. März vor dem Stadtschloss in Warschau ordnet dieses Versprechen in den Kampf zwischen Freiheit und Knechtschaft, Demokratie und Autokratie ein, der noch lange weitergehen werde. Ein naiver Fortschrittsoptimismus kann der historischen Rede nicht unterstellt werden.
Der Katholik Biden beginnt sie mit einem Satz des polnischen Papstes Johannes Paul II und endet mit ihm: “ Fürchtet euch nicht“- Worte, welche die Welt veränderten. Er rekapituliert noch einmal wichtige Stationen der Befreiungsgeschichte vom Kommunismus (Ungarn 1956, Prag 1968, 1989 der Fall der Berliner Mauer) und dankt der Solidarność-Bewegung und ihrem Arbeiterführer Lech Walesa. Auffallend häufig spricht er – ehrlich und typisch amerikanisch – vom „Glauben“, der „am Hellsten in der Dunkelheit sieht „(Kierkegaard).
Er bezieht den Glauben an die Freiheit, die Demokratie und das Volk in diesen zugleich einfachen und tiefen Glauben, der kein Wissen ist, mit ein. Das ist ein zivilreligiöser Bürgerglaube an die Demokratie oder eine demokratische Bürgerreligion, die viele auf ihre Art teilen können und die im Kampf der Ukrainer wieder inspirierend wird.
In der Auseinandersetzung um Freiheit und Demokratie erwähnt Biden die Religionsfreiheit, die Niederlassungsfreiheit und die Pressefreiheit. Die Stützpfeiler der Demokratie sind stets angefochten, auch im eigenen Land. Das strahlende Vorbild Amerika wird bewusst nicht genannt. Dieser lange Kampf findet heute seine Fortsetzung in der Ukraine 2022: „Wir stehen an eurer Seite!“, lautet die Botschaft.
„Macht setzt nicht Recht, sondern Recht setzt Macht“ (Lincoln). Die Nato sei ein Verteidigungsbündnis und habe nie den Niedergang Russlands gesucht. Das russische Volk ist nicht der Feind. Es gibt keinerlei Rechtfertigung für diesen Krieg. Dieser sei vielmehr schon jetzt „ein strategischer Fehlschlag“. Infolgedessen drohe Russland ein Brain-Drain und „der Rubel sei im Mülleimer“.
Biden wendet sich sodann direkt an das russische Volk: „er weigere sich zu glauben, dass sie das wollen.“ Er erwähnt die grausame 24-monatige Belagerung, Einschließung und Aushungerung Leningrads durch Hitlers Armee 1941, die noch in frischer Erinnerung sei. Sie wollen nicht, dass man anderen ein solches Leid antut – das sei dem russischen Volk „unwürdig“.
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